atrium | Die Chargen und die Anschaffung

  • Das Atrium wirkte noch pompöser, als alles, was sie zuvor jemals gesehen hatte. Nualas Augen konnten sich kaum satt sehen an all den Dingen die hier harmonisch zusammengestellt waren. Solange der dominus nicht da war, wollte sie alles auffangen, was ihre Augen erblickten. Die schönen bemalten Wände, in der Mitte des Atriums das impluvium, das edle Mobiliar und die anmutenden Statuen von halbnackten Frauen.
    Sie wusste nun, sie war in einem reichen Haushalt gelandet. Die Aussicht, Hunger leiden zu müssen, wie sie es bei ihren letzten Herren oftmals getan hatte, war sehr gering. Vielleicht hatte der germanische Sklave, der sie hereingeführt hatte ja doch recht. Doch ganz überzeugt war sie immer noch nicht.


    Dann hörte sie nahende Schritte. Schnell senkte sie wieder ihren Blick. Sie wollte nicht gleich bei der ersten Begegnug mit ihrem Herrn einen schlechten Eindruck hinterlassen. Trotzdem versuchte sie in die Richtung hinüber zu schielen, aus der jede Minute ihr neuer dominus erscheinen würde. Ihr Herz pochte und sie hatte Mühe, ihre Aufregung nicht zu zeigen.

  • Vertieft in ein Buch hatte der Sklavenjunge Orestes gefunden; die Aurei schon bereitgelegt neben sich in einem Beutel. So legte er das Buch in aller Ruhe beseite und folgte dem Sklavenjungen, der nun die verantwortungsvolle Aufgabe bekommen hatte die Aurei zu tragen (und einen Moment durchzuckte es den Jungen, wenn er jetzt hätte fliehen können, wäre er versorgt..., aber er verwarf diesen Gedanken - er müsste entweder an Trautwini oder Leone vorbei - beides traute er sich nicht, noch nicht).


    Ins Atrium tretend fiel Orests erster Blick auf Trautwini, der die Gäste bewachte. Dann der zweite auf die "Gäste", von denen auch er meinte, dass es besser wäre sie zu beobachten, und erst der dritte auf die neue Sklavin - deren Namen er nicht kannte - hatte der Händler überhaupt einen Namen erwähnt? - und die er ohne großes Nachdenken ersteigert hatte. Er musterte sie. Gesund sah sie aus, hübsch war sie. Jetzt sollte man nur noch hoffen, dass sie wenigstens einige der Fähigkeiten hatte, derer Tranquillus sie gepriesen hatte. Nach diesem langen musternden Blick wandte er sich den 'Mitarbeitern' des Sklavenhändlers zu. Sehr gut. Ich dachte schon ihr würdet erst morgen kommen. Hier habt ihr Eure 36 Aurei. Er nickte dem Sklavenjungen zu, der etwas zögerte und den Beutel mit den Goldmünzen nicht aus der Hand geben wollte, dies schließlich aber doch tat. "So und jetzt darf ich Euch verabschieden. Wenn Ihr möchtet, kann Euch Trautwini noch etwas Wein im hinteren Vestibül reichen. Valete bene." Er wusste, dass Trautwini ihnen nicht den guten Wein geben würde, sondern höchstens den in dem man einen Fisch kochen würde. Aber wenigstens den sollte man ihnen schon anbieten.


    Er wartete bis Trautwini die Gäste hinausgebracht hatte und setzte sich dann in einen der Sessel und schaute Nuala an. "Wie heißt Du?", war das erste, was er nach einer kurzen Stille sagte.

  • Sie wagte es nicht, ihren Kopf anzuheben um genau sehen zu können, was gerade um sie herum geschah. Nur Bruchstücke dessen, was im Atrium vor sich ging, konnte sie durch ihr schielen erhaschen. Was sie nicht sehen konnte, hörte sie: die Worte, die fielen und das Klimpern des Geldsäckchens, mit den 36 Aurei darin, das von Hand zu Hand ging.


