Oikos der Familie des Geórgios Krateidos


  • Inmitten von den herunter gekommenen und ärmlichen Häusern dieses Viertels liegt auch das Anwesen von Geórgios Krateidos. Von Außen unterscheidet es sich wenig von den übrigen Häusern in Rhakotis. Mal davon abgesehen, dass Geórgios' Familie das ganze Haus bewohnt und nicht viele Familien sich auf engsten Raum zusammen drängen. Aus Lehm und Tonsteinen ist das Haus gebaut. Eine fensterlose Fassade zeigt sich zu der belebten Straße, einer der Hauptstraßen von Rhakotis. Das Haus besitzt zwei Stockwerke. Durch den Eingang kommt man gleich in den mit Säulen geschmückten Innenhof, wo auch der Altar des Hauses steht. Im unteren Geschoss finden sich Wohnräume, Esszimmer, Küche, Vorratsraum und ein seit längerem leer stehendes Geschäft, das zur Straße hinaus geht. In der oberen Etage liegen die Schlafzimmer der Familie und auch die Räume der Sklaven, die nicht nur im Haus mit essen und arbeiten, sondern gleichsam mit der Familie leben.

  • Nach meinen ganzen Reisen wollte ich Athene - und eigentlich auch noch Hermes - dafür danken, dass sie immer auf mich aufgepasst haben. Nur wie? Ich hatte inzwischen so viel verlernt, dass ich lieber einen Priester fragen wollte. Glücklicherweise waren Priester meistens in ihrer Gegend gut bekannt und so brauchte ich meine Nachbarn nur kurz fragen, und schon beschrieben sie mir den Weg zum Haus eines Priesters. Durch die Lage an einer Hauptstraße war es auch recht einfach zu finden.


    Vor dem Haus des Priesters angekommen richtete ich kurz meine - fremdländische - Kleidung und klopfte an die Tür. Ich hoffte, dass es nicht allzu unhöflich war, einen Priester privat aufzusuchen, anstatt in einen Tempel zu gehen, aber im Tempel hatte alles einen formellen Charakter und ich wollte erst einmal informell reden. Nun wartete ich gespannt, ob mir jemand öffnen würde.

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    Zu den Füßen seines Herrn saß Mános und spielte leise auf der Flöte. So, wie er es früher getan hatte, als er noch mehr in der Gunst von Geórgios stand. Er hörte die Rohrfeder über Pergament (aus Pergamon natürlich) kratzen. Die Fensterläden zum Arbeitszimmer waren nur halb angelehnt. Die Sonne des Tages fiel in Streifen auf Mános und wärmten sein Gesicht. Dennoch fand er es einfach schrecklich unbequem auf dem Boden zu sitzen. Anders als früher. Als er noch jünger an Jahren und ein Jüngling war. Aber anscheinend gefiel es seinem Herrn, die früheren Jahre herauf zu beschwören. Und Mános wollte dem nicht widersprechen.


    Ein Klopfen unterbrach sein Spiel. Mános stockte und sah fragend zu Geórgios hoch, der die Feder sinken liess und einen Moment wartete. Doch weder die Frauen des Hauses, noch die anderen Sklaven eilten zur Tür. Viele von ihnen waren mit der Frau des Geórgios zum Markt gegangen oder mit dessen Tochter ins Gymnasion. Mános spürte die grauen Augen von Geórgios auf sich ruhen. "Geh, Mános, und seh nach, wer an der Tür steht!" Mános nickte und erhob sich. Er spürte den Blick seines Herrn auf seinem Rücken als er den Raum verließ.


    Die Flöte verschwand unter seinem Gürtel als Mános zur Tür trat und sie öffnete. Der Sklave, der mittlerweile mehr als zwanzig Sommer gesehen hatte, konnte die Verwunderung nicht verbergen als er einen Mann in exotischer Kleidung sah. Aber die Überraschung währte nur kurz. Es kamen viele verschiedene Menschen zu jeder Tageszeit zu Geórgios. "Khaire!" Schon vor vielen Sommern war die Stimme von Mános dunkel geworden. "Wie kann man Dir behilflich sein?"






