Ein Tag wie jeder Andere

  • Laut lärmten die Stimmen zahlloser Händler. Preisten ihre Waren an, lobten ihren Bestand, logen, übertrieben, feilschten, verkauften als ob es um ihre Seele ging, die Einzug in die elysischen Felder erhalten sollten. Zwischen all dem bunten Treiben schlenderte auch Geórgios entlang, auf der Suche nach der einen oder anderen Kleinigkeit, die er gebrauchen könnte. Doch eigentlich war das weniger der Grund seines Besuches, mehr die dringliche Aufforderung seines jüngeren Bruders. Seines Halbbruders, um genau zu sein. Vor einigen bunten, schon grellen Stoffen aus dem fernen Maurya blieb Geórgios stehen. Seine Finger glitten durch die seidigen Materialien.


    "Bruderherz!", ertönte neben ihm. Geórgios spähte auf und grinste spöttisch. "Bruder-Herz? Was willst Du Thémis?" Sonnengebräunt, mit lachenden Augen und einem strahlenden Gesicht trat Themistoklís auf ihn zu und klopfte ihm ein paar Mal auf die Schulter. "Begrüsst man so einen Heimkehrer? Willst Du nicht wissen, wie es gelaufen ist?""Wie ist es gelaufen, Thémis?" Themistoklís zuckte mit der Schulter. "Hätte besser sein können. Die verdammten Barbaren sind nur darauf aus, einen anständigen Hellenen über den Tisch zu ziehen. Aber die Handelsniederlassung in Muziris ist eröffnet. Die Waren können fliessen."


    Mit einer ausladenden Geste deutete Themistoklís über den Fremdenmarkt. "Hast Du schon von Großvater das Neueste gehört?" Geórgios setzte den Weg langsam fort, an seiner Seite sein Bruder. "O moi genoito! Du kennst doch unseren alten Patriarchen! Für den bin ich immer noch ein Tabuthema der Familie. Das schwarze Schaf der Familie." Themistoklís verzog das Gesicht. "Nun, es gibt neue Umstände. Hast Du die letzten Wahlen verfolgt?" Natürlich hatte Geórgios das, denn bald stand es auch für ihn an, sich der Ekklesia zu stellen. Seine Amtszeit als Priester lief ab. "Ja.", erwiderte er misstrauisch. Lag es am Fall der Kandidaten aus ihrer Familie? Seine Cousins waren kläglich gescheitert letztlich. "Komm, Bruderherz, lass uns einen trinken und ich berichte Dir alles." Brummend folgte ihm Geórgios, durch das Drängen der Menschen.

  • Wein gluckerte in den Tonbecher. In einer der vielen Hafentavernen hatte es die beiden Brüder verschlagen. Eine füllige Sklavin bediente sie. Geórgios schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Vielmehr amüsierte ihn die Erzählung seines Halbbruders. "Eudoxos’ Niederlage war der Anfang vom Ende. Seitdem kann keiner unserer Kandidaten mehr in der Ekklesia Fuss fassen. Der Alte ist schon seit Wochen außer sich deswegen." Was bei Geórgios Häme weckte. Er lachte. Gut gelaunt. Seine Schultern zuckten dabei heftig. Die verkniffene Miene seines Halbbruders amüsierte Geórgios noch dazu.


    "Er hat sich schon überlegt, ob er einen von den jüngeren Brüdern, Klearchos oder Alexandros noch mal ins Rennen schicken soll. Aber Klearchos hat gerade erst seine Ephebia abgeschlossen. Und der kleine Alex ist noch mittendrin. Und Didymos ist ein Trottel. Du kennst ihn ja." Ein zustimmendes Nicken von dem Priester. "Mehr eine Gefahr für die Familie. Wäre er nicht der Sohn von dem Alten, wir wären ihn sicher schon losgeworden." "Wie mich?" Empört hob Themistoklís die Hände. "Ich bitte Dich, das hätte Vater nicht geduldet. Mögen die Götter ihm selig sein." Geórgios winkte ab und genehmigte sich ein Schluck. "Also, was willst Du?"


