"Die Wichtigkeit meiner Aufgaben zu bewerten obliegt nicht mir", gab Myrsini erklärend zurück und nutzte diese Gelegenheit zugleich, dem Römer unmissverständlich darzulegen, an wen - oder was - er seine Worte richtete. Womöglich würde dieser kleine Wink ein wenig Klarheit mit sich tragen: "Meine Handlungen sind nur Ausdruck eines höheren Willens, dem meiner Domina." Myrsini ließ den Blick ihrer braunen Augen auf dem Soldaten ruhen, bis sie der zahlreichen Regentropfen gewahr wurde, die in feinen Fäden über seinen glänzenden Helm liefen. Zunehmend begann die Griechin zu vermuten - so unwahrscheinlich dies auch sein mochte -, dass Raecius Fimbria tatsächlich von reiner Höflichkeit - oder Freundlichkeit - angetrieben wurde. Jedes andere Motiv, sei es Lust oder Langeweile, hätte sie gleichwohl weitaus besser nachvollziehen können, weshalb die Situation ihr in gewissem Maße Unbehagen bereitete. Nicht so sehr aus Sorge um ihre Sicherheit, als vielmehr ob der Unwissenheit, was sie nun tun sollte?
Das Gewicht des Bechers in ihrer Hand gab ihr schließlich die Antwort und Myrsini entschied, sich für die Posca mit einer kleinen Geste zu revanchieren, indem sie beinahe demonstrativ zur Seite trat und somit genug Raum unter dem Vordach des Seitenflügels schuf, dass der Torwächter sich unterstellen konnte, ohne ihr zugleich in die Arme zu fallen. "Ist es Dir verboten, vor dem Regen Schutz zu suchen? Sicher leidet doch Deine Rüstung darunter?"
[Porta Praetoria] Haupttor (Vor dem Betreten des Lagers hier melden!)
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Caius Raecius FimbriaUnwillkürlich brandete ein leises Lachen über seine Lippen. Die Sorge um den Zustand seiner Lorica war so ziemlich das letzte, was ihm als Argument eingefallen wäre. In der Tat war das Wetter seiner Rüstung nicht gerade zuträglich, allerdings traf das auf fast jede Witterung zu. In den Strahlen der Sommersonne wurden die Spangen glühend heiß und verformten sich, Kälte dagegen machte sie spröde und die Scharniere schwergängig, Feuchtigkeit ließ die Lederschlaufen quellen, und kroch in die Filzpolster. An manchen Tagen kam ihm das starre Gerüst lebendiger vor als er selbst. Heute jedoch nicht. Nicht in Myrsinis' Nähe. Verglichen mit ihrem Panzer erschien ihm der seine leicht und flüchtig. Er würde die schützende und zugleich einengende Last am Abend ablegen, Myrsinis' Rüstung war offenbar Teil ihrer selbst geworden. Es hätte ihrer unauffälligen Andeutungen nicht bedurft. Dass er es mit einer Serva zu tun hatte, war ihm von Anfang an klar gewesen, schließlich hatte sie ja selbst gesagt, in wessen Auftrag sie die Nachricht überbringen sollte. Ihre würdevolle Zurückhaltung rührte ihn an. Sie war eine Sklavin und sich dessen in jedem Augenblick bewusst. Er war kaum mehr als ein Sklave, konnte sich aber im Gegensatz zu ihr wärmenden Illusionen von einer fernen selbstbestimmten Zukunft hingeben.
Natürlich war es ihm nicht erlaubt, sich während der Wache vom Tor zu entfernen, trotzdem kam das gar nicht so selten vor. Wenn er ihre Nachricht überbracht oder den Optio ans Tor geholt hätte, wäre Marullus ebenso wie jetzt eine Weile allein zurecht gekommen, erst recht bei einer solch tröpfelnden Mengen an Passanten. So lange Fimbria Tor und Vorplatz im Auge hatte und Marullus jederzeit mit einigen schnellen Schritten erreichen konnte, bestand durchaus die Möglichkeit für ein paar befreiende Atemzüge an Myrsinis' Seite. Mit einem dankbaren Schmunzeln trat er unter das Vordach, nahm den Krug vom Boden auf und goss sich etwas Posca in den Becher. Myrsini hielt sehr bewusst den ihr wohl geboten erscheinenden Abstand, was Fimbria mit einem warmen Lächeln registrierte. „Keine Sorge Myrsini, ich werde nur einen Schluck trinken und mich ein paar Minuten an deiner Gegenwart erfreuen, dann geh ich wieder.“ Ob sie das wohl verstand? Plötzlich wusste er nicht mehr wohin mit seinem Blick und sah verunsichert auf ihre Füße. „Es ist eben nur so .. du hast etwas an dir, das mir zu Herzen geht ..“ hörte er sich sagen, „ .. und ich kann freier atmen in deiner Gegenwart ..“ Bei den Göttern! Schon sein Vater hatte ihm immer orakelt, dass sein Hang, die Dinge auszusprechen ihm irgendwann das Genick brechen würde. Hastig nahm er einen Schluck Posca, räusperte sich und sah sie wieder an. Ihrer Mine war auf den ersten Blick nicht abzulesen, ob er Schaden angerichtet hatte. Erneut räusperte er sich und fragte in leidlich gefasstem Tonfall: „Und du, Myrsini? Was lässt dich freier atmen? Ein Lied vielleicht, wie das eben?“
Myrsini schwieg. Natürlich tat sie das, was hatte er denn erwartet? Fimbria nahm beklommen einen weiteren Schluck. War er zu weit gegangen? Höchstwahrscheinlich, musste er sich eingestehen, aber das war es nicht alleine. Er war nicht nur zu weit gegangen, sondern hatte dabei einen Weg eingeschlagen, der meilenweit an Myrsini vorbei in’s Leere führen musste. Sie hatte ihre eigene Wege, die sich mit den seinen an keiner Stelle jemals kreuzen würden, und wenn er auch zu naiv gewesen war, das zu erkennen, Myrsini war sich dessen sehr wohl bewusst. Was nützte jede Offenheit, wenn man sein Gegenüber damit nur brüskieren konnte? Sie war ein instrumentum vocalis, und solange er daran nichts zu ändern vermochte, hatte er auch nicht das Recht, sie durcheinander zu bringen. „Tut mir leid, Myrsini ..“ sagte er leise mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme. „.. ich rede einfach zu viel.“ Traurig leerte er den Becher, sah sie kurz an und machte sich dann auf den Rückweg zum Tor. Kaum hatte er wieder bei Marullus Stellung bezogen, streckte sich der Zwilling, spähte über den Vorplatz und zeigte schließlich mit ausgestrecktem Arm nach Westen. Fimbria blickte an Marullus’ Arm entlang. Auf der Vorstadtgasse näherte sich ein Trupp Milites den Castra und nach wenigen Augenblicken zeichneten sich wohlbekannte Gesichter vor dem Regenschleier ab. Fimbria war erleichtert und erfreut, ihretwegen. Wenigstens hatte die faszinierende dunkle Serva nicht umsonst warten müssen. „MYRSINI!“ rief er lächelnd zum Vordach hinüber, „SIE KOMMEN! Ich werd’ dem Optio gleich Bescheid geben!“
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Die acht Mann starke Truppe, durch das scheußliche Wetter teilweise nicht mehr bei bester Laune, marschierte über den Vorplatz auf die Porta Praetoria zu, aber zumindest einer von ihnen hatte ein Lächeln im Gesicht, und zwar der befehlshabende Optio höchst selbst. Nicht etwa, weil in Trans Tiberim alles vollkommen reibungslos verlaufen war, um ehrlich zu sein, daran verschwendete er schon seit sie den Tiber überquert hatten, keinen einzigen Gedanken mehr. Sibel, dachte er nur immer wieder und versuchte sich irgendwie in Gedanken zusammenzureimen, was da während seiner Abwesenheit vorgefallen war, und würde es vermutlich auch noch für die nächsten paar Stunden tun. Wie könnte er auch anders? Die ganze Angelegenheit war inzwischen so absurd, dass er sich fast schon vorkam, als wäre er Teil irgendeiner grotesken Theatervorstellung, die den Zuschauern erst ein paar As aus der Tasche zog, und sie am Ende vollkommen konfus wieder auf die Straße setzte. Denn verwirrt war er noch immer, selbst wenn die Freude eindeutig überwog. Denn er würde sie treffen, und sie würde es ihm erklären.