    DEMOSIOS - GEÓRGIOS KRATEIDOS

  • "Chaire," erwiderte ich. "Mein Name ist Marcus Achilleos und ich würde gerne den Priester Geórgios Krateidos sprechen. Ich bin mir unschlüssig, wie ich den Göttern angemessen dafür danken kann, dass sie mich auf einem langen Weg stets beschützt haben. Bevor ich nun unnütz von Tempel zu Tempel gehe, würde ich gerne erst mit einem Priester sprechen. Ist der ehrwürdige Geórgios Krateidos anwesend und zu sprechen?"


    Ich war mir relativ sicher, dass ich es nicht mit dem Priester zu tun hatte. Dafür erschien mir der Mann erstens zu jung und zweitens war es unwahrscheinlich, dass ein Priester keinen Sklaven hatte, der zumindest dafür sorgte, dass niemand ungelegen kam.

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    Es überraschte Mános nicht, das Begehren jenes Fremden zu erfahren. Seitdem Géorgios vor vielen Jahren von der Bürgerschaft als Priester berufen worden war, kamen oft Menschen mit ihren Sorgen und Fragen zu dem Priester. Schon als Junge hatte Mános in diesem Haus die Tür für solche Besucher geöffnet. "Wenn ihr einen Augenblick euch bitte gedulden würdet? Tretet doch schon hinein."


    Die Tür eines Priesters stand immer offen. Selbst wenn es nur nominell war. Klopfte ein Bürger der Stadt, so durfte er auch eintreten. Auch wenn Mános nicht wusste, ob jener Mann auch ein Bürger war. Sein Name klang zumindest sehr römisch, was ebenfalls Vorsicht gebot. Mános geleitete Marchus Achilleos in den Innenhof. Die Säulen waren mit alten ägyptischen Fresken bemalt. Der Boden mit ägyptischen Mosaiksteinchen verziert. Mános deutete dem Besucher dort zu warten und eilte in das Arbeitszimmer zurück.


    Geduldig wartete Mános neben Geórgios, bis dieser von seinem Schreiben aufsah. "Ein Mann namens Marcus Achilleos wünscht Dich zu sprechen und sucht um Deinen priesterlichen Rat, Herr." Mános sah, wie Geórgios das Schreibzeug zur Seite legte und sich erhob. Da zu privatem Anlass und im eigenen Haus war Geórgios in eine 'schlichte' Tunika gekleidet. Die jedoch immer noch recht prunkvoll war. Goldene Bänder säumten den Rand und der Stoff war mit floralen Mustern bestickt. An den Händen trug Geórgios mehrere goldene Ringe.


    Mános blieb einige Schritte hinter seinem Herrn stehen als dieser auf Marcus Achilleos zutrat und ihn begrüsste. "Khaire! Ich bin Geórgios Krateidos. Ich hörte, Du suchst meinen Rat? Nimm' doch bitte Platz!" Der Sklave verfolgte, wie Geórgios einladend auf eine Sitzgruppe zeigte. Eine hölzerne Bank mit Kissen, deren Füße wie Löwentatzen geschnitzt waren und die Lehnen wie die Flügel eines Adlers, und zwei Stühle, ebenfalls mit bunten Kissen bedeckt. "Mános, hole uns Wein!" Ehe Mános log ging, um den Wein zu holen, sah er noch, wie sein Herr auf einem der Stühle Platz nahm.





    DEMOSIOS - GEÓRGIOS KRATEIDOS

  • Ich folgte dem Sklaven in den Innenhof. So etwas hatte ich in Rhakotis nicht erwartet. Ägyptische Fresken und Mosaike, sehr gut gearbeitet. Und schön anzusehen. Ich betrachtete die Mosaiken, als der Priester den Innenhof betrat. Der Mann sah sehr wohlhabend aus.


