Akademie des Marcus Achilleos

  • Alsunas Wut war interessant anzusehen. Ich dachte kurz darüber nach, sie einfach dazu zu zwingen, mitzukommen, aber das wollte ich ihr nicht antun. Einfach hier lassen konnte ich sie aber auch nicht. Eine herrenlose Sklavin in Rhakotis - nein, das ging so nicht. "Da ich dich als Sklavin nicht einfach hier lassen kann, während ich vielleicht für Jahre fort bin, werde ich dich dann freilassen. Ich werde mich mal erkundigen, wie so etwas geht."


    Ich nickte ihr kurz höflich zu, dann drehte ich mich um und ging über den Hof zur großen Halle. Das Wohnrecht in der Akademie würde sie dann verlieren. Aber das war ja wohl vorhersehbar. Und eine finanzielle Unterstützung konnte ich ihr auch nicht geben. Dazu war so eine Reise viel zu teuer.

  • Wie es schien war es ihrem Herrn inzwischen wiederum überaus vortrefflich gelungen, seine verdammt freundliche und aalglatte Maske zurück vor die Abgründe zu zerren, aus denen sein wahres Gesicht tatsächlich bestand. Vermutlich lediglich, damit er nicht aus der Übung käme, denn schließlich kannte Alsuna sein durchaus realistischeres Ich inzwischen zur Genüge. Interessanterweise ertrug sie jenes, obwohl es doch ungleich hässlicher war als sein jetziges Gehabe, doch um einiges besser. Dieses hier war nichts als blanker, leerer Hohn und die Germanin mochte es nicht, auf derart offensichtliche Weise für dumm verkauft zu werden.
    Zumindest sah Achilleos es ein, dass er sie wohl unmöglich gegen ihren Willen zu irgendeinem seltsamen Fleckchen im Osten zerren konnte. Und dass es nach seinem lebensfeindlichen Übergriff mit dem Herrn-Sklavin-Verhältnis anscheinend auch eher negativ bestellt war. Osten... die schlimmste Vorstellung wäre es, sich nicht mehr zu fast jedem Herzschlag mit der beruhigenden Aussicht trösten zu können, seinem Leben im Notfall immer noch irgendwie ein Ende zu bereiten. Noch viel größer war indes die Gefahr, es bar jedweder Vernunft trotzdem zu versuchen. Misslang es, wäre sie sehr wahrscheinlich am Ende ihres eigenen Daseins angelangt. Hatte sie wider Erwarten Erfolg, stünde sie vollkommen hilflos im Niemandsland. Darauf sollte sie es nun wirklich nicht ankommen lassen.


    Gut, sollte er sie eben freilassen. Sie würde hier schon zurecht kommen, immerhin kannte sie die Stadt, sie besaß Kontakte, und wie schwer konnte es schließlich sein, hier zu leben, wenn so viele Idioten dies scheinbar problemlos meisterten. So lange hatte sie auf die Freiheit gewartet, da würde sie nun gewiss nicht davor zurück schrecken, aus irgendwelchen sentimentalen Anflügen heraus.
    “Du bist übrigens im Begriff, gerade wieder davonzulaufen, nachdem du den Kindern hier gezeigt hast, was hätte sein können. Befände ich mich in deiner Haut, würde ich überhaupt nicht mehr hierher zurückkehren, wenn all die Kinder erwachsen sind und imstande ein Schwert zu führen.“
    In einem Anflug von Zynismus warf Alsuna ihrem davonstrebenden Jinshi noch ein verächtliches Lächeln zu, welches er ohnehin nicht mehr sehen konnte.

  • Das hatte gesessen! Ich blieb abrupt stehen, fast so, als wäre ich erstarrt. Ich drehte mich nicht um. Das Schlimme war, dass Alsuna schon wieder richtig lag - irgendwie. Nur wusste ich nicht, was ich nun tun sollte. Ich erinnerte mich an die Worte meines Meisters in Han: "Wenn du deinen Weg aus den Augen verloren hast, dann gehe zurück, bis du ihn wiederfindest. Dann kannst du ihn weitergehen." Nur, wo hatte ich eigentlich meinen Weg aus den Augen verloren? In Han? Oder bereits davor? Oder hatte ich inzwischen einen neuen Weg gefunden, den ich schon wieder verlor? Ich sah die Stufen hinauf zur großen Halle, wollte am liebsten loslaufen. Aber ich stand immer noch wie erstarrt da. Ich wollte mich umdrehen und Alsuna anschreien, aber ich tat nichts. Es wäre auch nicht gerecht gewesen. Also blieb ich einfach nur stehen, die linke Hand auf dem Knauf meines Schwertes, die rechte Hand an meinem Gürtel, stand ich da und starrte geradeaus.

  • Nicht gänzlich grundlos fühlte sich Alsuna ob der undurchsichtigen Reaktion ihres Herrn eher unwohl, wenngleich sie dies niemals in einem solchen Umfang eingestanden hätte. Natürlich war ihr nur zu bewusst, dass sie sich auch diesmal ungesund weit vorgewagt hatte, was ihre Kommentare und Äußerungen anbelangte, aus diesem Grunde drückte ihre Körperhaltung auch nach wie vor reinste Anspannung aus. In seiner Reaktion, die eigentlich gar nicht erfolgte, sah sie auch mitnichten einen Anlass zur Gelassenheit. Vermutlich lag sie nicht völlig daneben wenn sie damit rechnete, dass sein Zorn gerade die Grenze allen Irdischen passierte und sie im nächsten Augenblick kalten Stahl auf sich zurasen sähe. Dies wäre dann wahrscheinlich auch das letzte Bild, welches ihre Iris aufnehmen könnte, bevor die Schwärze des Todes sie verschluckte.
    Und dies natürlich ganz kurz vor der so lange ersehnten Freiheit? Ironie? Nein, nur ihre Unfähigkeit zu erkennen, wann die Grenze des Erträglichen bei ihrem Jinshi überschritten war. Zu ihrer Verteidigung musste sie jedoch leicht trotzig hinzufügen, dass Achilleos‘ Grenzen mitunter in Nebel und Staub nicht leicht zu erkennen waren.