"Was gibt's?", fragte Avianus wohl unerwartet gut gelaunt den Tiro, der durchnässt vor dem Tor stand und so aussah, als hätte er schon den halben Tag auf sie gewartet, und warf nur einen flüchtigen Blick zu der jungen Frau hinüber, die unter dem Vordach Schutz vor dem Regen gesucht hatte. -
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Caius Raecius FimbriaSchon komisch, dachte sich Fimbria, vor ihm standen lauter erwachsene Männer, die auf sich selbst aufpassen konnten, noch dazu bewaffnet, und trotzdem hatte er sich Sorgen gemacht. Nicht zum ersten mal fragte er sich, ob sein Gemüt wirklich die optimalen Voraussetzung für ein Leben als Urbaner bot. Er redete zu viel, er dachte zu viel nach, und dann auch noch über die falschen Dinge. Egal. Sie waren alle wieder wohlbehalten zurück, wenn auch mit teilweise sichtbar mieser Laune.
„Salve Optio Iunius Avianus!“ salutierte er eifrig. „Bei der Torwache keine besonderen Vorkommnisse so weit. Die .. äh ..“ aufmunternd winkte er Myrsini heran. „.. Serva hat eine Nachricht für dich, Optio. Nur persönlich zu übergeben.“ -
Was hätte sie sagen sollen? Oder sagen können? Ein ums andere Mal hatte Myrsini den Mund ein winziges Stück geöffnet, setzte zu einer Erwiderung an, um dem freundlichen Torwächter zu erklären, um welches Lied es sich handelte, doch sie schwieg. Wie konnte er auch ahnen, dass ihr seine Worte um das Atmen von Freiheit einen Stich versetzt hatten? Nicht so sehr, weil ihr Freiheit als Recht der eigenen Entscheidung fehlte - etwas, das sie ohnehin niemals kennen gelernt hatte -, vielmehr rief seine Frage Erinnerungen hervor, die Myrsini mit großer Mühe tief in sich vergraben hatte. Freiheit bedeutete nicht nur Verantwortung für sich selbst und dies galt gemeinhin als Definition des Begriffes, sondern Freiheit implizierte auch das Recht auf Ablehnung. Frei Atmen zu können trug in sich das Recht auf Furchtlosigkeit und dieses Recht war Myrsini nie zuteil geworden. Also schwieg sie, wenngleich ein Teil von ihr Bedauern darüber empfand und Mitleid hatte mit dem im Grunde herzensguten Raecius Fimbria. Nur mit ihrem Blick suchte sie dem Soldaten mitzuteilen, dass er keinen Grund hatte, eine Entschuldigung auszusprechen. Ob er ihre Botschaft indes verstand, vermochte sie nicht mit Gewissheit einzuschätzen. Irgendwo in der Griechin reifte derweil der vage Gedanke heran, noch einmal zu diesem Tor zurück zu kehren. An einem Tag, der von der Sonne beherrscht wurde und der Gelegenheit bot, sich zu bedanken, ohne dabei durch die immer präsente Pflicht gemahnt zu werden. Aus freien Stücken ... da war es wieder, das Wort.
Eine Soldatengruppe näherte sich, das Klappern ihrer Stiefel auf dem Boden war unverkennbar. Noch bevor Myrsini erblicken konnte, wer sich dort näherte, erschallte bereits die aufgeregte Stimme des Torwächters über den Platz und kündete von der Ankunft jenes Mannes, den zu treffen Myrsinis Aufgabe war. Hastig stellte sie den Becher Posca ab - dorthin, wo er von Raecius Fimbria leicht gefunden werden konnte - und zog ihre Tunika zurecht, löste sich aus dem groben Leinentuch. Sie vertrat nun ihre Domina, in offizieller Funktion und hatte einen würdigen Eindruck zu hinterlassen. Ungeduldig wartete die Griechin, bis die Gruppe heran war und sich bei dem Torwächter gemeldet hatte. Ein hochgewachsener Mann mit dunkelbraunem Haar und von athletischer Gestalt war der einzige Soldat, auf dessen harten Gesichtszügen ein Lächeln lag. Myrsini war durchaus in der Lage, den Rang eines römischen Soldaten zu deuten - dies empfahl sich als Sklavin einer gehobenen Dame - und so wusste sie rasch zu erkennen, wer von den Männern Aulus Iunius Avianus sein musste. Nachdem Raecius Fimbria ihr schließlich einen auffordernden Wink zuwarf, trat Myrsini mit raschen Schritten in den inzwischen seichter gewordenen Regen hinaus, den Brief in ihren Händen vor dem Nass geschützt und eilte gen der Soldaten, um sich - nicht ganz zufällig dicht neben Raecius Fimbria stehend - vor dem Optio ehrerbietig zu verneigen. "Ich bitte um Vergebung, Deine Aufmerksamkeit zu fordern, doch ich trage eine Nachricht von meiner Domina, Tiberia Lucia, die zu übergeben mir aufgetragen wurde."