    Als die beiden Männer, die sie geliefert hatten, gegangen waren, kehrte die Stille zurück. Niemand sagte etwas. Kein Geräusch war mehr zu hören.
    Sie stand sie an derselben Stelle zu der man sie geführt hatte. Ihre Hände waren noch immer mit einem Strick gebunden. Eigentlich wäre das nicht notwendig gewesen. Aber man wollte wohl sicher gehen, damit die Sklavin auch dort ankam, wo sie hin gehörte.
    Nuala hatte es vermieden, sich zu rühren. Ihr Blick ruhte unvermindert auf das Stücken Boden, unmittelbar vor ihr. Indem sie einen bestimmten Punkt am Boden an fixierte, war es so, als könne sie sich daran festhalten. Ein neuer Halt war es, den sie wieder im Leben brauchte. Jenen Halt den sie verloren hatte, als man sie von "ihrer" mogontiacischen Familie fort gebracht hatte. Den Halt, den sie danach nie mehr wieder gefunden hatte. Ob sie ihn hier finden würde, war noch fraglich. Das, was ihr der germanische Sklave bei ihrer Ankunft gesagt hatte, wollte sie nicht ruhen lassen. Du hast einen Riesenglück, dass Du hier gelandet bist. Es ließ sie aber zuversichtlicher werden, je länger sie hier war. Warum das so war, konnte sie nicht beantworten.


    Die Stille wurde schließlich durchbrochen, was sie dazu veranlasste, ihren Punkt am Boden loszulassen. Sie sah zu ihm auf und erkannte wieder jenen Mann, der am meisten für sie geboten hatte. Jetzt war er ganz nah und alleine. Er hatte in einem bequem aussehenden
    Sessel Platz genommen und musterte sie.
    "Nuala, dominus. Man ruft mich Nuala."
    Ihre zarte Stimme klang zittrig und verriet letztlich doch, was in ihr vor gehen mochte.

  • Nuala also hieß die Sklavin, die mit gesenktem Haupt vor Orestes stand. Ihre Hände immer noch gebunden und ohne große Regung. Allein ein leichtes Zittern in der Stimme verriet ihre Gemütslage. Er stand auf und trat an sie heran und löste den Strick, der anscheinend ihre Ankunft in diesem Haus sichern sollte."Ich denke nicht, dass der hier nötig ist", mit einer scheinbar achtlosen Bewegung warf er ihn fort. Dann setzt er sich hin.


    "Du bist bei der edlen gens Aurelia gelandet. Wir sind Patrizier und leben auch so. Das ist für Dich mit durchaus einigen Vorteilen verbunden." Er stockte. Diese Worte waren nicht die seinen, es waren die Worte seines Vaters, die übliche 'Wenn Du gehorsam bist, wird es Dir gut ergehen Rede" seines Vaters. Er hatte die vergangenen Woche so wenig an seinen Vater gedacht, dass er schon fast meinte ihn endlich vergessen zu haben. Aber solche Momente würden wohl immer wieder kommen - er hatte es doch anders machen wollen, und jetzt. Schnell schob er diese Gedanken beiseite. "Du wirst hier keinen Hunger leiden, Du wirst gut behandelt, Du wirst keine zu schween Arbeiten machen müssen - wenn Du gehorsam, fleißig und ordentlich Deinen Pflichten nachkommst. Wenn Du höflich und zuvorkommend bist, wenn Du uns keine Schande machst, kurzum: Wenn Du eine gute Sklavin bist. Bene?" Seine Stimme klang bei diesen Worten klar und er sprach deutlich und versuchte eine verbindliche Freundlichkeit auszustrahlen.


    Nach diesen Worten schaute er sie an bis eine Reaktion von ihr kam. Danach fuhr er fort. In die Abläufe des Hauses wird Dich morgen jemand einweisen. Denn außer den Aufgaben, die ich Dir zuweise, wirst Du natürlich im Haus mithelfen, wo Hilfe gebraucht wird. Aber jetzt erzähl mal Du, was Du gut kannst - denn allzuhäufig hat die Version des Tranquillus nicht allzuviel mit der Realität zu tun. Und vor allem - warum hat Dein letzter Herr Dich verkauft?