    Insofern hätte es jedoch durchaus irgendwo ihr widerwilliges Verständnis gefunden, hätte dieser Mann ihrer beider Arbeitsverhältnis nun endgültig ‚getrennt‘. Aber er tat es nicht. Und er ging auch nicht unbeeindruckt weiter. Oder zitierte irgendeinen Sun Kim Ding. Nein, er tat oder sagte beunruhigenderweise rein gar nichts. Alsuna bezweifelte, dass dies ein gutes Zeichen sein mochte, für was auch immer. Vielleicht tat er dies auch des Öfteren und sie kannte ihn lediglich nicht lange genug, um diese unangenehme Situation angemessen einschätzen zu können. Eine plötzlich über ihn hereinbrechende Erleuchtung oder so. Allerdings schätzte sie die Gewalt ihrer sarkastischen Worte beileibe nicht für derart gewaltig ein. Vermutlich war es doch nur irgendeine Taktik, um sie in Sicherheit zu wiegen, den Wind und die Umgebungseinflüsse und sonstige Dinge zu berechnen und danach sein Schwert einfach in ihre Richtung zu schleudern, um sie gleich einer Fliege gegen die Tür ihrer Unterkunft zu zimmern. Das wäre kein schneller, gnadenvoller Tod, oh nein, das würde richtig fies werden.


    Womöglich sollte sie sich in ihre Räumlichkeit zurückziehen. Oder einfach so schnell wie möglich davonlaufen. Ja, laufen klang recht vernünftig. Andererseits... wovor sollte sie da gerade davonrennen? Vor einem Mann, der ihr den Rücken zuwandte? Gut, sie hatte am eigenen Leib gespürt, zu was der Kerl fähig war, oder besser noch, sie verspürte es auch gegenwärtig noch in ihrer Kehle. Doch sie war nicht feige. Und sie würde ihm vor allem nicht eine solche Genugtuung gönnen, sie ohne irgendeine Bewegung oder ein Wort in die Flucht schlagen zu können. Er sollte sich gefälligst wenigstens ein wenig die Hände schmutzig machen, wenn er sie schon loszuwerden gedachte.
    “Ach, mach dir keine Sorgen um die paar Gören. Ich bin sicher, sie verstehen deine Beweggründe, wenn du es ihnen ordentlich erklärst. Du musst schließlich auch einmal an dich denken, da du doch schon die ganze Zeit über ausschließlich deren Wohl im Sinn hattest.“ So, dies sollte nun wirklich genügen. Das war schon kein sachtes Anstupsen mehr, sondern vielmehr ein harter Stoß zwischen die Rippen.

  • Alsunas Zynismus war langsam unerträglich, aber aus einem mir unerfindlichen Grund kämpfte ich meinen Ärger herunter und blieb erstmal regungslos stehen. Dann gab ich ihr mit der rechten Hand ein Zeichen. Das Zeichen, das man im Militär gibt, um einen Halt zu befehlen. Eigentlich ein ziemlich eindeutiges Zeichen. Kein Wort, nur dieses eine Zeichen. Ob sie es verstand, wusste ich nicht. Langsam ließ ich die rechte Hand wieder sinken. Und drehte mich immer noch nicht um.


    Ich atmete ein paar mal tief durch, dann drehte ich mich langsam um. "Also gut, von freiem Mensch zu freiem Mensch: Was würdest du an meiner Stelle machen, Alsuna?" Meine Stimme war ruhig, ebenso meine Mimik.

  • Immerhin fiel nun diese unerträgliche Starre von ihm ab, und, ein noch viel größeres Wunder, er ging nicht in einer direkten, fließenden Bewegung zu ihrer Bestrafung über. Schließlich befand sich Alsuna nach wie vor in seinem Besitz, auch wenn er ihr vermutlich aus einer puren Laune heraus die Freiheit in Aussicht gestellt hatte. Doch an dieses Panorama glaubte die Germanin erst, wenn der Zeitpunkt wirklich gekommen wäre. Auf Spielchen in einem solchen Ausmaß verspürte sie nicht mehr die geringste Lust. Am Ende würde sie doch höchstens wieder verkauft, an den nächsten Verrückten, wie es sie zu Hunderttausenden in dieser verfluchten Stadt gab.
    Auch gänzlich ohne das Handzeichen hätte Alsuna aus reinem Instinkt heraus wohl erst einmal nichts weiter zu bemerken gewusst. Wenn er selbst auf diese gewaltige Spitze nicht reagiert hätte... nun gut, auf ihrer Zunge formten sich die Beleidigungen meist flinker, als es ihr Verstand für realisierbar erachtet hätte. Womöglich war es wirklich nicht unklug von ihm gewesen, ein Zeichen zu setzen dafür, dass es nun erst einmal genug des Stichelns war.


    Auch das wiederholte Durchatmen entging Alsuna nicht, schließlich konnte sie ihn nun, da er ihr den Rücken zuwandte, unverhohlen beobachten. Das änderte sich selbstverständlich, als er sich schließlich doch umdrehte und in erstaunlich gefasstem Tonfall antwortete. Seine Sklavin indes brauchte bis zu ihrer Erwiderung kaum einen Herzschlag verstreichen zu lassen.
    “Ich bin nicht frei.“ Und sie hatte auch beileibe nicht vor, sich diesen Zustand wie ein kleines Kind mit bunten Farben auszumalen. In dieser Hinsicht verstand sie wirklich keinen Spaß, obgleich sie über wesentlich ernstere Themen durchaus immer einen zynischen Witz mit sich herumtragen konnte.
    In einer möglicherweise zu gelassen wirkenden Intention verschränkte sie langsam die Arme vor der Brust zum Zeichen, dass sie diesbezüglich auch keinesfalls zu diskutieren gedachte. Ernsthaft, als ob sie jemandem wie ihm einen netten Ratschlag geben könnte! Seine Welt war doch derart zugeschüttet mit Regeln und Pflichten und Zitaten, dass sie wahrscheinlich nicht zu sagen gewusst hätte, wo sie mit dem Aufräumen anfangen sollte.

  • Nach einem nachdenklichen Nicken meinte ich schließlich "Das können wir ändern. Folge mir einfach." Dann ging ich die Stufen zur großen Halle hoch, durchquerte das Gebäude und ging in die Bibliothek. Ich sah dabei nicht zurück. Ob Alsuna mir folgte oder nicht war mir auch erstmal egal. Ich nahm ein Blatt Papier und den Tuschestein sowie einen dünnen Pinsel, dazu etwas Wasser, um die Tusche schreibfähig zu machen.