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Seine Frage hatte er eher beiläufig gestellt und nicht zwangsläufig erwartet, dass der Tiro auch wirklich etwas nennenswertes zu melden hatte. Kaum hatte Fimbria ihn allerdings über die Sklavin informiert, stellte sich diese bereits zu ihnen und verneigte sich demütig. Und dann war da noch dieser Brief.
"Äh, ja… danke", kommentierte Avianus schlicht, der mit der Menge an Ehrfurcht, mit welcher ihm die Sklavin begegnete, nicht sonderlich fiel anzufangen wusste, und nahm die Schriftrolle entgegen. Dennoch wurde sein Lächeln noch ein wenig breiter. "Tiberia Lucia, sagtest du? Wie… unerwartet."
Und ob. Verdammt nochmal, was für ein Tag war heute eigentlich? Heute schienen die Götter ja mit Überraschungen nur so um sich zu werfen. Und wo zum Teufel waren Cato, Proculus und Canus, wenn es mal wichtig war? Die drei würden allesamt ihre Cristae fressen, wenn sie davon hörten. Was genau in dem Brief stand, war dabei im Grunde vollkommen nebensächlich. Vermutlich nichts außerordentlich Wichtiges, wie er die Tiberia kannte.
Zügig brachte er die seltsamerweise unversiegelte Papyrusrolle unter seinem Mantel in Sicherheit, um sie vor der Nässe zu schützen.
"Dann hast du deinen Auftrag ja erfüllt. Richte der werten Tiberia Grüße von mir aus." -
Myrsini schüttelte rasch den Kopf. Nicht zu schnell, als dass es hastig gewirkt hätte, vielmehr bemühte sie sich, in die ablehnende Bewegung eine sanfte Eleganz einfließen zu lassen. "Vergebung", begann sie daraufhin erneut und streckte nun ihre zweite Hand aus, öffnete die schmalen Finger und überreichte dem Soldaten die goldene Kette mit dem schimmernden, blauen Edelstein als zentraler Blickfang. "Meine Domina wünscht von Herzen, dass Du auch dies von ihr in Empfang nimmst." Erst jetzt war ihre Aufgabe wirklich erfüllt - gleichwohl sie keine Ahnung hatte, welchen Nutzen das fein gearbeitete Schmuckstück für den Optio besaß - und die Griechin spürte mit Erleichterung, wie die Last der Verantwortung von ihren Schultern glitt. Wahrlich, sie hatte weitaus zu viel Zeit zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt und womöglich erwartete sie ob dem bei ihrer Rückkehr eine Standpauke, doch besaß sie ein reines Gewissen und die Sicherheit, dass Aulus Iunius Avianus ihr Zeuge war. "Ich danke Dir", fügte sie rasch hinzu und verneigte sich einmal mehr, in Erwartung der Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. "Mit Freuden werde ich meiner Domina Deine Grüße überbringen und breche sofort auf, so Du gestattest."
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Avianus glaubte bereits, die Sache hätte sich erledigt, doch die Begegnung mit der Sklavin wurde immer noch schräger. Sie übergab ihm zusätzlich zu dem Schreiben noch eine Kette. Einen kurzen Augenblick lang, sah er nur verwirrt auf das goldene Schmuckstück hinab, bis er sich ein mehr oder weniger geistreiches "Aha..." abrang.
Ach ja, entgegennehmen sollte er es, das Ding. Warum auch immer. Nach wie vor etwas unschlüssig griff er nach der Kette und ließ sie, wie zuvor den Brief, unter seinem Mantel verschwinden. Dann wollte er sich bereits in die Castra begeben, denn nach dem Marsch durch die halbe Stadt und dem ewigen Herumstehen vor der Porta tropfte ihm das Regenwasser bereits von der Nase, allerdings stand die Serva ja immer noch da.
"Äh... warum nicht... du kannst gehen", befreite er sie also von ihrer Pflicht und wandte sich wieder der Porta zu. Zwar zeichnete sich in seinen Zügen noch immer ein breites Lächeln ab, aber langsam keimten Zweifel auf. Das war doch nicht normal, nicht einmal für die Tiberia. Wollte sie ihn in irgendetwas verwickeln? War da Gift an dem Brief? Oder an der Kette? Auf jeden Fall war was faul... es musste etwas faul daran sein... oder? Leicht den Kopf schüttelnd durchschritt er das Tor und warf schließlich einen flüchtigen Blick über die Schulter zurück zu seinen Soldaten.
"Na los, sehen wir zu, dass wir ins Trockene kommen." -
Eudicus
Unruhig tänzelte der alte Mann auf der Stelle. Die Kälte kroch ihm schon die Beine hoch und sein Mantel hielt die Nässe des Regens kaum mehr ab. Was dauerte da nur so lange? Das Mädel schien sich viel lieber mit der einen Wache zu unterhalten und ihm sogar was vorzusingen, als dass sie hier ihren Auftrag ausführte! So langsam aber sicher wurde der Gärtner wütend. Das dumme Ding sollte ihre Botschaft überbringen und wieder zur Villa zurückkehren! Das hier war eindeutig nicht seine normale Arbeit, hoffentlich gab die Herrin ihm eine ordentliche Entschädigung hierfür!
Nach einer gefühlten Ewigkeit tanzten endlich eine Gruppe Soldaten an und einer davon schien doch tatsächlich der Briefempfänger zu sein. Eudicus grummelte in seinen Bart. Darauf hatte das Mädel also gewartet! Jetzt sollte sie aber lieber schnell machen, sonst holte er sich hier noch auf seine alten Tage eine ordentliche Erkältung! Dinge wurden übergeben und endlich, ENDLICH! Sah es so aus, als ob das Mädel den Heimweg antreten würde. Hoffentlich verlief sie sich nicht wieder so fürchterlich!
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Natürlich, war es nichts mit dem erholsamen Schlaf. Die Vorfreude auf ein eventuelles Zusammentreffen mit Antias war allem Anschien nach zu groß und so kam es, dass Apolonia schon im Morgengrauen durch ihre Wohnung rannte, sich fertig machte und kaum abwarten konnte in die Sänfte zu steigen.
Da sie früh dran waren, kamen sie für römische Verhältnisse recht zügig voran und waren dann relativ schnell an dem Haupttor angekommen.
