Pergamenthörnchen auf der Pirsch

  • Die Straßen um die Villa Flavia herum waren nicht sonderlich belebt, denn es führten keine Durchgangswege durch das Viertel hindurch und nur jene, welche dort lebten, jemanden dort besuchten oder eine Dienstleistung erbrachten, fanden ihren Weg dorthin. Als wäre ihnen zwischen patrizischen Villen und den geräumigen Häusern gut betagter Römer das Sprechen nicht gestattet, um nicht die Ruhe der Bewohner zu stören, schwieg Sciurus, bis dass er und Dido belebtere Gegenden erreicht hatten.


    "Pergament ist nicht gleich Pergament. Es gibt gutes, feines Pergament aus den Häuten junger Ziegen und Lämmer, und es gibt grobes Pergament aus den billigen Häuten alter Böcke oder Schweine. Für die Qualität entscheidend ist zudem, wie sorgfältig die Haare und Oberhaut abgeschabt werden, denn Stoppeln stören den Schreibfluss", begann er zu dozieren.
    "Wenn du nicht verkauft wirst oder bei den Löwen landest, wirst du eines Tages einem intelligenten Patrizier gehören, der deinen Wert zu schätzen weiß und der ebenso Wert auf gutes Pergament legen wird, so wie es sein Verwandten tun." Natürlich spielte Sciurus dabei auf Serenus an, während er den derzeitigen Herrn Didos - Aristides - außen vor ließ. Der Sklave wusste, dass der Vetter seines Herrn die meisten seiner Schriftstücke - darunter ohnehin kaum etwas von Dauerhaftigkeit - nicht einmal selbst verfasste, dazu fähig war, auf der besten Grundlage unnötige Tintenflecke zu hinterlassen und gutes von schlechtem Pergament vermutlich ebenso wenig zu unterscheiden wusste wie Horaz von Catull.


    Triste Insulae zogen an ihnen vorbei, manche versteckt hinter Läden oder Karren voller Waren, aus anderen gähnten ihnen die großen Öffnungen der Tabernae entgegen, in denen aus großen Töpfen, welche direkt in die Theke zur Straße hin eingelassen waren, Eintöpfe und Suppen geschöpft wurden.
    "Du wirst feststellen, dass intellektuell gebildete Patrizier irgendwann der Ansicht sind, dass ihre Worte einer besonderen Grundlage bedürfen, wenn sie festgehalten werden sollen, manches mal auch einfach nur deswegen, um bei den Lesern Eindruck zu hinterlassen." Briefe an das Collegium Pontificium etwa, seien sie von seinem eigenen Herrn, von Aquilius oder Lucullus, hatte Sciurus stets nur auf teurem Pergament gesehen, obgleich den Schreibern ebenso wie ihm bewusst sein musste, dass sie dort nicht lange überdauerten. Bisweilen erachtete Sciurus die diesbezüglichen Bedürfnisse seines Herrn als ein wenig übertrieben, doch es gab - durchaus auch an diesem Herrn - weitaus störendere Bedürfnisse, so dass Sciurus der Befriedigung dieser nach hochwertigem Pergament ganz ohne Wertung, welche ihm ohnehin nicht zustand, nachkam.
    "Es ist daher für dich nicht nur wichtig zu wissen, welches Pergament du deinem Herrn zu welchem Anlass zu bringen hast, sondern auch, wie die verschiedenen Arten Pergament zu unterscheiden und woran ihre Güte festzumachen ist." Letzteres war dabei weitaus einfacher denn ersteres, denn nur ein Sklave mit äußerst feinem Gespür konnte wissen, wann sein Herr Belanglosigkeiten oder philosophisches Gedankengut festhalten wollte, wann er glaubte, seine schnulzigen Liebesgedichte für die Ewigkeit bewahren zu müssen oder wann nur für die nächste Nacht bei seinem Geliebten.


    Ein Hund rannte kläffend an ihnen vorbei, braunfarben mit einigen weißfarbenen Flecken, welcher Dido kaum bis an die Knie reichte, ihm hinterher ein Haufen johlender Kinder, die mit Kieselsteinen nach dem Tier warfen. Sciurus beachtete sie nicht, wartete nur, bis der Lärm vorüber gezogen war.
    "Weißt du, wie Pergament hergestellt wird?"