    Nachdem ich alles auf einen Tisch gestellt hatte, setzte ich mich davor und breitete zunächst die Arme aus, um sie dann so über den Tisch zu bewegen, dass ich nicht aus Versehen mit den Ärmeln über das Papier oder die Tusche kommen würde. Dann nahm ich den Pinsel und tauchte ihn in die Tusche. Ich schrieb sehr langsam, weil ich die Zeichen als Kalligraphien malte. Ich schrieb in zwei Spalten, links in Attisch und rechts das Gleiche nochmal in chinesischer Kanzleischrift.


    Schließlich war der Text fertig.



    Hiermit erkläre ich, Marcus Achilleos, dass Alsuna keine Sklavin ist, sondern vielmehr eine freie Person. Sie ist mit allen Rechten und Pflichten ausgestattet, die dieser Status gemäß den Gesetzen der Polis Alexandreia mit sich bringt.


    Natürlich füllte das bei weitem nicht das ganze Blatt. Doch zunächst suchte ich meinen Siegelstempel, dann benetzte ich ihn mit Tusche und setzte das Siegel unter den Text:



    Hiermit erkläre ich, Marcus Achilleos, dass Alsuna keine Sklavin ist, sondern vielmehr eine freie Person. Sie ist mit allen Rechten und Pflichten ausgestattet, die dieser Status gemäß den Gesetzen der Polis Alexandreia mit sich bringt.


    [Blockierte Grafik: http://www-public.rz.uni-duesseldorf.de/~anfun001/Siegel.jpg]


    Das ganze mutete mehr wie ein bürokratischer Akt an, den ich täglich zig-mal durchführte. Ich war in dieser Situation voll und ganz Beamter. Nachdem die Tusche getrocknet war, reichte ich Alsuna das Schriftstück. "Lies es dir genau durch. Wenn du Änderungen haben möchtest, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt."

  • Wollte er sie nun tatsächlich irgendwie... freilassen? Auf seltsame Art nicht unerheblich befriedigt nahm Alsunas Stolz zur Kenntnis, dass sie sich mitnichten freute bezüglich einer solchen Aussicht. Schließlich würde sie dem Kerl anschließend etwas wie Dankbarkeit entgegenbringen müssen – oder zumindest etwas in der Art. Aus eben diesem Grunde blieb ihre Miene verdunkelt während sie seine Handgriffe aus immer noch gebührender Entfernung beobachtete, trotz dessen sie ihm zögernd ein Stückweit gefolgt war. Das Ganze erschien ihr zunehmend wie ein absurdes Theaterstück, als bräuchte dieser Mann nun gewohnte Dinge und Tätigkeiten, um aus seiner zuvor noch so seltsamen Starre herausbrechen zu können. Was er da gerade tat, lag in seiner Absicht äonenweit entfernt von Freundlichkeiten oder Edelmut. Ganz gewiss stand er sich auch dabei selbst am Nächsten, sei es, um sich zu beruhigen, oder einfach nur eine Antwort auf seine Frage zu erhalten – was sie an seiner Stelle zu tun gedächte.


    Alsuna unterdrückte ein düsteres, freudloses Lachen. Es mochte verrückt erscheinen angesichts ihrer Lage und vor allem ihres brennenden Wunsches nach Freiheit, doch sie hatte nicht vor, es diesem Mann in irgendeiner noch so kleinen Weise irgendwie leichter zu machen.
    “Ich will es nicht.“ Der Satz war kurz genug, um das Brennen ihrer Kehle aus der Stimme weitestgehend fernzuhalten. Ihre Augen hefteten sich wie gewohnt etwa in der Höhe seiner Wangenknochen fest, ohne sich ihm oder dem Schriftstück auch nur einen Schritt weiter zu nähern.
    “Was immer du dort auch geschrieben haben magst läuft am Ende doch nur darauf hinaus, dass du deinen Willen bekommst. Ich erhalte meine Freiheit, damit du aus deiner Apathie entkommen kannst.“

  • Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit! Was war denn das? Wieso wollte sie nicht die Freiheit? Jeder wollte doch frei sein, obwohl so etwas wie echte Freiheit nicht existieren konnte, weil jeder irgendwelche Verpflichtungen hatte. Nichtsdestotrotz war das eine Antwort, die irgendwie keinen Sinn ergab. Und was sollte dieses "am Ende doch nur darauf hinaus, dass du deinen Willen bekommst"? Alsuna verwirrte mich. Was wollte sie? Was? Das ganze war doch absurd? WAS um alles in der Welt wollte sie?


    Ich lehnte mich zurück. "Und was willst du dann?" Das war wohl die einzige Möglichkeit, es zu erfahren. Obwohl sie diese Frage vermutlich nicht beantworten würde. Da hatte ich eigentlich keine Hoffnung. "Es macht doch gar keinen Sinn! Willst du dein Leben lang eine Sklavin sein? Du bist eine intelligente, schlagfertige Frau. Wieso willst du nicht die Freiheit? Hast du Angst, in der Freiheit klar zu kommen? Wieso? Du bist gebildet und weißt dich durchzusetzen. Denk noch einmal darüber nach."

  • Allem Anschein nach stellte ihre Antwort nicht ganz das dar, was dieser Mann erwartet hatte. Natürlich, was wäre logischer als die Annahme, dass eine Sklavin ihm auf Knien Dankbarkeit entgegenbringen würde, wenn er ihr doch das großmütige Geschenk der Freiheit offerierte? Es war so wundervoll einfach.
    “So, du verstehst meine Entscheidung also nicht? Und wie soll umgekehrt ich dir einen Rat bezüglich deiner eigenen Entscheidungsfindung geben können, wenn du bereits an einer solchen Kleinigkeit scheiterst? Wir sind viel zu verschieden, um uns auch nur annähernd in die Welt des anderen hineinversetzen zu können.“ Was sie nicht unerheblich freute. Sollte tatsächlich einmal der Tag kommen, an welchem sie die Denk- und Handelsweise Achilleos‘ verstand und nachzuvollziehen vermochte, wäre das wohl ihr persönlicher Tiefpunkt.