Die Sänfte hielt ein wenig abseits, Babila der schon seine Anweisungen hatte, trottet den ihm nicht unbekannten Weg in Richtung Wache. -
Die Sonne tat sich schwer an diesem Morgen. Was der Regen des vergangenen Nachmittags an Herbstwärme mitgenommen hatte, wollte nicht wieder zurückkehren. Kalt und zugig war es am Westtor. Gerissen hatte sich Antias um die Torwache nicht gerade, aber immerhin waren Fimbria und er beim Wachwechsel in den Genuss eines durchgefroren davonschleichenden Cluvius Sulca gekommen, sowas war einem nicht alle Tage vergönnt. Nach diesem kurzen aber besonders strahlenden Lichtblick hatten sich die Tirones befriedigt der sich endlos abspulenden Wachroutine zugewandt. Mit Ausnahme einiger neuer Boten und Sklaven waren mal wieder die üblichen Verdächtigen unterwegs. Bekannte Gesichter. Bekannte Waren. Bekannte Ausreden. Während Fimbria auf der anderen Straßenseite Urlaubs- und Lieferscheine studierte, machte sich Antias seufzend an die Kontrolle eines alten Bekannten. Ein dürrer Tischler saß mit seinem Gesellen auf dem Bock eines Maultiergespannes, das mit Holzgestellen, Brettern und Streben völlig zugerümpelt war.
„Salve allerseits. Pritschen und Spinde. Abladen und Aufbauen.“
„Genehmigung?“
„Äh .. also .. das ist folgendermaßen ..“
„Verstehe. Umkehren!“
„Was? Wieso?“
„Wie oft soll ich’s dir noch sagen? Nach Tagesanbruch keine Gespanne!“
„Aber als ich mich angestellt habe, war’s noch ganz dunkel!“
„Red keinen Blödsinn. Hol dir eine Genehmigung.“
„Hab ich schon beantragt, bekomme ich morgen.“
„Ja, sicher. Das hast du die letzten male auch behauptet. Jetzt ist Schluss, mach Platz!“
„Aber ich hab bis in die Morgenstunden an den Pritschen gearbeitet!“
„Nicht mein Problem. Dein Karren verschwindet hier, klar?“
„Ohne das Fuhrwerk brauch ich Träger! Die sind teuer!“
„Du brauchst keine Träger, du brauchst eine Genehmigung!“
„Überleg doch mal, Soldat .. wenn ich schonmal hier bin .. und mit dem Gespann eigentlich sowieso nicht mehr zurückfahren darf, könnte ich doch auch gleich ..“
„Verdammt, du hast recht. Stell den Karren da rüber. Nach Sonnenuntergang kannst du ihn wieder abholen.“
„Was?“
„Entweder das, oder du kehrst um.“
Der Lignarius zog letzteres vor. Unter gutturalem Gemaule, von dem Antias nur Fragmente wie Willkür, Beschwerde und Praefectus Urbi verstehen konnte, wendete der Tischler schließlich umständlich das Fuhrwerk. Immer das gleiche mit diesem verstockten Hobelschwinger.Nachdem Fimbria einen Ochsenkarren mit Handwerkern nebst Werkzeug – offensichtlich mit Genehmigung – durchgewinkt hatte, kam er verschmitzt lächelnd zu Antias herüber. „Sieh mal, da drüben ist wieder das hektische Wiesel von neulich.“ Antias verstand nicht. „Wiesel?“ „Ja, dieser zappelige Kälberschwanz, der dir den Brief überbracht hat.“ Kälberschwanz? Brief? Das klang verdächtig nach ... tatsächlich! Unscheinbar wie ein staubiger Grashalm stand Babila im lichter werdenden Morgendunst und zappelte sich warm. „Äh Fimbria .. machst du bitte kurz weiter .. ich ..“ „Schon klar.“ grinste Fimbria verschwörerisch. Babila war doch nicht zufallig hier, oder? Unsinn. Zufälle gab es nicht! Nicht an diesem Morgen! Mit freudigem Lächeln eilte Anias auf den zuckenden Sklaven zu. „Babila! Alte Zitterpappel! Hat sie dich geschickt? Wo ist sie? Wie geht’s ihr? Jetzt sag schon!“ Dann wurde ihm wieder klar, wen er vor sich hatte. „Freut mich, dich zu sehn’ Babila ..“ sagte er langsam und schmeichelnd. „.. hast du Nachricht von Apolonia?“
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Die eine Hand am Mund, Fingernägel anknabbernd, die andere, den Vorhang der Sänfte immer wieder einen Spalt öffnend, saß Apolonia da, wartend und beobachtend.
Soviel sie erkennen konnte tat sich nichts und Babila kam auch nicht zurück.
Wie lange war er jetzt schon weg? Stunden? Blödsinn schalt sich Apolonia selber, auch wenn es noch früh ist so hat sich doch schon einiges an der Porta angesammelt. Er muss warten bis er dran ist.Völlig überrumpelt mit solch einer Freude begrüßt zu werden, erstarrte Babila zunächst. Diese Erstarrung löste sich für Babilas Verhältnisse aber sehr, sehr schnell und als erste Antwort kam ein heftiges nicken. Sicher hatte er Nachricht on Apolonia. Oder doch nicht. Nein in dem Sinne, so wenigstens fand er, keine Nachricht. Er hatte ja keine Tabula oder gar eine Schriftrolle bei sich. Er sollte lediglich sagen, dass Apolonia in der Sänfte dort drüben wartete und den Tiro zu dieser bringen.
Erschrocken hielt er inne, denn jetzt erst merkte er, dass er immer noch nickte und errötete bis in die Haarspitzen. Sein berühmter Ausspruch: „Äh“ , kam dann doch relativ zeitgleich, um dann entgegen aller Erwartungen, bestimmt auf Grund seines Schreckens ein: „Da“, um einen Fingerzeig hinterher zu schieben. Sofort wurde Babila sein Fehler bewusst und rannte los in Richtung Sänfte und an ihr vorbei. Unauffällig hatte sie gesagt, du bringst den Tiro dann unauffällig zu meiner Sänfte. Sich hin zu stellen und mit dem Finger zur Sänfte zu zeigen war ja nun nicht gerade unauffällig. Zitternd hielt er dann an und stellte sich, in einem gewissen Abstand, hinter die Sänfte.Fast hätte Apolonia den Vorhang zur Seite gerissen und wäre aus der Sänfte gesprungen, als sie entdeckte, dass Babila an ihr vorbei rannte. Entsetzt klammerte sie sich an die Sitzbank. Was war geschehen? Kamen sie schon um sie zu hohlen? Sie hatte gespürt wie ihr die Farbe aus dem Gesicht gewischen war und hörte ihr Herz wie wild hämmern, dieses mal nicht vor Freude.
