alicubi | Quae mutatio rerum… II

  • Siv behielt den Medicus im Auge, aber sie konnte an seinem Gesichtsausdruck nicht erkennen, was er dachte. Und sie konnte noch nicht mal sagen, ob es tatsächlich daran lag, dass der Arzt eine undurchdringliche Miene aufsetzte, oder an ihrer eigenen Aufregung und Unsicherheit. Und er sagte nichts darauf, was sie schon wieder ärgerte. Es ging doch schließlich um sie, da könnte er ihr wenigstens mitteilen, was für Schlüsse er aus ihrer Aufzählung zog. Stattdessen beharrte er nur darauf, dass sie sich in die Schale erleichtern sollte, anstatt auf ihre Fragen zu antworten, vor allem nach dem Warum. Aber nach einem kurzen Moment drehte er sich wenigstens um, und Siv saß da, mit der Schale in der Hand, und fühlte sich einfach nur verwirrt und unsicher. Warum konnte Aracus ihr nicht ein bisschen mehr erzählen? Fast war sie versucht, sich zu weigern, aber der Drang zu wissen, was mit ihr los war, war einfach stärker – und der Arzt hatte etwas an sich, dass ihr Respekt einflösste. Also tat sie wie geheißen, während Aracus anfing, von seiner Heimat zu erzählen. Siv spitzte die Ohren, wie immer, wenn sie andere erzählen hörte von fremden Orten.


    Als sie fertig war, räusperte sie sich und stellte die Schale auf den Tisch, gespannt darauf, was der Arzt nun damit anfangen würde. Sie selbst blieb stehen, fühlte sich zu aufgeregt, um ruhig sitzen zu können, und verschränkte ihre Arme hinter dem Rücken, um ein wenig Ruhe und Anspannung in ihren Körper zu bekommen. "Meine Heimat ist viel kälter. Weiß ist da der Schnee, da ist kein Meer oder so… Aber Meer, das will ich sehen, irgendwann."

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    Ohne sich dessen bewusst zu sein, tat der iatros genau das gleiche wie Siv, nämlich die Arme auf dem Rücken zusammenzufassen. Und er nickte, als sie sprach. "Dann kommst du aus dem Norden", entgegnete er und drehte sich herum, da Siv sich geräuspert hatte und das Plätschern verklungen war. Zufrieden sah er auf die Pfütze in der Schale hinunter, dann wandte er ihr den Blick zu. "Du hast das Meer noch nicht gesehen?" fragte er sie ungläubig. Schließlch war Ostia nicht allzu weit entfernt, und ihm wollte einfach nicht einleuchten, dass Siv noch nicht dort gewesen war. Verwundert blinzelte er einige Male, endete dann in einem "Hm!"


    So wandte er sich also der Schale zu, nahm das warme Holzgefäß auf und betrachtete im hereinfallenden Licht die Färbung des Inhalts. Vorsichtig schwenkte er den Urin herum, schließlich wollte er nichts verschütten, hielt dann die Schüssel dicht unter seine Nase und sog den Geruch ein. "Aha aha aha", machte er leise und schnüffelte noch einmal. Einen Schwenker später stellte er die Schale wieder ab und steckte den Zeigefinger zuerst in Sivs Urin, dann in den Mund. Und schließlich nickte er langsam. "Sauer und süßlich", teilte er ihr mit und öffnete nun wieder seine Tasche, um darin herumzukramen. Er förderte mehrere Leinensäckchen zu Tage und holte auch ein größeres, leeres hervor, dann setzte er sich wieder und verschloss die aromatisch duftende Tasche. Leise summend begann er, ein Beutelchen nach dem anderen aufzuknüpfen, hier eine Unze voll herauszunehmen und dort ein wenig mehr, und nach und nach füllte er mit den verschiedensten Kräutern, Wurzeln und anderen kuriosen Dingen das leere Säckchen. Natürlich, ohne etwas zu sagen, denn das hatte er schlicht vergessen.

  • Siv sah dem Arzt gespannt bei dem zu, was er tat. "Ja. Ich bin aus Germanien", teilte sie ihm mit, aber es klang ebenso nebensächlich wie sie es meinte. Viel mehr interessierte sie in diesem Moment, was er da in dem Schälchen mit ihrem Urin entdecken konnte. Nur als er über das Meer sprach, merkte sie tatsächlich einen Moment auf. "Nein", sagte sie, und in ihrer Stimme schwang etwas Bedauern mit. Tilla hatte ihr vom Meer erzählt, und auch ein paar andere, aber selbst dort gewesen war sie noch nie. "Nein, habe ich nicht." Dann wandte sie sich wieder dem zu, was Aracus anstellte. Neugierig und gespannt beobachtete sie, wie er sich den Inhalt der Schale ansah, wie er daran roch, schließlich davon probierte. Sauer und süßlich? Siv rang mit sich, ob sie nachfragen sollte, aber noch war der Respekt vor dem Arzt und die Unsicherheit in ihr größer. Schweigend beobachtete sie, wie er verschiedene Säckchen aus seiner Tasche holte, eines davon leer, und wie er das leere zu füllen begann. Dann hielt sie es nicht mehr aus. "Und… was heißt das? Sauer und süßlich? Was ist Bedeutung davon? Und was ist das, was du machst da, warum?" Siv tänzelte beinahe, nicht nur vor Aufregung, sondern inzwischen auch vor Neugier und Wissensdurst. Sie wollte wissen, was der Arzt da tat, welchem Zweck das alles diente! Und sie fand es mehr als ärgerlich, dass er ihr so gar nichts sagte – so oder so wäre es ihr so gegangen, aber dass es sie und ihren Körper betraf, machte die Sache nur noch schlimmer.

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    "Hm?" Zerstreut hielt der griechische Doktor inne und blickte auf , als Siv ihre Frage stellte. Er wirkte kurz so, als wunderte sich, dass sie überhaupt anwesend war, dann aber schlich sich das Erkennen in seine Züge, und gleichsam erschien ein warmes Lächeln zwischen den Krauseln seines Bartes. "Oh", machte er und ließ eine getrocknete Grille zurück in das Säckchen plumpsen. "Meine Liebe, wenn mich nicht alles täuscht - und ich täusche mich höchst selten, musst du wissen - dann wirst du in einem Dreivierteljahr den Vater deines Kindes sehr stolz machen." Der iatros lächelte Siv noch einmal an, zog dann erneut eine Grille aus dem Beutel und ließ sie in den größeren fallen. Geschäftig und summend hantierte er weiter, natürlich, ohne auf die zweite Frage einzugehen.


    "So", verkündete er schließlich und öffnete seine Tasche wieder, um diesmal ein Schälchen und einen Mörser hervorzuholen. "Das hier wird dir helfen, dass dir nicht ständig schlecht wird." Aracus leerte die Zutaten des Säckchens in die Mörserschale und begann damit, das bunte Allerlei zu zermahlen. "Du musst davon jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen eine halbe Unze in einem Becher heißem Wasser ziehen lassen, bis du die Kräuter nicht mehr erkennen kannst, und dann trinken. Das hilft dir, ganz bestimmt", erklärte er ihr, während er fleißig mörserte. "Du solltest viel Frisches essen und aufpassen, dass du dich nicht verkühlst. Ich werde das auch noch dem Vater des Kindes sagen, Briggs, oder wie er heißt. Er kann ruhig ein wenig auf dich acht geben." Aracus nickte gedankenverloren und sprach gleich weiter. "Und du solltest mit deinem dominus reden, falls er, hm, andere Pläne hat." Er hielt inne und sah Siv mit dem Mörser in der Hand an. "Aber falls er die hat, solltet ihr mich rufen. Es kann bös enden, wenn man, hm, es auf eigene Faust versucht", schärfte er ihr mörserschwingend ein. Dann mahlte er weiter.