    "Chaire, ich bin Marcus Achilleos," erwiderte ich die Begrüßung mit einer leichten Verbeugung und ging zu der Sitzgruppe, auf die er gewiesen hatte.


    "Für mich bitte keinen Wein," sagte ich noch schnell, bevor der Sklave ging. Nachdem der Priester sich gesetzt hatte, setzte ich mich ebenfalls. Ich sammelte kurz meine Gedanken, um dann möglichst kompakt mein Anliegen vorzutragen. Der gute Mann hatte sicher genügend zu tun, so dass ich nicht allzu viel seiner Zeit rauben wollte. "Ich stamme ursprünglich aus Athen, aber vor 17 Jahren wollte ich den Osten erkunden. Seitdem bin ich bis Indien gekommen und darüber hinaus. Ich habe viel Freude und viel Leid erlebt, aber ich bin fest davon überzeugt, dass Athene mich immer beschützt hat. Ich denke das deswegen, weil ich nicht nur viele Länder gesehen habe, sondern auch viele fremde Philosophien kennengelernt habe und auch lernte, die Strategie in der Kriegskunst zu nutzen. In der Tat wurde ich von einem Quell des Wissens zum nächsten geführt. Das erscheint mir das Werk der Athene zu sein. Und jetzt frage ich mich, wie ich ihr angemessen danken kann. Ich habe ihr bereits als Dank versprochen, die Schriften, die ich aus der Ferne mitbrachte, ins Attische zu übersetzen und den Menschen verfügbar zu machen. Daran arbeite ich auch, aber es braucht seine Zeit. Ich würde ihr aber schon jetzt gerne eine Kleinigkeit schenken. Ich würde gerne deine Meinung zu der ganzen Angelegenheit hören. Mein Wissen um unsere Götter, vor allem um Opfer und Riten, ist in der langen Zeit der Abwesenheit leider etwas eingerostet." Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.

  • Unverhohlene Neugier spiegelte sich in den Augen von Geórgis wieder als er den Besucher betrachtete. Diese Art von Kleidung war selbst für Geórgis Empfinden sehr fremdländisch. Gelassen lehnte sich Geórgis zurück und drehte einen der goldenen Ringe an seiner rechten Hand. Eine sich windende Schlange war auf der Gemme abgebildet. Von der Hand eines Meisters gefertigt. Dieser Ring war auch sein kostbarstes Schmuckstück, das er niemals, selbst in der Nacht, nicht ablegte. Ein Geschenk, was er vor langer Zeit erhalten hatte und ihm sehr wichtig war.


    "Du bist weiter als nach Indien gereist? In welche Länder noch als die, die der große Alexander bereiste?" Von Händlern hörte man hin und wieder solche Worte. Aber auch das war selten. Geórgios war für einen Augenblick überrascht und betrachtete den Besucher doch mit deutlich grösserem Interesse. Er hatte viele Besucher, die ihn mit langweiligen und monotonen Anfragen nervten und belästigten. Aber dieser Mann gehörte ganz sicher nicht zu diesem Strom von Menschen.


    "Was Dein Anliegen angeht. Athene hat durchaus auch Wurzeln in Ägypten, dennoch ist ihre Verehrung in so manch einer anderen Polis stärker als hier in Alexandria. Nichtsdestotrotz ist es nicht unmöglich, dass Du ihr Deine Dankbarkeit erweist" Geórgios sah dem jungen Sklaven entgegen, der mit zwei Bechern und zwei Krügen zurück kam. Der harte Zug, der um Geórgios Mund lag, verschwand in dem Augenblick jedoch nicht. Er ergriff den Becher mit Wein, den Mános füllte, und sah, wie Mános dem Gast auch einschenkte, aber von einem milden Granatapfelsaft. Falls dieser doch noch Durst verspürte und nur keinen Wein trinken wollte.


