Eine exclusive Adresse ist es, ein kleiner, überschaubarer Park, von klarer Hand und ruhigem Sinn erdacht und geplant. Strikt wurden die achaischen Vorstellungen eingehalten, die sich mit den römischen mischten und nun Gärten und Hausinnerstes bestimmen, so auch die horti Cornelii, einst erbaut, um die Sinne des Sulla zu zerstreuen, dann lange vergessen nach seinem Sturz, und heute im Besitz eines wohlmeinenden Philantrophen, der bisweilen Feste darin feiert und ansonsten durch einige Sklaven darauf achten lässt, dass kein unnötiger Dreck in seinen Besitz geschleppt wird - ansonsten kann ein jeder, der sich nach einem ausgedehnten Spaziergang sehnt, sich hier verlustieren. Im Grunde ist dies eine Einladung für Paare, die sich zuhause nicht blicken lassen können, die auch des Nachts häufig genutzt wird (sehr zur Freude des Besitzers, dessen Vorliebe für das Beobachten hier gestillt wird), am Tage jedoch tollen allerhöchstens Kinder über die zwischen hohen Bäumen liegenden gepflegten Wiesen, ab und an lässt sich gar ein reicher Würdenträger hierhin tragen, um der Enge der Stadt zu entfliehen. Die Sklaven, die an den Eingängen des Parks herumlungern, achten jedenfalls darauf, dass die Besucher anständig gekleidet sind - und freuen sich ansonsten eines recht lauen Lebens.
An diesem Tag indes, ein kühler Morgen, der schon eine Andeutung eines bevorstehenden, kälteren Winters mit sich trägt, wird eine reich verzierte Sänfte in den Park getragen, der einige schwarzhäutige Sklaven folgen - nichts zu ungewöhnliches für Rom, aber doch ungewöhnlich für diese frühe Stunde. Die Sklaven am Eingang halten ein Gespräch mit jenen, welche die Sänfte begleiten, dann setzt diese den Weg ins Innere fort, macht schließlich bei einer Baumgruppe im Zentrum der Anlage Halt und entlässt dort eine schlanke, junge Frau mit leicht gebräunter Haut aus dem Inneren, die auf einem mitgebrachten Hocker Platz nimmt und vor deren Augen der Reigen an Sklaven sowohl einen Tisch mit einigen erfrischenden Köstlichkeiten darauf aufbauen, wie auch in etwas weiterer Entfernung mehrere Zielscheiben. Dass sie kurz darauf eine kleine lederne Armschiene an ihrem rechten Arm schnallt und sich einen Bogen aushändigen lässt, den sie zudem noch höchstselbst spannt, passt ebenso zu diesem exotischen Bild wie die Tatsache, dass die Sklaven mit einer Selbstverständlichkeit agieren, als seien sie dies alles gewöhnt. Für einen Beobachter dürfte es jedenfalls ein seltsames Bild abgeben, da sie die stola einer respektablen Römerin trägt, das Haar hochgesteckt wie eine matrona.
Aelia Caenis tritt langsam bis zu jenem Punkt hin, den sie sich als Abschussposition gewählt hat, und lauscht dem leisen Rauschen des Windes in den Bäumen. Hier scheint der Winter so viel näher, denkt sie bei sich und lächelt vage, ohne einen Grund dafür zu haben. Es war ganz anders als Alexandria, und das war das gute daran. Italia hatte sie fast vergessen, ebenso wie die provincia wohl auch Caenis vergessen hatte. Die Dinge haben sich geändert. Sie fröstelt, aber eine schnell gehobene Hand hindert den Sklaven daran, zu ihr zu treten und ihr ein warmes Tuch für die Schultern zu reichen. Stattdessen nimmt sie einen Pfeil aus dem Köcher, betrachtet ihn kurz, nach Mängeln forschend, um dann den Bogen zu heben. Niemand außer ihnen scheint hier zu sein, und die Stille des Morgens scheint vollkommen, nicht einmal das sonst so laute, geschäftige Rom mag sich in diesen Augenblick drängen.
Bedächtig legt sie den Pfeil auf ihren Zeigefinger auf, greift mit den Fingern die Sehne und beginnt, sie zu spannen, dem Zug des Bogens entgegen, das Holz, obgleich flexibel, bewegt sich ungern in die vorgegebene Richtung, sie muss ihre Kraft einsetzen, und ihre Übung, um den Bogen ruhig zu halten. Das Ziel in der Ferne anvisierend, erlebt sie den letzten Augenblick vor dem Flug des Pfeils bewusst, so still, so kühl, ein klarer Morgen - wusch! - der Pfeil schießt von der Sehne, dem Ziel entgegen ...
Reserviert.