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Das obligatorische `Äh’ hatte Antias erwartet, den von einem gezischelten `da` begleiteten Fingerzeig auf eine abseits wartende Sänfte sehnlichst erhofft, dass der Sklave allerdings derart verschreckt davonstob, war sogar für Babilas’ Verhältnisse alarmierend. Götter, es musste doch irgend ein Kraut geben, das dieses Nervenbündel zu sedieren vermochte! Ein paar Schritte rannte Antias dem kopflosen Burschen nach, riss sich dann aber zusammen und marschierte geschäftsmäßig federnd auf die Sänfte zu. So sehr ihn die Freude auch überflutete, vor dem wartenden Volk hatte er als Urbaner gefälligst Haltung zu bewahren, zumindest so viel Haltung sein hämmerndes Herz zuließ.
Ohne sich lange mit vorgetäuschten Floskeln aufzuhalten schob er den dünnen Vorhang zur Seite, sah sie, brannte vor Glück, beugte sich zu ihr hinunter und zog sie sanft an sich. „Ach, Apolonia .. mein Augenlicht.“ Seufzend vergrub er das Gesicht in ihrem Haar, das ihn umfing wie ein schattiger Frühlingswald, durchweht von Sandelholz, Narde und etwas neuem unbekannten. „Du ahnst nicht, wie sehr du mir gefehlt hast.“ hauchte er mit rauer Stimme. Seine Hand strich zärtlich über ihre Wange, seine Augen suchten die ihren. Meergrün. Endlos. Ewig. Er küsste sie, sah sie an, küsste sie noch einmal, nahm lächelnd ihre zarte Hand. „Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?“ Ihre Hand war eiskalt. Über die leuchtenden Quellen ihrer Augen zuckte ein feiner Schatten. Jetzt erst erkannte er den feinen fremden Hauch, der sie umgab. Angst. Gar nichts war in Ordnung. Sie war leichenblass, ihr Blick schimmerten aus tiefen Höhlen zu ihm herauf. Stechend ballte sich sein Herz zu einer heißen pumpenden Faust. „Dorcas? Was ist passiert?“
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Welch ein Gefühlschaos stürzte auf Apolonia ein, als sie Antias den Vorhang zur Seite schob und sein Gesicht vor ihr auftauchte. Sie seinen ihm eigenen Geruch wahr nahm. Kaum, dass sie seine Berührung spürte, seine Lieb und Zärtlichkeit.
Liebe, Glück, Geborgenheit, Sorge, Enttäuschung, Furcht, Zorn und Angst. Angst vor allen Dingen, Angst ihn zu verlieren, Angst ihm zu schaden, Angst das erhoffte nie erreichen zu können, Angst verstoßen zu werden.
Mühsam unterdrückte sie die in ihr aufsteigenden Tränen. Panik machte sich in ihr breit. Wie sorgfältig hatte sie ihr Geständnis geprobt und nun stellte sie mit entsetzen fest, alles war weg. „Ich muss dringend mit dir alleine und ungestört sprechen“, fing sie an. „Ich habe dir vieles zu beichten. Am besten du vergisst mich, ich schade dir nur. Ja ich liebe dich und möchte für immer bei dir sein, doch ich bin dein Untergang. Sperr mich ein und wirf den Schlüssel weg oder noch besser erlöse die Welt von meinem Dasein.“ Schmerzhaft war der Biss auf der Unterlippe. „Bitte, wo können wir ungestört reden?“ Noch bevor sie die letzte Frage stellte, hielt sie Antias an den Schultern und schaute ihn fest an. -
Er hatte diese Stimme so sehr vermisst, dass er zunächst nur ihren Klang auskostete. Die Worte selbst fanden erst mit einiger Verzögerung sein Bewusstsein, schlugen dann aber ein wie Wurfgeschosse. Schaudernd nahm er ihre kalten Hände an seinen Schultern wahr. Was? Sein Untergang? Sie vergessen? Die Welt von ihrem Dasein erlösen? Wieder versank die Urbs in Trümmern, nur dieses mal würde ein Kuss nicht reichen, um sie wieder aufzurichten. Vergeblich forschte er in ihren verschatteten Augen nach einer Erklärung. Wollte sie es einfach nicht mehr? War es nur das? Wollte sie ihn nicht mehr? Wenn ja, hätte er es sogar verstanden, verstehen müssen. Sein Dienst, die Einschränkungen der Grundausbildung, die gestohlenen Augenblicke, all das komplizierte ihre Beziehung sicher weit mehr als er Apolonia abverlangen durfte. Aber wenn es allein darum ging, warum quälte sie sich so? War sie verheiratet? Vergeben? Schwanger? Nichts von alldem konnte diese Verzweiflung rechtfertigen, mit der sie Antias ansah. Beichten? Also war da etwas elementares, das sie ihm bislang verschwiegen hatte. Na und? Es gab vieles, was er noch nicht von ihr wusste, aber das war nicht ihre Schuld sondern seine eigene. Anstatt sich in jener Nacht in aller Ruhe und Vertrautheit mit ihr zu unterhalten, war er schwach geworden und hatte sich von seiner überquellenden Leidenschaft mitreißen lassen. Wenn sie ihn wirklich noch liebte wie sie sagte, musste sie doch wissen, dass es nichts gab, was sie ihm zu verschweigen brauchte.