  • Siv bekam den Eindruck, dass Aracus sie vergessen hatte. Sie war schon kurz davor, ihn ein wenig anzustupsen, oder ihm eines seiner Beutelchen wegzunehmen, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, da sah er hoch und schaute sie verwirrt an, nur um einen Moment später zu lächeln. Und dann bestätigte er, was sie ohnehin vermutet hatte. Was sie gewusst hatte, bis er sie so verunsichert hatte! Siv ließ sich auf ihr Bett fallen, stützte die Arme hinter sich ab und legte den Kopf in den Nacken. Den Göttern sei Dank, keine Krankheit. Sie war schwanger. Tatsächlich schwanger… Irgendwie war es etwas anderes, das noch mal aus dem Mund eines Arztes zu hören. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann wandte sie ihren Kopf wieder Aracus zu. Die Frage, welchem Zweck was gedient hatte, war ihr nun gar nicht mehr so wichtig, irgendwie. Wieder aufmerksam, sah sie dabei zu, wie er die verschiedenen Kräuter und sonstigen Zutaten nun in eine weitere Schale gab und sie zerstieß. Etwas zweifelnd legte sie den Kopf dann schief bei seinen Worten. Sie kannte sich mit so etwas aus, sie hatte alle Mittelchen gegen Übelkeit ausprobiert, die sie kannte, aber bisher hatte nichts geholfen. "Das trinken. Frisches essen. Nicht verk-" Dann wurde ihr klar, was der Grieche noch gesagt hatte. "Was?" Zum dritten – oder war es schon das vierte oder fünfte Mal? – starrte sie ihn fassungslos an. "Brix? Er ist nicht der Vater. C-" Dann unterbrach sie sich. Wer der Vater war, ging den Arzt nichts an. Niemanden ging das etwas an. Obwohl es zumindest bei den meisten Bewohnern der Villa kaum einen Zweifel darüber geben würde. "Ich werde reden, mit ihm. Mit Dominus. Hm." Siv zögerte einen Moment, aber sie hatte nicht vergessen, wie zurückhaltend Brix sich verhalten hatte. "Ich glaube, er wird reden wollen, mit dir. Kann ich… Bitte, kann ich vorher, reden mit ihm? Ich will ihm sagen, von schwanger sein."

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    Die Sklavin wiederholte noch einmal, was Aracus ihr soeben mitgeteilt hatte. Zufrieden nickte der iatros, klopfte seinen Stößel ab und schüttete das Pulver zurück in das Säckchen, das er eben schon verwendet hatte. "Wenn es leer ist und dir dann immer noch schlecht sein sollte, komm einfach vorbei, dann gebe ich dir ein wenig mehr", sagte er und reichte ihr das Leinenbeutelchen. "Ich wohne in der Via Nigra beim Venustempel. Nummer Vierzweifünf." Der Doktor hob nun seine Tasche auf den Schoß und begann, seine sämtlichen Utensilien wieder einzuräumen. Dass Siv so verblüfft war wegen seinem Schuss ins Blaue, was den Vater anging, verwirrte ihn in keinster Weise. Sicher schämte sie sich etwas, auch wenn Aracus nicht genau wusste warum, denn der maiordomus hatte doch ganz ansehnlich gewirkt. So sagte er daraufhin nichts, stand schließlich auf und klopfte sich nicht vorhandenen Staub aus der schlichten tunica.


    Erst jetzt schien er Siv wieder zu realisieren, sah sie eingehend an und lächelte noch einmal zum Abschied. "Wie? Dein dominus? Oh, ich denke nicht, dass er mich sehen will", sagte Aracus. Brix hatte ihm zuvor gesagt, dass er zu ihm kommen sollte, wenn er bei Siv fertig war. Wegen der Bezahlung und dergleichen. "Also denn, kleine Germanin. Ich wünsche dir und dem Kind den Segen deiner Götter. Und wenn etwas ist, solltet ihr mich rufen lassen. Viel Glück bei deinem dominus!" Sprach's und war kurz darauf auch schon aus der Kammer verschwunden, um irgendwo in der villa auf Brix zu stoßen, um sich sein Honorar abzuholen und diverse Ratschläge dazulassen.

  • "Mehr? Ach so. Ja. Via Nigra, Venustempel. Vierzweifünf", wiederholte Siv. Nicht dass es nötig gewesen wäre, Brix wusste sicher, wo der Arzt wohnte, immerhin hatte er ja nach ihm schicken lassen. Auf ihren Widerspruch hin reagierte Aracus dagegen gar nicht, was Siv dann doch etwas irritierte – aber auch sie sagte nichts. Sollte er doch glauben, Brix wäre der Vater. Vielleicht vermutete er sogar, dass die Aurelier sich Sklaven heranzüchten wollten, immerhin waren sie beide Germanen, was man ihnen auch beiden ansah. Siv schauderte kurz bei dem Gedanken, aber sie wusste, dass es einige Römer gab, die sich nicht das geringste dabei dachten, mit ihren Sklaven dasselbe zu tun wie mit Pferden oder anderen Tieren. Was auch immer der Arzt dachte, es war vermutlich besser, er ahnte nicht, wer wirklich der Vater war. Vor allem nicht, da sie noch wusste, wie der Vater reagieren würde, wenn er es denn erfuhr. Sie stand auf, nahm das Säckchen entgegen und seufzte lautlos, drehte es dann in ihren Fingern und legte erneut den Kopf schief. "Wie? Er will nicht sehen?" Das überraschte sie etwas. Aber vielleicht genügte es Corvinus ja, wenn Brix ihm Bericht erstattete. Und das machte die Sache für sie etwas einfacher. Während Aracus mit dem Maiordomus sprach, hatte sie locker Zeit genug, zu Corvinus zu gehen und ihm endlich zu sagen, was los war. "Danke. Und… alles Gute. Und so." Sie sah ihm nach, wie er die Kammer verließ, dann sprang sie zur Tür und rief ihm noch einen Abschiedsgruß auf Griechisch hinterher, jedenfalls das, was sie dafür hielt. Sie verharrte noch, selbst als Aracus aus ihrer Sichtweite verschwunden war. Dann, plötzlich, kam Bewegung in sie. Sie verließ die Kammer endgültig, zog die Tür hinter sich zu und machte sich auf die Suche nach Corvinus.


    ~~~ Später, im Tablinum ~~~


    In seinem Officium war er nicht gewesen, in der Bibliothek auch nicht. Im Cubiculum war er zu dieser Tageszeit so gut wie nie, außerdem hätte sie sich dann schwarz geärgert, wenn er dort gewesen wäre, hätte sie sich doch einiges an hin und her laufen sparen können, wenn sie gleich darauf gekommen wäre – nun würde sie schon aus Prinzip im Cubiculum zuletzt nachsehen. Sie hoffte nur, er war nicht weggegangen… Einen Moment schwankte sie, ob sie im Garten oder auf der Terrasse nachsehen sollte, aber dann entschied sie sich doch für das Tablinum. Und dort fand sie ihn auch. Nach einem leisen Anklopfen öffnete sie die Tür und sah hinein, und tatsächlich, da saß er, in einem Sessel, die Augen geschlossen. Ganz gegen ihre sonstige Art räusperte sie sich zaghaft und betrat dann zögerlich den Raum. "Hrm. Corvinus?" Sie trat näher zu ihm heran. Hel, hilf mir, flehte sie lautlos. Wie sollte sie ihm nur sagen, was sie zu sagen hatte. "Ich, hrm… hast du Zeit? Jetzt? Bitte?"

  • Nach dem Essen hatt ich zwar noch versucht, weiterzuarbeiten, aber es war wie so oft in letzter Zeit nicht möglich gewesen. Buchstaben und Zahlen verschwammen vor den Augen, ich konnte mich nicht konzentrieren und das Völlegefühl tat sein übriges. Ich war also ins tablinum hinüber gegangen, hatte mich dort in den bequem gepolsterten, tiefroten Sessel direkt am Fenster in der zaghaften Sonne gesetzt und den Kopf in den Nacken gelegt, um ein wenig zu dösen. Ehe ich allmählich weggedämmert war, hatte ich wieder an die Worte von Aquilius denken müssen, das Alter betreffend. Ich würde bald dreißig werden. Konnte es sein, dass man da schon mittags nur noch schlecht Konzentration fand? Wann würde wohl der andere Makel auftreten, von dem er gesprochen hatte? Ich sollte mich wirklich beeilen mit dem Erben, ehe es nicht mehr möglich war, überhaupt einen zu zeugen. Seufzend hatte ich schließlich doch in jenen förderlichen Dämmerschlaf gefunden, nach dem ich wieder Papyri und Wachstafeln wälzen konnte.


    Lange hatte ich nicht so gedöst, zumindest sagte mir das mein Zeitgefühl, als eine bekannte Stimme den Nebel zum Teil lichtete, und mich mühevoll die Lider heben ließ. "Mmh.." murmelte ich, eine Hand schon halb erhoben, um mir über die Augen und dann übers Gesicht zu fahren. Mein Kopf war schwer, ich noch müde, und doch blinzelte ich in die unvertraute Helligkeit und entdeckte Siv, die irgendwie seltsam wirkte. Ich interpretierte in ihre Körperhaltung ein schlechtes Gewissen hinein, gähnte herzhaft und versicherte ihr dann schläfrig: "Ist schon in Ordnung. Das kann jedem mal passieren."