    Mit einem kleinen Schluck benetzte Geórgios seine trockene Kehle, die er seiner Arbeit wegen vernachlässigt hatte. "Natürlich steht es Dir offen, ein Opfer an Athena zu vollführen. Ein Fest für die Göttin ausrichten womöglich. Du kannst ihr selbstverständlich auch einen Altar stiften oder ihr einen Bau weihen. Je nachdem, zu welchen finanziellen Möglichkeiten Du greifen kannst."


  • Komisch, die Frage nach den Ländern jenseits von Indien kam in letzter Zeit immer. Mir war es ein wenig unverständlich, weil ich jedes fremde Land für gleich interessant hielt. Vielleicht lag es auch daran, dass ich so lange in diesen Ländern gelebt hatte, dass ich eher den Alltag kannte und gelernt hatte, dass eigentlich alle Menschen sehr sehr ähnlich waren. "Das Land heißt Ch'in. Die Einheimischen bevorzugen aber den Namen Han. Unter anderem kommt dort die Seide her."


    Dass Athene hier nicht allzu stark verehrt wurde, hatte ich mir schon fast gedacht. Zumindest war mein kein großer Athene-Tempel aufgefallen, auch wenn ich natürlich nicht mit einem zweiten Parthenon gerechnet hatte. Dem Sklaven nickte ich, kaum merklich, zu, als er mir den Granatapfelsaft hinstellte. "Kosten sind ein Problem. Wie du dir denken kannst, war so eine lange Reise recht teuer. Genauer gesagt extrem teuer. Für ein größeres Opfer werde ich also erst genügend Geld verdienen müssen. Ich bin aber etwas beunruhigt, dass die Göttin vielleicht etwas ungeduldig ist und es mir übel nimmt, wenn ich ihr nicht wenigstens eine Kleinigkeit opfere. Oder genügt es, ein größeres Opfer zu versprechen, das ich dann später, wenn ich es mir leisten kann, durchführe? Ich kenne mich da leider wenig aus, aber ich möchte Athene auf gar keinen Fall verärgern. Als ich noch in Ch'in war, hatte ich ihr ein Schwert komplett aus Jade schnitzen lassen und geopfert. Ob das vorhält?"

  • Mit dem Namen Ch'in konnte er im Gegensatz zur Seide nicht viel Anfangen. Han war ihm gänzlich unbekannt. Was ihn im Grunde genommen ein wenig ärgerte. Dass es so weit weg noch solche Rätsel gab, die für ihn wohl für immer unergründlich bleiben würden. Ausser, er vermochte dem Fremden noch ein wenig mehr darüber zu entlocken. Seide trug Geórgios jedoch hin und wieder und es faszinierte ihn immer ungemein, aus welcher fernen Fremde der Stoff doch kam.


    "Was hat Dich bewogen, so weit in die Fremde zu reisen, Marcus Achilleos?" Wenn ihn etwas interessierte, zögerte Geórgios niemals, dem nach zu gehen. Zudem scheute er sich auch nicht offen zu sprechen, zu fluchen oder erbarmungslos seinen Zielen nach zu gehen. Eine Eigenschaft, die er wohl von seiner Familie, den Krateiden, geerbt hatte. Selbst wenn er unter seiner Familie mehr als schwarzes Schaf galt und einen schlechten Kontakt zu seinen Vettern und seinen Geschwistern hegte. Geschweige denn zu der Rige der alten Herrn, die noch eine Generation über ihm standen. Alte Methusalems waren das, so hatte Geórgios oft das Gefühl.


    Geórgios legte einen Arm auf die Lehne eines hölzernen Adlerflügels. In mancher Hinsicht war er einfach ein Pragmatiker und wenn man nun mal kein Geld hatte, hatte man keines. Wie so viele von den Menschen, die in diesem Viertel lebten. "Ein Gelübde abzulegen hat auch seinen Wert, ersetzt jedoch kein Opfer. Das Schwert aus Jade erscheint mir als ein sehr ungewöhnliches Opfer, dafür umso wertvoller. Mit Sicherheit hat es die Göttin gewogen gemacht, wenn Du glaubst, dass sie Dich auf Deinen Reisen geführt hat." Ob Athene das tatsächlich getan hatte, beurteilte Geórgios natürlich nicht. Hautpsache, die Menschen dachten an die Götter und brachten ihnen die passenden Opfer.