    Gebildet... ja sicher, kleine Kunststücke konnte sie vorführen, jedoch nichts, was tatsächlich die Bezeichnung ‚Bildung‘ rechtfertigte. Zudem hatte sie nicht vor, irgendetwas von diesen Errungenschaften, die sie gegen ihren Willen erlernen musste, für ihr ‚freies‘ Leben zur Verwendung zu bringen, einmal von den Grundkenntnissen wie Lesen und Schreiben abgesehen.
    “Ich brauche nicht noch einmal darüber nachzudenken. Jetzt, in diesem Rahmen, lehne ich ab. Und was ich will, werde ich dir nicht sagen, aus dem einfachen Grunde, weil du es mir ohnehin nicht zu geben vermagst.“

  • In Begleitung einiger Stadtwächter, die Stellung vor der Academie bezogen, erschien Thimótheos vor dem Gebäude und ließ von einem der Männer an die Tür klopfen, die ja tagsüber ohnehin offen stand. Dann trat er langsam ein, blieb jedoch hinter der Türschwelle stehen und wartete darauf empfangen zu werden.

  • "Schön. Wie du willst." Ich nahm das Schriftstück und zündete es an. Langsam brannte es ab, während ich ihm dabei zusah. Schließlich sah ich Alsuna wieder an. "Und wie soll das jetzt weiter gehen? Ich habe nicht vor, dich zu erschlagen, aber garantieren kann ich dafür nicht. Und du kannst mich nichtmal ansatzweise ausstehen. Also, wie stellst du dir das vor?"

  • Zugegeben, es war kein schönes Gefühl, die Aussicht auf Freiheit, endlich zum Greifen nahe, dort ein Opfer von Flammen werden zu sehen, die sie gierig zerfrassen. Doch Achilleos‘ unmittelbare Anwesenheit zwangen Alsuna, sich nichts von der Verzweiflung, welche in ihr aufkeimen wollte, anmerken zu lassen. Ebenso ihre Sturheit. Sie hatte es schließlich so gewollt und es war auch richtig so. Es fühlte sich fürchterlich an, doch dies würde vorbeigehen. Und es war tatsächlich derart, wie sie gesagt hatte. Sie wollte ein so besonderes Geschenk wie ihre Freiheit nicht durch die Hände eines solchen Mannes erlangen. Ob sie sich nun wirklich davor fürchtete, ungeschützt und mittellos durch die Stadt zu stromern, brauchte an dieser Stelle gar nicht erst erörtert zu werden, da es zu so etwas schlicht nicht käme. Bei ihr mochte es sich nur um eine Sklavin handeln, doch wenigstens hatte sie sich einen Rest Stolz bewahrt. Und sie hatte bereits so lange in diesem Stand ausgeharrt, dass es auf ein wenig länger nun auch nicht mehr ankäme. Besser so, als in Freiheit zu leben und ausgerechnet dadurch immer mit einer gewissen tauben Dankbarkeit an denjenigen denken zu müssen, der ihr dieses Leben ermöglicht hatte. Unter solcherlei Umständen hätte sie am Ende eine positive Empfindung mit ihm verbinden müssen, zwangsläufig, und dies verdiente er einfach nicht.


    Es war richtig so. Alsuna hob herausfordernd ihr Kinn ein wenig an und änderte den Blick zumindest auf eine Höhe mit seinen Augen, wenn auch ein gutes Stück links von ihnen. So, er konnte also nicht dafür garantieren, sie nicht zu erschlagen? Großartig, ebenso erging es ihr mit ihm, nur dass sie zu deutlich weniger offensichtlichen Mitteln greifen würde. Außerdem war es gut um sein Wissen zu erfahren, dass sie ihn nicht mochte. Insofern war sie in jenem Punkt zumindest deutlich genug gewesen. Und sie war es gewohnt unter Herrschaften zu dienen, welche sie verabscheute. Nur hatte sie jene dies niemals so deutlich spüren lassen wie Achilleos, der allerdings auch keinen Hehl aus seinen verabscheuungswürdigen Taten gemacht hatte und eine solche Reaktion förmlich herauszufordern schien. Selbst Hermione und ihr Vater waren im Vergleich dazu sanfte Lämmer gewesen. Nun wieder in die ihr zustehende Rolle zurückzufallen wäre nicht nur äußerst schwierig, da sie wahrscheinlich eine unangenehme Neigung zu halb verborgenen Spitzen in ihren Kommentaren entwickeln würde. Außerdem sträubte sich ihr Inneres dagegen, nach so etwas wie einem moralischen Sieg nun wieder die dumme kleine Sklavin zu mimen.


    “Ganz recht, ich kann dich nicht ausstehen. Was hast du erwartet, nachdem du mich erst schlägst, so dass ich keine Luft mehr bekomme und du anschließend einen seltsamen Sinneswandel nach dem anderen durchläufst? Ich habe keine Ahnung, nach welchen Prinzipien du handelst, du kannst mir zu jeder Äußerung irgendein Zitat vor die Füße werfen von einem noch so tollen Kerl aus dem Osten, der einmal etwas Weises gesagt hat, was zur gegenwärtigen Situation zu passen scheint, aber was ist mit deiner eigenen Meinung? Hältst du dich für so einfältig, dass du dich permanent nach anderen richten musst, um ja nicht vom rechten Weg abzukommen, wie auch immer der aussehen soll? Ich bezweifle, dass auch nur einer deiner klugen Männer jemals in Alexandria war oder dein Leben geführt hat, insofern passt nichts von dem, was sie sagen, zu dem, was hier passiert. Da ist es doch vollkommen klar, dass du unsicher bist und nicht weißt, was du machen sollst. Deswegen verstehst du auch mein Handeln nicht, weil keine deiner Philosophien dazu passt und du vermutlich keinen Versuch unternimmst, es von einem anderen, abweichenden Standpunkt aus zu betrachten.“ Alsuna nahm einen tieferen Atemzug und schluckt den Hustenreiz herunter, welcher sich in ihrer wieder zunehmend brüchiger werdenden Stimme abzeichnete. Stattdessen räusperte sie sich nur leise. Und hinter vorgehaltener Hand, ehe sie ergänzte, wenn auch etwas widerstrebend:
    “Du hast doch einmal etwas von einem ehemaligen Schüler erwähnt. Kann der nicht auf deine Schule aufpassen bis du wieder hier bist?“