  • Der Wind spielte in den blonden Haaren der jungen Dido, glitt über sie neckend hinweg um sich einer unsichtbaren Schlange ähnlich weiter zu schlängeln. Zwischen römischen Häusern entlang, die an mancher Stelle das eine oder andere kritzelige Bild trugen. Ein Phallus, einige Strichmännchen, ein 'Lucius war hier und er ist der Größte', bis hin zu Verlautbarungen, Werbung für Händler und ihre Waren oder die Acta, die von manchen an die Wände geklebt wurden, damit jene, die besonders gut in der Schule als Kind aufgepasst hatten, es jenen vorlesen konnten, die weniger darin begnadet waren. "Auflösung des P...P...Preisrätsels...hm." "Los, weiter, wir wollen doch wissen, wer gewonnen hat." "Du bestimmt nicht, Du hast doch gar nicht teilgenommen." "Woher willst Du das wissen?" "Du kannst nicht schreiben." "Pah!" An Didos junge Ohren drangen die Worte, doch sie lauschte ihnen nicht, denn mit jedem Schritt den sie tat war sie ganz andächtig in der Rede ihres großen Idols versunken. Wenngleich ihre Hand immer wieder spielerisch zu dem Beutel glitt, in dem sie ihre Zwille, Murmeln, etwas Geld und die Kreide aufbewahrte. Immer noch, wie zu den Zeiten wo sie jünger war und noch mehr ein Kind und keine Heranreifende.


    Pergament aus Pergamon, Papyrus aus Ägypten, Tinte vom roten Meer oder von griechischen Sklaven gemacht. Das war eine Materie, die Dido wenig ansprach. Nein, es war ihr sogar schnurz-piep-egal, auf was die Patrizier ihr Geschreibsel verfassen wollten. Aber sie war nun mal die Sklavin von diesen Patriziern und somit hatte es Dido wohl zu interessieren. Aber das war eigentlich egal. Der Grund, warum Dido in dieser Art neben Sciurus her ging und dabei an seinen Lippen hing, als ob er die göttliche Weisheit verkündete, war...nun, es war nun mal die göttliche Weisheit. Alles, was Sciurus von sich gab, war von größter Wichtigkeit für die junge Sklavin. Denn Dido wollte so werden wie Sciurus und mit jedem Tropfen an Wissen, was er an sie weiter gab, füllte er den leeren Behälter ihres Seins mit seiner Essenz auf, die Dido in sich aufsaugen wollte. Dido tapste unbekümmert neben ihn und lauschte. Lämmer, Schweine, Haare abschaben...immer sorgfältig, jawohl, Dido hatte verstanden, Dido würde darauf achten. Damit die Patrizier nicht auf so einer Haut schreiben mussten wie die Herrschaften – Aquilius, Aristides und ganz, ganz selten Gracchus –zeigten, wenn sie eine durch wachte Zechtour hinter sich hatten.


    Ein, zwei und drei...Dido hüpfte über einen unregelmäßigen Pflasterstein hinweg und trabte folgsam weiter. Etwas befremdet musterte sie Sciurus. Woher sollte sie wissen, wann sie welches Pergament zu holen hatte. Das klang aber arg kompliziert. Artig und wie eine gelehrsame Schülerin, die sie auch war, nickte Dido. Wenn auch der kläffende Hund ihre Hand zu dem Beutel wandern ließ. Sie hätte dem Köter am Liebsten noch einen Stein hinter her geschossen. Eigentlich mochte Dido Hunde, schließlich hegte und pflegte sie die ausgewachsene Hündin, die ihr Herr ihr noch geschenkt hatte, ausgiebig. Ertappt sah Dido zu Sciurus hoch. Wie wurde Pergament her gestellt? Ähm, ja, gute Frage. Dido biss auf ihre Lippe und begann nach einer Haarsträhne zu greifen, um diese dann auch in den Mund zu stecken. Eine dumme Angewohnheit, die sich Dido nicht austreiben konnte. "Durch einen Kürschner?", fragte Dido skeptisch. "Wenn es Leder ist, dann muss es doch von diesem bearbeitet werden. Und gegerbt, damit es nicht verfault. In den stinkenden Bottichen, die die Gerber bei sich stehen haben. Aber ich habe es noch nie gesehen, wie sie Pergament herstellen." Hoffentlich war Sciurus jetzt nicht von ihr enttäuscht.

