cubiculum MAC | Zweigeteilt

  • Abwesend strich ich über die Feder, immer und immer wieder. Das Ende des Kiels, vollgesogen mit pechschwarzer Tinte, verharrte unschlüssig über dem Papyrus. Am Morgen hatte ich zwei Briefe bekommen, eine Einladung von Tiberius Durus und eine von Celerina. Die Antwort an Durus war mir leichtgefallen, doch was nur sollte ich Celerina schreiben? Unangemeldet vorbeikommen wollte ich nicht, schließlich wusste ich um die Zeit, die Frauen für gewöhnlich brauchten, ehe sie sich in Gesellschaft begaben. Derart ratlos, war ich froh, als es klopfte. Ich bat den Wartenden hinein - es war Brix - und legte die Feder fort. "Verzeih, dominus, ich wollte dich nicht stören, aber ich denke, dass es wichtig ist", sagte der maiordomus. "Das macht nichts. Was gibt es denn?" fragte ich. Brix runzelte die Stirn, und ich meinte etwas wie Besorgnis auf seinem Gesicht lesen zu können. Er zögerte einen Moment, ehe er sprach, und machte mich damit hellhöriger. "Es geht um Siv. Sie hat die letzten beiden Nächte wohl draußen vebracht und sie wirkt apathisch. Als wäre sie krank. Ich kenne sie so nicht. Irgendetwas muss passiert sein. Ich würde gern nach einem Arzt für sie schicken lassen." "Siv ist krank?" echote ich. Dabei wusste ich es besser. Sie war nicht krank. Der Keim der Sorge fiel in mir auf nahrhaften Boden. Ich runzelte die Stirn und sah auf den unbeschriebenen Papyrus hinunter. "Es hat den Anschein", erwiderte Brix und zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern. Diese Neuigkeit beschwor schlagartig alle Empfindungen wieder herauf, die ich seit dem vorgestrigen Abend gut verschlossen in mir eingesperrt hatte. Ich sagte eine Weile gar nichts, bemerkte aber wohl, dass Brix unruhiger wurde. Schließlich brach er das Schweigen. "dominus?" Ich wandte den Kopf, er sah mich fragend an. Schließlich gab ich mir einen Rück, doch sagte ich wohl nicht das, was Brix erwartet hatte, denn er starrte mich kurz an und neigte dann den Kopf. "Nein, keinen Arzt. Wo ist sie jetzt? Ich möchte sie sehen." "Wie du wünschst. Sie ist im Garten und weigert sich beharrlich, hineinzukommen. Aber ich werde es ihr sagen." Damit verschwand Brix und ließ mich nachdenklich allein zurück. Der brief an Celerina würde warten müssen, mir fiel ohnehin nichts Originelles für eine Antwort ein. Ich machte mir Sorgen um Siv. Einen Moment spielte ich noch mit der Feder, die ich wieder aufgenommen hatte und in den Händen drehte, dann ließ ich sie fallen und erhob mich, um mir einen guten Becher Wein einzugießen. Den würde ich wohl gleich brauchen.

  • Die Nacht, die diesem Tag folgte, der so viel von ihr abverlangt hatte, hatte sie im Garten verbracht. Und als am nächsten Morgen jemand gekommen war, um nach ihr zu suchen, sie reinholen wollte, hatte sie sich immer noch nicht gerührt. Sie hatte sich nicht explizit geweigert – sie hatte einfach nicht reagiert. Gelegentlich veränderte sie ihre Haltung, wenn ihr Körper so steif wurde, dass die Schmerzen in ihr Bewusstsein vordrangen, und als Brix das dritte Mal bei ihr gewesen war und sie regelrecht genötigt hatte, etwas zu essen, hatte sie nachgegeben, aber auch nur, damit er sie in Ruhe ließ. Gesprochen hatte sie auch nur mit ihm – und nur das nötigste. Hatte gesagt, es wäre nichts los mit ihr. Mehr nicht. Sie hatte ihn nicht einmal gebeten, sie in Ruhe zu lassen. In der Nacht waren die Tränen irgendwann geflossen, unbemerkt von ihr hatten sie sich aus ihren Augen gemogelt und waren über ihre Wangen gelaufen, einfach so, ohne dass Schluchzer sie geschüttelt hätten wie noch am Nachmittag. Sie hatte darauf genauso wenig reagiert wie am Tag auf Brix’ Versuche, sie zu irgendeiner Aktion zu bewegen. Nicht einmal dass er sich Sorgen machte, registrierte sie wirklich, denn dann hätte sie womöglich mehr gesagt, hätte sich vielleicht sogar dazu bringen lassen, hinein zu gehen und wenigstens zu versuchen, ihm etwas vorzuspielen, denn sie wollte nicht, dass er sich Sorgen machte.


    Die nächste Nacht war ebenso vergangen wie die vorige. Sie war dagesessen, ohne sich zu rühren. Die Decke, die Brix ihr am Abend noch gebracht hatte, war etwas hinunter gerutscht, aber das hatte keine Reaktion von ihr gezeitigt. So saß sie immer noch da, als Brix am nächsten Morgen wieder nach ihr sah. "Hey." Siv rührte sich kaum. Der Germane stand etwas hilflos neben ihr und wusste nicht genau, was er sagen sollte, aber dann ließ er sich in die Knie sinken, stützte die Ellbogen auf seine Oberschenkel und musterte sie einen Moment lang. "Wie geht’s dir?" Siv zuckte andeutungsweise die Achseln. "Gut", meinte sie gleichgültig. Brix setzte dazu an, etwas zu sagen, dann hielt er inne und schüttelte gleich darauf den Kopf, als habe er sich innerlich eine Frage gestellt und sie im selben Moment beantwortet. Dann holte er Luft und setzte erneut an. "Corvinus will dich sehen." Jetzt, zum ersten Mal, reagierte Siv tatsächlich. Ihr Kopf flog herum, und sie starrte Brix an. "Was?" In ihrer Stimme war fast so etwas wie Entsetzen zu hören. Brix runzelte leicht die Stirn, als ihn eine leise Ahnung beschlich, was der Grund für Sivs plötzliche Apathie sein könnte. Aber er sagte nichts dazu. "Er will dich sehen. In seinem Cubiculum", wiederholte er schlicht. Siv starrte ihn weiter an, und ihr Kopf, der noch vor Augenblicken leer gewesen war, begann sich nun, für einen Moment, mit Gedanken zu füllen. Was konnte er von ihr wollen? Dachte er, es wäre alles in Ordnung? Wollte er, dass sie ihre Arbeit aufnahm, dass sie tat, was sie vor Germanien getan hatte? Sie wollte nicht zu ihm. Sie wollte ihm nicht begegnen. Sie hatte das Gefühl es würde sie zerreißen, ihn zu sehen und von ihm wie eine Sklavin behandelt zu werden, wie jede x-beliebige Sklavin, um genau zu sein. So, als wäre nie etwas passiert. So, als hätte sie ihm nie gestanden, dass er ihr wichtig war. Sie erzitterte, aber dann wurde sie plötzlich wieder so seltsam ruhig. Sie war eine Sklavin. Seine Sklavin. Sie konnte ihm nicht aus dem Weg gehen. Es war besser, wenn sie sich daran gewöhnte. "In Ordnung." Ohne weiter auf Brix zu achten, erhob sie sich, steif und ungelenk und mit schmerzenden Gliedern, und begann zum Haus zu gehen. Der Germane sah ihr nach, etwas verblüfft und vor allem besorgt. "Siv!" rief er ihr nach, aber sie reagierte nicht, und Brix seufzte nur, erhob sich und sah ihr einen Moment hinterher, bevor er kopfschüttelnd ebenfalls zum Haus ging.