  • Immerhin redete Alsuna Klartext. Das war etwas, das ich ihr durchaus positiv anrechnete. Auch wenn es eigentlich zu klar war. Ich dachte eigentlich, meinen Stolz so weit im Griff zu haben, dass ich mit Kritik umgehen konnte. Nur, dass Alsuna genau das kritisierte, was für mich am heiligsten war. Und das Schlimmste: Sie traf genau die Schwachpunkte, die ich ignorierte. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Ich hatte nie arrogant sein wollen, doch ich merkte, dass ich eigentlich die ganze Zeit über arrogant war. Das, was ich als wahr erachtet hatte, war die Wahrheit. Absolut. Ohne jeden Zweifel. Alle anderen irrten! Meine Deutung der Schriften war richtig, und zwar nur meine! Natürlich konnte das nicht sein, schließlich war ich kein Gott, aber das bedeutete nicht, dass ich einen Irrtum meinerseits zugeben würde. Vor allem, weil ich mir selbst nicht eingestehen konnte, falsch zu liegen.


    "Wir sind also darin einig, dass wir uns nicht ausstehen können. Schön. Dann haben wir immerhin in einer Sache Einigkeit erzielt!" Meine Antwort war trotzig. Argumente hatte ich schon lange keine mehr. "Meine eigene Meinung ist unbedeutend. Ich bin auch unbedeutend. Du übrigens auch. Allein das Gemeinwohl hat Bedeutung. Und was meine Zitate anbetrifft: Vielleicht bin ich ja wirklich so einfältig, dass ich nur mit Zitaten leben kann? Vielleicht bin ich zu dumm, einen anderen Standpunkt einzunehmen? Schonmal daran gedacht?" Ich sah sie herausfordernd an. Zu meinem Schüler Stratocles äußerte ich mich absichtlich nicht. er würde die Akademie sicher gerne für mich am Laufen halten, aber ich hatte beschlossen, ihn aus der ganzen Sache heraus zu halten. Schließlich hatte er sein Leben in dieser Stadt noch vor sich. Da war Kontakt mit mir eher schädlich.
    "Im Übrigen sehe ich überhaupt nicht ein, mich zu ändern, nur damit diese bornierten, oberflächlichen Griechen weiterhin in ihrer Fantasiewelt leben können! Sie kriegen nicht auf die Reihe, weil sie sich dauernd streiten, und halten sich für die Größten! Tolles Volk! Und so soll ich werden?"

  • "Ach, DU kannst MICH also nicht ausstehen?! Verzeihung, ich hoffe, die Berührung mit meinem Hals hat deiner Hand nicht irgendwelche bleibenden Schäden zugefügt!" Das war schlicht und ergreifend die Höhe, ihre Abscheu aufgrund der Misshandlung mit seinem beleidigten Stolz auf eine Stufe zu rücken und anzugleichen, als läge hier derselbe Fall in umgekehrter Reihenfolge vor. Und zumindest hatte sie anfänglich versucht, ihm bezüglich seiner Wünsche gefällig zu sein, er hingegen war von vornherein in sein absurdes Theaterspiel verfallen. Nur weil sie das irgendwie enttarnt hatte, war sie ihm nun also schrecklich zuwider? Das hatte er doch wohl eindeutig seinen eigenen verschlungenen Machenschaften zu verdanken!
    Inzwischen stellte es sich als deutlichen Nachteil heraus, so permanent den Blick seines Gegners zu meiden. Nicht nur wirkte sie dadurch unsicher, es gelang ihr zudem deutlich schlechter, seine Stimmung abzulesen. Andererseits war diesem Menschen der Umgang mit einer entstellenden, freundlichen Maske nur zu vertraut, wahrscheinlich sah er so unverschämt ruhig aus wie eh und je.
    Alsuna hingegen bemerkte zu ihrem größten Missfallen, dass sie sich augenblicklich ein wenig zu sehr in diesen Disput hineinzusteigern begann, vielleicht gerade weil sie seit Jahren auf eine passende Gelegenheit wartete, einer 'Herrschaftlichkeit' einmal ohne jedwede höfliche Zurückhaltung die Meinung ins Gesicht zu schreien. Zwar war sie trotz ihres steigenden Pulsschlages noch recht weit entfernt von Äußerungen, die den Titel 'Schreien' verdienten, doch die Anspannung umgab sie schon beinahe wie greifbare, aufgeladene Gewitterwolken. Da half auch nicht das Wissen um ihre natürliche, schmähliche Niederlage, mit der diese Auseinandersetzung zwangsläufig enden musste, und nach welcher ihr wahrscheinlich irgendein nicht unwichtiger Körperteil erhebliche Schmerzen bereitete, wenn sie denn noch imstande sein sollte, etwas zu fühlen.


    Wenigstens hielten seine Worte sie überaus erfolgreich davon ab, weder ihre Aufmerksamkeit noch ihre Gedanken auf den kümmerlich rauchenden Rest ihrer Freiheitsaussichten zu lenken. Ihre Augen weiteten sich sowohl verständnislos wie auch ungläubig angesichts der Absonderlichkeiten, welche ihr nicht minder zweifelndes Ohr da gerade zu hören glaubte. Weswegen fing er denn jetzt mit den Griechen an? Eine persönliche Beleidigung konnte damit kaum gemeint sein, selbst im Zwielicht sah man ihr die nordische Abstammung noch mehr als deutlich an. Und dass sie ihren ehemaligen Herrschaften kaum eine positive Empfindung entgegenbrachte, dürfte er inzwischen auch erfasst haben.
    Die Sklavin biss die Zähne ohnehin bereits fest aufeinander, um nicht kräftig seine Annahme bezüglich Dummheit zu bestätigen. Wahrscheinlich wollte er genau das erreichen, sie in ihrer offensichtlichen Impulsivität einen Fehler begehen lassen. Gewiss vermochte dieser Bastard jeden Gegner in Grund und Boden zu argumentieren, war ein gefeierter Redner und hatte sich unlängst die Zunge in Gold aufwiegen lassen. Natürlich, er basaß schließlich genug Selbstbewusstsein, denn jeden überlegeneren Rhetoriker konnte er mit einem kurzen Handstreich die Sprache rauben.