  • Das Herz wollte ihr zerspringen, als er sich ihr näherte und ihr dann ihre Hände befreite. Sie fühlte auch sich etwas befreiter. Ihre Augen folgten dem achtlos fortgeworfenen Strick, der seine Spuren hinterlassen, leichte, gerötete Aufschürfungen. Sachte umfasste sie ihre Handgelenke. Sie wollte ein Wort des Dankes an ihn richten, doch da hatte er bereits wieder das Wort ergriffen.
    Diese Worte klangen so kalt und hart. Sie schüchterten sie ein, weil sie sie so sehr an das erinnerte, was sie schon einmal erlebt hatte. Es waren nicht die besten Erinnerungen. Du gehörst nun zum Haushalt einer der angesehensten Familien dieser Stadt. Arbeite gut und hart und du wirst satt werden! Wenn nicht, dann… Sie hatte immer versucht, alles zu geben. Das war aber allzu oft zu wenig gewesen.
    Er stockte und sie wagte, kurz aufzusehen. Die Worte, die nun folgten, wirkten zuvorkommender, fast freundlich, auch wenn sie genau das Gleiche beschrieben, was sie an dieser Stelle schon mehrmals hören musste.
    Sie nickte nur. Ihre Gesichtszüge hatten sich gelockert und sie sah ihn wieder an.
    Was konnte sie? Wenn es nach ihrem letzten Herrn gegangen wäre, nichts! Er war immer nur unzufrieden mit ihr gewesen und oftmals bekam sie dies auch zu spüren.
    Nuala sammelte ihre Gedanken.
    "Ich kann lesen und schreiben, dominus. Ich wuchs mit der Tochter meines ersten Herrn auf und genoss die gleiche Bildung, wie sie. So lernte ich die Literatur kennen und auch die Musik. Ich kann die Kithara spielen und auch singen." Je mehr sie zu erzählen begann, desto leidenschaftlicher wurden ihre Worte. Die Musik und die Literatur waren ihre Welt. Hier hatte sie sich immer wohl gefühlt. Später hatte sie dieser Welt nachgetrauert. Diese Fähigkeiten waren dann nicht mehr gefragt. Putzen, waschen, kochen war dann in den Vordergrund gerückt. Um den Boden zu schrubben, musste man nicht Homer rezitieren können. Dass sie in all den Jahren zu einer jungen Frau heran gereift war, war auch ihren Herren nicht verborgen geblieben.
    "Mein letzter Herr hat mich verkauft, weil er das Geld brauchte und glaubte. ich sei sowieso zu nichts nütze."

  • Orestes' Aufmerksamkeit wurde von den feinen Bewegungen seiner neuen Sklavin gefangen. Sie traute sich kaum ihn anzuschauen und es dauerte einen Moment bis sie sich gefunden zu haben schien - als sie von der Literatur und Musik redete, meinte Orest sogar Begeisterung hören zu können. "Gut, wenn Du musikalisch und literarisch bewandert bist, werden Deine Hauptaufgaben in diesem Bereich liegen. Wenn ich abends aus dem Tempel komme und Entspannung brauche möchte ich, dass Du auf der Kithara spielst. Oder wenn es angebracht ist etwas rezitierst. Den Tag über kannst Du - wenn nichts anderes anliegt üben."


    In seinem Ohr klangen Nualas letzte Worte nach 'zu nichts nütze'. Anscheinend hatte ihr letzter Herr nicht erkannt, was für eine kostbare Perle er in seinem Besitz hatte. Er konnte nur hoffen, dass sie sich dieses denken nicht allzusehr zu eigen gemacht hatte. "Die Musik und die Literatur, Nuala, sind auch nicht direkt zu etwas nützlich. Weil sie über die reinen Nutzen hinaus gehen. Vielleicht kannst Du mir eine kleine Kostprobe Deines Könnens geben?" Sie würde wahrscheinlich Hunger und Durst haben, aber diese - er hatte extra kleine gesagt - Kostprobe müsste schon so sein. Dazu war er viel zu gespannt was sie konnte - und was sie aussuchen würde.

  • Mit jedem Wort erhellte sich ihr Antlitz und sie wagte es erstmals aufzuschauen. Mehr hätte sie sich nicht wünschen können. Nuala hatte es schon immer als ein Privileg angesehen, lernen zu dürfen und sie hatte es immer gerne getan. Sie liebte es, wenn der paedagogus der jungen Herrin und ihr Geschichten vorlas und den Hintergrund dazu erklärte. Eine neue Welt hatte sich für sie aufgetan und sie schritt gerne hinein, um dort zu verweilen. In ihrer Phantasie war sie bei Odysseus Irrfahrten dabei und fieberte mit Iphigenie. Begierig hatte sie damals die Texte auswendig gelernt, um sie vor ihrem Herrn, aber auch vor ihren Freundinnen unter den Sklaven, wiederzugeben. Als dieses Leben für sie schlagartig und ohne Vorwarnung zu Ende ging, hatte sie sehr darunter gelitten.
    Doch nun, nach den harten Jahren voller Entbehrungen, wollten sich wieder bessere Tage anschicken. Die Aussicht, sich wieder den Schriften widmen zu können und lernen zu dürfen, ließ ihr Herz höher schlagen. Sie hätte die Welt umarmen können!
    Er verlangte eine Kostprobe ihres Könnens, was nur verständlich war. Nuala überlegte nicht lange. So manche Texte hatte sie noch parat. Daraus hatte sie in den kargen Jahren gezehrt und wenn es am schlimmsten war, sich damit auch getröstet.
    „Ja dominus, das will ich gerne! Vielleicht etwas von Horaz?