    Es dauerte ein paar Momente, bis Siv Corvinus’ Cubiculum erreicht hatte, aber schließlich stand sie vor der Tür und klopfte leise. Als sie aufgefordert wurde, trat sie ein, schloss leise die Tür hinter sich und blieb dort stehen, so weit weg von ihm wie möglich. Sie verschränkte ihre Hände in ihrem Rücken und presste sie gegen die Tür, als wollte sie sich darin verstecken, dieselbe Tür, gegen die Corvinus sie vor zwei Tagen gepresst hatte, wie ihr schmerzlich bewusst war. Sie wich seinem Blick aus, mehr noch, sie weigerte sich ihn anzusehen, irgendetwas von ihm. Stattdessen sah sie den Boden vor dem Tisch an, an dem er saß, und sagte kein Wort.

  • Mit dem Weinbecher in der Hand stand ich vor dem Fenster und sah hinaus in den Garten. Blätter fielen scheinends kontinuierlich auf den Boden, Dina und Sofia waren damit beschäftigt, Laub zusammenzuharken, wobei sie beständig am Plappern waren. Ein Klopfen lenkte meine Aufmerksamkeit wieder in den Raum zurück. Ich bat Siv herein, denn um wen sollte es sich sonst handeln? Schnell trank ich noch einen Schluck Wein, ratlos, wie diese Szenerie nun weitergehen sollte. Das Rascheln von Kleidung war zu vernehmen, dann das Schließen der Tür. Darüber hinaus blieb es still. Siv stand bei der Tür. Ich wandte mich um, den Becher wie einen letzten Anker in der Hand haltend, und musterte sie eine geraume Weile.


    Siv sah hundsmiserabel aus. Zum ersten Mal schien mir richtig aufzufallen, dass sie sehr dünn war, und kreidebleich noch dazu. Ihre Augen waren, soweit ich das beurteilen konnte, da sie gen Boden blickte, verheult. Eine Falte entstand auf meiner Stirn, ich presste die Lippen ein wenig zusammen. Siv wirkte heruntergekommen und kläglich, und sie musste nachts im Garten gefroren haben wie ein Schlosshund. Ich ahnte nicht, ich wusste, warum sie sich so gehen ließ, und dennoch schockierte es mich. Ebenso, wie es mir leid tat. Ich stellte den Weinbecher auf den Tisch und ging ihr langsam entgegen. Die toga hatte ich nach der salutatio am Morgen gleich wieder abgelegt. Auf halbem Weg entschied ich mich anders und schwenkte ab, um mich in einen Sessel zu setzen. Kurioserweise dachte ich an den Abend mit Cadhla, der so anders verlaufen war als ich das geplant hatte, deswegen aber nicht minder interessant gewesen war. Ich verscheuchte den Gedanken und sah zu Siv hin, die immer noch an der Tür stand. "Setz dich", sagte ich und wies auf einen zweiten Sessel. "Bitte." Wie eine Puppe schien sie meiner Bitte nachzukommen. Ich folgte ihr mit den Augen, doch sie erwiderte den Blick nicht.* Der Ausdruck auf meinem Gesicht war nun ernsthaft besorgt, mein schlechtes Gewissen schien mich zu verschlingen. Sie war nur eine Sklavin, das sagte ich mir wieder und wieder, aber mit jeder Widerholung wirkte diese Versicherung halbherziger. Ich durfte nicht nachgeben, und doch war es das, was ich eigentlich wollte. Ein wenig Frieden finden in dieser Zeit des Wandels meines Lebens und der korrupten cultus-Mitglieder.


    Wieder musterte ich sie lange. Wie konnte ich ihr helfen, ohne selbst Gefahr zu laufen, mich wieder in Dinge zu verstricken, die ohnehin nur zu Problemen führen würden? Ich musste neutral bleiben, durfte nicht erkennen lassen, dass es mich sehr wohl beschäftigte, wenn es Siv nicht gut ging. Nachdenklich rieb ich meine Schläfe, brach schlussendlich das Schweigen. "Brix sagt, du seist krank." Wenn eine Reaktion hierauf kam, so entging sie mir. "Er möchte einen medicus für dich holen." Ich merkte selbst, dass ich so nicht weiterkam. Also sah ich weg, runzelte überlegend die Stirn. Es gab vieles, das ich hätte sagen können, doch das meiste wollte mir nicht über die Lippen kommen. Ich sperrte mich dagegen.


    "Es tut mir leid. Das im balneum. Ich..." begann ich schließlich, und nun war ich es, der Siv nicht ansah. Eine Sklavin... Ich entschuldigte mich bei einer Sklavin. Das allein war schon zweifelhaft. Und doch... Zunächst aus den Augenwinkeln betrachtete ich sie, dann wandte ich ihr langsam wieder den Kopf zu. Wenn sie doch keine Sklavin wäre, alles wäre um so vieles einfacher! Doch einfach waren die wenigsten Dinge. Ich würde bald heiraten, das war ein Fakt, und sowohl ich als auch Siv mussten damit leben, dass es nicht sie sein würde, die dann an meiner Seite ging.



    [SIZE=7]*solcherlei Dinge habe ich mich selbstverständlich vorher versichert, dies ist also keine Fremd-ID-Steuerung[/SIZE]

  • Siv schluckte trocken, während sie darauf wartete, dass er etwas sagte. Oder tat. Dass irgendetwas passierte. Aber es kam nichts, und sie spürte, gegen ihren Willen, wie sie nervös zu werden begann. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, den Blick zu heben und zu sehen, wo er war, was er tat, aber sie traute sich nicht. Sie wusste nicht, was sie dann tun würde, aber sie hatte den starken Verdacht, dass sie dann wieder anfangen würde zu weinen – oder sich auf dem Absatz umdrehte und wieder verschwand. Und beides waren Zeichen von Schwäche, die sie nicht zeigen wollte. Also blieb sie, wo sie war, regungslos. Sie hörte leise Schritte und schloss die Augen, aber er kam nicht zu ihr, wie sie vermutet hatte, sondern ging irgendwo anders hin, denn schließlich brach das Geräusch wieder ab. Und schließlich sagte er etwas, forderte sie auf, sich zu setzen. Bat sie. Siv zögerte einen winzigen Moment, aber dann folgte sie. Steif waren ihre Bewegungen und seltsam, als sie hinüber ging zu dem Sessel, der schräg neben seinem stand, so ausgerichtet, dass sie ihm halb zugewandt war, als sie dann saß. Immer noch sah sie nicht auf, und immer noch sagte sie kein Wort. Er wollte mit ihr reden, das wurde offensichtlich, aber was er sagen wollte, darüber wagte sie nicht nachzudenken.


