Siv wuchtete entnervt einen Stein hoch und ließ ihn ein Stück weiter rechts ins Gras fallen. Irgendwie wollte ihr die Eingrenzung für das neue Beet nicht so recht gelingen, es sah jedenfalls nie so aus, wie sie es haben wollte. Mit einem derben, germanischen Fluch auf den Lippen trat sie gegen den Übeltäter und jaulte im nächsten Moment auf. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie hüpfte auf einem Bein durch die Gegend und versuchte gleichzeitig, mit ihren Händen nach ihren schmerzenden Zehen zu greifen – was sie nicht hätte tun sollen, denn das führte nur dazu, dass sie endgültig das Gleichgewicht verlor. Mit einem Aufschrei und noch ein paar Verwünschungen landete sie im Gras, rollte sich herum und schaffte es nun endlich, ihren Fuß mit den Händen zu umklammern. Was zwar nicht dazu beitrug, die Schmerzen zu lindern, aber darum ging es ja nicht. Es ging ums Prinzip. Siv fluchte leise weiter, beschimpfte sich und den Stein und das Beet und die Welt im Allgemeinen.
Eine seltsame Unruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Schon seit Tagen. Sie hatte nicht weiter darauf geachtet, hatte zu verdrängen gesucht, was sich ihr gelegentlich aufdrängte, hatte Gedanken weggeschoben und doch nicht verhindern können, dass immer wieder – und immer öfter – in ihrem Kopf aufblitzte, was ihr Unterbewusstsein beschäftigte. Sie hatte eine Ahnung, und diese war in den letzten Tagen immer mehr zur Gewissheit geworden, auch wenn sie sich gewehrt hatte, es sich bewusst werden zu lassen. Mit jedem Tag, der verging, wurde es schwerer für sie, die Augen zu verschließen und ihren kreisenden Gedanken Einhalt zu gebieten.
Der Stein konnte eigentlich nichts dafür. Das Beet und dessen Einfassung genauso wenig. Sie mussten nur herhalten, weil Siv unbewusst auf der Suche nach einem Ventil war – und dass auch nur, wenn sonst niemand da war, dem etwas hätte auffallen können. Und jetzt lag sie auf dem Boden, mit schmerzendem Fuß, und hatte wieder einen dieser Momente, in denen sie sich der Gedankenflut nicht mehr erwehren konnte, die sich nur um eines drehte, was immer gewisser wurde. Eigentlich schon so gut wie Gewissheit war. Sie kannte die Zeichen. Sie hatte es zu Hause oft genug erlebt, bei manchen ihrer Schwägerinnen sogar hautnah. Vor anderthalb Wochen hatte sie sich noch nicht wirklich Gedanken gemacht. Vor einer hatte sie begonnen sich zu wundern. Einen Tag später, als die erste Ahnung aufgetaucht war, hatte sie aufgehört sich zu wundern, und versucht einfach nicht mehr daran zu denken. Modellierung der Realität nach eigenen Vorstellungen und Wünschen. Wenn du etwas nicht siehst, ist es nicht da. Allerdings war das Leben selten so einfach. Je mehr Zeit vergangen war, desto schwieriger war es für Siv, die Augen tatsächlich geschlossen zu halten. Es konnte ein Dutzend Erklärungen dafür geben, dass sie bisher noch nicht geblutet hatte, und die Übelkeit, die sich in den letzten Tagen dazu gesellt hatte, hieß einfach nur, dass sie vorsichtig sein musste, weil sie sich offenbar irgendeine Krankheit eingefangen hatte. Wenn du tatsächlich glaubst, dass du krank bist, warum sagst du Brix dann nicht Bescheid? Du könntest ein bisschen liegen bleiben und dich auskurieren, flüsterte eine verräterische Stimme in ihr, die Siv in den letzten Tagen mehr als einmal zum Schweigen hatte bringen müssen, und die sich immer seltener tatsächlich zum Schweigen bringen ließ. Weil es nur Übelkeit ist. Deswegen muss ich noch lange nicht im Bett bleiben, antwortete sie lautlos. Es gab ein Dutzend Erklärungen. Und doch… Siv ließ endlich ihren Fuß los und schlug sich die Hände vors Gesicht. Oh Hel, was ist wenn ich doch schwanger bin…
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