    "Es gibt da einen kleinen Unterschied zwischen 'dumm sein' und 'sich dumm verhalten'! Wenn du dumm wärst, hättest du dir dieses ganze Philosophiezeug bestimmt nicht merken können, zusätzlich zu den anderen dreitausend Gebieten, auf denen du unschlagbar glänzt! Und warum musst du bitte immer wie irgendwer werden? Oder gar ein ganzes Volk? Werd doch zur Abwechslung einfach mal du selbst, und wenn was allzu Enttäuschendes dabei rauskommt, kannst du dich immer noch umentscheiden! Schreib deine eigenen Zitate, kehr mal vor deiner eigenen Haustür! Und pack vor allem mal deinen Größenwahn ein, der beantragt ja schon bald sein Recht auf einen eigenen Staat! Als würdest du allein als Auserwählter alle Griechen auf den rechten Weg führen müssen! Oder können! Abgesehen davon können sie rein logisch betrachtet gar nicht die Größten sein, diesen Platz hast du dir doch schon längst unter den Nagel gerissen, oder?!"

  • "WAAAS? DU WAGST ES..." Jetzt hatte ich tatsächlich geschrien. Ich spürte die Wut in mir aufsteigen und hatte bereits meine recht Hand erhoben, Zeige- und Mittelfinger aneinander gelegt ausgestreckt, um ihr erneut durch einen Schlag die Sprache zu rauben... und hielt inne. "Bestrafe niemanden dafür, dass dir etwas gesagt wird, was du nicht hören willst. Höre lieber zu!" schoss es mir durch den Kopf. Ich zitierte niemanden, es was mein eigener Gedanke. Die Muskelspannung der Hand, die drohend erhoben in die Luft ragte, hob ich auf und langsam nahm ich die Hand wieder herunter.


    Einen Moment lang sagte ich nichts und sah sie nur an. Dann sagte ich, noch immer leicht wütend "Ich bin Jinshi, Beamter des Sohns des Himmels, Verteidiger von Recht und Ordnung! Ich bin mein Amt, mein Rang, meine Stufe! Meine Person ist unbedeutend!" Das war der Kodex, den ich angenommen hatte. Selbstaufgabe für das Reich. "Und ich bin nicht größen... wahn... [SIZE=7]sinnig...[/SIZE]"


    Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich verletzlich. Wer war ich? Vermutlich kannte Alsuna mich besser als ich mich selbst kannte. Nur konnte ich von ihr keine Hilfe erwarten. Die Wut war der Unsicherheit gewichen, aus der sie vermutlich auch entstanden war. "Und das mit deinem Hals..." Mein Stolz hielt mich davon ab, mich ernsthaft zu entschuldigen. Ja, es tat mir leid. Ja, ich war ungerecht. Aber das konnte ich unmöglich zugeben. "Du weißt ganz genau, was ich sagen will! Und schau nicht dauernd an mir vorbei! So häßlich bin ich nicht... oder doch? Ist auch egal... ach, verdammt!" Jetzt war ich wirklich unsicher.

  • Schön, das war dann wohl das Ende ihres Daseins. Ein erfülltes Leben sah vermutlich anders aus als das, was sie bislang in ihren Erinnerungen trug, doch selbst wenn sie inzwischen nur zu genau wusste, was für eine tödlich präzise Waffe seine Hand sein konnte, so teilte ihr doch bereits eine geringe Spur Realitätssinn mit, dass selbst eine kleine Armee bewaffneter Soldaten ihr Leben um höchstens zehn adrenalingepeitschte Herzschläge verlängert hätte. Wahrscheinlich hätte Achilleos ihre Wachen noch benutzt, um sie darunter zu begraben und langsam am Gewicht ersticken zu lassen. Ja, das würde zu ihm passen. Und während ihr langsam die Sinne schwanden, die schwarzen Schatten stetig mehr von ihrem Gesichtsfeld eroberten, würde dieser Mann seelenruhig noch irgendwelche Gesetze zitieren und ihr als Dreingabe damit den Weg in die Unterwelt erleuchten. Wenigstens hätte das Sterben dann noch irgendwie etwas Angenehmes, sie würde niemals mehr die wichtigtuerische Stimme dieses Fanatikers in ihrem Kopf hören müssen. Sofern Hades nicht den Tartarus für sie vorsah. Dies konnte in der Tat sehr übel enden.
    Natürlich war sie trotz ihres Wissens darüber, dass er sehr wahrscheinlich gerade eine provozierende Taktik durchführte, auf genau diese Taktik schmählich hereingefallen. Ihre Selbstbeherrschung schien von seinem Angriff relativ tödlich getroffen worden zu sein, ebenso wie ihr bislang eigentlich sehr gesunder Selbsterhaltungstrieb. Dabei hätte sie das doch eigentlich zurück in ihre braven, unterwürfigen Bahnen schubsen sollen. Wäre dieser Schlag stumm dahergekommen, wäre ihm dies sicherlich auch gelungen, doch sein Fanatismus hatte irgendwie eine Grenze in ihr gesprengt. Nicht etwa, dass alles in ihrem vorherigen Haushalt ihren inneren Werten entsprochen hätte oder ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit. Womöglich hatte sie jenen Gesellen auch schlicht einiges mehr durchgehen lassen, weil sie sich unfreiwillig an deren Art gewöhnt hatte.


    Glücklicherweise würde sie sich an Achilleos' Art sehr wahrscheinlich niemals gewöhnen. Nun, da sie ihrem schmerzhaften Tod entgegenblickte, erst recht nicht. Was hatte sie auch ihre Klappe nicht halten können? Zusätzlich zu diesen berechtigten Vorwürfen bemerkte Alsuna mit einem Gefühl der frustrierten Beschämung, dass sie trotz aller herbeigesehnter Abgebrühtheit zwar einen ihren Stand stabilisierenden Schritt zurückgemacht hatte, es dann mit ihrer Defensivhaltung jämmerlich bergab ging. Die Schultern hochziehen wie ein Kleinkind gehörte gewiss nicht zu diesem Plan, und auch das Schließen der Augen erhöhte für gewöhnlich nicht unbedingt die Wahrscheinlichkeit einer glücklichen Abwehr. Letztendlich war er eben doch ihr Herr, und wenn er handgreiflich wurde, hielt sie folgsam still. So wütend sie diese Barriere auch machte, so sehr sie sich verbal kurz vorher noch darüber hinweggesetzt hatte, als existiere sie gar nicht, nun war sie da und Alsuna gelang es nicht einmal, mit einer Fingerspitze darüber zu gelangen. Hervorragend, ein Ziel wie ein leuchtend rot angemaltes Scheuentor bot sie da gegenwärtig für jemanden mit seinen Fähigkeiten. Und dann...