    Wieder verging einige Zeit in Schweigen, und Siv machte keine Anstalten, es irgendwie zu brechen. Wie draußen im Garten saß sie da, augenscheinlich teilnahmslos, aber innerlich fühlte sie sich wund und aufgerissen. Sie konnte ein leichtes Zusammenzucken nicht unterdrücken, als Corvinus endlich wieder etwas sagte. Brix dachte also, sie sei krank. Kein Wunder. Als Corvinus dann aber kundtat, dass der Germane einen Medicus holen wollte, zeigte sie zum ersten Mal mehr Reaktion. Sie hob leicht den Kopf und sah ihn kurz an, wollte schon sagen, dass das nicht nötig war, aber Corvinus sah weg, runzelte die Stirn, und Siv senkte ihren Blick wieder und schwieg. Sie meinte zu verstehen, worum es ging. Sie war sein Besitz. Wenn sie draußen blieb, wenn sie sich gehen ließ, minderte sie ihren Wert und schadete ihm dadurch. Wieder atmete sie ein, flach, und setzte dazu an etwas zu sagen. Ihm zu erklären, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Dass sie nicht vorhatte, sich selbst etwas anzutun. Bevor sie aber dazu kam, ergriff er wieder das Wort, und diesmal war sie verwirrt. Wieder sah sie auf, wieder sah er weg, aber diesmal fand sie keine Erklärung für sein Verhalten, konnte nicht einschätzen, was in ihm vorging. Warum entschuldigte er sich bei ihr? Sie musterte ihn, sah wie er ihr wieder den Blick zuwandte, und der ihre schwankte, glitt weg und dann wieder zu ihm. "Ich…" Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. "Warum?" Die Frage war leise gestellt, und nicht im eigentlichen Tonfall einer Frage. Was sollte ihm denn leid tun. Er konnte nichts dafür, dass sie so dumm gewesen war. So dumm zuzulassen, dass sie Gefühle für ihn entwickelte. So dumm zu glauben, ihm könnte es genauso gehen. Wieder sah sie weg, senkte den Blick. "Das nicht… du nichts kannst, für das. Für meine Dummheit. Meine Fehler."

  • Ich spürte, wie Siv unruhig wurde, während ich selbst den Anschein gab, die Ruhe in Person zu sein. Sie schien nicht nachvollziehen zu können, was mich dazu bewog, mich zu entschuldigen. Ich musterte sie stumm. "Nein", sagte ich. "Es ist nicht dein Fehler." Meine Kehle schien plötzlich ausgedorrt zu sein. Ich angelte meinen Weinbecher, trank jedoch nichts und stellte ihn dann wieder fort. Ich musste mich zügeln. So viel Wein wie in der letzten Zeit hatte ich selten getrunken. So fuhr ich mir stattdessen über die Lippen und legte die Arme auf die Sessellehnen. "Ich habe viele Fehler, Siv, ich weiß das. Aber es war nicht recht, das mit dir. Vor Germanien. Und wie ich dich behandelt habe, als ihr zurück wart. Das war nicht angemessen. Und es tut mir aufrichtig leid. Ich war...ich habe mich hineingesteigert." Ich blickte zum Schreibtisch hinüber, wo der unbeschriebene Papyrus lag. "Celerina ist erfrischend. Sie ist alles andere als langweilig, und vielleicht ist es das, was eine Ehe mit ihr harmonisch werden lässt. Aber ich liebe sie nicht." Ein Schlucken, der Gedanke an mehr Wein, den ich beiseite drängte. Seltsam, wie gut es tat, darüber zu reden.


    Mit dem Daumen der rechten drehte ich den Senatorenring am Ringfinger, ein beinahe unverkennbares Zeichen, dass es mich beschäftigte, was ich sagte. "Du warst nicht dumm. Du warst nur ehrlich." Jetzt sah ich Siv an, ließ noch einen Moment verstreichen. "Ich war es nicht." Mein Kopf rauschte, so sehr drehten sich die Gedanken darin, immer schneller fegten sie dahin. Ein dünnes Stimmchen höhnte piepsend wegen einer Entschuldigung bei einer Sklavin, doch es ging recht schnell unter in den dahinrasenden Geadnken. Es klopfte plötzlich, jemand fragte ob er eintreten durfte, doch ohne den Blick von Siv zu lassen, wies ich denjenigen schroff ab. Es war wichtig, dass wir dieses gespräch hier und jetzt zu Ende führten. Ohne Unterbrechung.

  • Wieder sah sie hoch, erstaunt diesmal, und verwirrter als zuvor. Es war nicht ihr Fehler? Was sollte es dann sein, dass sie dem Irrglauben verfallen war, sie, als Sklavin, könne mehr für ihn sein? Wieder wollte sie wegsehen, aber diesmal stellte sie fest, dass sie es nicht konnte. Ihr Mund wurde plötzlich trocken, und dann sprach Corvinus weiter. Sagte… sie starrte ihn an. Dass es ein Fehler gewesen sei, was vor Germanien passiert war. Jetzt musste sie ein Schluchzen zurückdrängen, das sich ihrer bemächtigen wollte. War ihm seine Abweisung im Balneum noch nicht genug gewesen? Musste er ihr jetzt auch noch auf die Nase binden, dass das, was sie vor Germanien gehabt hatten, wie er zu ihr gewesen war, wie sie miteinander umgegangen waren, dass er das auch nicht so gemeint hatte? Dass da nichts Vertrautes sich entwickelt hatte, wie sie gemeint hatte, jedenfalls nicht auf seiner Seite? Sie biss sich auf die Unterlippe und sah nun doch wieder weg, hatte das Gefühl, es nicht mehr lange auszuhalten. Hatte er das vor, hatte er Spaß daran sie leiden zu sehen?


    Aber Corvinus sprach weiter, ungeachtet dessen, wie sie seine Worte aufnahm, er entschuldigte sich auch für sein Verhalten nach Germanien, und sie wusste immer noch nicht, was sie sagen sollte. Ihn fragen, warum ihm leid tat, was davor gewesen war? Oder ihm erneut versichern, dass es ihr wirklich leid tat, was sie getan hatte, dass sie ihn nie hatte enttäuschen wollen… Und immer noch sprach er weiter. Als er nun von Celerina anfing, erstarrte Siv, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Erfrischend war sie also. Oh, diese Frau war noch viel mehr, warum zählte er das nicht auch alles auf? Sämtliche Vorzüge und Vorteile, die sie hatte, Dinge, um die Siv noch nie einen Menschen beneidet hatte und es jetzt zum ersten Mal tat, weil sie dachte, dass es Dinge waren, auf die ein Mann wie Corvinus Wert legte. Dann sagte er, dass er sie nicht liebte. Und Siv hatte das Gefühl, als ob sämtliches Blut aus ihrem Kopf wich. Eine Hand löste sich und griff nach der Lehne neben ihr, als ihr schwindlig wurde. Er liebte sie nicht. Er musste heiraten, aber er liebte sie nicht… Ihr Kopf hob sich wieder. Fassungslos und zutiefst verwirrt starrte sie ihn an, unfähig einzuschätzen, warum er ihr das sagte, was er bezweckte. Sie bemerkte nicht, wie er den Ring an seinem Finger drehte, was ein Zeichen dafür hätte sein können, dass es ihm möglicherweise gerade so ging wie ihr. Sie starrte ihn nur an, erwiderte seinen Blick, fassungslos, verwirrt, ungläubig. Und die weiteren Worte verunsicherten sie nur noch mehr, während ihr der Atem wegblieb, der Schwindel für einen Moment noch zunahm und ein winziger Teil ihrer Selbst sich zu fragen begann, ob sie das gerade wirklich erlebte. Sie reagierte nicht auf das Klopfen, reagierte nicht darauf, dass er die Ablenkung nicht willkommen hieß, dass er denjenigen fortschickte. Sie sah ihn nur an, mit großen Augen, in denen Zweifel, Angst vor einer erneuten Enttäuschung und der winzige Keim der Hoffnung miteinander zu ringen begannen. "Du… Nicht? Du warst nicht… ehrlich?"

