Caelimontium | Nil admirari - Eine besondere Jagd

  • Vielleicht versteht sie seine Worte besser, als er das selbst zu glauben vermag. Was er über das tägliche Training zu berichten weiß, kann sie nur zu gut verstehen, ergeht es ihr doch nicht anders, wenn sie den Bogen spannt und sich ganz allein auf die Flugbahn des Pfeils konzentriert. Trifft er sein Ziel, erfüllt sie stets die Zufriedenheit, das Richtige getan zu haben, mit der richtigen Bewegung, der richtigen Konzentration. Und in solchen Momenten ist sie auch ganz alleine mit allen ihren Gedanken, ohne Störung, ohne irgend jemanden, der etwas von ihr verlangen oder erwarten könnte. Mit jedem Pfeil flüchten auch ihre Sorgen und die Stunden der Schwermut, die sie ohne Beschäftigung so leicht einholen könnten.
    "Du bist nun quaestor, das bedeutet, es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis Du vom Senat in die Liste jener aufgenommen werden dürftest, die für eine Mitgliedschaft in Frage kommen. Gewiss wird Dich Dein Weg dorthin führen, wenn Du Dein politisches Wirken mit ebensolcher Disziplin verfolgst wie Dein Training, für welches Dein Körper Zeugnis ablegt." Ob diese Worte nun ein Kompliment sind oder nur die Feststellung einer offensichtlichen Tatsache, bleibt offen, und ihrer Miene, nicht einmal ihrem Blick, ist dies in jenem Moment anzusehen. Schmeichelhafter jedenfalls ist zweifelsohne die erste der beiden Möglichkeiten.


    "Ich denke nicht, dass ich auf diesem besagten Markt ein begehrtes Objekt wäre," entgegnet sie nach einer kurzen Pause, in der sie über seine Worte nachgedacht hat. "Zum einen habe ich keine Kinder, und bin weit über das Alter hinaus, in dem eine Römerin ihre ersten Kinder haben sollte, um der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen. Wäre ich ein hoffnungsvoller Vater, würde mich das misstrauisch machen, ob die angebotene Ware denn auch fruchtbar genug ist, um in die eigene Familie einzuheiraten. Zum anderen bin ich nicht allzu nahe mit dem Kaiser verwandt, und das dürfte auch die Gelegenheit mindern, den Kaiser selbst zufällig bei irgendwelchen Familienfesten zu treffen - wieder kein besonderer Pluspunkt. Und zuletzt, der Mangel an weiblicher Bescheidenheit und Demut, was für viele Väter ebenso ein wichtiges Argument ist, damit ihre Söhne zuhause nicht eventuell doch irgendwann eine zänkische Xanthippe warten haben müssen. Als römischer Vater würde ich mir eher anderswo eine passende Braut suchen, außer ich wäre ziemlich schlecht finanziell gestellt, eine vermögende Frau ist natürlich immer ein Vorteil, solange sie nicht allzu viel von Finanzverwaltung versteht." Ein ironisches Lächeln umspielt bei diesen trockenen Worten ihre Lippen, dann schüttelt sie den Kopf und macht eine wegwerfende Geste.


    "Du siehst, Du musst an vieles denken, wenn Du Dir eine geeignete Frau suchen willst; vielleicht kann ich Dir helfen, unter den Kandidatinnen, die Du sicher bereits im Auge hast, eine Frau auszusuchen, die passend wäre, wenn man vom Charakter selbst absieht, den Du sicherlich besser einschätzen können wirst, da ich Deinen genauen Geschmack nicht kenne. Eine Ehestiftung unterscheidet sich letztlich kaum von einem Einkauf bei einem sehr guten Händler, man muss das Angebot kritisch vergleichen, sonst wird einem allzu leicht Ramsch angedreht." So über die Ehe zu lästern macht ihr unerwartet viel Spaß, und anscheinend ging es ihm ebenso, sonst hätte sich das Thema nicht so lange gehalten. Beim Thema der vestalischen Jungfrauen wird sie jedoch schnell wieder ernst. "Warum sollte sich ein junges Mädchen nicht auch eine verantwortungsvolle Aufgabe wünschen? Für eine Frau gibt es im Leben wenig mehr als zu heiraten, kann man ihr dann verdenken, dass sie eine Tätigkeit ausüben möchte, die sie von der Bestimmung ihrer Väter, Brüder oder Ehemänner unabhängig macht? Zudem, man ist nur auf dreißig Jahre eine vestalische Jungfrau, danach steht einem doch frei, zu tun, was man möchte - es gibt einige, die nach dem Ablauf ihrer Amtszeit noch heiraten und glücklich damit sind."