    Tu ne quaesieris - scire nefas -, quem mihi, quem tibi
    finem di dederint, Leuconoe, nec Babylonios
    temptaris numeros ! Ut melius, quidquid erit, pati,
    seu pluris hiemes seu tribuit Iuppiter ultimam,


    quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare
    Tyrrhenum: sapias ! Vina liques et spatio brevi
    spem longam reseces ! Dum loquimur, fugerit invida
    aetas: carpe diem, quam minimum credula postero!*"


    Ihre Augen leuchteten, während sie diesen Text rezitierte. Man konnte erahnen, welche Freude sie dabei empfand.


    Sim-Off:

    *Frag nicht, welches Ende die Götter mir, welches sie dir, Leukonoe, zugedacht haben, und lass die Finger von babylonischer Astrologie! Wie viel besser doch, was immer sein mag, zu ertragen! Ob Jupiter noch viele Winter uns zugeteilt hat oder den letzten, der jetzt an entgegenstehenden Klippen das Tyrrhenische Meer bricht – lebe mit Verstand, kläre den Wein und beschränke ferne Hoffnung auf kurze Dauer! Noch während wir reden, ist die missgünstige Zeit schon entflohen: Pflücke dir den Tag, und glaube so wenig wie möglich an den nächsten!

  • Nuala strahlte, das ließ auch auf Orests Gesicht ein Lächeln erscheinen. Sie hatte mit Horaz genau seinen Geschmack getroffen, außerdem er musste es zugeben - es erfreute ihn immer wieder wenn er Menschen, seien es nun Sklaven oder Freie, erfreuen konnte. Nicht das das besonders wichtig war im Umgang mit mit Sklaven, das sie froh waren, aber wenn war es um so besser.


    Sicherlich sie würde an der Rezitation noch feilen können, es fehlten die kleinen Unterschiede die es brauchte, um dieses schwierige Metrum lebendig werden zu lassen, aber das war jetzt nicht schlimm. "Brava.", sagte er deswegen und applaudierte sogar symbolisch. Man könnte sagen, dass es für mich - wie wahrscheinlich auch für Dich - ein Glücksfall war, dass ich Dich heute gekauft habe..


    In diesem Moment betrat Trautwini wieder das Atrium als Zeichen, dass er die anderen Gäste inzwischen heraus komplimentiert hatte. Mit einem Nicken quittierte Orestes dies. Als er sich zum Gehen wandte hob Orest die Hand als Zeichen, dass er warten sollte. Dann wandte er sich wieder an Nuala.


    Mit Horaz hast Du übrigens genau meinen Geschmack getroffen. Ich glaube Du solltest Dich jetzt waschen, neu einkleiden, etwas essen, und so weiter. Geh einfach mit Trautwini mit, er wird Dir den Weg weisen. Vielleicht findet Ihr in der Unterkunft oder auf dem Weg ja Siv oder Fhionn, die könnten Dir dann alles wichtige zeigen. Wenn Du fertig bist melde Dich bitte noch einmal in meinem Cubiculum - mit einer Kithara, so sich eine im Haus auftreiben lässt. Er schaute zu Trautwini und dann zu ihr.