Noch immer zu keiner Entgegnung fähig, strich er ihr die geliebte Haarsträhne aus der geliebten Stirn. Ich komme zu dir, wollte er ihr sagen, so bald ich kann, ich hab es einmal geschafft, ich werde es wieder schaffen. Aber er spürte, dass dafür keine Zeit mehr blieb. Langsam nickend wandte er sich ab. Sein Blick schweifte ziellos über die Mauern der Castra, das Tor, den Platz, die wartenden Menschen, die Dächer der Vorstadt und schließlich zurück zu Apolonia. Tief sog er die feuchte Herbstluft in sich ein, riss dann kurzerhand die Tür der Sänfte auf, fasste Apolonia um Hüfte und Beine und hob sie heraus. „Schließ die Augen, Dorcas und beweg dich nicht.“ Die Träger starrten sich verwirrt an, Babila wuselte stöhnend hinter der Sänfte hervor, die Augen vor Entsetzen geweitet. „Ihr bleibt in der Nähe, klar?“ zischte Antias mit Nachdruck. „Auch wenn es bis zum Abend dauert!“ Apolonia fest an sich gedrückt bahnte sich Antias seinen Weg zwischen glotzenden Boten und Lieferanten hindurch zum Tor. „Geht beiseite! Die Frau ist krank!“ Fimbria sah erschrocken von einem Passierschein auf. „Was ist los?“ Antias bedachte seinen Kameraden mit einem vielsagenden Blick. „Sie ist ohnmächtig. Ich bring sie in’s Valetudinarium. Kommst du hier noch ein paar Minuten allein klar?“ Fimbria nickte mit dem schwachen Lächeln aufkeimender Erkenntnis. „An mir soll’s nicht liegen. Gute Besserung.“ Dafür hast du zwanzig Latrinengänge gut, Kleiner, dachte Antias dankbar und trug Apolonia mit festen Schritten durch’s Lagertor. Nach ein paar Perticae auf der Principalis bog er nach Norden ab. Hier herrschte weniger Betrieb und vor allem verschaffte der Umweg ihnen etwas Zeit. „Vertrau mir Dorcas.“ sagte er leise ohne den Blick vom Weg abzuwenden. „Wenn es wirklich so viel zu sagen gibt, fängst du vielleicht einfach mal an, hm?“
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Nicht doch was machst du denn, wollte Apolonia sagen, doch sie kam nicht mehr dazu schon hatte ihr Antias sie hochgehoben. Sie hörte was er sagte, verstand zunächst nicht, gehorchte aber. Wie hätte sie ihm auch nicht vertrauen können, schließlich war er die Liebe ihres Lebens und der einigste dem sie vertraute. Nur was er vorhatte war ihr im Augenblick ein Rätsel. Die Augen geschlossen, zu ängstlich auch nur mit dem kleinen Zeh zu wackeln, hing sie jetzt irgendwie auf seinen Armen. Nur wohin ging er jetzt mit ihr? Stimmen, Gemurmel hörte sie dann endlich kam die Erklärung. Was ins Valetudinarium? Was sollte sie da, gerade wollte sie aufbegehren da hörte sie den Klang seiner Stimme, oh wie hatte sie den vermisst. Ja und ob sie viel zu sagen hatte. Es brannte förmlich in ihr, es musste raus und dennoch fürchtete sie sich davor. Es könnte das Ende ihre Liebe, ihres Lebens, sein Untergang werden. Was hatte sie nur getan? Warum diese Liebe zugelassen? Dann flammte wieder Hoffnung auf, wenn einer einen Ausweg finden würde dann er. Hatte er das nicht gerade eben wieder bewiesen. Womit und wie jetzt aber anfangen, ohne, dass er sie vor entsetzen von sich warf, hier mitten auf einem Weg in der Castra. Leise, zögernd fing sie an. „Glaub mir mein Liebster ich liebe dich, mehr als mein Leben, deshalb muss du mich vergessen. Zu deinem Schutz, du darfst mich nicht kennen und lieben schon gar nicht. Nicht weil ich eine Lupa bin, nein weil ich… ja weil ich eine … eine entlaufenen Sklavin bin“.
Es war raus, endlich war es raus, hoffentlich lässt er mich jetzt nicht vor Schreck fallen oder brüllt los. Doch obwohl wenn es zu seinem Besten ist, so soll es geschehen, dachte sie sich in ihr Schicksal ergebend. -
Bei den Arschbacken der Aeternitas, das waren ja mal Neuigkeiten! Antias geriet aus dem Tritt, packte noch fester zu, um Apolonia nicht fallen zu lassen und stakste mechanisch weiter. Sie meinte ernst, was sie sagte, da gab es kein vertun. Und er hatte ihre Beziehung für kompliziert gehalten? Sie war eine beschäftigte Lupa, er ein Tiro ohne Ausgang, etwas kompliziert, zugegeben. Darüber hinaus war sie eine Sklavin, das komplizierte die Angelegenheit in der Tat beträchtlich, zudem noch eine entlaufene Sklavin, kompliziert war das nicht mehr, sondern nichts weniger als kompletter Irrsinn. Er wollte nicht lachen, es kam von alleine. Manchen Situationen war mit kühler Ratio nur noch schwer beizukommen. Leise vor sich hin kichernd trug er sie weiter. Die Konsequenzen all dessen stiegen nach und nach vor seinem geistigen Auge auf, entzogen sich jedoch noch immer einer ernsthaften Betrachtung. Das war einfach zu verrückt, es änderte alles und doch nicht das geringste. „Ich hatte schon befürchtet, es sei was Schlimmes.“ grinste er kopfschüttelnd zu Apolonia hinab. „Entschuldige Liebes, ich muss das erstmal ... gib mir ein paar Augenblicke, ja?“
Um zum Valetudinarium zu gelangen, musste er an der nächsten Ecke rechts, er ging weiter geradeaus. Möglicherweise war es angesichts der neuen Faktenlage gar nicht allzu ratsam, Apolonia tiefer in die Castra hinein zu bringen. Andererseits befand sie sich draußen wohl in größerer Gefahr als hier. Das Aufgreifen entflohener Sklaven oblag privat angeheuerten Kopfjägern, die CU waren dafür nicht zuständig. Ein schwacher Trost. Sicher war sie weder hier noch irgendwo anders. Verstecken konnte er sie in den Castra auch nicht, die wenigen Milites, denen sie begegneten, begafften sie bereits argwöhnisch genug. Im Valetudinarium würde man sich, wenn auch zähneknirschend, erstmal um sie kümmern, krank genug sah sie ja aus. Nur, welche Geschichte sollte er den Stabsärzten auftischen? Salve, werte Medici, wenn ihr euch bitte meiner geliebten Lupa annehmen könntet, bis ich verdaut habe, dass sie eine entflohene Serva ist? Das Grinsen drängte sich schon wieder nach oben, diesmal allerdings schluckte er es wieder hinunter. Man konnte so einiges mit Humor nehmen, aber das hier war verdammt nochmal kein Spaß. Es blieb nicht die Zeit, alles in Ruhe zu verarbeiten, er musste sich der neuen Situation stellen. Jetzt. Verdutzt blieb er stehen. Sie hatten die Nordmauer erreicht. Antias machte fluchend kehrt und sah lange in Apolonias blasses Gesicht. Am Besten, er ließ sie einfach nicht mehr los, trug sie aus den Castra, aus der Stadt, hinauf in die Berge oder hinunter an einen der Häfen. So wie es etwas hinter allem gab, gab es auch eine Welt außerhalb der Welt. Das Imperium war riesig, endlos war es nicht. Wie weit würden sie kommen? „Hör zu, Dorcas .. eines gleich vorweg.“ brach er heiser das Schweigen. „Ich liebe dich und denke gar nicht dran, dich zu vergessen.“ Die Abzweigung zum Lazarett kam wieder näher, so langsam musste er sich wirklich klar darüber werden, wohin er sie zu schleppen gedachte. „Aber wir haben ein gewaltiges Problem und nicht mehr viel Zeit. Ein paar Dinge muss ich unbedingt wissen, um dir und uns helfen zu können. Bist du untergetaucht? Wenn ja, ist es da für den Moment sicher? Wem bist du davon gelaufen und wann? Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass dein ... Besitzer ... nach dir suchen lässt?“ Wie kannst du so unvorsichtig sein, am helllichten Tag hier aufzutauchen? wollte er am liebsten nachwerfen. Was hat dich auf die unbegreiflich kurzsichtige Idee gebracht, dich ausgerechnet in einem Lupanar zu verstecken? Aber Vorwürfe waren hier wenig hilfreich. Zum einen war sie schon verwirrt genug und zum anderen hatte er selbst schon Dinge getan, die noch weit unbegreiflicher waren.