    Sie blickt für einige Momente lang auf seinen Arm, die verbundene Wunde, bevor sie in die Hände klatscht und sich wieder den Bogen samt einem neuen Pfeil reichen lässt, dann tritt sie auf jene Stelle zurück, auf der sie zuvor schon einen Pfeil abgefeuert hat, legt den Pfeil auf der Sehne ein und spannt den Bogen mit einer so ruhigen Hand, dass ihre Übung darin offensichtlich wird. "Wenn dieser Mann mir begegnen sollte, werde ich es wissen, so klar, wie ein Pfeil die Bahn durch den Himmel beschreibt." Still verharrt sie, ohne dass ihr Arm zittert, und in einem leisen Sirren entlässt sie den Pfeil von der Sehne, der kurz darauf nahe der Mitte auf der Zielscheibe einschlägt.

  • Ursus war von sich selbst überzeugt genug, um ihre Worte als Kompliment aufzufassen. Doch noch etwas dazu zu sagen, hielt er nicht für nötig. Er hoffte natürlich, nach seiner Amtszeit für eine Berufung in den Senat vorgeschlagen zu werden, doch viel darüber zu sprechen, erhöhte seine Chancen darauf sicher auch nicht. Außerdem mochte er nicht dauernd nur über sich sprechen, sondern lieber über sie. Schade, daß sie so verschlossen war.


    "Du unterschätzt Deinen Wert bei weitem", stellte er lächelnd fest. "Daß Du keine Kinder hast, muß ja nicht unbedingt an Dir liegen." Wenn der Ehemann tatsächlich so alt war, dann war er gewiß schon völlig eingetrocknet gewesen. Das konnte man kaum ihr vorwerfen. Doch natürlich hatte sie recht, wenn sie schon ihre Fruchtbarkeit bewiesen hätte, gäbe es noch mehr Bewerber. "Und Deine Verwandtschaft zum Kaiser wird nahe genug sein, um auch politisch Vorteile bringen zu können." Er lächelte. "Warte es einfach ab, Du wirst schon sehen. Ein Vermögen wäre nur ein weiterer Punkt, der die Bewerber anziehen würde." Für viele mochte das sogar der Hauptgrund sein, sich für sie zu interessieren. "Und ich hoffe doch, daß Intelligenz, eigene Meinung und eigener Wille nicht zwangsläufig dazu führen müssen, daß aus der betreffenden Dame eine zänkische Xanthippe wird, denn das würde bedeuten, daß ich meine Ansprüche und Wünsche ganz und gar umstellen muß." Er mußte grinsen. Ob sie vorhatte, sich so darzustellen, damit bloß niemand eine Ehe mit ihr wünschte? So etwas funktionierte doch nur in den seltensten Fällen.


    "Deine Hilfe bei der Suche nach einer geeigneten Kandidatin für mich nehme ich allerdings gerne an. Denn Du wirst sicher viel schneller die heiratsfähigen jungen Damen in der Stadt kennenlernen als ich. Im Auge hatte ich bisher noch niemanden. Flavia Celerina fand ich recht nett, doch sie ist offenbar nicht mehr frei. Außerdem weiß ich auch nicht ganz genau, ob wir wrklich gut zueinander gepaßt hätten, dafür habe ich sie noch nicht genug kennen gelernt." Solange die Verlobung nicht bekannt gegeben war, wollte er lieber nicht erwähnen, daß sein Onkel vorhatte, sie zu ehelichen.


