Eine elegante Sandale, aus fein geprägtem Gazellenleder gefertigt, berührt den Staub der Strasse. Zögerlich. Darin ein schlanker Fuss. Darüber eine knabenhafte Wade. Der Saum des Chitons wellt sich bei jedem Schritt. Ihn ziert eine kunstvolle Stickerei, dem Schwung von Meereswogen nachempfunden, silberne Wirbel auf cremeweissem Grund. Zaudernd folgt der zweite Fuss.
Lycidas geht in der Mitte der Strasse. Er hält Abstand von den Häusern. Entsetzlich ärmlich sind sie. Laute Stimmen dringen bis auf die Stasse, die diesen Namen nicht verdient. Es ist mehr eine Rinne zwischen den Hütten. Staubig und schmutzig. Lycidas weicht einem Haufen fauliger Abfälle aus. Rümpft ein wenig die zarte Nase, auf der kleine Sommersprossen fein dahingetupft sind.
Die Bewohner des Viertels bedenkt er mit misstrauischen Blicken. Hätte er nicht einen Leibwächter bei sich, Lycidas hätte sich nicht nach Rhakotis getraut. Es ist einer der Männer, die sein Herr in Meroë erworben hat. Schwarz und massig, mit Muskelsträngen wie ein Büffel, und tiefen Schmucknarben auf den Wangen. Er überragt Lycidas bei weitem, folgt ihm auf den Fuss. Ist sein Schatten. In der Hand trägt er einen langen Stab, am Gürtel einen Wasserschlauch, und den Kasten mit Lycidas' Instrument auf dem breiten Rücken.
Hier soll der grosse Künstler wohnen? In dieser erbärmlichen Umgebung? Lycidas vermag das kaum zu glauben. Sein Herr hat ihm gesagt, er erinnere sich noch gut wie es ihm vor Jahren, vor der grossen Reise in den Süden, einmal vergönnt gewesen sei, den göttlichen Philolaos zu hören. Ein grosser Kitharode, der Grösste von Alexandria. Da ist Lycidas natürlich sehr neugierig. Doch je weiter er dem Weg folgt, den man ihm am Portus Mareotis beschrieb, um so stutziger wird er. Auf einem kleinen Platz mit einem Ziehbrunnen bleibt er stehen. Hinter ihm der Meroër. Die Sonne flirrt auf den Schindeln der Dächer. Schmutzige lehmbraune Töne umgeben den Jüngling in seinem duftigen hellen Chiton. Unschlüssig sieht er sich um. Streicht sich eine güldene Strähne hinter das Ohr.
Womöglich ist die Beschreibung falsch. Lycidas wünschte, all die anderen wären nicht fortgelaufen. Dann könnte er sich friedlich, im Schatten duftender Zedern, von der strapaziösen Reise erholen. Seine Schönheit pflegen, seinen apollinischen Glanz zurückgewinnen. Und sich ganz seiner geliebten Musik widmen! Anstatt Botengänge zu tun, für die er nicht geeignet ist. Hier in diesem schmutzigen Viertel der Armen.
Schliesslich fasst er sich ein Herz. Geht auf die nächste Person zu, die den Platz betritt, und die nicht wie ein Halsabschneider aussieht.
Höflich neigt Lycidas das Haupt zum Gruss. Zeigt ihr sodann eine kleine Wachstafel, mit dem Namen Philolaos. Eine Kithara ist darunter in das Wachs gezeichnet. Zudem hebt der junge Lyder die Hände, lässt die Finger sacht an imaginären Saiten zupfen, in einer anmutigen Pantomime des Spiels auf diesem Instrument. Darauf deutet er fragend in die verschiedenen Richtungen, auf die umliegenden Häuser. Und blickt die Person hilfesuchend an.
Wer weiss Rat?