    Thémis drehte den Becher hin und her und zauderte. "Nun. Der Alte schickt mich." Geórgios seufzte und griff nach seinem Geldbeutel. "Vergiss’ es, verflucht noch mal, der Alte kann mir den Buckel runter rutschen. ", gab Geórgios ärgerlich von sich, warf einige Münzen auf den Tisch und wollte sich schon erheben. Thémis griff jedoch nach seinem Unterarm und hielt ihn fest. "Warte, Gorgis! " "Nenn’ mich nicht so!" - "Wie denn sonst, Brüderchen? Komm’, hör’ es Dir doch erst mal an. Bitte, mir zu Liebe. Denn sonst reißt mir der Alte den Kopf ab, wenn ich einfach so zurückkehre."

  • Seine Augen schweiften von dem Ausgang der Taverne zu seinem Halbbruder. Mit dem er auch nur noch sporadisch Kontakt hatte. Früher war es mal besser gewesen. Aber meistens nur, weil in Themistoklís angepumpt hatte. Ehe er sich auf den Erfolg der Familie besonnen und ein Händler geworden war. Sogar eine Reise ins Ferne Indien getätigt hatte, um die Handelsbeziehungen ertragreicher zu machen. Letztendlich nur, weil er ein Abenteurer war. Das hatten alle Söhne ihres Vaters von ihm geerbt. Geórgios im Grunde auch. "Also gut.", knurrte Geórgios und nahm wieder Platz. "Ich höre!"


    Abweisend verschränkte der Grieche die Arme vor der Brust und sah seinen Bruder leidig an. Der atmete erleichtert auf. Denn finanziell war er völlig vom alten Patriarchen der Familie abhängig. Und mit dem schien es sich Thémis nicht verscherzen zu wollen. "Der Alte will Dir auch eine Rolle im kommenden politischen Drama der nächsten Ekklesia zuteilen. Darum will er mit Dir sprechen. In drei Tagen ist ein Treffen. Von den Verbündeten unserer Familie, den üblichen Schleimern und natürlich auch der Familie selber. Du sollst auch kommen."


    Das waren mal neue Töne. Das letzte Mal, dass Geórgios zu seiner Familie geladen wurde, war schon viele Jahre her gewesen. Sehr viele. Geórgios Lippen verzogen sich zu einem abweisenden und verächtlichen Ausdruck. "Der alte tragos* kann diese Rolle dahin stecken, wo die Sonne niemals scheint, Thémis. Ich gedenke nicht, mich zu seinem Hampelmann zu machen." Schon wollte sich Geórgios erheben, um nun doch zu gehen. "Gorgis, warte." In der Bewegung hielt der Hellene inne. "Ist doch egal, was der Alte will. Nutze die Verbindungen der Familie und tu dann das, was Du willst. Alleine Du. Wenn Du es erstmal geschafft hast, ist doch egal, was Dir der Alte sagen will. Und irgendwann wird er schon ins Gras beissen. Zumindest hoffen viele von uns das.""Ich glaub, der Alte will Abraham übertrumpfen.""Wen?""Egal, Thémis.""Überlege es Dir wenigstens, ja? In drei Tagen, beim Alten am Kanal." Geórgios nickte knapp und trat zur Tür.


    Die Sonne strahlte ihm ins Gesicht. Warm, grell und ließ ihn blinzeln. Entschlossen ging er hinaus und liess seinen Bruder in der Taverne zurück, der schnell die Münzen beäugte und zufrieden schien, dass sein älterer Bruder für sie Beide bezahlt hatte. Wütender Miene marschierte Geórgios wieder zwischen all die Menschen, die heute auf dem Markt einzukaufen gedachten.




    [SIZE=7]* = Bock[/SIZE]

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