    Es amüsierte ihn, sie über die Suche nach einer Ehefrau sprechen zu hören wie über einen Einkauf auf dem Markt. Natürlich gab es da durchaus Parallelen, doch ganz so durfte man das schließlich auch nicht sehen. "Nun, jedenfalls, wenn Du die Ware kritisch beäugt und für gut befunden hast, kann ich ja mal schauen, ob sie auch meinen Ansprüchen genügt." Seine Augen blitzten ein wenig übermütig, denn er meinte das keineswegs so ernst, wie es vielleicht klang.


    "Ich spreche ja nicht davon, einer Frau jegliche verantwortungsvolle Arbeit abzusprechen. Sondern nur davon, daß gerade der Dienst als vestalische Jungfrau eine Menge Einschränkungen mit sich bringt. Und das für eine sehr lange Zeit. Ob man in dem jungen Alter, in dem ein Mädchen diese Laufbahn für gewöhnlich beginnt, wirklich ermessen kann, was es sich da auferlegt? Ich denke, es gibt auch andere Möglichkeiten, wenn zugegebenerweise auch nur wenige, verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen, ohne derartige Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen." Das war zumindest seine feste Überzeugung. In der Schola beispielsweise würden auch weibliche Lehrkräfte angenommen, das war in der Vergangenheit ja auch schon geschehen.


    Als sie allerdings so lapidar feststellte, daß sie schon merken würde, wenn ihr der richtige Mann begegnete, gab es ihm schon einen kleinen Stich. Es verletzte seine Eitelkeit, daß sie ihn so gar nicht in Betracht zog. Aber natürlich wollte er sich davon nichts anmerken lassen. Immerhin war es ja wohl wirklich zuviel verlangt nach einer so kurzen Zeit der Bekanntschaft. Sie kannten sich doch kaum. Sein Verstand wußte das natürlich. Und doch wünschte er sich etwas anderes. Er hielt sich schließlich durchaus für begehrenswert.


    Als sie den Pfeil auf die Sehne legte, stand er auf, um zuzusehen. Treffsicher flog der Pfeil ins Ziel. So treffsicher, daß er geradezu schlucken mußte. "Erinnere mich daran, niemals Deinen Zorn zu erregen. Du bist mir eine Spur zu treffsicher", scherzte er und befühlte sich unwillkürlich seinen Arm. Da hatte er mächtig Glück gehabt. "Ich fürchte, so kann ich Deinem Verwandten, dem Consul, nicht unter die Augen kommen. Ich werde wohl noch einmal nach Hause müssen. Aber ... ich bereue es nicht, hergekommen zu sein. Und trauere auch nicht dem Blut nach, das ich lassen mußte. Allerdings hoffe ich doch, daß unsere nächste Begegnung nicht ganz so dramatisch ausfällt."

  • "Vielleicht liegt es auch daran, dass ich wenig Wert darauf gelegt habe, Kinder zu bekommen, die ohne ihren Vater aufwachsen würden," gibt sie zu bedenken, der Klang der Stimme so leidenschaftslos und kühl wie fast während des gesamten Gesprächs, als würden die gewechselten Worte nicht von ihr, sondern von irgend jemand anderem handeln, den sie beide nicht kannten. "Ab einem gewissen Alter des Ehemanns muss man sich sehr wohl überlegen, ob sich dieses Risiko wirklich lohnt einzugehen, denn mehr als ein Arzt hat mir versichert, dass díe Lebenskraft eines alten Mannes zu schwach sei, um einen gesunden Nachkommen zu zeugen. Umso mehr wäre es schrecklich, würde ein Sohn ohne das Vorbild seines Vaters aufwachsen müssen, wie wir es in unseren Traditionen für so wichtig und unumgänglich halten. Eine Familie zu gründen sollte heutzutage nicht alleine nur auf einen Zufall zurückgeführt werden, man sollte sich vorher im Klaren sein, ob es Sinn macht, und wieviel Sinn es macht, Kinder aufzuziehen." Mit einer ruhigen Geste streicht sie sich das Haar zurück, den Aurelier dabei im Blick behaltend, ob er ihre klare Meinung akzeptieren konnte. Die wenigsten Männer konnten nachempfinden, welches Risiko dabei lag, wenn eine Frau schwanger wurde, wie hoch die Gefahr war, das Kind zu verlieren oder selbst im Kindbett zu sterben - vielleicht machten sich Männer darüber weniger Gedanken, Frauen dafür umso mehr.