    "Es muss keine Kuh, Schaf oder Ziege sein, die Du Athene dar bringst, um ihr dennoch Deinen Glauben zu beweisen. Es kann auch ein kleineres Tier sein. Ein Kaninchen. Oder Du lässt eine Eule schnitzen, die Du der Athene vermachst. Eine andere Votivgabe würde auch reichen. Und ein Opfer, das Wein, Öle und Hülsenfrüchte enthält, könnte der Göttin ebenso Wohlgefallen schenken."

  • Was hatte mich zu der Reise bewogen? Ja, das war eine gute Frage. Da ich als Jìnshì dazu verpflichtet war, die Wahrheit zu sagen, hatte ich nur die Wahl, entweder genau das zu tun, oder eine Antwort zu verweigern. Letzteres führte zu meinem üblichen "Ich hatte meine Gründe", was aber ziemlich arrogant wirken musste. Also entschied ich mich für eine knappe Antwort. "Ich war neugierig. Ich wollte wissen, wo die Welt im Osten aufhört. Ich wollte wissen, woher die Seide kommt. Und vor allem hielt ich es in Athen nicht länger aus."


    Mit dem Opfer brachte er mich auf eine Idee. "Eine Votivgabe, sagst du? Angenommen, ich schnitze höchstpersönlich eine Eule, die auch noch sehr gut aussieht, dann müsste es die Göttin doch akzeptieren?"

  • Im Laufe der Zeit hatte Geórgios gelernt, in den Gesichtern der Menschen zu lesen. Ihre Regungen zu verstehen und zu versuchen auch das Verborgene zu ergründen. Er hatte das Gefühl, der Athener verschwieg ihm etwas. Aber so war es meistens. Geórgios tat das selber oftmals. Die Wahrheitsliebe war zwar eine lobenswerte Tugend, aber keine, der Geórgios anhing, wenn er es nicht für zweckdienlich erachtete. Mit dem Daumen und Zeigefinger drehte er den Becher in seiner Hand hin und her.


    "Hast Du das Ende gefunden. Den Ozean, der den Eingang der Unterwelt umgibt?" Vielleicht hatte Marcus Achilleos einen geliebten Menschen verloren und sich der irrigen Annahme hingegeben, er könnte wie Orpheus in die Unterwelt steigen. Aber auch Orpheus war gescheitert. Die Welt der Untoten für die Lebenden nicht der richtige Pfad.


    "Ja, eine solche Votivgabe könnte der Göttin gefallen. Doch versuche Dich nicht an Pappelholz. Es sollte schon ein edles Holz sein, das Athenas heiliges Tier darstellt. Zedernholz wäre angemeßen." Bäume, die in dieser Region auch wuchsen, dennoch nicht das billigste Holz waren. Aber für die Figur einer Eule nicht unerschwinglich. Es sei denn, man verfügte über jene klammen Mittel wie die Ägypter in diesem Viertel. Die auf den Märkten darauf warten mussten, als Tagelöhner angestellt zu werden. Mal mit Erfolg, dann wiederum waren sie für manche Tage gänzlich ohne Arbeit.

  • "Nein, das Ende der Welt habe ich nicht gefunden. Bis dahin bin ich nicht gekommen. Aber so etwa 1000 bis 2000 Meilen bin ich ran gekommen. Und den Eingang der Unterwelt habe ich auch nicht gefunden, aber auch nicht gesucht. Was ich aber fand, war Erkenntnis. Ich hatte sie nie gesucht, aber dennoch gefunden." Zugegeben, die Antwort war etwas kryptisch.


    "Zedernholz also... das ist machbar." Das war sogar ziemlich unproblematisch. Ich brauchte ja nicht viel.