  • Siv beobachtete Corvinus, wie er langsam erwachte. War das gut, dass er gedöst hatte? Oder schlecht? Oder… "Mhm", machte sie. Es konnte jedem passieren. Ihr war es häufig passiert, in letzter Zeit. "Hm", machte sie dann wieder. Dann zog sie sich ohne zu fragen einen Sessel heran und ließ sich darauf niedersinken, allerdings nur knapp auf der Kante. "Also, das… Sofia hat Recht gehabt, weißt du? Ich habe öfter übel." Siv verstummte wieder und stöhnte innerlich. Dann sprang sie auf. Sie war einfach nicht fähig still zu halten. Vorgeblich ohne auf Corvinus zu achten, dabei aber immer wieder einen Seitenblick auf ihn werfend, begann sie im Raum hin und her zu laufen. "Der Medicus war da. Brix hat geruft nach ihm, und er… hat untersucht." Nein, so kam sie nicht weiter. Aber wie bei Hel sollte sie es ihm denn sagen? Ich bin schwanger? Sie hatte wenigstens etwas Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen, immerhin hatten sich die Anzeichen langsam gemehrt, zuerst hatte sie sie verdrängen können, das war kein Problem gewesen, anfangs, erst mit der zunehmend verstrichenen Zeit war es immer schwieriger gewesen. Schließlich blieb sie stehen und sah ihn etwas unglücklich an. Abgesehen von der Zeit, in der er nicht mit ihr gesprochen hatte, war ihr nie zuvor so bewusst gewesen wie jetzt, dass sie seine Sklavin war. Er konnte alles tun. Sie glaubte nicht daran, aber Fakt war, dass er sie sogar dazu zwingen konnte, es loszuwerden, wie der Arzt es ausgedrückt hatte. Sie hatte kein Mitspracherecht, und sie wusste einfach nicht, wie es normalerweise gehandhabt wurde, wenn eine Sklavin von ihrem Herrn schwanger war. Aber sie wusste, wie viel ihm sein gesellschaftlicher Stand in Rom bedeutete, wie wichtig ihm das war, die Traditionen, und die Ehre seiner Familie. Dass ein Herr eine seiner Sklavinnen zu sich ins Bett nahm, war normal, das hatte sie mitbekommen inzwischen, und was zwischen ihnen beiden war, zwischen ihnen persönlich, dass es mehr war als nur ein Römer, der mit seiner Sklavin das Bett teilte, weil er nicht verheiratet war und weil er eine hatte, davon wusste kaum jemand etwas, und die wenigen, die es wussten, wie Brix zum Beispiel, sagten nie etwas. Aber was passierte, wenn die Sklavin schwanger wurde, davon wusste sie nichts. Die Germanin presste die Lippen aufeinander, kaute dann auf ihrer Unterlippe und strich sich mit beiden Händen ein paar Strähnen hinter die Ohren, die ihr ins Gesicht gefallen waren. "Ich war nicht ehrlich, vorhin." Wieder biss sie auf ihrer Unterlippe herum, ging wieder ein paar Schritte, machte dann auf dem Absatz kehrt und kam zurück, stellte sich vor ihn hin. Sie holte tief Luft. Am liebsten hätte sie nun die Augen geschlossen, aber sie war nicht feige. Sie war aufgeregt und hätte sich am liebsten in den Garten verkümelt, aber sie kniff nicht. "Ich weiß, was ist. Warum da Übelkeit ist." Wieder eine Pause. Ein Durchatmen. "Ich bin schwanger."

  • Ein wenig wundersam war es schon, dass sie sich so sehr schämte für das Malheut zuvor. So kannte ich Siv gar nicht. Sie schien rastlos und ausgeregt, zugleich oeinlich berührt und ängstlich. Was war das nur? Ich blinzelte angestrengt den Schlaf fort, der mich jedoch nur langsam freigeben wollte. Derweil war Siv wieder aufgesprungen und schritt im Zimmer auf und ab. In diesem Moment schwante mir, dass es hier nicht nur um die Sache von vorhin ging. Irgendetwas hatte sie ausgefressen. Nur was?


    "Hm", machte ich und nickte zustimmend. Schließlich hatte ich Brix den Auftrag gegeben, den Griechen herbeizuholen. Meine Augen folgten den Bewegungen Sivs, die mal hin, mal her lief und dabei einen Ausdruck auf dem Gesicht hatte, der alles andere als glücklich war. Ich rutschte noch ein wenig tiefer in den Sessel hinein und harrte der Dinge, die da wohl gleich noch kommen mochten. Unnötig zu erwähnen, dass ich darauf wartete, die Diagnose des Arztes von ihr zu hören. Je länger ich darauf warten musste, dass Siv weitersprach, desto argwöhnischer wurde ich. Schließlich stand eine steile Falte auf meiner Stirn, und Siv kam ganz plötzlich zu mir und blieb abrupt vor dem Sessel stehen. Erwartungsvoll sah ich zu ihr auf. Sie wusste doch, dass ich kein Liebhaber von Ratespielchen war, warum spannte sie mich dann so auf die Folter? Schließlich sagte sie etwas, doch was sie sagte, ließ mich nur verwirrt dreinsehen. Nicht ehrlich? Wie konnte man nicht ehrlich sein, wenn man sich übergab? Unverständlich rückten meine Brauen zusammen, nur um im nächsten Augenblick fassungslos auseinanderzurutschen. Jetzt war ich wach.


    Ich war gar nicht fähig, etwas zu sagen. Selbst wenn, so hätte ich nicht einmal gewusst, was. Ich starrte Siv einfach nur an, hatte keinen Blick für ihre Angst, nicht genug Nerv, um die Nervosität richtig zu deuten. Diese Information traf mich wie ein Hammerschlag, doch in den germanischen blauen Augen war kein amüsiertes Glitzern zu entdecken, das ihre Worte als schlechten Scherz enttarnt hätte. Da war nichts, nur Hoffnung und Angst und Verwirrung. Ich schloss die Augen, holte erst jetzt wieder Luft. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich sie überrascht eingesogen und dann angehalten hatte. Mein eben noch so träger Geist raste. Ich sah Aquilius, Celerina, ja sogar Deandra an mir vorbeiziehen, Situationen, die ich mit jedem von ihnen durchlebt, Worte, die ich mit jedem von ihnen gesprochen hatte. Und ein leises Gefühl der Panik keimte in mir. Jetzt war ich es, der nicht länger still im Sessel sitzen konnte. Ich katapultierte mich regelrecht hoch und wandte mich um, von Siv fort, die Arme vor der Brust verschränkt, die Rechte locker über den Mund gelegt. "Bona Dea."


    Wie hatte das nur passieren können? Ich starrte die Darstellung einer Jagd an, welche die Ostwand des tablinum zierte. Gelegenheiten hatte es wahrlich viele gegeben, und an das Wie erinnerte ich mich nur allzu gut, aber warum war Siv schwanger? Es gab doch so viele Möglichkeiten, wie man genau das verhindern konnte! Zerstreut schüttelte ich den Kopf. Am morgigen Abend sollte ich Celerina darum bitten, meine Frau zu werden - und nun das. Ich hatte gar nicht darauf eingehen sollen, von Anfang an nicht. Es war klar, dass etwas Ungutes daraus erwachsen würde. Ich hätte meine Finger von Siv lassen sollen, nach ihrem Flcuhtversuch erst recht. Ich... Durch den Wirbel meiner Gedanken hindurch drang ein Laut, und ich wurde mir wieder dessen bewusst, dass Siv noch im Raum stand. So wandte ich mich um und taxierte sie. Ohne es bewusst zu steuern, heftete ich meinen Blick auf ihren flachen Bauch, der in ein paar Monaten eine kleine Kugel sein würde. Wie hatte sie das nur zulassen können? Ich würde mein Gesicht verlieren, wenn das herauskam, wenn schon nicht in der Öffentlichkeit, dann in der Familie. Ich atmete gepresst, knirschte mit den Zähnen. "Ich...Wie... Warum hast du nicht...?" versuchte ich mich zu artikulieren, schluckte und riss mich dann zusammen. "Wie kannst du mir das antun, Siv? Ausgerechnet jetzt?" fragte ich sie und deutete ein Kopfschütteln an. "Du hast doch aufgepasst... Das hast du doch?! Ich meine... Warum ist das trotzdem passiert? Ich kann doch nicht...." Wieder schüttelte ich den Kopf, meine Stimme trug jetzt die deutliche Unterschrift der Panik in sich. Ich fuhr mir mit beiden Händen durchs Haar, wandte mich um und begann, mit den Händen auf der unteren Gesichtshälfte durchs Zimmer zu schreiten. Irgendetwas musste ich unternehmen. Nur was? Und wie?