    "Es gibt bestimmt in der nächsten Zeit die ein oder andere Gelegenheit, bei der es uns unauffällig möglich sein wird, passende Kandidatinnen zu beobachten - leider ist die Meditrinalia schon vorüber, aber spätestens zu den Saturnalia hast Du die besten Möglichkeiten, unauffällig herauszufinden, ob eine Frau, die Dich interessiert, auch zu Dir passt. Ohne die Grenzen des Standes erkennt man am anderen sicherlich ungehinderter Makel und Vorzüge," spricht sie weiter, als hätte das Gespräch mit Aelius Quarto niemals stattgefunden, in dem er erwähnt hatte, dass er von Aurelius Ursus' Heiratsplänen weiß und ihn für einen geeigneten Mann hält. Schon an jenem Tag hat sie nicht ausgeschlossen, sich mit dem Aurelier zu treffen, allerdings ist ihr Kennenlernen nun deutlich anders verlaufen als vermutet, ihr Verwandter hätte es wahrscheinlich nicht gut geheißen, dass sie mit dem Bogen unterwegs ist, und noch weniger, dass der Aurelier dabei verletzt wurde. Immerhin scheint die Sympathie gerechtfertigt, die ihr Verwandter dem Aurelier entgegenbringt, er handelt und spricht überlegt, und wirkt nicht wie einer jener Männer, die dauernd vor allem damit zu tun haben, vor anderen besser und klüger zu wirken, als sie es eigentlich sind. Es wird in Zukunft sicherlich interessant bleiben, sich mit ihm über verschiedenartigste Themen auszutauschen, selbst wenn sie der Tatsache, dass sie beide Material auf dem römischen Heiratsmarkt darstellen, sehr distanziert gegenüber steht.


    "Ein junges Mädchen weiss sicher noch nicht, welchen Verzicht ihr das Leben als Vestalin in der Zukunft abverlangen wird," antwortet sie nach einer kleinen Weile überlegend. "Aber ein Mädchen ist genauso fähig, an einer solchen Aufgabe zu wachsen und zu reifen, denke ich, und so wird es für sie irgendwann leichter werden, mit jenen Einschränkungen zu leben. Eine Ehefrau und Mutter zu werden, bedeutet schließlich nicht, keinen Einschränkungen zu unterliegen, vielmehr erscheinen mir jene, die es dann zu beachten und zu bedenken gilt, als weitaus schwerwiegender denn die Pflichten einer Vestalin." Gerade, wenn eine Ehefrau den Haushalt für einen dauernd im Krieg oder in der Politik abwesenden Mann führte und gleichzeitig noch darum bedacht zu sein hatte, dass die Kinder gut aufwuchsen und der gesellschaftliche Stand der Familie sich nicht verschlechterte, mochten die Zwänge und Pflichten über den Kopf dieser Frau hinauswachsen. Ihr Blick bleibt auf dem Aurelier liegen, nachdem der Pfeil sein Ziel gefunden hat, und für einen Augenblick lang wirkt er verstimmt. Hat er erwartet, dass sie mit fliegenden Fahnen nun in seine Arme stürzen wird, nur weil er männlichen Geschlechts, attraktiv, unverheiratet und aus gutem Hause ist? Der Gedanke amüsiert sie, aber sie versucht es zu verbergen, es wäre nicht höflich, würde er den Eindruck gewinnen, dass sie über ihn lachte.