  • Zweigeteilt. Ich wusste, was ich nicht sollte, und dass es nur Probleme aufwerfen und alles verkomplizieren würde. Ich wusste auch, dass es so nicht weitergehen konnte, denn das würde nicht nur mich selbst, sondern auch Siv auf Dauer zermürben, wenn dieser Zustand nicht bereits angefangen hatte. Die Zweifel streuten sich wie Samen des Löwenzahns im Wind. War es richtig, es zu lassen? Würde es richtiger sein, wenigstens die Illusion von Glück erneut zu kosten? Bis Siv das nächste Mal davonlief. Ich schloss die Augen, griff mir mit Zeigefinger und Daumen an die Nasenwurzel, doch Ordnung brachte das nicht in meine Gedanken. Ich zwang mich, an Celerina zu denken, die, wenn alles gut ging, meine zukünftige Braut und später mein Eheweib sein würde. Ich schätzte ihre leichte Art und das Wissen um die Pflanzenwelt an ihr, und vielleicht würde ich sie eines Tages lieben lernen. Was sie von mir denken mochte, konnte ich nur argwöhnen, nicht aber wissen. Dennoch... Es wäre so falsch, jemand anderen zu lieben. Mit der Lust an sich hatte ich weniger ein Problem als mit der Herzenssache, der verhassten, nichts als Scherereien bringenden Herzenssache.


    "Nein", sagte ich zögernd, noch immer in der Stellung verharrend. Ich wollte ihr ja erzählen, was mich bewegte, was ich dachte und...dergleichen, doch es war so verdammt schwierig, diese Gedanken in Worte zu fassen, die sie neutral auffassen würde. Denn ich wusste nicht, was ich tun würde, wenn Siv näher kam und... Ich zwang mich, sie wieder anzusehen. Ich durfte daran nicht denken, hinterher war es zu spät, um es rückgängig zu machen, und es sollte doch nicht so sein. Welche Zukunft hätte die Ehe, wenn ich mir eingestand, dass... Und man konnte doch nicht zwei Frauen lieben. Ich schluckte hart. "Ich wusste, dass es keine Zukunft hat. Das hat es doch nie, Siv", fuhr ich abgehackt fort. Ich konnte sie dabei nicht ansehen, das überstieg meine Kraft schlichtweg.

  • Siv starrte ihn an, und als er plötzlich derjenige war, der um Worte verlegen zu sein schien, der darum rang etwas zu finden, was er sagen könnte, fühlte sie diesen winzigen Keim der Hoffnung in sich plötzlich aufgehen. Sie versuchte dagegen anzukämpfen. Sie versuchte es zu unterdrücken. Sie hatte solche Angst davor, erneut enttäuscht zu werden, sich Hoffnung gemacht zu haben, wo keine war, und doch… Warum reagierte er so, wenn da nichts war, was er für sie empfand? Sie wagte kaum zu atmen, und zuerst rührte sie sich immer noch nicht. Sie hatte solche Angst… Angst vor diesem Loch, in das sie gefallen war, das sich nun zu lichten schien, aber nach jedem seiner Worte erneut herausbrechen konnte. Sie schluckte, ebenso wie er.


    "Was? Was hat nicht Zukunft?" Einen Moment starrte sie ihn, dann sprach sie weiter, hastig, fast so als befürchtete sie, er könne nun wieder einen Rückzieher machen, könne sie verständnislos ansehen und irgendetwas sagen, behaupten er spräche von etwas anderem, könne die Hoffnung vernichten. "Warum nicht? Ich weiß, ich bin Sklavin. Ich weiß, ich… ich bin nicht Römerin. Und wenn, ich bin nicht wie sie. Ich kann nicht… so reden. So aussehen. Aber ich…" Ohne es selbst bemerkt zu haben, war sie in dem Sessel etwas nach vorne gerutscht, was sie ihm näher brachte. Sie bebte. Anspannung hatte ihren Körper nun ergriffen, die Apathie von zuvor war von ihr abgefallen. "Ich will nur da sein. Für dich. Mit dir. Egal dass du musst Heirat. Egal dass ich Sklavin. Mir egal. Nur du, du bist wichtig, und bei dir sein, wie früher… Ich…" liebe dich, lag ihr auf den Lippen. Aber das zu sagen, brachte sie nicht über sich. Trotzdem hatte sie das Gefühl, es hing so deutlich zwischen ihnen, als ob sie es gesagt hätte.

  • Ich kam nicht zum Antworten, was aber auch nicht weiter schlimm war, da ich ohnehin nicht gewusst hätte, wie ich das hätte formulieren sollen. Sivs Stimme überschlug sich förmlich während sie sprach. Flüchtig dachte ich daran, wie irrwitzig dieses Gespräch war, und versuchte mir einzureden, dass es auch ohne diesen Wortwechsel problemlos hätte weitergehen können. Allerdings gelang es mir dieses Mal nicht sonderlich gut, mir selbst etwas vorzumachen. Ich zog eine Grimasse, die Gefühle zwischen Zerknirschtheit und Sinnlosigkeit beinhaltete, und Siv rutschte mir ein wenig entgegen. Ich blieb, wo ich war, beinahe steif wie ein Stock. Sie zitterte nun wieder. Beinahe wirkte sie wie die pure Verzweiflung auf mich. Ihre Worte wirkten wie ein Geständnis auf mich. Sie waren eines, auch wenn sie es nicht aussprach. Sie berührten mich, die hastigen Worte der zitternden Siv. Ich hatte das Verlangen, sie in die Arme zu schließen, wortlos, doch ich tat es nicht, sondern saß weiterhin unbewegt vor ihr. Diese Starre, sie war meine letzte Bastion, die letzte Festung meines Geistes, auch wenn er die Mauern ganz klammheimlich von innen zu zermürben begann. "..." Ich setzte dazu an, etwas zu sagen, verwarf den Gedanken im letzten Moment jedoch. Was sollte ich darauf erwidern?


    Traurig sah ich sie an. "Und du könntest es ertragen, wenn du nie so viel wert wärest wie Celerina? Wenn du stets im Dunklen hinter ihr stehst, während sie im Licht an meiner Seite glänzt? Wenn wir uns verleugnen müssten? Und die flüchtigen Moment schneller vergehen, als der Augenblick währt?" Sie würde nein sagen. Das musste sie. Es war keine Freude, so leben zu müssen. Für sie. Ich konnte ihr das nicht antun, und Celerina konnte ich es doch auch nicht antun. Ich sah auf den Ring hinab, den ich an der rechten Hand trug. "Ich kann das nicht, Siv. Das wäre..."

  • Siv saß da, meinte unter der inneren Anspannung fast zu zerbrechen und hing beinahe an seinen Lippen. Aber wie schon zuvor sagte Corvinus zunächst nichts. Sie holte Luft, versuchte verzweifelt etwas zu finden in ihrem Kopf, was sie noch sagen könnte, aber sie fand nichts, und so schwieg sie ebenfalls, schwieg und wartete… So steif saß er da. So abwehrend. Als ob er eine Mauer gebaut hätte um sich herum, die ihm keinen Spielraum ließ. Dann biss sie sich wieder auf die Lippen, zuckte zusammen, als er zu sprechen begann, und sie musste mit sich kämpfen, um ihn nicht zu unterbrechen, um nicht mit all dem herauszuplatzen, wozu sie bereit wäre, wenn er sich ihr nur endlich zuwandte, sich ihr öffnete, ihr sagte, was sie hören wollte… Ihre Hände umkrampften die Lehnen des Sessels, so sehr, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, und das Blau ihrer Augen war dunkel wie die aufgepeitschte See, durch das Gefühlschaos, das in ihr tobte. Hoffnung. Verzweiflung. Angst. Wieder Hoffnung. Und Sehnsucht, diese trügerische, verräterische Sehnsucht.