  • Nachdem es endlich heraus war, verstummte Siv. Sie starrte ihn nur schweigend an. Und Corvinus starrte zurück. Als er dann plötzlich hochsprang, wich sie unwillkürlich etwas zurück, aber Corvinus wandte sich von ihr ab, und nun war er derjenige, der hin und herlief, während sie angewurzelt dastand und ihm dabei zusah. Es hätte seines leisen Ausrufs nicht bedurft, um ihr klarzumachen, wie wenig begeistert er von dem war, was sie ihm gesagt hatte. Seine Haltung, sein flacher Atem, alles zeigte das nur zu deutlich. Siv machte noch einen Schritt zurück, während ihre Hände sich in ihre Tunika krallten. Corvinus war ganz und gar nicht begeistert, und Siv meinte zu wissen, was das bedeutete. Ihre Kehle wurde eng, und schon spürte sie, wie Tränen aufstiegen – was sie selbst ärgerte. Sie konnte nichts ändern an dem, was passiert war, weinen brachte da nichts, weinen brachte nie etwas. Ihre Unterlippe wurde erneut malträtiert, diesmal nicht aus Nervosität, sondern um durch den Schmerz die Tränen zurückzudrängen und den Kloß im Hals zum Verschwinden zu bringen. Sie schluckte mühsam und hörte wortlos zu, als er endlich antwortete. "Ich habe aufgepasst!" Natürlich hatte sie das – sie hatte doch nicht schwanger werden wollen! Das hatte sie noch nie gewollt, auch nicht, als sie mit Ragin verheiratet gewesen war, sie hatte es sich einfach nicht vorstellen können, sie und ein Kind… Wieder musste sie schlucken, als sie daran dachte, wie Ragin in dieser Situation wohl reagiert hätte. Er wäre überglücklich gewesen, er hatte sich nichts sehnlicher als ein Kind gewünscht, und er hatte geopfert dafür… während sie Hel insgeheim darum angefleht hatte, sie nicht schwanger werden zu lassen, noch nicht jedenfalls, und ebenso im Geheimen eine Kräutermixtur zu sich genommen hatte, von der es hieß, dass sie eine Empfängnis verhütete – und ein Amulett getragen hatte, mit einer Runenkombination darauf, das sie von einer ihrer Schwägerinnen bekommen hatte, mit derselben Wirkung. Sie hatte es immer um ihr Handgelenk getragen, enggeschnürt und das Amulett selbst unter den breiten Lederstreifen verborgen, damit es Ragin nicht auffiel, weil sie wusste, dass er sie nicht verstanden hätte. Bei allem Verständnis, dass er sonst für sie und ihre zahlreichen Fehler und Macken aufgebracht hatte, dafür hätte er keins gehabt.


    Und jetzt war sie schwanger. Obwohl sie weiter getan hatte, was sie wusste, was sie kannte, um es nicht zu werden. Aber letztlich lag es immer noch in der Hand der Götter, glaubte sie, sie hatte oft genug davon gehört, dass Frauen schwanger wurden, egal was sie angestellt hatten, um genau das zu verhindern – wenn die Götter so entschieden, dann wurde eine Frau schwanger, egal, was sie tat. Und irgendwie fand Siv es gar nicht so schlimm oder erschreckend, nicht nachdem der erste Schock vorbei war – und wenn sie ihre Lebensumstände ignorierte, dass sie Sklavin war, dass es Probleme geben würde. Vielleicht, weil sie sich verändert hatte, weil sie älter geworden war und auch reifer, weil sie gelernt hatte, zurückzustecken… Sie glaubte daran, dass sie das alles bewältigen konnte, wenn ihr nur die Chance gegeben würde, und wenn Corvinus nur zu ihr hielt. Aber es sah nicht danach aus. "Es tut mir leid", begann sie, sich zu verteidigen, aber es klang fast noch kläglicher als sie sich fühlte. "Ich wollte nicht, wollte nicht Schwierigkeiten machen, für dich, ich…" Sie sah ihn an, und in ihrem Blick spiegelte sich ihre ganze Hilflosigkeit wieder, ebenso wie in der einen, einzigen Geste, die sie mit ihrer Hand machte, bevor sie sie wieder sinken ließ. "Ich war opfern, nicht nur für meine Götter, auch für Iuno, wegen das Kind, für Schutz und Gesundheit, und das ist gut, Opfer war gut, sie hat es genommen, weißt du, und…" Ihre Stimme erstarb erneut. Was für eine Rolle spielte es denn, dass Iuno ihr Opfer angenommen hatte? Sie hätte damit warten sollen, bis sie wusste, was Corvinus von ihrer Schwangerschaft hielt. Was er entscheiden würde. Wieder begannen ihre Augen feucht zu schimmern, und jetzt senkte Siv den Kopf, starrte den Boden vor sich an. "Der Medicus hat gesagt, er weiß, wie er kann… wegmachen", flüsterte sie tonlos. Sie wollte das nicht. Oh Hel, sie wollte es nicht. Aber wenn das für Corvinus der einzige Weg war, würde sie sich nicht weigern. Vielleicht schickte er sie auch nur auf eines seiner Landgüter, bis das Kind geboren war, und gab es dann weg, aber sie wusste nicht, welche der Möglichkeiten sie vorziehen sollte. Wenn sie das Kind schon hergeben musste, dann war es vielleicht besser, wenn sie die Schwangerschaft vorzeitig beendete, wenn sie nicht erst neun Monate mit dem Kind hatte und es dann weggeben musste.

  • Ich war schließlich stehen geblieben, mit dem Rücken zum Raum, dem Blick aus dem Fenster gerichtet. Abermals fuhr ich mir übers Gesicht, doch das Wissen um Sivs Worte konnte ich nicht fortschieben, so sehr ich es auch versuchte. Die Hände hatte ich inzwischen locker um Nase und Mund gelegt, nachdenklich sah ich an den Handrücken vorbei hinaus. Bona Dea. Wenigstens, dachte ich in einem Anflug von Irrwitzigkeit, musste ich mir keine Gedanken um meine Fruchtbarkeit machen. Andererseits... Wer sagte mir, dass Siv nicht...? Ich schloss die Augen. Das war Unsinn. Schließlich wusste ich, wie es um ihre Gefühle stand. Selbst, wenn sie es nicht gesagt hätte, damals, so sah man es ihr doch an.


    Als Siv sprach, sah ich sie nicht an. Ich konnte es nicht. Würde ich sonst vielleicht meine Meinung ändern? Sie klang so erstickt und gepresst, als unterdrückte sie Tränen. Ich fühlte mich schon jetzt hinterhältig. Schuldigkeit würde sich breit machen, wenn ich sah, dass sie weinte. Ich durfte nicht hinsehen. Es war doch eine bekannte Weisheit, dass etwas nicht tatsächlich passierte, wenn man nicht hinsah. Langsam schöpfte ich Atem, meine Gedanken drehten sich im Kreis. Was nur sollte ich tun? Zu behaupten, jemand anderer sei der Vater, wäre außerhalb der Familie sinnvoll, doch innerhalb? Es war für die meisten kein Geheimnis, dass Siv und ich bisweilen intim miteinander waren.


    Flüchtig dachte ich an Celerina. Sie kannte gewiss Mittel und Wege, dass das Kind nicht geboren werden würde. Allerdings... Was dachte ich da? Es war zum Teil mein Fleisch und Blut. Wieder knirschte ich mit den Zähnen. Sivs Worte rauschten an mir vorüber, eines jedoch blieb hängen: Iuno. Ich erstarrte und fuhr herum, hörte gerade noch, was es mit ihrem Namen auf sich hatte. Mit zugeschnürter Kehle erfasste ich den tieferen Sinn dessen, was Siv gesagt hatte. "Iuno hat dein Opfer angenommen?" fragte ich ein wenig schrill, Siv so entgeistert anstarrend, als hätte sie soeben von so etwas Kuriosem wie sich selbst bewegenden Gefährten gesprochen. Das änderte alles. Wenn Iuno das Opfer angenommen hatte... Das konnte nur bedeuten, dass Siv es richtig gemacht hatte. ...was eine andere Frage aufwarf. "Woher weißt du, wie man opfert?" fragte ich sie. Nie hatte ich Siv mitgenommen, wenn ich opferte. Mir war schwindelig, heiß und kalt zugleich. Mein Blick suchte den Sessel, fand ihn und ich setzte mich. Dann griff ich nach der Weinkaraffe, warf dem Becher nur einen Blick zu - und trank dann direkt aus dem Krug einen gewaltigen Schluck. Ihr Götter...was soll ich nur tun?


    Sicher, ich könnte Siv fortschicken. Aber das brachte ich nicht übers Herz, jetzt nicht mehr. Ich könnte den Griechen wieder herholen lassen, doch konnte ich das verantworten, wenn Iuno das Opfer angenommen hatte, das Siv angeblich dargebracht hatte? Ein leises Stimmchen frohlockte, dass ich Vater wurde. Ich selbst hatte nur ein Bedürfnis: Mich zu betrinken. Und dann mit Prisca zu reden, die nicht da war. Ich legte den Kopf in den Nacken, und sog die Luft ein. "Ihr Götter..."