  • Allmählich näherten sie sich den Märkten, was an der Dichte der Bevölkerung in den Straßen und Gassen messbar war, welche sukzessive sich erhöhte. Verkaufsstände drängten sich immer häufiger vor den Gebäuden, die Händler dahinter boten zumeist laut anpreisend ihre Waren an, und in einem infinitesimal kurzen Augenblick zwischen zwei Herzschlägen gestattete Sciurus sich eine unendlich kleine Winzigkeit Freude darüber, dass die Villa Flavia von solcherlei verschont blieb.


    "Pergament wird zwar aus Tierhäuten hergestellt, doch es wird nicht gegerbt", belehrte Sciurus Dido im Weitergehen, ganz ohne in seinem Tonfall anzuzeigen, was er über ihr Nichtwissen dachte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie über diese Dinge Bescheid wusste, da sie bisher dem Unterricht ihres Herrn beigewohnt hatte, und dieser sich nicht mit der Herstellung des Pergamentes beschäftigte, sondern mit den Inhalten, welche darauf verewigt waren. "Die Häute werden nach dem Abziehen in eine Lösung eingelegt, dann werden sie von beiden Seiten abgeschabt, um Haare, Fleischreste und die obere Hautschicht zu entfernen. Dies ist das erste Zeichen der Güte, dass das Abschaben ordentlich durchgeführt wurde und keine Reste auf dem Pergament zurückbleiben. Nichts wird einen entsetzteren Ausdruck auf das Gesicht deines Herrn bringen, als wenn er ein angewachsenes Haar auf seinem Pergament findet."
    Sie überquerten eine größere Kreuzung, schoben sich durch die emsigen Massen, welche Rom in seinem Innersten zusammen hielten, vorbei an weiteren Marktständen, an denen frische Brote neben billigen Duftwässern feilgeboten wurden, rotfarbenes Fleisch neben grünfarbenem Herbstgemüse, grobe Lederarbeiten neben feinen Tüchern, wächserne Kerzen und Schreibtafeln und vieles mehr noch, was Sciurus nur aus den Augenwinkeln betrachtete. Er wusste, wo das beste Pergament der Stadt zu finden war, doch ehe Dido das Beste erkennen konnte, musste sie zuvor Vergleichsmaterial begutachten, um einen Unterschied sehen zu können.


    Ein Stück weiter des Weges verlangsamte Sciurus seinen Schritt, um vor einem Karren halt zu machen, auf welchem neben Pergamentstapeln sich Papyrus und Schreibtafeln aus Wachs türmten, durch grobe, faustgroße Steine beschwert, und in billigen Tonbechern Schreibfedern und Griffel steckten. Ein untersetzter Kerl mit fleischigen Händen, runder Nase und aufgedunsenen Lippen, die einem Fisch gut zu Gesicht gestanden hätten, verhandelte eben mit einem Käufer über den Preis für einige Bögen Papyrus.
    Der flavische Vilicus beachtete beide nicht, zog ein Blatt Pergament aus einem der Stapel und hielt ihn Dido unter die Nase. "Sieh es dir genau an, achte auf die Struktur und die Ebenmäßigkeit der Oberfläche." Er deutete mit seinem Zeigefinger, dessen Nagel sauber und gepflegt war, auf einen hellen Spalt im Pergament. "Nach dem Schaben wird die Haut gereinigt, aufgespannt und getrocknet, danach mit Bimsstein geglättet und mit Kreide geweißt. Diese Spuren im Pergament deuten auf eine unsaubere Bearbeitung hin."