  • Siv war gerade im Haus unterwegs von A nach B – genauer gesagt vom Garten in die Küche –, als sie Trautwini über den Weg lief. Im Gegensatz zu Brix hatte sie mit diesem Germanen nicht sonderlich viel Kontakt. Sie wusste nicht, wie lange er schon Sklave war oder unter welchen Umständen er zu einem geworden war. Er erzählte so gut wie nichts über sich, und er schien auch eher ein Einzelgänger zu sein. Jetzt aber sagte er ihr, dass die neue Sklavin da sei, und dass es wohl klug wäre, wenn sie mal ins Atrium ginge und ihre Hilfe anbieten würde. Womit er verschwand, in Richtung Atrium. Siv war irritiert. Sie wusste weder, um was für eine Sklavin es sich handelte, noch warum ausgerechnet sie ihre Hilfe anbieten sollte. Aber schließlich zuckte sie die Achseln und folgte dem Leibwächter, nur um kurze Zeit später selbst das Atrium zu betreten. Orestes war da und unterhielt sich mit einer jungen Frau, fast noch ein Mädchen – das musste die neue Sklavin sein, von der Trautwini gesprochen hatte, und offenbar hatte Orestes sie gekauft. Siv sah sie kurz an, ohne neugierig oder aufdringlich zu wirken, dann wanderte ihr Blick zu Trautwini und schließlich zu dem Aurelier. Lautlos seufzte sie. Sie hasste es, wenn sie nicht wusste, weshalb sie irgendwohin kommen sollte und dann nachfragen musste. Trautwini erntete erneut einen Blick, diesmal einen finsteren, dann wandte sie sich endgültig dem Aurelier zu. "Du brauchst?"

  • Hätte man Nuala gefragt, wie sie sich jetzt fühlte, sie hätte lange nach den richtigen Worten suchen müssen, die genau dieses heiter- beschwingte Gefühl der Zufriedenheit beschrieben.Ja, sie strahlte! So wie sie schon seit Jahren nicht mehr gestrahlt hatte. Sie hatte auch allen Grund dazu, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Es war in der Tat ein Glücksfall gewesen. Alle ihre Ängste und Sorgen, die sie an diesem heutigen Tag geplagt hatten, fielen von ihr ab. Es war nicht alleine nur die Begeisterung, die sie bei ihm ausgelöst hatte, nein vielmehr war es die Tatsache, dass er sie dazu aufgefordert hatte und dass dieses Metier zukünftig zu ihren Aufgaben gehören würde. Sie wusste selbst, sie hatte viel nachzuholen und musste einiges auffrischen, was in all den Jahren verloren gegangen war. Der Grund, weshalb ihre Rezitation nicht vollkommen abgerundet war, weshalb die Betonungen nicht perfekt waren, lag wohl zuletzt auch daran, weil sie diese unbändige Freude in sich hatte. Die letzten Zweifel, die sie noch beim Betreten des Atriums hatte, schwanden zusehends. Endlich durfte sie sich wieder dem widmen, was sie konnte und woran sie Spaß hatte. Niemand würde in diesem Haus Nuala deshalb strafen, weil man sie mit einer Schriftrolle erwischt hatte, weil sie las oder ein Lied auf den Lippen hatte. Wie das Verhältnis zu ihrem neuen Herrn letztlich sein würde, musste sich noch herausstellen. Für sie, aber auch für ihn, war dies eine neue Erfahrung, die ihre Zeit brauchte.
    Kurzzeitig wurde ihre Aufmerksamkeit durch das Erscheinen Trautwinis, jenes germanischen Sklaven, der sie in Empfang genommen hatte, gestört, als dieser das Atrium betrat. Nualas Blick war von ihrem Herrn abgeschweift und ruhte kurzzeitig auf dem Germanen, bis Orestes sie wieder ansprach.
    Sie war sehr erfreut, seinen Geschmack mit ihrer kleinen Kostprobe getroffen zu haben. Auch die Aussicht, schon bald ihren Hunger und Durst stillen, sich waschen und neu einkleiden zu können, erfreute Nuala sehr. In ihren staubigen Kleidern fühlte sie sich sehr unwohl. Ihr Magen knurrte auch schon sehr bedächtig. Seit heute Morgen hatte man ihr nichts mehr Essbares gegeben.
    "Vielen Dank, dominus!" Sie nickte ihm zu und wollte mit Trautwini das Atrium verlassen. Dann fiel ihr Blick jedoch auf eine blonde junge Frau, die plötzlich da stand und erst sie, dann Trautwini und schließlich auch Orestes ansah. Vorerst blieb Nuala noch und ihre fragenden Augen fielen wieder auf den Aurelier.