    "Ich werde nicht schnell zornig." Dies ist ihr einziger Kommentar zu seinem Scherz, aber nun lächelt sie doch wieder, die Mundwinkel nur leicht erhoben, während sie sich einen neuen Pfeil geben lässt. "Wir werden einander sicher bald wieder begegnen, nicht zuletzt, weil Du sicher im domus Aeliana ein und aus gehst, in der Zusammenarbeit mit meinem Verwandten." Ein Onkel direktermaßen war Quarto nicht, aber es war doch einfacher, die komplizierten verwandtschaftlichen Verhältnisse der Aelier auf diese einfache Bezeichnung zu reduzieren. Dieses Problem hatten so gut wie alle römischen gentes, irgendwann wucherten die einzelnen Familienzweige zu wild vor sich hin. "Aber wenn Du es willst, kannst Du mich gerne einmal zu einer Jagd begleiten. Aegyptus war reich an Vögeln, die man im Schilf ausmachen musste, ein wenig Abwechslung wird mir sicher guttun, Italia soll so manches interessantes Wild bereithalten."

  • Wenigstens schien sie keine grundsätzliche Abneigung gegen die Möglichkeit, Kinder zu bekommen, zu hegen. Natürlich war jede Geburt ein Risiko für die Frau. Doch Kinder waren nun einmal die Zukunft. Und was für einen Sinn machte das Leben, wenn man nicht für den Erhalt der Familie sorgte? Dafür, daß alles, was erarbeitet wurde, an die nächste Generation weitergegeben wurde? Kinder wünschte sich Ursus auf jeden Fall.


    "Kinder sollten einen Vater haben, da gebe ich Dir ganz recht." Er schmunzelte. Aus ihren Worten schimmerte eben doch durch, daß sie den Gedanken an eine eigene Familie nicht völlig aufgegeben hatte. Sein Blick wurde von der Anmut ihrer Geste, mit der sie sich das Haar zurückstrich, geradezu angezogen. Er konnte nicht verhindern, daß sein Herz ein wenig schneller klopfte. Er schluckte und hoffte, daß sie seine kurze Unsicherheit nicht bemerken würde. Deshalb sprach er auch gleich weiter. "Aber in einem bin ich anderer Meinung als Du. Kinder sind ein Geschenk der Götter. Und wenn ich mich entschließe, zu heiraten, dann entscheide ich mich damit auch für Kinder. Im Falle einer unfreiwilligen Heirat mag die Sache anders liegen. Noch mehr, wenn der Partner schon zu alt ist, um ein gesundes Kind zeugen zu können. Doch das ist wohl kaum der Normalfall. Auch schenkt ein Kind - neben all der Sorge und der Arbeit, die es verursacht - auch viel Freude. Zuviele Kinder sterben schon in jüngstem Alter. Da sollte man keinem den Weg ins Leben verwehren. Was für einen Sinn könnte unser Leben haben, wenn unsere Leistungen nicht weitergeführt würden von unseren Kindern?"


    Nun war er vor allem gespannt darauf, wie sie wohl darauf reagieren würde, daß er sich ihrer Meinung nicht einfach anschloß. Würde sie das vertragen können?


    "Die Saturnalien sind noch weit. Wer weiß, vielleicht finden wir schon vorher eine Gelegenheit, uns darüber auszutauschen. Aber spätestens zu den Saturnalien werde ich auf Dein großzügiges Angebot zurückkommen. Ich hoffe, wir können es einrichten, uns dann zu begegnen. Du hast Recht, ohne die Grenzen des Standes kommt viel eher der wahre Charakter zum Vorschein." Was für einen Charakter würde sie dann offenbaren? Nein, er hatte nicht das Gefühl, daß sie sich verstellte. Sie war im Gegenteil fast schon allzu gerade heraus.