    Sie schwieg, sie wartete, und als er geendet hatte, schwieg sie immer noch, hätte so viel zu sagen und wusste doch nicht was. "Ja", wisperte sie schließlich. Und dann, lauter, noch einmal: "Ja. Ich kann ertragen, das. Ich nicht will, sein bei deiner Seite, wenn Licht, und jeder sieht. Das ist, das… das ist nicht Welt von mir. Du weißt das. Ich bin gegangen mit dir, als Sklavin, für Besuche, nicht wegen Spaß, sondern weil du gewollt, und ich gehe wieder, für dich." Sie legte nicht den geringsten Wert darauf, nach außen hin die Frau an seiner Seite zu sein. Sie wusste, dass es ihr einen Stich versetzen würde, wenn er Celerina heiratete, wenn sie seine Frau wurde, und dass es schwer werden würde für sie selbst. Aber das hieß nicht, dass sie irgendeinen Wert darauf legte, an Celerinas Stelle zu sein. Sie wollte nur diejenige sein, der Corvinus vertraute. Die, zu der er kam, wenn er jemanden brauchte. Wenn er Nähe wollte und Zuneigung. Wenn sie diejenige war, die er liebte, und er ihr das auch zeigte, dann meinte sie ertragen zu können, wenn er eine andere heiratete. Sie sah ihn an, suchte wieder nach etwas, was ihr zu zeigen vermochte, was er dachte. Was er empfand. "Egal, was andere denken. Nur, das was du denkst… Das ist wichtig, für mich. Das ist was zählt. Du… Das ist immer gewesen, was zählt. Seit ich bin hier, in Rom." Sie sehnte sich so danach, ihn zu berühren, aber sie wagte es nicht. Sie sehnte sich danach, wieder seinen Namen zu benutzen, aber sie traute sich nicht. "Ich kann das. Ich will das. Wenn du, wenn ich… wenn wir sind wie früher, wenn…"

  • Die ganze Szenerie mutete mehr und mehr wie eine schlechte Theateraufführung an. Jahrhunderte später sollte man es Soap nennen. Der ironische Gedanke daran machte es mir allerdings nicht unbedingt leichter, denn wenn das Stück nicht gerade ein Drama war, endete es zumeist glücklich, und eben ein solches Ende konnte ich mir im Moment nur schwerlich ausmalen. Siv hörte sich in diesem Moment so an, als würde sie nur für mich leben. Schon während sie sprach, schüttelte ich den Kopf. Erst kurz nachdem sie verstummt war, hielt ich damit inne. "Das ist nicht egal, Siv. Es ist nicht egal." Ich betrachtete sie aufmerksam und griff dann nach ihrer Hand. Sie war kalt und zitterte. Und so klein. Abermals schluckte ich und schloss meine Hand um ihre herum. "Das kann nicht alles sein, was du willst. Stets hinten zu stehen. Mit niemandem darüber reden zu können. Es wäre eine Illusion. Ich würde dir nie mehr geben können. Und ich würde es dir jetzt nur schlimmer machen, wenn ich..." ...ehrlich wäre. Wenn ich darauf einging. Gerade noch rechtzeitig schwieg ich und sah auf ihre Hand hinunter. "Es wäre nicht gut", suchte ich mich selbst zu überzeugen. "Für dich nicht und für mich auch nicht." Besonders überzeugt klang es nicht.

  • Sie ahnte schon, während sie sprach, was er antworten würde. Sie sah es, an seinem Blick, seinem Gesichtsausdruck. Dennoch, als er sprach, traf es sie trotzdem, schnell und hart wie ein Schlag ins Gesicht. "Wenn was?" Jetzt klang ihre Stimme bitter. Es war egal – egal, offensichtlich, was er empfand. Er hörte ihr nicht zu, hörte nicht auf das, was sie sagte. Er glaubte ihr nicht. Stattdessen zog er es vor, ihr weh zu tun. Sie entzog ihm ihre Hand, ertrug seine Berührung nicht – hätte sie weiter zugelassen, dass er sie hielt, sie hätte sich ihm heulend an den Hals geworfen und ihn angebettelt, und so tief sinken wollte sie nicht. Stattdessen funkelte sie ihn an, auch wenn sie nicht vermeiden konnte, dass weder in ihren Augen noch in ihrer Stimme der Zorn lag, den sie so dringend in sich zu beschwören versuchte, sondern nur Verzweiflung – und dieses Flehen, das sie einfach nicht zum Schweigen bringen konnte. "Aber Sklavin sein ist besser, ja? Sklavin sein ist anders, als, als stehen hinten? Sklavin glänzt und ist wert, was Römerin wert ist!"


    Sie sprang auf, hielt es nicht mehr aus, dort zu sitzen. "Ich habe Leben hier, habe aufgebaut, habe Freunde und mache Arbeit, und Garten macht Spaß! Und das alles, obwohl Sklavin sein! Das ist gut, das ist meins, das ist Entscheidung von mir!" Und das war es tatsächlich, hatte sie sich doch freiwillig für dieses Leben entschieden, vor Monaten, als sie vor den Toren Mogontiacums jene hilfreich ausgestreckte Hand ignoriert hatte. Einen Moment starrte sie ihn noch an, dann machte sie ein paar Schritte weg und blieb erneut stehen, als sie an den Tisch stieß, mit vor der Brust verschränkten Armen und dem Rücken zu ihm. Wie schon vorgestern ließen die Tränen sich nun kaum noch zurückhalten, und Siv presste die Lider fest zusammen, legte eine Hand vor die Augen und schluckte mehrmals mühsam, während ihre Schultern bebten. "Ich war dumm. Bin dumm. Vielleicht ist besser du verkaufst mich, oder schickst weg, für Arbeit zu Landgut", sagte sie, ihre Stimme schwankend, aber seltsam tonlos. Sie wollte es nicht. Sie wollte nicht weg, nicht weg von hier, von allem was sie hier kannte, und vor allem nicht weg von ihm – aber der Gedanke daran, hier zu sein, ihn jeden Tag zu sehen oder doch wenigstens in der Nähe zu wissen, und zu wissen, dass er genauso empfand wie sie, es aber nicht zulassen wollte, allein dieser Gedanke zerriss sie fast. Sie wusste nicht, ob sie es aushalten würde, wenn sich das tatsächlich bewahrheitete.

  • Ich sog tief die Luft ein und seufzte, als sie ihre Hand aus meiner zog und mich zornig ansah. "Siv", begann ich einen halbherzigen Apell, doch sie hörte gar nicht zu. Ich ließ die Hand sinken und lehnte mich zurück, dann sprang sie auf und stolzierte schimpfend im Raum umher. In diesem Moment erinnerte sie mich an einen zeternden Pfau. Ich schloss bisweilen die Augen und ließ sie einfach reden. Was sonst hätte ich auch tun können?