  • Siv zuckte zusammen, als Corvinus sich so plötzlich zu ihr umdrehte. Was sie sonst noch gesagt hatte, darauf ging er gar nicht ein, auch nicht auf ihre Bemerkung mit dem Medicus – davon war sie sich gar nicht so sicher, ob er es überhaupt gehört hatte. Sie schluckte wieder, kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. Lag das an der Schwangerschaft? Auch das war etwas, was sie mitbekommen hatte, mehr als einmal, die erhöhte Empfindlichkeit von Frauen, die ein Kind trugen, aber pragmatisch und resolut, wie Siv in solchen Dingen normalerweise war, hatte sie das bisher immer als Mythos abgetan – als eine Ausrede von Schwangeren, sich nicht mehr beherrschen zu müssen. Jetzt stellte sie fest, dass tatsächlich etwas dran war. Oder lag es daran, dass Corvinus ihr so viel bedeutete, und dass ihr deshalb die Vorstellung, sein Kind zu bekommen, keine Angst machte, ganz im Gegenteil – und deshalb der Gedanke so weh tat, dass es ihm anders ging als ihr. Jetzt, wo er es endlich wusste, war ein Großteil der Aufregung und der Unsicherheit verschwunden. Zurück blieb hauptsächlich Angst, davor, wie er entscheiden mochte. Und wenn sie das alles wegließ, die ganzen negativen Gefühle, dann freute sie sich sogar über das Kind. Sie hatte das nicht geplant, sie hatte es nicht gewollt, aber es war nun mal passiert, und es war das Kind des Mannes, den sie liebte… Dann schlug die Angst wieder zu.


    Schweigend begegnete sie seinem Blick, wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte, folgte ihm mit ihren Augen, wie er sich setzte, wie er direkt aus dem Krug trank. Tief sog sie Luft in die Lungen, fast parallel zu ihm, aber abgesehen davon rührte sie sich immer noch nicht. Er war nicht auf ihr Angebot eingegangen. Er hat es gar nicht gehört, wisperte eine winzige Stimme in ihr. Siv biss die Zähne zusammen. Vielleicht brauchte er nur Zeit. Sie hatte Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen schwanger zu sein, darüber hinaus hatte sie gerade eben erst eine für ihren Geschmack quälend lange Zeit damit verbracht, Angst zu haben krank zu sein, wirklich krank. Wieder schluckte sie, bemühte sich, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen. Sie konnte sich selbst nicht leiden, wenn sie so weinerlich war, so schwach. Noch einmal holte sie Luft, und ihre Stimme klang etwas fester, nicht viel, und immer noch leise, aber immerhin etwas. "Ich…" Sie gestikulierte erneut hilflos. "Ich habe Caecus gefragt. Er, er weiß nichts, von dass ich schwanger bin. Ich habe… gesagt, ich bin neugierig. Wie opfern ist, für römische Götter. Was zu tun ist." Ihre Zungenspitze fuhr nervös über ihre Lippen. "Gestern, hab ich das gefragt. Ich hab, ich wollte nicht, dass wahr ist, dass ich schwanger bin. Aber letzte Tage, da… habe ich nicht gekonnt, nicht mehr, mich anlügen. Und Caecus hat erzählt, alles, was ist gebraucht für Opfer für Iuno, und ich habe gesucht, was gebraucht, Blumen aus Garten, und Früchte, und Kekse… Heute morgen, da bin ich auf Markt gewest, mit allem Geld, das meins ist, aber es ist nicht genug gewest… Aber der Händler hat mir das Kaninchen trotzdem gegeben." Wie ein Wasserfall brachen die Worte jetzt aus ihr hervor. Sie gab Corvinus gar keine Chance, zu unterbrechen. Sie wusste selbst nicht so genau, was los war, hatte nur das Gefühl, dass reden ihr half – und wenn es nur den Moment hinauszögerte, bis Corvinus sein Urteil fällte. "Ich war im Tempel, dann, und habe Opfer gebringt, und alles war gut. Und Brix hat mir gegeben das Geld, für Händler, wegen Kaninchen, was gefehlt hat – aber ich zahle zurück, ich weiß nicht wie, aber ich werde tun, weil, Opfer für Iuno, das war wichtig, das Kind, das ist doch halb römisch, da kann ich nicht nur Opfer bringen für meine Götter…" Ihre Stimme war gegen Schluss immer leiser geworden, und schließlich erstarb sie ganz.

  • Mein Fehler war vermutlich, Siv schließlich doch anzusehen. Sie stand wohl kurz vor einem Ausbruch in Tränen, und wie erwartet keimte das schlechte Gewissen, auch wenn ich es verärgert beiseite schieben wollte. Siv begann daraufhin zu sprudeln, wie ein munterer Quell. Mit zusammengezogenen Brauen lauschte ich ihr ein paar Worte weit, dann riss bereits der Geduldsfaden und ein nur halb unterdrückter Laut der Ungeduld drang über meine Lippen. "Verdammt, lern endlich Latein", fluchte ich inbrünstig, schwieg dann aber und hörte ihr doch weiter zu. Was hätte ich auch anderes tun sollen?


    Je weiter sie sprach, desto klarer wurde mir allerdings, dass sie micht nicht verstand. Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit unterbrach ich sie nicht gleich, sondern ließ sie weitersprechen, mit dem Blick immer wieder kurz zu ihrem Bauch huschend in der Hoffnung, sie bemerke es nicht. Dann stellte ich den Wein fort, zupfte stattdessen unbeabsichtigt immer wieder an meinen Fingern. Ehrlicherweise beeindruckte mich, dass sie auch Iuno geopfert hatte, und nicht nur ihren Heidengöttern. Hätte man ihr vor zwei Jahren prognostiziert, dass sie dies einmal tun würde, so hätte sie denjenigen ausgelacht, dessen war ich mir sicher. Und sie hatte es sich scheinbar nicht leicht gemacht und nur ein paar läppische Kekse verbannt. Das Opfer war sogar angenommen worden, ein kleines Blutopfer. Etwas wie Stolz blitzte in mir auf und hielt sich wacker gegenüber der Unsicherheit und Panik, die von mir Besitz ergriffen hatte, und die gemeinschaftlich nach außen hin wie Verärgerung wirkten, weil sich Wut viel leichter zugeben ließ als die wahren Emotionen.


    Ich sog meine Unterlippe ein und betrachtete Siv einfach nur. Was sollte ich nur tun? Sie fortschicken konnte ich nicht. Einem anderen befehlen, um Siv zu werben oder gar zum Schein eine Beziehung mit ihr anzufangen, konnte ich nicht. Und Siv war eine Sklavin, verdammt noch eins! Wenn sie das Kind tatsächlich austrug, weil es der Wille der Götter war und...ganz vielleicht auch der meine, dann... Er würde ein Sklave werden. Mein Sohn - ganz automatisch ging ich davon aus, dass es ein Junge werden würde - ein Sklave. Das konnte ich doch nicht zulassen. Es wäre verantwortungslos und, ja, verlogen, weil Siv eben nicht nur eine Sklavin war. Ich blickte auf die Lehne des Sessels hinunter und blinzelte einige Male. Dies hier war die schwerste Prüfung, die ich je hatte bestehen müssen. Siv schwieg, wartete in Anspannung. "Es würde doch jeder wissen, Siv." Nüchtern drangen diese Worte aus mir. Ich sah sie erst einen Moment später an. "Sag mir, was ich tun soll."

  • Siv zuckte zusammen, als sein Fluch kam, aber sie sprach weiter, wusste sie doch, dass sie kaum den Mut dazu finden würde, wenn sie sich einmal unterbrach. Vor allem nicht, wenn er sie noch mal so anfuhr. In ihrer momentanen Stimmung würde sie höchstens noch anfangen, sich für ihr Latein zu entschuldigen und zu rechtfertigen, zu erklären, dass sie ja lernte, dass sie sich anstrengte, dass sie vorhatte ihren Lehrer bei den Flaviern zu fragen, ob er sie in ihrer Freizeit noch unterrichten konnte. So aber erzählte sie weiter von dem Opfer, immerhin hatte er sie danach gefragt, und sie bemerkte nicht, dass seine Blicke immer wieder zu ihrem Bauch wanderten, bemerkte nicht, wie er an seinen Fingern zupfte, bemerkte nicht, wie so etwas wie Stolz in seinen Augen aufglomm. Sie war zu aufgeregt, zu nervös dafür. Stattdessen bemerkte sie nur die Zeichen, die ihre Angst noch verstärkten. Der scheinbare Ärger, der sich auf seinen Zügen abzeichnete, die Wut über diese Situation, in die sie ihn gebracht hatte. Siv schluckte erneut, und ihr Mund wurde immer trockener. Erneut versuchte sie sich zu sagen, dass er Zeit brauchte – sie hatte Tage, annähernd zwei Wochen gehabt, sich langsam daran zu gewöhnen, und wie sehr hatte sie sich in dieser Zeit geweigert, eine Schwangerschaft auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen, obwohl ihr recht früh dieser Gedanke gekommen war? Sobald sich dieser Gedanke zu einem Verdacht erhärtet gehabt hatte, hatte sie ihn verdrängt. Und erst seit ein paar Tagen war sie nicht mehr in der Lage dazu gewesen, hatte sie angefangen sich damit zu beschäftigen, den Gedanken zuzulassen, dass sie schwanger war. Corvinus dagegen wusste es erst seit wenigen Augenblicken. Und Siv wusste immer noch nicht, was das für ihn bedeutete, für jemanden wie ihn, mit seiner Position, seiner gesellschaftlichen Stellung in Rom, wenn seine Sklavin schwanger wurde. Ob er denn überhaupt großartig eine Wahl hatte.