  • Ein süffisantes Lächeln glitt über die Züge des Priesters. "Manch ein Gelehrter behauptet, die Welt wäre keine Scheibe, sondern eine Kugel. Demnach wäre es nicht möglich das Ende der Welt zu erreichen." Ganz überzeugt von der Vorstellung war Geórgios nicht, auch wenn die Gelehrten, mit denen er darüber gesprochen hatte, unwiderlegbare Beweise vorgebracht hatten. Doch Verstand und Gefühl waren nicht immer gleicher Meinung.


    Der Priester nickte zufrieden, denn scheinbar war ein Problem gelöst worden und der Fremde zufrieden mit dem, was ihm Geórgis offeriert hatte. "Die Votivgabe sollte natürlich nicht zu klein sein. Und je mehr Mühe Du Dir mit der Schnitzerei und auch der Bemalung gibst, desto eher wird die Göttin sich an dem Opfer erfreuen."

  • "Das ist ganz eine Frage des Blickwinkels. Wenn das Ende des Landes als das Ende der Welt bezeichnet wird, dann kann die Erde durchaus rund sein. Zumindest ist sie aber gekrümmt. Die Beweise des Aristoteles für eine Kugelform sind auch schon ziemlich schlagkräftig. Ganz abgesehen davon wird die Mathematik der Sternen-, Sonnen- und Mondbewegungen bei der Annahme einer Kugelform von Himmel und Erde deutlich eleganter." Ich lächelte kurz. "Ich liebe es, wenn Mathemaik elegant ist."


    Die Hinweise zu Qualität und Größe der Votivgabe waren für mich durchaus wertvoll, so dass ich sie mir genau merkte. "Ich werde selbstverständlich für eine Göttin so gut wie nur irgend möglich arbeiten."

  • Natürlich hatte Geórgios die Bildung genoßen, die ein Grieche aus guter Familie erhalten konnte. Von dem Lehrer in seinen Kinderjahren bis hin zum Museion in der Jugend, wo er auch einige Jahre gelernt hatte. So hatte er einiges an Bildung mit genommen, aber seine Berufung mehr im Dienste der Götter gesehen. Zumindest erschien es ihm damals so, mittlerweile war er diesbezüglich etwas ernüchtert.


    "Ohne Zweifel lassen sich auch bestimmte Phänomene dadurch leichter erklären. Warum verschwindet ein Schiff am Horizont, wenn die Welt doch flach ist? Oder die Berechnung bestimmter astrologischen Phänomene, die auf dieser These basieren." Zustimmend nickte Geórgios. "Die Mathematik ist ohne Zweifel sehr interessant. Gerade was die kultischen Aspekte der Zahlen angeht." Manch eine philosophische Schule hatte das zu ihrer Hauptlehre gemacht und in ihren Mysterien gedeutet.


    Aber der Priester kam wieder zum eigentlichen Thema zurück. Die Gabe an die Göttin. "Das ist Dir natürlich auch anzuraten." Just in dem Augenblick kam Geórgios noch etwas anderes in den Sinn. "Natürlich kannst Du Deine Euché, das Gelübde, das Du Athena gegeben hast, auch mit Tempeldienst erfüllen. Sofern Du die Zeit dafür hast." Als er das sprach, schwang die Tür des Hauses auf und eine helle Stimme erfüllte den Innenhof, zudem schnelle und leichte Schritte. "Patér, Patér!" Ein junges Mädchen kam heran gelaufen, eine himmelblaue Tunika tragend. Dunkle, schulterlange Locken und blitzende fröhliche Augen besaß das Mädchen, was vielleicht elf Sommer schon gesehen hatte.

  • "Zeit ist für mich noch wertvoller als Gold, so wenig habe ich davon. Ich habe recht viele Verpflichtungen." Ich dachte dabei an die Stadtwache, die Übersetzung und schließlich meine Schule. Dann kam das Mädchen hereingelaufen. "Deine Tochter?" fragte ich kurz, bevor ich mich erhob. Ich hatte schon genug der Zeit des Priesters verbraucht. "Ich danke dir für deinen Rat, Geórgios Krateidos."