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Langsam wurde es unbequem, nicht das es nicht schön gewesen wäre von Antias durch die Gegend getragen zu werden. Aber doch nicht soc, wenn hätte Apolonia sich das anders vorgestellt, nicht als Ohnmächtige, eben anders, so mit Armen um seinen Hals, den Kopf auf seiner Schulter ruhend. Er hatte aber auch einen festen Griff. „Ich liebe dich“, es kam einfach so aus ihr heraus, wie das selbstverständlichste auf der Welt. So wie ein Nieser plötzlich aufsteigt und raus muss. Sie wusste auch, dass dies jetzt nicht die Antwort war die gepasst hätte und ihm die nötige Auskunft gab, doch es war nun mal so. Wichtig war es auch dies noch einmal ausdrücklich zu betonen. Es war ja auch kein ausweichen auf seine Fragen, schließlich war sie hierher gekommen um ihm alles zu gestehen. Nur, dass dies eben in ihrer Vorstellung anders aussah. Da hing sie nicht als Ohnmächtige getarnt auf seinen Armen. Wie sollte sie in dieser Stellung einen klaren Gedanken fassen ohne nicht abgelenkt zu werden. Sie spürte, hörte, roch ihn. Sie wollte ihn mit jeder Faser ihres Körpers. Dabei störten seine drängenden, wichtige Fragen wirklich.
Apolonia zuckte zusammen, ein Geräusch hatte sie in die Wirklichkeit zurückgebracht. Ein fremdes Geräusch, was für sie beide besonders aber für Antias gefährlich werden könnte.
Was hatte er noch mal gefragt? Oh ihr Götter es war doch viel komplizierter als er dachte. “In meiner Wohnung bin ich, von der kaum einer etwas weiß und die fast keiner kennt. Wenn Morrigan nicht auf irgend eine Art gezwungen wird, alles zu gestehen, doch da mache ich mir fast keine Sorgen, sie ist stark und Dracon, der versteht es durch zukommen.“ So dass war nun auch raus, sie waren drei, Der Rest musste auch noch raus. “Soviel uns bekannt ist suchte nur Felix, also Quintus Claudius Felix nach seiner Sklavin, ob Herius Claudius Menecrates nach mir suchen lässt weiß ich nicht, glaube ich aber nicht.“ Letzteres fügte ich schnell hinzu, So als Beruhigung, als ob irgend etwas in so einer Situation beruhigen hätte können. Jetzt musste sie ein in ihr aufkommen Lachen gewaltsam unterdrücken. Apolonia wusste es wäre verräterisch hysterisch laut geworden. Was wäre das für ein Bild, sie als Ohnmächtige auf dem Arm eines Urbaneres, laut hysterisch lachend.
Meine Zunge, dachte sie, während sie Blut schmeckte. -
In stiller Erwartung weiterer umwerfender Neuigkeiten stapfte Antias mit Apolonia vor sich hin. Verdammt, warum konnte nicht alles so leicht sein, wie die wunderbare entlaufene Gazelle in seinen Armen? Ihre Liebeserklärung machte die Situation zwar nicht besser aber weitaus schöner. „Das will ich doch hoffen, Kleines.“ erwiderte er mit einem zärtlichen Lächeln, das sich angesichts der weiteren Erklärungen allerdings rasch wieder verflüchtigte. Apolionia war nicht die einzige entflohene Sklavin aus dem Personalstand des Lupanars. Da gab es noch Morrigan. Er erinnerte sich gut an die vermeintliche Geschäftsführerin des Bordells. Und Dracon? Richtig, der Glatzkopf. Sie beide teilten also Apolonias Schicksal. Im ersten Moment beruhigte ihn das sogar ein wenig, zumindest war sie da draußen nicht völlig auf sich allein gestellt. Dann wurde er sich plötzlich der Bedeutung dessen bewusst, was Apolonia über Morrigan gesagt hatte: Die selbstbewusste dunkle Frau war offenbar bereits geschnappt worden. Nur, von wem? Aber das spielte zunächst keine Rolle, viel wichtiger war, dass die Frauen nicht den selben Herren hatten. Vielleicht suchte Apolonias’ Besitzer tatsächlich nicht nach ihr, vielleicht war er einer von der Sorte, die einer geplatzten Investition nicht noch zusätzliche Summen für Nachforschungen mit offenem Ergebnis hinterher werfen wollte. Wo Geiz und Stolz sich duellierten, siegte in den gehobenen Kreisen meist der Geiz. Vielleicht, vielleicht.
Antias sah Apolonia kurz an und lachte glucksend auf. Vielleicht war dieser Menecrates ja auch froh, sie los zu sein. Es war Antias von Anfang an völlig klar gewesen, dass seine Geliebte auch ein ziemlich Früchtchen sein konnte, die einzig wahre Frau für ihn, ohne Zweifel. Das Lachen verhallte in einem langen Seufzer. Aber seine Frau konnte auf keinen Fall hier bleiben, und er konnte nicht mit ihr fort gehen, jedenfalls nicht jetzt auf der Stelle. Die Alternative, sie tatsächlich in’s Valetudinarium zu bringen, verwarf er gleich wieder. Aplonia wie ursprünglich geplant dort bis zum Ende der ersten Tagwache als Notfall unterzubringen, um ihr danach in Ruhe zuhören zu können, kam nicht mehr in Frage. Zu viel Argwohn, zu viele Fragen, zu gefährlich. Fieberhaft sah er sich nach einem Ort um, an dem er sie unbeobachtet absetzen und weiter mit ihr reden konnte, einen toten Winkel musste es doch geben, eine dunkle Ecke, einen schmalen Durchgang, zur Not irgendein Loch. Aber das waren die Castra, nicht Trans Tiberim. Hier gab es keine lauschigen Nischen, in denen man sich ohne weiteres hätte verkriechen können.