    Sie wartete, beobachtete ihn, war froh, dass er sie selten länger musterte, weil sie nicht wusste, ob sie seinem Blick hätte standhalten können – und das, obwohl sie sich eigentlich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Aber sie fürchtete sich vor dem, was er als nächstes sagen würde. Und als er dann das Wort ergriff, zuckte sie erneut zusammen, allein wegen des Klanges seiner Stimme, der so nüchtern war, so distanziert. "Corvinus." Das war ihr mehr herausgerutscht als alles andere, und beinahe noch etwas anderes herausgekommen. Marcus, hatte ihr für einen Moment auf der Zunge gelegen, aber sie hatte nicht vergessen, wie er das erste und bisher letzte Mal darauf reagiert hatte, und sie nutzte seinen Namen ohnehin nur selten, nach wie vor. Aber ihre Stimme klang gequält. Und seinem Blick hielt sie dann tatsächlich nicht länger als wenige Augenblicke stand, bevor sie ihren erneut senkte. Ja, es würde wohl jeder wissen. Oder doch die meisten, hier im Haus jedenfalls. Es drängte sie zu fragen: na und? Dann wusste es eben jeder. Er war Römer, mehr noch, er war Patrizier und Senator, was hieß, er war nicht irgendwer, sondern reich und mächtig. Was musste er sich darum scheren, was andere sagten? Und Sklavinnen hatten sie alle, die Reichen in Rom, und das Bett teilten auch nicht wenige mit ihren Sklavinnen, das wusste Siv. Sie konnte doch nicht die einzige sein, die schwanger wurde. Nur, was passierte denn mit den anderen? Das war genau der Punkt. "Ich weiß nicht", kam leise über ihre Lippen. Traurig und unglücklich sah sie wieder hoch, sah ihn nun doch an, auch wenn es ihr nicht leicht fiel. Aber das hier war wichtig. Zu wichtig, um auszuweichen. Ihre Stimme jedoch klang keinen Deut weniger hilflos als zuvor. Hatte die Erzählung über das Opfer ihr noch geholfen, wusste sie jetzt nicht, was sie sagen sollte. "Ich weiß es nicht. Ich…" Sie holte Luft, und als sie weitersprach, hatte ihr Stimme etwas Verzweifeltes an sich. Sie wollte das Kind so gern behalten. Aber wenn er keine Wahl sah… "Ich will nicht Ärger für dich sein, oder machen. Oder Schwierigkeit. Ich… Der Medicus… kann kommen. Oder ich gehe, ich meine, du schickst mich zu Landgut, von dir, bis das Kind da ist… Oder ich bleibe hier, in Villa, und gehe nicht mehr hinaus…" Sie knirschte kurz mit den Zähnen, so fest biss sie sie aufeinander, während sie erneut um Beherrschung rang und gleichzeitig inständig hoffte, endlich etwas anderes in seinem Gesicht zu lesen als Verärgerung, und etwas anderes in seiner Stimme zu hören als diese furchtbare Neutralität, als ob ihn das gar nicht wirklich etwas angehen würde. "Ich weiß es nicht. Ich weiß es doch nicht, was du tun sollst. Ich… nicht gewollt, das, ich nicht wollte schwanger sein. Aber es passiert. Und jetzt… ich will das Kind. Und ich will sein bei dir. Mehr als alles. Aber… wenn das heißt Ärger, für dich… dann…" Siv beendete ihren Satz nicht, aber es wurde auch so deutlich, was sie sagen wollte.

  • Dass Siv deutlich zurückgerudert war, bewies nicht nur die distanziertere Anrede, die sie mir gegenüber wieder benutzte. Im balneum vor einiger Zeit war es anders gewesen, und warum sie jetzt wieder anders handelte, war mir nicht klar. Ihr Glück war nur, dass sie mich nun nicht dominus nannte. Was ich dann getan hätte, wusste ich nicht zu sagen. So presste ich nur die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und sah sie an. Siv aber hatte den Blick gesenkt. Sie wich mir aus, womöglich, weil sie wusste, dass es ein Fehler gewesen war, nicht gut genug dafür Sorge zu tragen, dass so etwas nicht passieren konnte. Doch Siv wirkte nicht schuldbewusst, sondern verängstigt, und in diesem Moment ging mir auch auf, warum das so war. Im Grunde konnte ich ihr alles nehmen, nicht nur das Kind, sondern wahrhaft alles. Eine tiefe Furche entstand auf meiner Stirn, während ich darüber nachdachte. Bisher war alles so selbstverständlich gewesen, der Umgang mit den Sklaven, ihre niedere Herkunft. Als Kind einer Sklavin würde der Kleine nicht unbedingt besser dastehen. Er wäre trotz des Umstandes, dass ich sein Vater war, nichts anderes als ein Sklave. Versteckter Sohn eines Senators und dennoch Mensch niederer Klasse.


    Unschlüssig sah ich Siv an. Ich ahnte, wie schwer es für sie sein mochte, auf den iatros und die Möglichkeiten sprechen zu kommen, die er anbot. Es wäre so leicht, zuzustimmen und alles weit von mir zu schieben, doch würde ich damit nicht gegen den Willen der Göttin verstoßen? Insgeheim gab ich Caecus die Schuld. Er hätte ihr nicht sagen sollen, worauf es bei einem Opfer ankam, denn dann hätte Iuno es doch ganz sicher nicht angenommen. Doch selbst wenn nicht - konnte ich denn mein eigen Fleisch und Blut verstoßen, ohne es überhaupt gesehen zu haben? Meine Kiefer mahlten aufeinander, ich war ratlos. "Ich will dich nicht fortschicken", sagte ich nachdenklich. "Und verstecken will ich dich auch nicht." Was nützte es schon, wenn ich Siv ein Jahr lang verbarg und dann wieder aufnahm? Das Kind an ihrer Seite würde ohnehin jeder sehen, wenn es soweit war. Ein tiefer Seufzer entwich mir, und ich lehnte mich so weit nach vorn, dass ich die Ellbogen auf die Oberschenkel stützen konnte. Die Hände bildeten ein nachdenkliches Dreieck um die Nasenwurzel herum und ich starrte Sivs abgewetzte Sandalen an. Ich hörte wohl, dass sie das Kind behalten wollte. Und dass sie andererseits auch bereit dazu war, darauf zu verzichten, wenn ich so entschied. Aber das war der Punkt. Konnte ich mich dagegen entscheiden, ohne Iuno zu erzürnen? Ich musste Zweisprache halten, mit ihr und mit mir selbst. Auf Sivs Worte antwortete ich nicht direkt. "Ich werde Celerina morgen fragen, ob sie meine Frau werden möchte", murmelte ich. Das war von langer Hand geplant. Weder wollte noch konnte ich sie vor den Kopf stoßen, wenn ich nicht mein Gesicht verlieren würde, nicht nur bei der Flavia. Selbst wenn Siv einen Sohn gebar und es ein Prachtbursche sein würde, so konnte ich ihn doch niemals offiziell anerkennen. Ein wenig verloren blickte ich auf dem Boden umher. Im Grunde hatte ich mich schon längst entschieden, auch wenn ich mich weigerte, zu akzeptieren, dass ich Vater werden würde. Das Verlangen nach dem Säcklein im geheimen Versteck beim Hausaltar wurde mit einem Mal übermächtig, obwohl ich lange Zeit nicht mehr davon genascht hatte. Ich sah auf, blickte Siv an, die dastand und mich hoffend ansah. Einige Herzschläge vergingen, dann stand ich auf. Der teure Stoff raschelte leise, als ich zu ihr ging und sie ein wenig abwesend an mich drückte. Dabei starrte ich die gegenüberliegende Wand an. "Ich muss in den Tempel gehen", sagte ich nur.