    Das Thema Vestalin schien sich doch zu einer recht interessanten Diskussion zu entwickeln. "Was die Einschränkungen angeht, so finde ich die einer Vestalin wesentlich stärker, als die einer Ehefrau. Eine Vestalin ist weitestgehend abgeschlossen vom Rest der Welt. Sie kann keinen Einfluß nehmen, kann sich nicht wirklich frei in der Stadt bewegen, kann nur unter großen Einschränkungen mit Normalsterblichen zusammentreffen. Eine Ehefrau hat vielleicht mehr Pflichten. Und ist stark abhängig von ihrem Ehemann. Doch sie kann über ihren Ehemann - und über Freundinnen - durchaus Einfluß nehmen. Sie steht mitten im Leben, lenkt die Zukunft durch die Erziehung der Kinder, kann sich mit Freundinnen treffen, kann eigenen Interessen nachgehen und sich frei bewegen. Natürlich ist das Leben einer Vestalin eine Berufung. Eine Ehre und mit großem Ansehen verbunden. Nicht zuletzt den Göttern wohlgefällig. Doch es grundsätzlich als erstrebenswerter anzusehen, erscheint mir doch nicht ganz objektiv." Auch hier war er sehr gespannt auf ihre Reaktion. Denn nicht ganz ohne Absicht sprach er ein wenig provokant.


    Ihr Lächeln war zwar nicht sehr ausgeprägt, doch er bemerkte es dennoch. Auch wenn sie die Mundwinkel nur leicht anhob, veränderte es ihr Gesicht doch auf erstaunliche Weise. Schön war sie schon vorher gewesen. Doch das Lächeln gab ihr ein ausgesprochen sympathisches Aussehen. "Das beruhigt mich ungemein", scherzte er mit einem Seitenblick auf den Bogen und lachte. Immerhin hatte er ja schon Bekanntschaft mit einem ihrer Pfeile gemacht und legte nicht allzuviel Wert darauf, diese Bekanntschaft aufzufrischen. "Ich werde ganz sicher nahezu täglich im Domus Aeliana anzutreffen sein und eine gemeinsame Jagd klingt sehr interssant. Allerdings gibt es in der nahen Umgebung Roms nicht viel zu jagen. Dafür muß man sich schon etwas weiter ins Landesinnere begeben, wenn man es wirklich auf Wild abgesehen hat. Für einen Ausflug ist allerdings auch die nahe Umgebung Roms gut geeignet, es gibt einige herrliche Flecken." Sie wirkte zumindest nicht wie eine Frau, die sich zu fein war, um auf ein Pferd zu steigen.

  • Seine Worte über die unvermeidliche Verknüpfung zwischen Ehe und dem Zeugen von Kindern treffen sie, seltsam genug, dass es sie überhaupt trifft, war der Gedanke an Kinder doch bisher einer, den sie weit weg geschoben hat, wenn sie ihn überhaupt betrachtet hatte. Die Ehe mit jenem ungeliebten Mann, der sie nur gekauft hatte, um sie seiner Sammlung erlesener Geschöpfe hinzuzufügen, war wenig dazu angetan gewesen, Nachkommen zu wünschen. Er hätte es nur als eine Bestätigung seiner Männlichkeit gesehen, noch einmal ein Kind gezeugt zu haben, und diesen Triumph hat sie ihm nie gegönnt.
    "Ich stimme Dir zu, dass die Ehe zumindest die Aussicht auf Kinder bergen sollte, nicht zuletzt, um die Traditionen fortzuführen, in denen wir selbst aufgezogen wurden. Aber ich kann Dir nicht darin zustimmen, dass man keinem Kind das Leben verwehren sollte. Denn die Götter allein wissen, welcher Weg einem Menschen bestimmt ist, und haben einen guten Grund, ein Leben zu nehmen. Vielleicht gebäre man einen künftigen dictator? Einen Kaisermörder? Oder einen Menschen, der wegen einer alten Krankheit in seinem Leben nur Leid zu erwarten hätte? Schwächliche Kinder sterben früh, das ist wahr, aber ich denke doch, dass dahinter oft ein guter Grund steckt, so schmerzlich einen ein solcher Verlust auch ankommen mag." Die meisten Frauen würden ihre Aussagen als herzlos werten, aber Caenis fühlt sich nicht herzlos, als sie dies spricht, hat sie doch oft genug erlebt, wie Mütter über ewig kränkelnden Kindern verzweifeln, und schließlich gebrochen enden, wenn das Leid ein Ende findet.