  • Intensive Gerüche schoben sich aufdringlich in Didos Sklavennase, irgendwo stieg Rauch aus großen Backöfen heraus, die das täglich Brot für viele Römer lieferte, der Wind zerstob ihn und brachte auch seine Nuancen zu ihr, daneben drangen die Ausdünstungen, gemischt mit den Waren mit intensivem Aroma an ihrem Riechorgan, so dass sie für einen Moment, als sie in der Nähe einer Cloacaöffnung vorbei kamen, die Nase kräuselte und rümpfte. Sodann biss sie sich auf die Unterlippe und zupfte nervös an ihrer blonden Haarsträhne herum, der man schon ansah, dass sie oft von Vorderzähnen malträtiert wurde. Kein Gerber, dann hatte sie also völlig falsch gelegen, so ein Mist aber auch! Einem Welpen nicht unähnlich tapste sie neben Sciurus her und genauso aufmerksam, wie ein kleiner Hund seine Ohren spitzen und die Augen offen halten würde, um ja jede Gemütsregung von der Körpersprache der älteren Tiere (in dem Fall Spezies: Homo sapiens sapiens, nicht zu verwechseln mit dem Homo sapiens neanderthalensis, wenn auch manch ein Unterschied mehr unbedeutender Natur zu sein scheint) deuten zu können. Dido lauschte dazu aufmerksam, nickte ernsthaft, selbst wenn sie keinen blassen Schimmer hatte, was Sciurus mit Lösung meinte. Lösung von Aufgaben kannte sie, aber warum legte man das Leder in sowas hinein. Sehr mysteriös. Das mit dem Schaben war ihr wieder klar, sie gluckste leise auf bei der Vorstellung von Serenus' Gesicht, wenn Haarstoppeln zwischen seiner neuesten Ausgaben von 'Gaius-ist-der-Beste' erscheinen würde, womöglich gerade, wenn sich Gaius wieder aus der Schlinge heraus holte und den wahren Bösewicht stellte. Deswegen nickte Dido auch artig und brav und trabte zu dem Stand hinter her, der ihre erste Station war.


    Angewidert starrte Dido einem Mann hinter her, der sich in rot und schrill grün gekleidet hatte und all den Duftwasserständen Konkurrenz machte mit seiner Wolke von Rosen- und Lilienwasser, die ihm noch einige Schritte lang folgte und in der Straße hängen blieb, bis der Wind dazwischen strich und den Gestank vertrieb. Dido reckt sich, um über die Stapel von Pergamenten von dem Wagen hin weg zu sehen und begaffte einen Moment sowohl den Verkäufer als auch den Käufer, die eifrig um jedes Pergament zu feilschen schienen. Ob sie hier ihren Kauf erledigten und Sciurus nahm sie anschließend noch mal in diese seltsam faszinierende Welt unter der Stadt mit? Da, wo dieser ominöse Vogelmann lebte? Wer auch immer das war. Sieh es Dir genau an.


    Reuig wandte Dido ihre Aufmerksamkeit auf das, was Sciurus ihr zeigen wollte. Wo waren die Spuren? Dido verfolgte die Finger des anderen flavischen Sklaven und sah sie dann auch, was ihr sonst wahrscheinlich gar nicht aufgefallen war. Ihre eigene Hand streckte sich danach aus und sie berührte flüchtig die Stelle, ihre Hand war nicht so gut gepflegt wie die des Verwalters, mehr aufgequollen von der Wäschearbeit in den letzten Wochen, spröde Fingernägel, von Zähnen zerkaut und an manchen Stellen eingerissen, von der groben Arbeit, die sie nun verrichten musste. Gleichwohl Dido immer noch nicht viel der Materie namens 'Pergament' abgewinnen konnte, war sie doch auch heilfroh um die Abwechslung, den der Ausflug in ihren tristen Alltag brachte. "Und warum schreiben die Herrschaften mit Vorliebe auf Pergament? Es erscheint mir, dass Papyrus doch sehr viel einfacher in der Handhabung zu sein scheint." Oh! Dido kaute auf ihrer Unterlippe. Womöglich war das eine dumme Frage und sie wußte doch, dass Sciurus dumme Sklaven nur verabscheute.