    ... geschah nichts. Das war deutlich weniger als erwartet. Oder war sein Angriff dermaßen schnell erfolgt, dass sie nicht einmal den Luftzug der Bewegung oder eine Berührung gespürt hatte? Setzte der Schmerz womöglich erst später ein? Zögernd sog Alsuna die Luft etwas tiefer in ihre Lungen. Es funktionierte tadellos. Ihr Herz schlug auch noch, beinahe schmerzhaft panisch, aber eindeutig. Vorsichtig wagte Alsuna ein Blinzeln, nicht zuletzt, weil ihr fassungsloser Stolz ihr einen solchen Befehl ins Ohr schrie.
    Achilleos schien seltsam erstarrt. Das war gut.
    Und er nahm die bereits erhobene Hand herunter. Das war noch besser - auf den ersten Blick.
    Was dann folgte war - bedenklich. Erneut empfand es Alsuna als eher hinderlich, nicht seine komplette Mimik betrachten zu können, von der das wenige Licht ohnehin nicht allzu viel preisgab, doch andererseits mochte sie vielleicht dankbar sein. Dieses Vorbeten um seine Person besaß nichts wirklich Beruhigendes. Eher einen Grund um zügig Gute Nacht zu wünschen und rasch das Weite zu suchen. Sobald sie die eisige Starre abgeschüttelt hätte wäre dies auch eben jenes, was sie als Erstes in die Tat umsetzte.


    Nein, ach was, er war doch nicht größenwahnsinnig. Er besaß einen vollkommen gesunden, natürlichen Blickwinkel auf seine Person und seine Aufgaben in der Welt. Und, was war mit ihrem Hals? Blinzelnd und nicht wirklich beruhigt wartete Alsuna auf die aufklärende Fortsetzung dieses Satzes, welche leider - oder zum Glück? - nicht erfolgte. Ein halber, abgebrochener Satz? Das sah diesem Kerl gar nicht ähnlich. Bestimmt existierte auch irgendwo ein Gesetz dagegen, einen Satz unbeendet im Raum schweben zu lassen.
    Wie, sie wusste ganz genau, was er meinte? Nun erst recht irritiert weiteten sich Alsunas grüne Augen und starrten den 'Verteidiger von Recht und Ordnung' an - beziehungsweise das übliche kleine Stück an ihm vorbei. Was er ihr auch postwendend zum Vorwurf machte. Hallo? Langsam und dabei ihre leicht geduckte Haltung nun wieder aufrichtend sog Alsuna den Atem ein. Suchte dieser verfluchte Kerl da gerade fröhlich nach Anlässen, um sie weiter zu beschimpfen? Und dann spielte er auch noch den Ahnungslosen! Was bei den Furien hatte er da gerade vor?!
    "Ja, du bist hässlich. Du bist so hässlich, dass man dich zum Unkrautvernichten einsetzen könnte. Und nein, ich habe keine Ahnung, was du mir sagen willst. Ich trage meine Gedankenlesehaarnadel heute leider nicht." Trocken wie ägyptischer Wüstensand waren diese Worte über ihre Lippen gekommen, einmal mehr bevor sie darüber großartig nachgedacht hatte. Nun gut, das war.... gemein gewesen. Andererseits verspürte die Germanin wenig Lust, doch noch plötzlich und unvermutet von dem anscheinend schon geschlagenen Kriegerdämon die Strafe ihres Lebens verpasst zu bekommen, nur weil sie plötzlich von Barmherzigkeit gepackt wurde. Die er schließlich auch nie gezeigt hatte, so man seinen eigenen Worten Glauben schenken durfte. Was interessierte es ihn überhaupt plötzlich, ob er hässlich war?!
    "Ich könnte dich ja mal rasieren", ergänzte sie schließlich doch etwas widerwillig und weniger spitzzüngig. Gut, ein Freundschaftsangebot sah anders aus. Doch es sollte auch beileibe keines darstellen.

  • Erstaunlich ruhig ließ ich die Beleidigungen über mich ergehen. Das lag sicher zu einem großen Teil daran, dass ich zu verwirrt war, um noch irgend einen klaren Gedanken zu fassen. "Es besteht kein Grund, persönlich beleidigend zu werden. Andererseits kenne ich das noch..." "von meiner Frau. Hin und wieder, wenn wir uns gestritten hatten." Natürlich äußerte ich diesen Gedanken nicht. "Egal. Mein Bart gefällt mir so, wie er ist. wenn ich dadurch hässlich bin, na gut, meinetwegen." Ich zuckte mit den Schultern.


    "Was ich dir sagen wollte... es... naja... ich war ungerecht dir gegenüber und... ähm..." Vielleicht sollte ich es einfach auf Chinesisch sagen? Nein, das war nicht nötig. Der Edle sollte stets den Mut haben, die Wahrheit zu sagen. Und er sollte nie zu stolz sein, einen Fehler einzugestehen. [SIZE=7]"Es tut mir leid."[/SIZE] "Ja, ganz toll, Marcus! Einfach flüstern! Das war ja mal echt mutig, das hat sie vermutlich nichtmal gehört!" "Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun sollen. Auch wenn ich als Herr natürlich... nein, ich darf jetzt keine Rechtfertigung suchen. Ich hätte das nicht tun sollen. Genau. Hätte ich nicht." Ich nickte nachdenklich, als müsste ich mir selbst bestätigen, was ich gerade gesagt hatte.