    Seine Worte zu den Saturnalien - und eventuellen anderen Gelegenheiten - quittiert sie mit einem leichten Neigen des Kopfes, und ebenso einem vagen Lächeln. Sie weiss zwar keinen solchen Anlass, aber es wird sich sicher etwas finden. Die Aelier sind angesehen in Rom, und gesellschaftliche Ereignisse dürfte es zur Genüge geben, bei denen man sich begegnen kann. Seine Ansichten zu den Vestalinnen allerdings kann man nur als antiquiert benennen und ihre Miene zeigt diese Ansicht durchaus, die Brauen ziehen sich kurz zweifelnd auf der Stirn zusammen, sie selbst schüttelt leicht den Kopf dabei.
    "Auch Vestalinnen ist es gegeben, Freundschaften zu pflegen, sie sind vielmehr ein geachteter Gast in den Häusern ihrer einstigen Familien und gerne gesehen, wohin immer sie gehen. Ist es für einen Mann so schwer zu ermessen, dass einer Frau viel an ihrer Unabhängigkeit liegen kann, mehr als an dem Leben mit einem Gemahl oder der eigenen Familie? Gibt es nicht auch für Männer Momente, in denen sie sich wünschen, weniger gebunden zu sein durch Tradition, Ehre und Familie? Ich kann mir nicht vorstellen, dass jeder Mann glücklich mit seinem Dasein durch die Welt schreitet und weder nach links noch nach rechts blickt. So viele Einschränkungen eine Vestalin sich auch auferlegen muss, besitzt sie doch eine grundlegende Freiheit - die, nicht als Ware zum Wohl ihrer Familie verschachert zu werden."


    Sie spricht direkte Worte, wahrscheinlich direktere als jede Frau in Rom es derzeit tut oder wagt, aber sie hat sich die Freiheit, so sprechen zu können, auch über lange Jahre erworben und nun sind ihr die Schranken, die für römische matronae gelten, einerlei. Ebenso einerlei kann ihr sein, mit wem sie sich im Moment zeigt, denn sie spekuliert nicht auf eine baldige Vermählung - wenn, würde sie das am liebsten weit wegschieben, noch einige Jahre allein verbingen, mit den Dingen, die sie interessieren, mit Menschen, die es ihrer Ansicht nach wert sind.
    "Nun, vielleicht findest Du nach Deiner Amtszeit die Muße, mir die Umgebung etwas zu zeigen, aber es wird nicht eilig sein. Ich weiss gut, wieviel Zeit ein solches Amt beanspruchen kann, wenn man seine Aufgaben ernst nimmt. Ich werde versuchen herauszufinden, wo man hier in der Umgebung gut jagen kann, und dann können wir über das Ziel immernoch entscheiden." Es war ein vernünftiger Vorschlag, wenngleich zweifelsohne leidenschaftslos, die logische Entscheidung nach einem einmal gefassten Entschluss. "Deine Kleidung werde ich Dir ersetzen, wenn Du mir die Rechnung dafür zukommen lässt." Das Thema war eigentlich schon vorübergestrichen, aber sie hat es nicht vergessen.