    Die Antwort darauf wusste ich bereits, bevor ich mir die Frage stellte, doch ich schwieg weiterhin. Siv kratzte, vermutlich ohne es zu wissen, derweil an der letzten Schicht, die mir noch geblieben war. Ihre Stimme schwankte, ihre Schultern erbebten sacht, das goldener Haar hielt meinen Blick indes gefangen. Ihre weibliche Silhouette hob sich grazil vom Rest des Raumes ab. Die letzten Worte, die sie sprach, klangen so sehr nach Trotz und Zynismus, dass ich sie mit einem schlichten "Unsinn!" abtat. Ich musterte eine Weile ihren Rücken, die schlichte braune tunica, die weiche Haut verbarg. Abermals erbebten ihre Schultern. Ich konnte mir das nicht länger ansehen, senkte den Blick kurz und stand dann auf. Stoff raschelte. Ich wusste nicht wohin mit meinen Händen. Es waren nur wenige Schritte, bis ich hinter Siv angelagt war. Ihr Körper strahlte eine Kühle aus, gleichzeitig duftete sie unverkennbar nach frischem Grün. Ich schloss die Augen und versuchte, Herr meiner Sinne zu bleiben. "Wenn ich dich fortschicken wollte, hätte ich es längst getan", sagte ich leise. Ein wenig zögerlich strich ich ihr das Haar aus dem Nacken. Bona Dea, ich wusste, wohin das führen musste, was ich hier tat. Das war ein Spiel mit dem Feuer, und wenn ich nicht acht gab, würde es mich verbrennen. Ich ließ die Hand sinken und zwang mich, wieder einen Schritt zurücktretend. "Aber wenn es dir leichter fällt, werde ich dich freilassen", sagte ich und sah dabei Sivs Hinterkopf an.

  • Siv rührte sich nicht. Sie wollte nicht weg. Nichts weniger. Aber sie nahm ihre Worte auch nicht zurück. Sie blieb einfach stehen – und war erleichtert, als er mit einem schlichten Wort abtat, was sie gesagt hatte. Sie musste mühsam ein Aufschluchzen zurückhalten, so erleichtert war sie. Sie wusste, was es an Schmerz bedeuten würde für sie, wenn sie blieb und Corvinus sie behandelte, als wäre sie eine normale Sklavin, nicht mehr, aber in diesen winzigen Augenblicken, die vergangen zwischen ihrem Satz und seiner Reaktion, in denen sie befürchtet hatte, er würde darauf eingehen und sie beim Wort nehmen, war ihr klar geworden, dass sie lieber diesen Schmerz in Kauf nahm als den, den es bedeutete, von ihm getrennt zu sein. Jedenfalls schien ihr im Moment der zweite Schmerz der weit schlimmere zu sein, auch wenn ihr Verstand ihr sagte, dass sie mit diesem schneller fertig werden würde, wenn sie erst weg war. Aber sie wollte nicht. Bei den Göttern, sie wollte einfach nicht. Es hieß, die Hoffnung ein für alle mal aufzugeben, und das wollte sie nicht…


    Sie hörte das leichte Scharren eines Sessels über dem Boden, hörte Schritte, die sich näherten, aber sie wagte nicht sich umzudrehen. Als sie dann eine sachte Berührung im Nacken spürte, erschauerte sie sichtbar. Luft füllte Lungen, wurde tief eingesogen in feinste Verästelungen, und eine Gänsehaut lief über ihren Rücken und ihre Arme. Ebenso sacht, aber doch hörbar verließ die Luft ihren zitternden Körper wieder durch Mund und Nase. Sie neigte den Kopf um eine Winzigkeit zur Seite, bot seinen Fingern mehr Spielraum. Dann hatte sie das Gefühl, als würde ein Eisstück ihre Wirbelsäule hinunter gleiten. Sie erstarrte, kurz, bevor sie sich langsam umdrehte und ihn ungläubig anstarrte. Freilassen? Er wollte… Sie fühlte sich auf einmal wie betäubt. "Freilassen? Du…" Sie hatte das Gefühl, dass ihr die Luft wegblieb. Ihre Stimme war nur ein Wispern. "Du… willst, dass ich gehe? Ich bin… in Germanien, ich… bin geblieben. Ich bin, ich hab, gewartet, auf Soldaten, und bin zurück, zu Strafe, und…" So dicht stand er vor ihr. Sie starrte ihn an, und dann sagte sie das genaue Gegenteil von dem, was sie gerade eben noch von sich gegeben hatte. Vor einem Moment hatte sie sich eingebildet, dass das eine Möglichkeit war, aber das war es nicht, noch nicht… "Ich will nicht weg! Willst du das?"

  • Ich hatte ja gewusst, was ich damit würde anrichten. Und nun war es gut, dass ich hier stand und nicht mehr so dicht hinter ihr. Im Grunde war es sinnlos, was ich hier tat. Ich hätte sie nicht herholen lassen sollen. Ich hätte einfach Brix erlauben sollen, einen medicus zu organisieren. Dann hätte ich nun nicht vor dieser vermaledeiten Wahl gestanden, was ich tun sollte. Ich ärgerte mich über mich selbst, und gleichzeitig war ich froh darüber, so entschieden zu haben.


    Dennoch hatte mein Vorschlag scheinends nicht den gewünschten Erfolg. Siv wirkte bodenlos schockiert und rein gar nicht erfreut. War nicht die Freilassung etwas, das sich jeder Sklave wünschte? Andererseits ging es hier nicht um eine normale Sklavensache. Gewiss gab es viele, die besondere Beziehungen zu ihren Sklaven hatten, ob diese nun rein körperlicher oder auch emotionaler Natur waren. Man hörte auch dann und wann von Plebejern, die ihre Sklaven freigelassen und dann geheiratet hatten. Doch das war undenkbar. Es würde dem Ruf der Familie schaden und meine Karriere von einem auf den anderen Augenblick pulverisieren. Das, wofür ich dann jahrelang gearbeitet hatte, wäre innerhalb weniger Worte ausgelöscht. Und eben weil ich darum wusste, hatte ich niemals auch nur an diese Möglichkeit gedacht, geschweige denn, sie in Betracht gezogen. Siv missverstand das Angebot. Ich seufzte frustriert und strich mir fahrig über die Stirn. Was ich auch sagte, es schien stets falsch zu sein. Scheinbar hatte ich den hang dazu. "Nein. Ich dachte... Ich wollte..." Ich musste mich zusammenreißen. Hier herumzustammeln brachte rein gar nichts. Verstand Siv denn nicht, dass ich im Grunde nur wollte, dass es leichter für sie war, schnell zu vergessen? Selbst wenn das leise Stimmchen flüsterte, dass es eigentlich gar nicht das war, was ich wollte. Siv fragte mich noch einmal. Ich sah sie an. "Nein", erwiderte ich und vergaß beim Anblick ihrer blauen Augen gar, noch einen weiteren Schritt die Flucht nach hinten anzutreten.