  • Seine Reaktion darauf, dass sie ihn beim Namen nannte, bemerkte sie noch, bevor sie wieder wegsah – und wieder meinte sie, einen Fehler damit gemacht zu haben, zu vertraut gehandelt zu haben. Sie sprach ihn so selten direkt an, hatte es stets vermieden, wo es ging – anfangs aus dem Unwillen heraus, einen anderen Menschen mit Herr anzureden, dann, als ihr Verhältnis stetig vertrauter geworden war, in der stillschweigenden Übereinkunft, dies nicht zu offensichtlich werden zu lassen. In letzter Zeit sehnte sie sich immer häufiger danach, ihn beim Namen zu nennen, sein Praenomen zu benutzen, jenen Namen, der den vertrautesten Menschen vorbehalten war. Aber sie hielt sich stets zurück. Seine Reaktion im Balneum war gewesen, sich zurückzuziehen, sie fortzuschicken, und in diesem Moment hätte sie viel ertragen, aber nicht das. Sie war bereit, jedenfalls glaubte sie das, ihm die Entscheidung zu überlassen, sich, ihren Körper und ihr Kind ihm anzuvertrauen und zu tun, was er letztlich für das Beste halten würde. Aber jetzt gehen zu müssen, ohne das irgendetwas klar war, allein gelassen zu werden mit dieser Unsicherheit, wäre zu viel. Sie schloss für einen Moment die Augen, als Corvinus dann antwortete. Er wollte sie nicht fortschicken. Und auch nicht verstecken. Ein Teil von ihr jubilierte, als sie das hörte, aber der Rest vernahm nicht nur die Worte, sondern auch den Tonfall. Und der verhieß nichts gutes in ihren Ohren, zumal Corvinus nach wie vor nichts über das Kind selbst gesagt hatte. Als sie ihn wieder ansah, war erneut er es, der seinen Blick woanders hin lenkte, zu ihren Sandalen, während er nun eine nachdenkliche Pose einnahm. Sie wusste nur nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Corvinus war so herausragend darin, zu verbergen, wie es in ihm aussah, in welche Richtung seine Gedanken gingen, und gerade jetzt wäre es ihr so wichtig gewesen zu sehen, was ihn umtrieb. Aber hatte sie nicht auch vor ihm verborgen, wie es ihr gegangen war – nur mit dem Unterschied, dass er nicht gewusst hatte, dass etwas los war? Zeit. Er braucht Zeit. Zeit. Zeit, hämmerte es in ihrem Kopf. Er brauchte Zeit. Mehr Zeit als ein paar Augenblicke. Es war nur so schwer für sie, das zu akzeptieren – und zu warten.


    Wieder drangen Worte an ihr Ohr, und als sie diesmal den Sinn begriff, realisierte, was er gesagt hatte, konnte Siv nicht verhindern, dass sie scharf die Luft einsog. Er heiratete die Flavia also tatsächlich. Sie hatte es gewusst, er hatte es nur zu deutlich gemacht, aber irgendwie war es ihr noch schwammig erschienen, wie etwas, das in ferner Zukunft passieren würde – nicht so bald schon. Hatte sie sich eben noch danach gesehnt, er möge seine Gedanken mit ihr teilen, wünschte sie sich jetzt beinahe das Gegenteil. Es ging um sie, sie beide, und das Kind, sein Kind, das sie unter dem Herzen trug. Was musste diese Flavia wieder zwischen ihnen stehen, was musste sie sich einmischen, sogar jetzt, in diesem Augenblick? Siv wusste, dass Celerina wenig dafür konnte, aber sie konnte nicht verhindern, dass Zorn in ihr aufwallte, Zorn auf die Flavia, dass sie wie ein Dämon zwischen ihnen schwebte und sich überall einzunisten schien, die Flavia, die, wenn sie in ihrer Situation wäre, sich sicher keine Sorgen machen müsste, ganz sicher nicht, der Corvinus kein zweifelndes Gesicht, sondern Freude entgegenbringen würde… Und gleichzeitig schwappte wieder eine Welle der Übelkeit hoch, die Siv nur mühsam wieder niederkämpfen konnte. Sie rang mit sich, mit ihrem Zorn und mit der Übelkeit, und sie brauchte Momente dafür, lange Momente, so kam es ihr vor. Aber schließlich meinte sie leise: "Du hast gesagt, du willst heiraten, sie. Du musst fragen dafür. Bevor sie will andere Mann." Was Siv zwar gefreut, aber niemals verstanden hätte. Corvinus war jemand, auf den es sich lohnte zu warten – und das dachte sie nicht nur, weil sie selbst ihn liebte, sondern weil sie wusste, dass er für Celerina einiges bieten konnte. Aber was würde sie dazu sagen, wenn sie erfuhr, dass Corvinus’ Leibsklavin schwanger war? Würde sie ahnen, wer der Vater war? Und wenn ja, was würde sie tun? Siv dämmerte, dass das Kind Corvinus noch viel mehr Schwierigkeiten bereiten konnte als sie bisher vermutet hatte. Konnte Celerina ihre Zustimmung zur Heirat davon abhängig machen, ob Siv das Kind austrug? Gar davon, ob sie seine Leibsklavin bleiben würde? Die Germanin presste die Kiefer aufeinander, bezwang eine weitere Welle der Übelkeit und versicherte sich stumm, dass Corvinus auf so etwas nicht eingehen würde. Er würde sich keine Vorschriften machen lassen, wer seine Sklaven waren. Er hatte sich für sie, Siv, entschieden, und er würde sich nicht von Celerina zu etwas drängen lassen, was er nicht wollte – wenn die Flavia denn überhaupt etwas davon erfuhr, wie ihr Verhältnis tatsächlich war. Nach außen war sie einfach eine Leibsklavin, die ihren Pflichten nachkam, sämtlichen Pflichten, so wie es üblich war, und auch wenn Siv es nicht immer gefiel, vor anderen so dazustehen, konnte sie sich damit doch abfinden. Es war ihr Stolz, der es ihr schwer machte als allzu brave und demütige Sklavin dastehen zu wollen – aber sie brauchte nicht das Gefühl zu haben, dass alle Welt wusste, wie es zwischen ihr und Corvinus wirklich aussah. Es reichte ihr, dass es so war.


    Erneut wurde Siv aus ihren Gedanken gerissen, als sie das Rascheln von Stoff hörte. Ihr Blick, der zwar auf Corvinus geruht, aber seltsam abwesend gewirkt hatte, konzentrierte sich wieder auf ihn, als er sich erhob und zu ihr kam. Als er sie an sich drückte, schloss sie ihre Augen, lehnte sich an ihn und presste ihr Gesicht an seine Brust, während sich ihre Hände in den Stoff daneben krallten. Nun kämpfte sie erneut gegen Tränen an, wieder erfolgreich. Sie verstand, dass er in den Tempel gehen wollte. Sie hatte ja selbst das Bedürfnis gehabt, zu ihren Göttern zu beten, als sie endlich akzeptiert hatte, dass sie schwanger war, hatte nach ihrem Rat gesucht und um ihren Beistand gebeten. Und sie hatte mehr bekommen, als sie erwartet hatte. Vielleicht hatten die Götter gewusst, was noch auf sie zukommen würde, hatten gewusst, dass sie Stärke und Vertrauen brauchen würde, weil Corvinus ebenso wie sie zuvor Zeit brauchen würde… Und doch ließ sie ihn nicht los, sondern blieb bei ihm stehen. "Bitte", wisperte sie. "Was willst du? Sag, bitte, irgendwas…" Bleib, drängte es sie zu bitten, aber das unterließ sie. Nimm mich mit, drängte es sie genauso. Aber auch das sagte sie nicht. Bei den Opfern, die sie dargebracht hatte, hätte sie ihn auch nicht mitgenommen. Sie hatte allein sein müssen, in jenem Moment, sowohl mit ihren Göttern als auch mit Iuno. Wenn er sie dabei haben wollte, würde er es sagen – wenn nicht, dann ging es ihm wie ihr. Aber sie brauchte etwas, irgendetwas, woran sie sich klammern konnte, während er weg war. Auch dann würde die Unsicherheit, das Warten schwer genug werden, vor allem für jemanden wie sie, die Untätigkeit nicht leiden und Geduld nicht zu ihren Stärken zählen konnte. "Sag irgendwas. Was du denkst, jetzt. Was… möglich ist. Was sein kann."

  • "Ich weiß." Das war alles, was ich bezüglich der Hochzeit entgegnete. Ich gab nicht zu, dass ich vor der Ungewissheit zurückschreckte, die eine Ehe für das eigene Leben mit sich brachte. Ich hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlen würde, eine Ehefrau zu haben, mich um sie zu kümmern. Dass es war, wie eine Schwester zu haben, wusste ich seit der Sache mit Deandra besser. Inzwischen hatte Prisca diese Stelle eingenommen, ohne bewusst etwas dafür zu tun. Dass ich manchmal noch an Deandra dachte, wie es früher war, erzählte ich keinem. Ich wusste, wie die meisten darüber dachten, und im Grunde war ich froh, dass mein Verlöbnis mit der vermeintlichen Schwester allmählich in Vergessenheit geraten war. Dennoch, ich konnte nicht einmal mir selbst eingestehen, dass ich Angst hatte vor dem, in das ich mich selbst hinein bugsierte. Eine Ehe brachte schon Veränderungen und Pflichten zur Genüge mit sich, doch würde ich nicht irgendwen heiraten, sondern eine Flavia, die Nichte meines besten Freundes. Dieser Umstand verschärfte all jenes nochmals, sodass ich nur mehr vorwärts, nicht aber zurück gehen konnte. Auch hier verbot es mir mein Stolz, mit jemand anderem außer Prisca darüber zu reden. Mit Aquilius, der schließlich direkt mit von der Partie war, war es mir ebenso wenig möglich, darüber zu regeln.