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    Die dunklen Augen von Kalypso richteten sich voller Neugier auf den fremden Besucher. Ständig waren fremde Menschen im Haus ihres Vaters und immer schien jemand ihren Vater sprechen zu wollen. "Ja, das bin ich!", antwortete Kalypso kess auf die Frage von Marcus. "Kalypso ist mein Name und ich bin schon elf und ein viertel Jahre alt." Den Kopf zur Seite gelegt beäugte sie den Mann vor sich. "Und Du? Wie heißt Du?", fragte sie. Sie wusste, dass sie sich das erlauben konnte. Schelte von ihrem Vater erhielt sie selten.


    Ungeduldig wie sie war, konnte sie die grossartigen Neuigkeiten jedoch nicht länger an sich halten. So dass sie sich gleich an ihren Vater wandte. "Mein Lehrer hat gesagt, dass ich vielleicht bei den Heraspielen antreten darf. Wenn ich weiter so gut bleibe." Etwas enttäuscht bemerkte sie, dass ihr Vater zwar gönnerhaft und durchaus stolz nickte, aber sich gleich wieder dem Besucher zu wandte. "Das ist meine Pflicht als hiereús. Als Priester, der von der Bürgerschaft ernannt wurde. Wenn ich Dir beim Opfer behiflich sein kann oder die passende Priesterin zu finden, dann lasse es mich wissen. Ich habe so meine Kontakte in dieser Stadt."

  • Die Kleine musste man einfach mögen, auch wenn sie etwas vorlaut war. Ich ging auf ein Knie, um ungefähr auf ihrer Augenhöhe zu sein. "Ich bin Marcus Achilleos und ich bin fast dreimal so alt wie du," sagte ich mit sanfter Stimme und einem gütigen Lächeln. "Ich bin mir ganz sicher, dass du bei den Heraspielen antreten wirst." Dann stand ich wieder auf und sah Geórgios dankbar lächelnd an. "Ich danke dir noch einmal für deine Hilfsbereitschaft. Ich werde mich ganz sicher an dich wenden, wenn ich noch einmal deiner Hilfe bedarf. Sollte ich irgend etwas für dich tun können, kannst du mich in der Nähe des Serapeions finden. Ich baue dort gerade eine Schule auf und wohne auch dort."

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    Der Stolz, den Kalypso verspürte, liess sie etwas größer werden. Sie lächelte strahlend und glücklich. Natürlich hoffte sie auch, bei den Heraspielen mitmachen zu dürfen. Es war nicht nur eine große Ehre, sondern auch einfach großartig und seit zwei Jahren ihr Wunsch. "Danke, Marcus Achilleos.", erwiderte sie und begann nachzurechnen. Drei Mal elf und ein Viertel. Dreiundreißig und dreiviertel Jahre. Dann war er ja noch jünger als ihr Vater. Also gar nicht so alt. Am liebsten hätte Kalypso ihn noch weiter ausgefragt, aber womöglich hätte das doch die Missbilligung ihres Vaters geweckt. Darum schwieg sie lieber und musterte stattdessen den Mann neugierig.


    "Aber gerne doch!", hörte Kalypso ihren Vater antworten. Sie ahnte nicht, dass ihr Vater scheinbar hilfsbereit war, aber durchaus sich vermerkte, dass sich der Fremde eines Tages dafür revanchieren könnte. "Eine Schule? Eine Elementarschule?"


  • "Ja, noch ist es eine reine Elementarschule. Ich bringe den Kindern aus der Nachbarschaft dort unsere Sprache in Wort und Schrift näher und außerdem lernen sie die Grundrechenarten. Ich hoffe, dass ich später auch einmal Schüler finden kann, die ich in meinem gesamten Wissen unterweisen kann, aber erstmal geht es darum, den Kindern von Rhakotis eine grundlegende Ausbildung zu geben." Man merkte mir an, dass ich diese Aufgabe gerne und aus Überzeugung machte. Die Schule war mir wirklich wichtig.

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