Es war noch in den frühen Morgenstunden als Albina mit ihren Begleitern und Sklaven in Rom ankam. Doch anstatt direkt zur Villa Tiberia zu fahren, wie es eigentlich geplant war, ließ sie den Troß zunächst in Richtung Tempelbezirk fahren. Auf dem Weg dorthin wurde nur ein kurzer Halt auf dem Markt gemacht, wo die junge Patrizierin die verschiedenen Opfergaben auswählte und einpacken ließ. Kurze Zeit später standen sie nun vor dem beeindruckenden Tempel der höchsten aller römischen Göttinen – Iuno.
Sie wies ihre Begleiter und Diener an, am Wagen zu warten, nahm den Korb mit den verschiedenen Geschenken für die Göttin und stieg langsam die marmornen Treppen zum Allerheiligsten hinauf.
Bedächtig schritt sie durch die kühlen Hallen, die unverhältnismäßig leer waren. Dies mochte einerseits daran liegen, dass es noch zu so früher Stunde war, dass Albina hier Einlass fand und andererseits daran, dass der heutige Tag eigentlich der Huldigung einer anderern Gottheit vorbestimmt war. Albina sollte dies nur Recht sein, war sie doch in ihrem Zwiegespräch mit der Göttin lieber allein. Sie ließ ihren Blick über beide Seiten der Säulenhalle schweifen und betrachtete wie stets beeindruckt die Schönheit der Statuen und Wandverzierungen. Wer, wenn nicht eine Gottheit solcher Macht wie Juno selbst, sollte hier seine Wohnstatt finden?
Als sie am Ende des Ganges ankam, blieb sie einige Augenblicke vor der beeindruckenden Statue Junos stehen, als auch schon einer, der dem Dienst an der Muttergöttin verschriebenen Priester zu Albina kam und ihr seine Hilfe anbot. Einen kurzen Wortwechsel später befand sich dieser im Besitz nicht weniger Münzen und Albina in dem des für das Gebet nötigen Weihrauches – dem, aus dem gelben Beutel allerdings, weil Albina den Geruch wesentlich angenehmer und passender für eine solch erhabene und schöne Göttin fand. So stand sie nun allein vor der Statue und entzündete an einer Kerze eben jenen Weihrauch. Den Korb zu ihren Füßen nahm sie eine angemessene Haltung an, richtete ihre Handflächen nach oben und begann zu sprechen: „Juno, Muttergöttin und Königin unter den Göttinnen, höre meine Worte.“
Sie betrachtete den aufsteigenden Rauch und fragte sich, ob eine Göttin, die so viele Aufgaben hatte und so viel Macht besaß, einer Sterblichen wie ihr Gehör schenken würde.
„Juno, erhabenste und schönste unserer Göttinnen, Gemahlin des Jupiters und Beschützerin unseres geliebten Roms, erhöre mein Gebet!“
Langsam ließ Albina ihre Hände sinken, um den Korb hochzuheben und bedächtig die verschiedenen Gaben hervorzuholen und vor sich niederzulegen. Nach und nach beförderte sie mit Honig überzogenen Nußkuchen, Kekse, und verschiedene Obstsorten zu Tage.
Anschließend nahm sie die verschiedenen Blumen, die sie auf dem Markt erstanden hatte und legte sie, ein Meer aus Regenbogenfarben, vor den anderen Gaben ab – von blauen Vergissmeinnicht, über violette Orchideen, rote Rosen und wilde orange Tulpen, bis hin zu gelben Butterblumen. Dann nahm sie wieder die Gebetshaltung an und sprach weiter.
„Oh Juno Pronuba, Göttin der Bräute, Familien und Mütter , Schützerin der Frauen, erhöre mein Flehen. Ich habe dich, solange ich lebe, nur um wenig gebeten. Ich zog deinen und den Ratschluss der anderen Götter nie in Zweifel – weder als der einzige Mann, den ich je liebte, von mir fortgerissen wurde, noch in dem Moment, als ich von seinem Tod erfuhr, noch als mein Vater ins Reich der Toten übersiedelte. Ich ertrug die dunklen Stunden meines Lebens stets im Vertrauen auf die Götter und im besonderen auf dich, wusste ich doch, dass dein Wille unfehlbar, den Ratschluss unstreitbar und deine Güte grenzenlos ist. Ich führe ein aufrechtes Leben und diente, wo immer ich konnte, meiner Familie und den Göttern. Doch nun, so wurde entschieden, soll ich einen Mann heiraten, den ich kaum kenne. Das an sich ist es nicht, was mich bekümmert, weiß ich doch, dass dieses Los mir von Geburt her auferlegt ist. Doch ich glaube, ich fürchte, nein, ich weiß, dass diese Ehe, oh Juno Pronuba und letzte meiner Hoffnungen, unter keinem guten Stern steht. Sie wird nicht Gutes bringen, weder für einen von uns beiden, noch für unserer beider Familien., das spüre ich und daher glaube ich, dass du, wenn auch du als einzige, dies ebenso vorhersehen kannst, wie ich. Doch keiner scheint zu sehen, in welches Verderben diese Verbindung führen würde. Sie würde alle Beteiligten nur unglücklich machen. Ich flehe dich an, tue, was immer in deiner Macht steht, um diese Verbindung zu verhindern, bevor es zu spät ist.“
Mit der Rechten griff Albina dann zu ihrem linken Handgelenk und zog den funkelnden goldenen Reif, den sie einst, wie so vieles Anderes, als Geschenk ihres Verlobten erhalten hatte, über ihre Hand ab und legte ihn auf das Bett von Blumen.
„Nimm dieses kostbare Geschenk von deiner treuen und doch als Mensch in den Belangen der Götter so unwissenden Dienerin als Zeichen meiner Bitte und meines Dankes und verhindere, mit welchen Mitteln auch immer, dass ich die Frau des Lucius Flavius Furianus werden muss. Do ut des.“ Sie wandte ihren Körper nach rechts und beendete somit das Gebet. Sie hoffte, dass diese, ihre letzte Möglichkeit, etwas bringen würde. Sie würde ihrem Vetter nie sagen können, dass sie sich weigert seiner Entscheidung zu folgen und da außer ihr keiner zu sehen schien, welch dunkler Stern über dieser Verbindung stand, hoffte sie inständig, dass, wenn nötig durch göttliche Eingebung, diese Erkenntnis auch in den anderen beteiligten heranwachsen würde.
Ebenso bedächtig, wie sie den den Hinweg geschritten war, schritt sie nun zurück zum Eingang des Tempels – wenn auch leicht zögerlich, immerhin mit dem Gefühl, alles , was in ihrer Macht stand getan zu haben und ihr Schicksal nun in den Händen, der mächtigsten und größten Göttin liegend.
Sie trat auf die Stufen des Tempels, wo sie langsam die ersten wärmenden Sonnenstrahlen empfingen und gab ihren Begleitern das Zeichen zum Aufbruch. Es ging weiter … zur Villa Tiberia.