  • Siv sah ihn an, forderte mit ihrem Blick eine Antwort ein, deutlicher als ihre Worte es vermochten. Er wollte, dass sie ging, das war alles, woran sie in diesem Moment denken konnte. Und weil er etwas für sie empfand, weil er ein schlechtes Gewissen hatte mit dem, was er ihr damit antat, wollte er sie freilassen, um es zu minimieren. Er musste wissen, was geschehen würde, wenn er sie so freiließ, jetzt, in diesem Moment. Es wäre ein Zeichen. Ein Zeichen, dass er sie nicht wollte. Und sie würde gehen, nach Germanien. Was sollte sie denn in Rom, wenn er sie nicht wollte? Dass manche Plebejer ihre Sklaven freiließen, um sie dann zu heiraten, der Gedanke kam ihr gar nicht. Es war ihr ernst gewesen als sie sagte, dass sie nicht unbedingt in dieser Form seiner Seite sein wollte, dass es ihr reichte, einfach für ihn da zu sein, ohne dass jemand davon wusste, ohne dass es offiziell war. Davon abgesehen wusste sie, dass er sich das nicht leisten konnte, nicht in seiner Welt. Es war ihr ebenso ernst gewesen als sie sagte, dass sie nicht wie Celerina war – nicht ihre Vorzüge hatte, angefangen von ihrer Abstammung bis hin zu ihrer Art sich zu geben, zu kleiden, zu reden.


    Sie sah ihn an, und wieder ergriff Erleichterung von ihr Besitz, als sie seine Antwort hörte. Nein. Er wollte nicht, dass sie ging. Sie bedeutete ihm etwas, und er wollte nicht, dass sie ging. "Nein", wiederholte sie, flüsternd. Wie gebannt hingen ihre Augen an seinen. "Ich will nicht frei sein. Ich will nicht weg." Wie vor zwei Tagen schon hob sie ihre Hand, langsam, zögerlich, berührte seine Wange mit ihren Fingern und strich sacht darüber. Der Aufruhr in ihrem Inneren schien nur noch zuzunehmen. Dutzende Fragen drehten sich in ihrem Kopf im Kreis, und alle drehten sich nur um ihn, um das, was er wollte, was er dachte, was er fühlte. "Nicht weg von dir." Wieder holte sie zitternd Atem. Sie wusste nicht, was er fühlte, sie konnte es nur vermuten, aber sie wusste, was sie fühlte – und was sie wollte. Ohne wirklich bewusst darüber nachzudenken, erhob sie sich leicht auf die Zehenspitzen, lehnte sich nach vorn und berührte seine Lippen mit den ihren. Sacht nur, zart, mit nur leicht geöffneten Lippen und zögernd auf eine Reaktion wartend, aber die Einladung war unmissverständlich.

  • Ich wich ihrem Blick letztendlich doch aus. Das tiefgründige Blau schien mir den Atem zu rauben. Siv hob die Hand wieder, wie im balneum, und ich stand einfach still dort. Ich fühlte mich unfähig, mich zu bewegen, was teilweise auch die Angst sein mochte, dass sie dann vollends zerbrach oder auch nur erneut in Tränen ausbrach. Ihre Finger auf meiner Haut verursachten ein Bitzeln, doch anders als im Bad schreckte ich diesmal nicht davor zurück. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Siv schaute ich nun wieder an, zweifelnd, denn welcher Sklave wollte schon nicht freigelassen werden? Und die Freilassung an sich bedeutete ja nicht, dass sie fortgehen musste. Ich wollte etwas erwidern, aber ich konnte es nicht. Überhaupt schien mein Körper gegen meinen Willen sämtliche Bewegungen außer dem rhythmischen Heben und Senken meiner Brust eingestellt zu haben. Ich stand nur da und sah Siv an. Siv, die sich ganz plötzlich vorbeugte und mich küsste.


    Ich stand steif wie ein Brett da. Die Lippen, so weich, die Verlockung war da, und sie war nicht mehr nur zum Greifen nahe, sondern spürbar vorhanden. Immer schon waren solche Berührungen und eindeutige Absichten mein Verhängnis gewesen. Ich war schließlich auch nur ein Mann. Ganz allmählich teilten sich meine Lippen, hob ich meine Hände, zuerst noch widerwillig, doch dann in geschmeidiger Bewegung. Es war, als fiele ein Talent Gewicht von mir ab, als ich Siv an mich zog und ihren Kuss stürmisch erwiderte. Spielend leicht hob ich sie hoch, einfach knapp über der Hüfte, und ging zum Bett hinüber. Mein Kopf war schlagartig leergefegt. Wo eben noch Zweifel und feste Vorsätze gewesen waren, pulsierte nun gähnende Leere. Ich legte Siv auf das breite, gemachte Bett, hielt dann jedoch inne und sah auf sie hinab. Der Anhänger war ein wenig nach oben gerutscht, das silberne Pferdchen gut zu erkennen. Ich sog die Luft ein, setzte mich dann auf den Rand des Bettes neben sie. Allmählich wich die Engstirnigkeit aus meinem Kopf und machte wieder etwas Platz für kühleres Denken. Ich streckte die Hand aus und strich mit dem Handrücken über ihre Wange, ein wenig melancholisch lächelnd. "Bist du dir sicher, dass es das ist, was du willst?" fragte ich sie leise. "Es wird nie mehr geben können als das hier, Siv. Dir steht doch noch alles offen. Du könntest irgendwann wieder nach Hause gehen. Sofort, wenn du möchtest."

  • Hätte Siv irgendwo Raum für Gedanken gehabt, ihre wäre durch den Kopf geschossen, dass sie recht gehabt hatte. Dass er sie wollte. Zuerst regte er sich kaum, stand starr da, aber dann reagierte er auf ihren Kuss. Seine Lippen teilten sich, erwiderten die Liebkosung. Dann spürte sie seine Hände auf ihrem Körper, und als er sie an sich zog, folgte sie ihm nur allzu bereitwillig. Auch ihr anderer Arm hob sich nun, legte sich auf seine Schulter und umfing seinen Nacken, sacht fuhr sie mit ihren Fingern seinen Haaransatz nach und tastete sich weiter vorwärts, in seine weichen Haare hinein. Sie liebte es, seine Haare zu berühren, aber sie hatte keinen Raum für Gedanken, für nichts, nicht dafür, dass er sie wollte, und auch nicht dafür, wie sehr sie es genoss, ihn zu berühren und berührt zu werden. Sie dachte gar nicht mehr – sie genoss einfach. Sie hatte auf seine Reaktion gewartet, und nun, wo er ihr so stürmisch begegnete, stand sie ihm in nichts nach, küsste ihn so leidenschaftlich wie er sie, presste sich an ihn und meinte, nicht genug bekommen zu können. Als er sie hochhob, lösten sich ihre Lippen kurz voneinander, und Siv fuhr ihren Fingern sanft die Konturen seines Gesichts nach, bevor sie ihren Mund wieder auf seinen senkte. Sie registrierte nur am Rande, wie er sie auf das Bett legte, wollte ihn schon zu sich ziehen, als er innehielt. Verwundert und verwirrt sah sie zu ihm auf, während das Feuer in ihr niedriger loderte. Wieder stieg die Angst in ihr hoch, verletzt und enttäuscht zu werden, was nun, nach dem, was eben passiert war, sie nur noch härter treffen würde. Und was er dann tat, wie er sich einfach nur auf die Bettkante setzte, wie er sie ansah, wie er lächelte und ihr mit dem Handrücken über die Wange strich… verstärkte ihre Angst nur.