  • Kaum sollten Trautwini und Nuala das Atrium verlassen, betrat Siv dasselbe. Also ob sie es gewusst hätte - oder vielleicht hatte auch Trautwini den Befehl des Aureliers vorausgesehen. Wie dem auch sei, sie kam gerade zur rechten Zeit. "Siv, gut dass Du kommst. Dies hier ist Nuala.", er blickte zu Siv und zeigte auf Nuala. "Sie ist seit heute meine Sklavin und gehört jetzt zu uns. Zeig Ihr bitte alles. Sie sollte auh etwas zu essen bekommen, und sich waschen und neu einkleiden können, so wie sie der Sklavenhändler gebracht hat, soll sie ja hier nicht rumlaufen. Bene?". Dann wandte er sich wieder Nuala zu: "Geh mit Siv mit, sie wird sich gut um Dich kümmern. Und Du Trautwini kannst, jetzt gehen."

  • Siv musterte die Anwesenden und fragte sich kurz, was sich zuvor wohl abgespielt haben mochte – die neue Sklavin strahlte, als ob der Aurelier ihr verkündet hätte, er hätte sie nur gekauft um sie freizulassen. Dann wanderte ihr Blick wieder zu Orestes, als er sie ansprach. Gut, sie sollte der Neuen also die Villa zeigen, das war durchaus machbar, auch wenn sie auf so etwas weniger Lust hatte – erklärte aber immer noch nicht, warum Trautwini sich ausgerechnet sie geschnappt hatte. Oder war sie ihm nur zufällig über den Weg gelaufen? Aber er hatte recht deutlich geklungen, als er meinte, dass sie kommen sollte. Dann zuckte sie andeutungsweise die Achseln. Auch egal. Irgendwie war ihr in letzter Zeit recht viel recht egal. Möglicherweise war es nur eine andere Art von Schutzschild, den sie aufgezogen hatte, nachdem die Wut sie des Öfteren im Stich gelassen hatte. Sie nickte nur, so wie sie überhaupt etwas wortkarg geworden war, deutete gegenüber der Neuen aber ein leichtes Lächeln an. Nachdem Trautwini und Orestes verschwunden waren, trat sie etwas näher auf die andere Sklavin zu. "Nuala? Ich bin Siv", stellte sie sich vor. "Komm, wir gehen in Küche. Du hast Hunger, oder?"

  • Siv hieß die blonde junge Frau, die sie eben noch so verwundert angeschaut hatte, nun aber lächelte. Siv mit dem goldglänzenden Haar, gleich ihrer Namensgeberin, der germanischen Göttin und Gattin des Thors.
    Nuala ging auf sie zu und entgegnete ihr Lächeln. Sie vermutete, in diesem Haushalt musste es bevorzugt germanische Sklaven geben. Bisher hatte sie jedenfalls nur solche getroffen. Vielleicht war dies eine Marotte des Hausherrn.
    Woher Siv wohl stammte und wie lange war sie schon hier? Ihrem Sprachklang konnte sie entnehmen, dass sie nicht immer unter Römern gelebt hatte. Germanisch musste die Sprache gewesen sein, mit der Siv aufgewachsen war. Nuala würde es erfahren und vielleicht noch mehr, alls was wissenswert war, über dieses Haus und die Menschen, die darin lebten.
    "Heilsa, Siv! Oh, ja! Großen Hunger sogar!"antwortete sie Siv in germanischer Sprache. Lange war es her, seitdem sie sich dieser Sprache das letzte Mal bemächtigt hatte. Vergessen hatte sie sie aber nichts. Zu viele schöne Erinnerungen waren damit verbunden.
    Die beiden Sklavinnen hatten längst das Atrium verlassen und waren auf dem Weg zur Küche. Eine Frage brannte Nuala auf der Zunge, die sie die Germanin unbedingt fragen wollte, bevor sie den Küchentrakt erreichten. Auf dem Flur waren sie unter sich, in der Küche allerdings war das sicher anders. Nuala wollte der Germanin keinen Anlass dazu geben, sich befangen zu fühlen, wenn sie auf ihre Frage antwortete. Nuala hatte es oft selbst erlebt, wie eigennützig manche Sklaven gegenüber ihren Standesgenossen sein konnten.
    Sie stellte sie zögerlich, denn die allerletzten Zweifel, es müsse doch irgendwo einen Haken geben, waren längst noch nicht ausgeräumt. "Siv? Wie ist es, hier zu leben, für uns?" Nuala war stehen geblieben und streifte Sivs Arm, damit auch sie nicht weiter ging.

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