  • Tatsächlich waren dumme Sklaven Sciurus ein Dorn im Auge, insbesondere die dummen, unnützen Dinger, die sich einige Herren nur des Anblicks wegen in ihren Haushalt holten, doch ein Sklave, der Fragen stellte, war nicht im geringsten als dumm zu betrachten, insbesondere dann nicht, wenn er wie Dido noch sehr jung war.
    "Pergament ist haltbarer als Papyrus, das bei unsachgemäßer Lagerung schnell brüchig wird, und das seine Konsistenz nur bei trockenen Temperaturen gut erhält. Darüber hinaus hat gut gearbeitetes Pergament eine viel glattere und hellere Oberfläche, die sich besser beschreiben lässt, wie die Tinte auch nicht wie beim Papyrus in die Struktur des Blattes eingesaugt wird, sondern auf der Oberfläche haften bleibt, so dass das Geschriebene abgekratzt und das Pergament wieder verwendet werden kann. So ein Blatt heißt palimpsest, was im griechischen abgekratzt bedeutet, und auch darauf musst du beim Pergamentkauf achten, dass man dir nicht so ein Blatt unterschiebt. Im Licht zeigen sich dann noch Spuren der ursprünglichen Beschreibung."
    Sciurus hielt das Blatt gegen den Himmel, so dass das fahle Sonnenlicht durch es hindurch schien.
    "Im Licht siehst du auch weitere Qualitätsmängel, ungleichmäßige Schabung, Risse und ähnliches. Siehst du, dieses Pergament ist voll davon."


    Der Händler hatte derweil seinen Kunden abkassiert und sich den flavischen Sklaven zugewandt. Auf seinem Gesicht zeigte sich deutlicher Ärger über Sciurus' Erläuterungen.
    "He, Mann, was soll das?! Wenn du was kaufen willst, dann tu das, ansonsten zieh Leine und begrapsch nicht meine Ware! Wenn's dir nicht passt, dann halt den Rand und verzieh' dich!"
    Unbeeindruckt gab Sciurus das Pergament an Dido, nahm den Beutel mit Münzen, welcher an seinem Gürtel befestigt war, und holte exakt den doppelten Betrag hervor, welcher auf einem Holzbrett über dem Pergamentstapel als Preis pro Blatt angegeben war. Er schnippte die Münzen auf den Papyrusstapel vor dem Händler. "Zwei Blätter."
    Dann drehte sich der Sklave um, nahm ein weiteres Blatt vom Stapel und hielt es wiederum gen Himmel, ohne sich weiter um den Händler zu scheren. "Auch dieses ist von minderer Qualität. Ein Mangel darf sich auf einem Blatt Pergament finden, vielleicht auch zwei, wenn das nächste makellos ist, aber diese Blätter hier sind von schlechter, billiger Qualität."


    "He!" mischte der Händler sich erneut ein, was den in seiner Lehrstunde neutralen Ausdruck aus Sciurus' Gesicht verdrängte und ihn die Augen ein wenig zusammen kneifen ließ.
    "Hör' auf mit deinem dummen Gefasel! Ich lass' mir doch nicht von einem wie dir meine Ware madig machen! Nimm deine Göre und hau' endlich ab!"
    Ruhig drehte der flavische Vilicus sich zu dem Händler um, richtete sich gerade auf, dass er den untersetzten Mann um einen Kopf überragte, und blickte schlussendlich aus seinen eisigkalten, blauen Augen in die kleinen, braunen Kügelchen seines Gegenübers. "Oder was, libertinus? Möchtest du dich bei meinem Herrn beschweren? Die salutatio der Villa Flavia steht dir jederzeit offen."
    Nur einen Herzschlag lang beachtete Sciurus das Aufflammen der Erkenntnis im Antlitz des Händlers, ehedem er sich Dido wieder zuwandte.
    "Deine Lektion hier ist beendet. Wir werden uns nun dem wirklich guten Pergament zuwenden." Mit einem Kopfnicken forderte er sie auf, ihm zu folgen.