    Und nun das. Als wäre all dies nicht schon kolossal genug gewesen, hatte sich die Situation nochmals verschärft. Es war ein Kind auf dem Weg, ein Kind, dessen Geburt die Götter guthießen. Ich konnte mich unmöglich dagegen stellen, selbst wenn...selbst wenn ich es wollte. Was ich nicht tat, wie mir bewusst wurde. Der Duft von Sivs goldenem Haar kitzelte in meiner Nase, die kuriose Mischung von Herbem und Fruchtigem, die mir so vertraut war und nun so fremd schien. Kurz blitzte eine falsche Realität in meinem Geiste auf, die Langhäuser und einen See beinhaltete, gleichsam sommerliches Wetter und eine Welt abseits allem Standesdenken, doch beim nächsten Lidschlag schon wähnte ich mich wieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen, dem römischen Boden der Tatsachen. Wenn ich in jenem Moment einen Sinn dafür gehabt hätte, so wäre mir sicher das Klischee aufgefallen, dem Siv mit ihrer Was-denkst-du-Frage mehr denn entsprach. So aber, den Kopf angefüllt mit so vielschichtigen Gedanken, bemerkte ich nicht, wie klischeehaft dieser Moment war. Sie wollte wissen, was möglich war. Alles. Sie wollte wissen, was machbar war. Nicht weniger. Sie wollte wissen, an was ich dachte. An vieles und doch nichts Relevantes. Und sie wollte wissen, was ich wollte.


    Die Klarheit, die Prägnanz und Präzision dieser Frage schien vonnöten gewesen zu sein, dass ich mich näher damit auseinandersetzte. Sivs Hände, die den Stoff meiner tunica so kräftig zerknitterten, waren wie Haken, die mich in der Gegenwart hielten. Ich hielt sie gleichsam fest, weiterhin starrend und zugleich starr, gedankenverloren und zugleich gedankenlos. Mein Verstand wusste sich nicht klar zu artikulieren, und nach mehreren vergeblichen Ansätzen, etwas zu sagen, ganz gleich ob harsch, abschmetternd, aufbauend oder hoffnungschenkend, schwieg ich weiterhin. Ich hatte das Gefühl, ein jedes Wort würde falsch sein und doch nicht vermitteln können, was ich wirklich und wahrhaftig dachte. Stille zog sich wie zäher Honig dahin, nur unterbrochen vom rhythmischen Klopfen meines Herzens und dem Sivs. Gleich wie quälend ihre Worte auch gewesen waren, ich wusste keine Antwort. Nicht, weil ich sie nicht wissen wollte, sondern weil ich es wahrhaftig nicht wusste. Gequält schloss ich die Augen, gab mich der trügerischen Sicherheit der gewollten Düsternis hin, auch wenn sie erzwungen war, dem Duft ihres Haares, der Gewissheit, ihr Nahe zu sein. "Ich weiß es nicht, Siv. Ich weiß es nicht."


    Nicht mehr als eine Sekunde verstrich, bis ich mich von ihr löste, vermied, sie anzusehen. Mehr Aufmerksamkeit schenkte ich dem Boden zu meinen Füßen, betreten betrachtete ich die Maserung der feinen Mosaiksteinchen. "Ich... Entschuldige mich." Zerstreuung war es nicht, die mich diese Worte murmeln und dem Raum entschwinden ließ, ganz so, als sei es ein Rückzug aus feindlichem Gebiet. Ich ahnte nicht, nein, ich wusste, dass ich Siv damit nur mehr Fragen zurückließ als sie ohnehin schon hegen musste, und doch konnte ich nicht anders als zu fliehen vor der Wirklichkeit, gleichwohl sie mich verfolgte wie mein eigener Schatten, wohin ich auch ging. Dennoch, es galt, zu opfern, und dies würde ich tun und, so die Götter es wollten, eine Antwort finden - und wenn nicht dies, so zumindest ein kleines Stück der mir verlustig gegangenen inneren Ruhe.

  • Corvinus hielt sie weiterhin, aber es war keine Umarmung, die ihr Trost oder Geborgenheit schenkte. Vielmehr fühlte sie sich fast wie ein Fremdkörper in seinen Armen, oder als sei sie gar nicht da, als hielte er jemand anderen. Ihr Geständnis, dass sie schwanger war, hatte eine Distanz zwischen ihnen geschaffen, die auf ihre Art fast genauso groß zu sein schien wie jene nach ihrem Fluchtversuch, jedenfalls kam es Siv in diesem Moment so vor. Wieder wanderten ihre Gedanken unwillkürlich zu Ragin, drehten sich für Augenblicke darum, wie er reagiert hätte, wäre diese Situation vor zwei Jahren eingetreten. So anders. Er hätte so anders reagiert als Corvinus. Er hätte sich gefreut… Sie holte tief Luft, aber sie unterdrückte den Seufzer, mit dem die Luft wieder entweichen wollte. Stattdessen atmete sie bewusst langsam aus. Das hier war nicht Ragin. Und ihre Situation war eine völlig andere – nicht nur, weil sie sich über das Kind freute, gerade weil es von Corvinus war, sondern auch, weil sie war, was sie war. Eine Sklavin, seine Sklavin. Und er war Römer.


    Obwohl die Umarmung ihr kaum Zuflucht bot, drängte sie sich kurz noch näher an ihn, fast so, als könne sie das Gefühl der Geborgenheit erzwingen, nach dem sie sich so sehnte in diesem Augenblick. Dass ihre Reaktion, ihre Fragen, klischeehaft wirken mochten, war ihr nicht bewusst. Sie sprach aus, was sie dachte, so wie sie es stets tat, und sie wollte, musste wissen, was in ihm vorging. Es betraf ja schließlich sie, ihr Leben, ihren Körper. Sie konnte sich gar nicht weigern, wenn er erst einmal sich für eine Option entschieden hatte, sie konnte sich wehren, aber es nicht verhindern – aber mehr noch, sie wollte sich nicht weigern. Sie vertraute ihm. Wenn Corvinus tatsächlich entschied, dass es besser war, die Dienste des Arztes in Anspruch zu nehmen, dann würde sie tun, was er sagte. Weil sie ihm glaubte, dass er dann keine andere Wahl hatte, wollte er nicht Ruf und Ansehen verlieren, Dinge, die ihn zu dem machten, was er war… und die ihm und seiner Familie all das sicherten, was sie hatten. Aber sie wollte wissen, worauf sie sich einstellen musste. Tief in ihrem Innersten freute sie sich über dieses Kind, aber noch zögerte sie, es wirklich zu akzeptieren, so lange sie nicht sicher war, dass sie es behalten konnte. Sie wollte wissen, woran sie war. Aber Corvinus sagte gar nichts. Er hielt sie immer noch im Arm, aber er sagte nichts, und je mehr Zeit verstrich, desto mehr spürte Siv, wie die Angst sich in ihr ausbreitete. Und als er endlich sprach, war es nur ein Wispern von Worten, die ihre Angst nur verstärkten. Sie hasste es zu warten, hasste es, dermaßen im Dunkeln gelassen zu werden. Sich so hilflos zu fühlen. Aber sie fragte nicht weiter, wusste sie doch, dass sie keine andere Antwort bekommen würde – und zum Teil konnte sie es auch nachvollziehen. Nur half ihr das Verständnis für seine Lage wenig.


    Nur einen winzigen Augenblick später löste er sich von ihr. Siv musterte ihn, suchte seinen Blick, aber Corvinus wich ihr aus, murmelte eine Entschuldigung und verschwand dann ohne ein weiteres Wort. Und Siv stand da und starrte ihm nach. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie in der Lage war, sich zu rühren. Und selbst dann ließ sie sich nur in den Sessel fallen, in dem zuvor er gesessen hatte. Sie schien nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. In ihrem Kopf raste und tobte es, Möglichkeiten purzelten übereinander, Alternativen dessen, was sein könnte, und Fragen, Fragen, Fragen über Fragen. Es dauerte nicht lange, bis ihr dieses Wirrwarr an Gefühlen und Gedanken, vor allem aber die Unsicherheit und Angst zu viel wurden. Sie zog die Beine hoch und eng an ihren Körper, umschlang sie fest mit ihren Armen und barg ihr Gesicht an ihren Knien, während Tränen lautlos begannen, ihre Wangen hinunter zu laufen.


    ~~~ finis ~~~

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