    Sie versuchte zurückzulächeln, aber sie wusste nicht, ob ihr das gelang. "Was offen? Was, nach Hause?" Unwillkürlich dachte sie an ihren Traum. Als ihr Neffe sie nicht wieder erkannt hatte. "Ich weiß nicht, was zu Hause ist. Ich… Germanien ist… so weit, von mir, innen… Aber hier ist zu Hause. Fühlt sich, dass zu Hause. Ich…" Fast etwas hilflos sah sie ihn an. Sie hatte es schon in Germanien gespürt, diese Gedanken. Das Gefühl, dass dort nicht mehr ihre Heimat war, nicht mehr ihr Platz. Aber wie sollte sie ihm das klar machen, wenn sie selbst noch nicht einmal wusste, warum das so war oder was es bedeutete – außer dass sie wusste, dass sie, in diesem Moment, um nichts in der Welt hätte tauschen mögen mit jemand anderem. Sie hob wieder die Hand und strich ihm über das Gesicht, fuhr ihm anschließend in die Haare. "Ich weiß, dass nicht mehr gibt. Und ich will das. Das hier. Dich." Einen Moment sah sie ihn noch an, dann hob sie ihren Oberkörper leicht an, stützte sich auf einem Ellbogen ab, und erneut fanden sich ihre Lippen zu einem Kuss, während sie sich langsam wieder sinken ließ, ihn mit sich ziehend, und ihre andere Hand sich unter seine Tunika schob.

  • Binnen weniger Augenblicke schien alles wieder so vertraut zu sein, so unbefangen. Es sollte nicht so sein. Es würde nur Schwierigkeiten nach sich ziehen und alles noch komplizierter machen, als es ohnehin bereits war. Und Siv schien das nicht zu verstehen. Ihre Gefühle gaukelten ihr vor, dass dies nun ihr Platz war. Im Grunde stimmte das, aber dass sie nicht mehr nach Hause wollte, irgendwann, konnte ich nicht begreifen. Egal wo ich gewesen war, es hatte mich immer zurück nach Rom gezogen. Da mochte manche noch so schimpfen über den Gestank und den Dreck im Sommer. Rom war meine Heimat. Sivs Berührung lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sie, wie sie dort lag und die goldenen Haare eine Aureole um sie herum bildeten. Ich fühlte mich schlecht. Wieder hatte ich versagt. Ich konnte nicht einmal die Ziele erreichen, die ich mir selbst steckte. Würde ich sonst hier neben ihr sitzen? Gar den Mundwinkel zu einem flüchtigen Lächeln heben, als sie mir nochmals versicherte, dass sie sich vollauf bewusst war, dass sie stets im Dunkel stehen würde?


    Scheinbar willenlos ließ ich mich von ihr hinabziehen. Der Kuss schmeckte tröstlich und tat mir gut, war kurioserweise Balsam für meine Seele. Sivs Körper war nun warm, nicht mehr so eisig wie zuvor. Ihre Berührungen waren lockend, und doch vermochte sie nicht mehr, mich alles vergessen zu machen. Ich hielt inne und richtete mich wieder auf. Celerina dürfte niemals davon erfahren. Es würde meine Unfähigkeit komplettieren. Ich sah Siv an, die Andeutung eines Lächeln im Gesicht. Erwidern tat ich nichts mehr, sondern erhob mich und setzte mich zu Sivs Kopf, wo ich ihr unter die Arme griff und sie vorsichtig zu mir hin zog. Mir war nicht danach, mit ihr zu schlafen. Zu viele Gedanken spukten in meinem Kopf umher. So zog ich sie nur an mich, lehnte mich mit Rücken und Hinterkopf an die kühle Wand und starrte zum Fenster hin. Ich hielt sie einfach nur fest, an Brust und Bauch gelehnt, und fühlte mich zweigeteilt. Innerlich freudig und gleichsam enttäuscht von mir selbst.

  • Siv ließ sich fallen in diesem Kuss. Sie war kein Mensch, der großartig in die Zukunft plante. Sicher war die Zukunft ihr ein Begriff, ebenso dass sie kommen und vergehen würde, dass Dinge, Meinungen und Menschen sich ändern würden. Aber wozu sich großartig darüber Gedanken machen, wenn sie jetzt doch nicht sagen konnte, was morgen war? Es gab so viele Faktoren, auf die sie keinen Einfluss hatte… Hätte ihr jemand vor über einem Jahr gesagt, sie würde von Römern gefangen genommen und als Sklavin verkauft werden, sie hätte nur gelacht. Hätte ihr jemand vor fünf Jahren gesagt, ihr Vater würde sie gegen ihren Willen verheiraten, sie hätte geschimpft. Hätte ihr jemand, irgendwann mal, gesagt, sie könnte sich als römische Sklavin zufrieden, zuweilen sogar glücklich fühlen, sie hätte denjenigen ungläubig, gar fassungslos angestarrt. Und doch war all das eingetreten. Wozu sich über die Zukunft so viele Gedanken machen? Sie lebte jetzt, in diesem Augenblick. Was auch immer kommen mochte, sie würde sich damit beschäftigen – und damit fertig werden –, wenn es so weit war. Jetzt zählte für sie nur, was jetzt war.


    Ihre Finger strichen sanft über seine Haut, dort, wo sie den Ausschnitt seiner Tunika beiseite geschoben hatte, aber sie ließ von ihm ab, als er erneut innehielt. Wie schon zuvor blieb sie liegen, als er sich aufrichtete, und sah zu ihm hoch, abermals mit einem vagen Gefühl der Angst. Sie vermochte seinen Blick, das angedeutete Lächeln nicht wirklich einzuschätzen. Sie konnte nicht sagen, was gerade in seinem Kopf vor sich ging, aber sie spürte – was nicht sonderlich schwer war –, dass er sich nicht wie sie einfach fallen ließ, ob er es nun nicht konnte oder nicht wollte. Was auch immer Corvinus dachte, er verbarg es in sich und sagte nichts. Es kamen keine Einwände mehr, keine Fragen, ob sie sich sicher war, keine Zweifel, ob es richtig war. Stattdessen setzte er sich um, zu ihrem Kopf, und zog sie dann an sich. Flüchtig glitten ihre Gedanken zu jenem Abend unter dem alten Baum, als sie sein Geschenk ausgepackt, das kleine Silberpferdchen, das sie seitdem nicht mehr abgelegt hatte – als er sie ebenso im Arm gehalten hatte wie jetzt. Dann verging auch dieser Gedanke. Sie spürte regelrecht, wie die Anspannung von ihr abfiel, eine Anspannung, die sie nicht erst seit vorgestern, sondern seit diesem Fluchtversuch in ihrem Griff gehabt hatte. Ihr Atem wurde ruhiger, tiefer, und sie schmiegte sich an ihn, ihr Kopf lehnte an seiner Brust, knapp unter seinem Kinn, und ihre Arme lagen auf den seinen, die sich um ihren Körper geschlungen hatten. Und durch das Abfallen der Anspannung ergriff langsam Müdigkeit von ihr Besitz, machte sich nun bemerkbar, dass sie die letzten beiden Nächte kaum geschlafen hatte, und wenn dann nur kurz, vorübergehend eingenickt, an die Weide gelehnt draußen im Garten. Sie wusste nicht, was später sein würde. Ob er seine Meinung wieder änderte. Welche Schwierigkeiten noch auf sie zukommen würden, wenn er erst einmal geheiratet hatte. Aber in diesem Moment war sie einfach zufrieden mit dem, was war. "Fridilaz", wisperte sie, so leise, dass es mehr einem Hauch glich. Es war ihr nicht einmal wichtig in diesem Moment, ob er sie hörte – nur, dass sie es sich selbst endlich ohne Wenn und Aber eingestehen konnte. "Ich liebe dich."

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