Wieder kamen sie an die abzweigende Lagergasse zum Lazarett. Antias warf nur einen flüchtigen Blick nach links und wollte schon weiter gehen, da sah er das Fuhrwerk stehen. Das war doch vorhin noch nicht da gewesen, oder? Völlig egal, jetzt war es da und versperrte die Sicht auf den östlicheren Teil der Gasse. Als Antias näher kam, erkannte er das Gespann: Der Handwerkerkarren, den Fimbria kurz zuvor hatte passieren lassen. Über die Vorderseite der breiten Ladepritsche stiegen blass die Atemwolken der Zugochsen empor, noch weiter vorn wurde gehämmert, gesägt und geschwatzt. Wie es den Anschein hatte, erneuerten die Handwerker Bohlengang und Vordach an einem der Magazine. Ihr Fuhrwerk hatten sie längs zum Gebäude abgestellt, unter dem niedrigen Dach war eine Wand aus Brettern und Schindeln aufgestapelt. Antias drehte sich noch einmal um, vergewisserte sich, dass ihnen von der Westmauer her niemand folgte und schlüpfte neben dem Karren vorbei unter das Vordach. Das aufgeschichtete Baumaterial entzog sie den Blicken der Handwerker, der Karren versperrte die Sicht auf die Gasse. Nahezu perfekt. Wäre mehr Zeit gewesen, sie hätten hier auch ... aber daran dufte er jetzt nicht einmal denken. „Siehst du, so gram können die Götter uns gar nicht sein.“ flüsterte er Apolonia lächelnd zu und stelle sie vorsichtig auf die Füße.
Einen Kuss lang gab er sich noch Zeit zur Sammlung, dann einen zweiten. Nach dem dritten Kuss war er dermaßen gesammelt, dass er ihr am liebsten die Kleider vom Leib gerissen hätte. Aber es half nichts, die Minuten verstrichen, ein gemeinsames Leben wollte erkämpft werden. „Das wird jetzt bitter, Dorcas.“ begann er leise. „Wenn du in deiner Wohnung noch einigermaßen sicher sein kannst, ist es momentan das vernünftigste, bis auf weiters dorthin zurück zu gehn.“ Er hasste, was er sagte, es klang als wolle er sie fortschicken, dennoch war das im Moment der einzige Weg, sie zu schützen, und er hoffte inständig, dass auch ihr das klar war. „Möglicherweise wirst du wirklich nicht gesucht, das wird sich herausfinden lassen. Wenn ich jetzt sofort mit dir gehe, bringe ich dich damit in noch größere Gefahr.“ Nein, Unsinn, lass uns gehen! wollte er sagen, aber sie würden nicht weit kommen, sie würden beide niemals frei werden, nicht auf diese Art. „Es gibt immer eine Möglichkeit, hier raus zu kommen. Zudem dauert die Grundausbildung nicht ewig, danach wird es einfacher. Du musst nur noch ein wenig durchhalten. Ich weiß, das klingt alles schrecklich nüchtern und selbstbezogen, aber ich kann als Urbaner einfach mehr für uns tun als ich es als Deserteur könnte, und wenn ich keine andere Lösung finde, geh ich mit dir fort, das schwöre ich.“ Ihre Blicke waren im Halbdunkel nicht wirklich zu deuten. Behutsam zog er sie an sich. „Du bist nicht mein Untergang, Dorcas .. aber ich darf auch nicht zu deinem werden. Was meinst du, schaffst du das?“
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In Lage in der sich Apolonia gerade befand, dieses seltsame hängen auf Antias Armen, verwehrte ihr die Sicht. Das was sie sah war Himmel und mit etwas Glück immer wieder für einen Bruchteil eines Augenblickes sein Gesicht. Deshalb war ihre Verblüffung auch nicht weiter verwunderlich als sie, kaum dass ihre Füße auf dem Boden waren, sich in diesem kleinen Winkel sah. Bestimmt bin ich ihm zu schwer geworden auf dem Weg zum Valetudinarium dachte sie, doch dann wusste sie es besser, nach dem ersten Kuss, nach dem zweiten erst recht. Dafür sind wir also hier gestrandet, nicht schlecht jetzt zuerst ein Zwischenspiel einlegen und dann weiter.*“ „Das wird jetzt bitter, Dorcas.“ * Dieser Satz drängte sich langsam in ihr Bewusstsein vor. „Wie jetzt? Er konnte doch nicht einfach so abrupt abbrechen. Doch er konnte es, Antias konnte das, wie er so vieles konnte. Immer noch total verwirrt, wie nach einem eiskalten plötzlichen Wasserguss stand sie da, wie so ein begossener Hund. Jetzt musste sie sich nur noch schütteln, damit sie ihre Gedanken zusammen hielt. Das „bitter werden“ bezog sich jetzt also doch nicht auf seinen Entzug. Dann könnten sie jetzt doch mal eben auf die Schnelle? Gut das wäre nicht die Wunschvorstellung, doch in ihrer Lage mehr wie gar nichts. Wie jetzt? Sie sollte zurück langsam kam Apolonia dann zum ursprünglichen Thema zurück. Ja das glaubte sie schon, dass sie in ihrer Wohnung sicher war und um nichts in der Welt wollte sie ihren Geliebten in Gefahr bringen. Darum war sie schließlich hier, nicht nur um alles zu gestehen, nein auch um ihn zu warnen und ihm klar zu machen, dass es für ihn besser war sie einfach zu vergessen. Selbstbezogen fand sie es von ihm wirklich nicht, nur eine winzige Gefahr gab es bei diesem Weg, schließlich kannte sie sich. Wenn sie sich jetzt also wochen-, monatelang alleine in der Wohnung versteckt halten musste, dann käme Langeweile auf, genau wie damals bei den Claudiern. Schwer genug war es für sie gewesen, diesen Weg zu verlassen.
Seufzend nickt sie, „Ja du hast recht, dies ist bestimmt die beste Lösung. Aber sag einmal gibt es keine Möglichkeit für euch hier am Abend, heimlich, durch ein Schlupfloch Gäste zu empfangen? Das Gelände ist groß, da hat doch bestimmt der ein oder andere schon einmal versucht eure Probleme zu lösen?“ Nicht nur um Antias zu verdeutlichen was sie meinte, sondern auch um ihn zu animieren doch noch, bevor sie hier weg mussten, zu dem zu bringen, dass zu machen was ihnen ein so großes Bedürfnis war, griffen ihre Hände nach vorne um sich suchend unter seine Tuniken vor zu arbeiten, während ihre Augen ihn entgegen leuchteten. Schließlich wusste sie um die Wirkung ihrer Augen. Eine schnelle Nummer musste einfach noch möglich sein, so als Trostpflaster, für die lange Wartezeit oder als Anreiz, doch noch eine Lösung für die nächste Zeit zu finden. Die könnte er ja suchen, wenn sie wieder weg war.
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