  • Es war wie auf Messers Schneide, sogar wie ein Tanz auf der haarfeinen dünnen und doch tödlichen Linie, die eine solche Waffe an ihrer Schneide bildete. Immer wenn Dido sich in Gesellschaft von Sciurus befand. Denn sie wollte doch so dringend sein Wohlwollen erringen, in seiner Gunst stehen, um möglichst viel von ihm zu lernen und ihrem Vorbild nacheifern zu können. Dennoch war es ein heikles Unterfangen. Nur ein falsches Wort würde sie von der ersten Stufe ihres Weges zu einer sciurischen Dido wieder hinunter stoßen und sie im Dreck der üblichen Sklavenschaft landen lassen. Aber scheinbar hatte ihre Frage nicht zu jenem verhängnisvollen Fall geführt. Unmerklich und leise atmete Dido auf und lauschte gespannt der Antwort, sie hätte es wohl aber auch, wenn Sciurus über die Unterschiede und Qualitäten von Kuhdung doziert hätte. Denn der Sklave schaffte es, selbst aus den langweilsten Themen noch eine spannende Unterrichtslektion zu machen. Dido, weniger gelehriger Natur und mehr an den körperlichen Lektionen des Lebens interessiert, hatte jedoch jedes Wort aufgesogen wie heiliges Mana.


    Sie streckte sich auf ihre Zehenspitzen und betrachtete das durchscheinende Pergament genau. An manchen Stellen schien es schon fast Löcher zu haben. Brav und artig nickte Dido als sie die Makel an diesem Objekt fest gestellt hatte. Irgendwie erinnerte sie das Ganze langsam an Sklaven an sich. Manche Sklaven wechselten so oft den Besitzer und wurden ‚abgeschabt’, dass sie voller Makel waren. Andere wiederum waren schon von Anfang an mit jenen Fehlern behaftet, die man bei einem guten Pergament nicht dulden würde. Und wirklich gute Sklaven waren rar. Dido biss auf ihrer Unterlippe herum und griff erneut nach einer blonden Haarsträhne, um an ihr zu zupfen. Dido wollte den Mund aufmachen, um eine Frage los zu lassen. Doch just mischte sich der Händler in die Lektion. Didos Augen verschmälerten sich und sie sah den Mann erbost an. Und wie er mit Sciurus, DEM Sciurus sprach. Pfff…Dido hätte am Liebsten ihre Schleuder genommen und einen harten, spitzen Stein an dessen Kopf geworfen.


    Doch mit Bravour brachte Sciurus den Mann dazu, wieder zu schweigen. Welche Souveränität, welche Gelassenheit. Kein Funken von Zorn oder Wut, mehr eine natürliche Kälte, die von Sciurus ausging. Dido hätte am liebsten geseufzt, ach, wenn sie doch auch nur so sein könnte. Sie musste sich zwingen, wieder den Worten zu folgen und wollte ein letztes Mal noch etwas anmerken. Abermals kam der Händler dazwischen. Und jetzt suchten Didos Hände schon ihren Weg hinunter in ihren Beutel. Ah, da war genau der richtige Stein, der schön schmerzhaft wäre. Sie spürte die vertraute Lederschlinge ihrer Schleuder in der Hand und hätte keinen Augenblick gezögert … wenn Sciurus nicht neben ihr gestanden hätte. Doch dann bekam sie eine weitere wertvolle Lektion. Schon die ersten Worte, die Sciurus sprach, liess sie inne halten und ihre Augen hafteten sich auf den Sklaven. Genau verfolgte sie Mimik, Gestik und Intonation seiner Stimme, um sich davon einiges abschauen zu können. Sie würde dann später in der Villa die Highlights einüben … und irgendwann, ja, irgendwann würde es zum Tragen kommen. Der Stein fiel zurück zu seinen Genossen und sie liess ihre versteckte Schleuder wieder los. Dido nickte artig und tapste hinter Sciurus her, auf den Weg zur nächsten Lektion.