  • Selbstverständlich besaß die Vorstellung, mit einem scharfen Messer an seiner ungeschützten Kehle fuchteln zu können, etwas unerhört Reizvolles. Doch es war Alsuna bereits im Vorfeld irgendwie bewusst, dass sie ihre kaltblütige Entschlossenheit auf anderem Wege würde prüfen müssen, weil die Kehle in diesem Bild einen vorzeitigen Rückzieher anstrebte. Und so kam es denn auch. Wenigstens war er es anscheinend schon von anderer Seite gewohnt, beleidigt zu werden, allerdings mussten diese Zurechtweisungen ungesund weit zurück liegen, hätten sie ihm womöglich ansonsten einmal ordentlich den verrückten Kopf zurechtgezogen. Andererseits, vielleicht war diese ganze Fanatiker-Geschichte auch erst deren Schuld.
    Uninteressant, was grübelte sie überhaupt über das Warum? und Wie? nach, wenn sie doch eher froh sein sollte, nach ihren Worten noch unter den lebenden Seelen zu weilen. So lebendig ein Sklave eben sein konnte. Gemächlich, mit der Ruhe eines kleinen Sieges, verschränkte Alsuna die Arme vor der Brust und vermied so seinen Blick auf ihre noch immer zitternden Fingerspitzen, welche die angebliche Gelassenheit übelst Lügen straften. Aha, nun war es ihm also wieder vollkommen gleich, ob er hässlich war. Nun, wahrscheinlich war sein Bart der falsche Ansatzpunkt gewesen, vielleicht hegte er irgendeinen lächerlich-männlichen Stolz bezüglich dieses Dings. Gut, sollte er ihn eben behalten. Sie konnte sich selbst bei allem Sadismus' nettere Tätigkeiten vorstellen, als ihn zu rasieren. Schön, er hatte ihr dürftiges, nicht ganz ernstes, ohnehin von Anfang an zum Scheitern eingestuftes Angebot zurückgewiesen. Und? Warum sollte sie sich deswegen aufregen? Nur weil er alle paar Takte die Richtung wechselte wie ein Hasenrammler auf der Flucht? Tze. Wenn ihm dies Spaß machte. Sein Pech. Sie hätte ihn schon nicht geschnitten. Nicht tief. Nicht so heftig, wie sie ihn nun schneiden würde, sollte dieser Idiot doch plötzlich auf die Idee kommen, von ihr rasiert werden zu wollen.


    Alsuna räusperte sich noch einmal leise, doch scharf, und ein beruhigend üppiger Schmerz zerkratzte prompt ihre Kehle. Zufrieden verbiss sie sich ein Lächeln und verfolgte stattdessen mit geradezu lauerndem Ernst seine Versuche, ihr etwas mitzuteilen, das offensichtlich bar seines bisherigen Wirkungsfeldes lag. Zweifel und ein gewisses Maß an Misstrauen lagen ihr dabei deutlich auf den Gesichtszügen, was durch seine etwas stockende Rede und das zwischenzeitliche Flüstern nicht entschärft wurde. Beinahe hätte sie ihre Hand ans Ohr gelegt und sich überdeutlich nach vorne gebeugt, doch Achilleos schien das Problem rechtzeitig von selbst entdeckt zu haben.
    Er entschuldigte sich? Die Germanin war derart perplex, dass selbst ihre Gedanken auf die Schnelle keine zynische Bemerkung darzubieten wussten. Im Grunde existierte tatsächlich kein Anlass für ein solches... Eingeständnis, denn wie er schon ansetzte, er war ihr verdammter Herr. Und so vollkommen überzeugt schien er selbst nicht davon zu sein, gerade das Richtige zu tun. Was hatte ihn dazu nur bewegt? Wohl kaum ihre dauernden Beschwerden. Dieser Mann schien eindeutig mehr als eine Seele zu besitzen, wahrscheinlich einen ganzen Haufen, von denen jede einmal seine Zunge kontrollieren durfte.


    Eine schmale Augenbraue blieb nach wie vor zweifelnd angehoben, wenngleich ihr mittlerweile eine Menge Bemerkungen auf den Lippen tanzten und nur darauf warteten, Stimme verliehen zu bekommen. Insbesondere, da der Größenwahn nun die Seiten zu wechseln schien, was nur natürlich war, wenn man einer Sklavin wie Alsuna den kleinen Finger reichte. Zudem hatte er ihren Versuch vorhin ja auch zurückgewiesen. Weswegen sollte sie da plötzlich mit Freundlichkeit kommen und ihm strahlend um den Hals fallen? Andererseits würde ihn dieses Verhalten wahrscheinlich unter den Tisch schockieren. Da reizte es doch beinahe schon, es wirklich zu tun, aber auch die Germanin hing an ihrem Rest Würde.
    In ihren Augen blitzte es kühl, während diese sich leicht verengten und sich der Kopf etwas senkte, was den Eindruck erweckte, als befände sich genau hinter Achilleos der Mörder ihrer geliebten Katze.
    "Natürlich hättest du es tun sollen. Ich bin deine Sklavin und ich habe dich beleidigt. Du besitzt jedes Recht der Welt, mich zu schlagen, zu verstümmeln, zu misshandeln, zu töten. Du kannst mich nicht mal ausstehen. Also, was soll das alles? Die Frage, ob du hässlich bist? Sollte ich dir von deiner Schönheit vorschwärmen? Was wolltest du hören? Dass ich es kaum erwarten kann, das Lager mit dir zu teilen?" Gleichzeitig mit dem ruhigen Schritt, den sie auf Achilleos zumachte, senkte sich ihre Stimme in der ohnehin gedämpften Lautstärke noch ein wenig mehr.
    "Ich werde das dumpfe Gefühl nicht los, dass du selbst überhaupt nicht weißt, was du eigentlich willst."

  • "Es geht hier doch nicht, darum, ob ich das Recht dazu hatte." War das gerade ich selbst, der da sprach? "Es geht darum, was richtig ist und was falsch ist."
    Jetzt machte sie auch noch einen Schritt auf mich zu. "Ich habe mich nie gefragt, was ich will. Wie soll ich es da wissen? Ich bin es gewohnt, zu dienen. Zwar keinem Herrn, aber einem Staat." Das war sie, die einfache Wahrheit. Der große Zixi De, ein treuer Diener des Staates, der sich selbst unter die Bedürfnisse des Staates stellt. Ein mustergültiger Beamter sozusagen, ein Vorbild für alle Staatsdiener. Nur dann kreativ sein und denken, wenn es dafür kein Gesetz, keine Vorschrift, keinen Befehl gibt. Ansonsten stets treu ausführen, was einem aufgetragen wird.

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