  • Ursus lächelte. „Im Grunde sind wir gar nicht so sehr unterschiedlicher Meinung. Ob ein Kind leben sollte, sollte in den Händen der Götter liegen, nicht in den Händen der Menschen. Ich weiß sehr wohl, dass es Mittel gibt, um die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft extrem zu senken. Und ich weiß auch, dass manche Frauen gar das beginnende Leben in ihrem Leib abtöten. Und diese Handlungen halte ich eben nicht für richtig. Wenn die Götter entscheiden, das Kind zu sich zu nehmen, so soll es eben so sein. Doch wenn die Götter ein Leben schenken, dann sollte man es annehmen. Und versuchen, das beste daraus zu machen. Wie sollst Du einem Kind ansehen, ob es einst ein Kaisermörder wird? Oder derjenige, der dem Kaiser das Leben rettet, indem er einen Mörder rechtzeitig entlarvt? Daß schwächliche und kranke Kinder früh sterben, ist gewiß eine Gnade der Götter und auch das sollte man akzeptieren, so sehr man diese Kinder auch lieben mag. Falsch ist nur, sich anzumaßen, ein derartiges Urteil zu fällen. Lassen die Götter ein solches Kind leben, dann hat auch das sicher einen Grund.“ Nur allzu oft versuchten die Menschen, den Götter ins Handwerk zu pfuschen.


    Vom Thema der Vestalinnen kam sie offenbar nicht los und Ursus zuckte die Schultern. „Anscheinend sind wir zu unterschiedlicher Ansicht darüber, was ein selbstbestimmtes Leben ist. Ganz frei ist man nur, wenn man sich in die Einsamkeit zurückzieht und dort von dem lebt, was die Natur einem bietet. Und selbst dann ist man es im Grunde nicht, da das Wetter und die natürlichen Gegebenheiten dann das Leben bestimmen. Leben wir unter Menschen, müssen wir uns anpassen und einfügen. Überall gibt es Regeln, immer gibt es jemanden, der einem weisungsbefugt ist. Ob es ein gutes Leben ist, hängt von dem ab, wie eben derjenige so ist, dessen Weisung man untersteht. Hast Du einen guten Ehemann, kannst Du sehr selbstbestimmt leben. Ist die virgo Vestalis maxima keine nette Frau, dann wird das Leben in einer so einer kleinen Gemeinschaft, schnell sehr unangenehm. Oder auch nur eine der älteren Vestalinnen, es muß nicht mal gleich die virgo Vestalis maxima sein. Du kannst Glück haben, Du kannst Pech haben. Bei der einen Art zu leben ebenso wie bei der anderen. Und das Wohl der Familie… sollte Dir auch das eine oder andere persönliche Leid wert sein.“ Auch wenn er damit nicht solch eine furchtbare Ehe meinte, wie sie anscheinend erlebt hatte. Hier hatte seiner Meinung nach die Familie bei der Wahl des Ehemannes versagt.


    Das neue Thema war da schon ein wenig unverfänglicher und Ursus lächelte wieder. „Gerne zeige ich Dir die Umgebung. Natürlich hast Du recht, im Moment habe ich sehr wenig Zeit für derlei Vergnügungen. Doch hin und wieder kann man sich doch auch mal für private Angelegenheiten ein wenig Zeit stehlen, auch ohne die Pflichten zu vernachlässigen. Ich werde also gerne darauf zurückkommen.“ Als sie dann noch von der beschädigten Kleidung sprach, winkte er ab. „Das mit der Kleidung ist ärgerlich, doch ich wurde reichlich dafür entschädigt. Selten habe ich mich so angeregt unterhalten. Das war ein paar Tropfen Blut und ein bisschen Kleidung durchaus wert.“ Seine Hand fuhr unwillkürlich zu dem Verband. Natürlich tat es noch weh. Aber lieber hätte er sich die Zunge abgebissen, als das zuzugeben.


    „Nun, dann werde ich mich vorerst verabschieden und hoffe auf ein baldiges Wiedersehen. Ich wünsche Dir noch einen schönen Tag und… gute Jagd.“ Er grinste bei den letzten Worten unübersehbar frech.

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