  • Sie drängten sich weiter durch die Straße, vorbei an feilschenden Käufern, an Nachbarschaftsgesprächen, an Gemecker und Gekeife, wie an dem stummen Hin- und Hereilen dutzender geschäftiger Bürger. Erst als sie eine schmale Gasse durchquerten, eine nicht ganz so belebte Abkürzung, hob Sciurus wieder zu sprechen an. "Merke dir, es ist wichtig, deine Freunde zu kennen, doch es ist noch wichtiger alles über deine Bezugsquellen, wie über deine Feinde zu wissen." In Sciurus' Fall bedeutet dies, alles über jeden zu wissen, denn er hatte keine Freunde, nur Bezugsquellen, von welchen er manche als Verbündete bezeichnen würde, müsste er sie weiter kategorisieren, doch üblicherweise war dies nicht notwendig, sowie sicherlich auch einige Feinde.
    "Weiters, scheue dich nicht, dir dessen bewusst zu sein, was du bist, und auch nicht, dies deinem Gegenüber klarzumachen." Er blieb stehen und suchte kurz, doch durchdringend den Blick der jungen Sklavin. "Allerdings nur, wenn du dir dessen sicher bist, was du bist. Ein verärgerter Händler, der bei deinem Herrn Aristides deinetwegen aufschlägt, führt vermutlich eher zur Peitsche für dich. Ein solcher, der meinetwegen bei meinem Herren auftaucht, riskiert nicht nur, seinen Kunden zu verlieren, sondern ebenso seine Lizenz. Eines Tages wirst du vielleicht genauso wertvoll für deinen Herrn sein - wenn du nicht vorher bei den Löwen landest." Ein dünnes Lächeln zog sich für einen Augenblick über Sciurus' Lippen, verschwand jedoch so schnell wie es erschienen war. Ohne auf die Reaktion der kleinen Sklavin zu warten, drehte Sciurus sich wieder um und setzte den Weg fort.


    Schon an den Passanten um sie herum wurde deutlich, dass sie allmählich eine Gegend betraten, in welcher gehobene Ansprüche befriedigt werden konnten, und auch an den ausgestellten Waren. Edle Seidentücher zeigten sich hier in bunten Farben zur Auslage, filigrane Glasgefäße verschiedenster Couleur, teure Schmuckstücke aus funkelnden Edelsteinen und glänzendem Gold, die von grimmig dreinschauenden, dunkelhäutigen Sklaven bewacht wurden, und mehrmals mussten sie schmalen Sänften ausweichen. Schlussendlich betraten sie einen kleinen Laden im ebenerdigen Geschoss einer Insula, dessen Schild vor der Türe ihn als Philetairos' Pergamente und Schreibwaren auswies. Der Verkaufsraum war nicht besonders groß, zudem bot sich wenig Anschauungsmaterial, ein einzelnes großes Regal nur, welches eine der Seitenwände bedeckte, spärlich gefüllt mit dünnen Stapeln Pergament, einigen Wachstafeln aus kostbaren Hölzern mit Einlegearbeiten aus Elfenbein oder Blattgold, verschiedenen exquisiten Schreibgeräten, eine Auswahl besonders opaquer Tinten und verschiedene Kleinigkeiten, wie Federhalter, Tintengefäße oder Pergamentbeschwerer. Beleuchtet wurde der Raum durch große Fenster zum Innenhof hin und einige Öllampen und Kerzen, die hinter hellem Glas abgeschirmt waren. Auf der anderen Seite der Waren, hinter einem hüfthohen, länglichen Tisch und vor eine Türe, welche zum Lager führte, stand der schmale, knochige Händler, dessen Nase in besonderem Maße aus seinem Gesicht ragte, gehüllt in teure Gewänder, in diesem Augenblicke eine Schriftrolle studierend, doch beim Eintreten der Kundschaft freundlich aufblickend.
    "Salve, Philetairos", begrüßte Sciurus den Händler.
    "Ah, Sciurus! Salve, salve! Was kann ich für dich tun, nach was dürstet es deinen Herrn heute?"
    "Nach Pergament, nach gutem Pergament. Außerdem bin ich heute in Begleitung, dies ist Dido, sie ist Besitz des Neffens meines Herren und soll die Vorzüge deiner Waren kennen lernen."
    "Wundervoll!" Entzückt schlug der Händler seine Hände aneinander und ein erfreutes Funkeln ergriff Besitz von seinen Augen in der Hoffnung auf einen neuen, vornehmen und überaus liquiden Kunden. "Willkommen, Dido, im Reich der Schriftkunst und aller Zutaten, die es dazu braucht! Wenn dein Herr ebenso feingeistig ist wie Senator Flavius Gracchus, so wirst du hier finden, nach was es ihm verlangt! Pergamente aus Pergamon, Tinten aus Aegyptus und Fernost, Federn aus Tylus und Arabien, alles, was der anspruchsvolle Herr begehrt!"

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