equile | Ohne Worte

  • Genauso wenig wie Siv wusste, wie lange sie im Tablinum noch gesessen und geweint hatte, konnte sie nicht sagen, wie lange sie so da gestanden und Idolum umarmt hatte, das inzwischen verweinte Gesicht in seine Mähne vergraben. Der Hengst hatte sich kaum gerührt, hatte nur gelegentlich den Kopf nach ihr gewandt und sie angestupst. Es tat ihr gut, einfach nur die Nähe eines anderen Lebewesens zu spüren, das ruhige Atmen und der kräftige Herzschlag, doch der Aufruhr in ihrem Inneren beruhigte sich nur langsam ein wenig. Sie hatte es Corvinus sagen müssen, das wusste sie. Es noch länger hinaus zu zögern hätte es nur noch schlimmer gemacht. Trotzdem wünschte sie sich, sie hätte sich noch mehr Zeit gelassen, hätte noch mehr Zeit gehabt. Eine Schonfrist. Sie hatten doch gerade erst wieder zueinander gefunden, und es war ja nicht so, dass es nicht noch genug Schwierigkeiten gab. Siv fröstelte kurz, als sie daran denken musste, wie Corvinus sie im Arm gehalten hatte. Trotz der körperlichen Nähe war da ein Abstand gewesen, der sie sich hatte fühlen lassen wie einen Fremdkörper. Dass er so… distanziert gewesen war, schmerzte sie, mehr als sie zugeben wollte, und es half ihr auch nicht viel sich zu sagen, dass er Zeit brauchte.


    Irgendwann ließ sie Idolum los. Sie wurde wieder rastlos, unruhig, sie brauchte irgendetwas zu tun, weil sie meinte es nicht mehr aushalten zu können, einfach nur zu warten. Kurz überlegte die Germanin, ob sie ins Haus gehen und nachsehen sollte, ob Corvinus schon wieder da war, aber sie entschied sich dagegen. Wenn er wieder da war und mit ihr reden wollte, würde er nach ihr rufen lassen. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass sie es vermutlich gerade in so einer Situation nur schlimmer machen würde, wenn sie ihn zu einem Gespräch zwang, solange er noch nicht bereit war. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie auch Angst davor. Sie hasste es zu warten, aber der Gedanke hinein zu gehen und sich wieder ihm zu stellen, die Distanz zu spüren und keinen Weg zu sehen, wie sie das überbrücken konnte, verursachte ihr Übelkeit. Mit einem Kopfschütteln streichelte sie Idolum noch einmal und löste sich dann endgültig von ihm. Danach schlüpfte sie aus der Box und ging hinter zu der kleinen Kammer, aus der sie sich eine Mistgabel holte. Sie brauchte etwas zu tun, irgendetwas, was anstrengend genug war, dass es sie von den Grübeleien ablenkte, die ohnehin nichts brachten. Ins Haus wollte sie nicht, und auch im Garten war ihr die Gefahr zu groß, irgendjemandem zu begegnen, der sie dann fragen würde, was los war – denn dass etwas los war, konnte man ihr ansehen. Und so machte sie sich daran, die Unterstände der Pferde auszumisten, eigentlich eine Arbeit, die jeden Tag frühmorgens erledigt wurde, aber am nächsten Tag würden sich die für den Stall zuständigen Sklaven freuen können, dass die Boxen weit sauberer als sonst waren.


    Sim-Off:

    Reserviert

  • Eine Reise, deren Ende weder auf einer Karte verzeichnet, noch mir selbst klar war. Damit ließe es sich wohl am ehesten beschreiben. War ich nun angekommen? Würde Zufriedenheit mich erfüllen, wenn ich verweilte? Ich wusste es nicht, ebenso wenig, wie ich wusste, was ich mit Celerina machen sollte. Wie Hohn schienen die Wellen des Lebens mich zu umspülen. Jene, die perfekt schien, konnte ich nicht an meiner Seite haben, und jene, die ich an meiner Seite haben konnte, war nicht so tugendhaft, wie ich vor Tagen noch vermutet hatte. Ein klebriges Wirrwar aus tückischen Spinnweben war das. Und mittendrin das ungeborene Kind Sivs, über dem mein Schatten wie das Damoklesschwert schwebte. Was wäre das für ein Leben? Und wäre es nicht besser dran, wenn es diese unglückselige Welt niemals erblickte?


    Schwer waren meine Schritte, als ich sie schlussendlich zur villa lenkte. Beinahe kam ich mir vor wie ein alter Mann. Gramerfüllt, den Rücken gebeugt, erdrückt von der Last der Verwantwortung, gepeinigt von den Wirren der Pflichten eines Mannes meiner Position. Leone hatte ein Lächeln auf den Lippen. Es erstarb, als ich es nicht beachtete, sondern ihm nur meinen Mantel übergab und ohne inne zu halten weiter ging. Vor der Tür in meine Privatgemächer blieb ich stehen. Wohin eigentlich? "Siv." sagte ich schlicht, und es war ein Glück für den mich begleitenden Caecus, dass er sogleich verstand, obwohl es weder eindeutig Frage noch Forderung gewesen war. "Im Stall, Herr", sagte der Sklave, sich in der Litanei der Berichterstattung unterbrechend, und deutete eine Verneigung an. Ich hatte nicht einmal halb hingehört, was es Neues gab, seitdem ich das Haus verlassen hatte. Wortlos wandte ich mich nach links und ging den Flur hinunter. Einige Minuten später hatte ich das Haus wieder verlassen und strebte an grünen Rabatten und farbenfröhen Beeten auf das flache Gebäude des Stalls zu. Heute hatte ich kaum einen Blick übrig für die Schönheit des Gartens.


    Ein schummriges Zwielicht umfing mich. Durch kleine Ritzen und Löcher drangen vereinzelte Strahlen in das Gebäude ein. Stäubchen tanzten darin. Der Geruch nach frischem Heu und durchgelegenem Stroh war übermächtig. Leise Geräusche drangen an meine Ohren. Das Trippeln kleiner Füße, die zu pelzigen Körpern gehörten, entferntes Stampfen von Hufen in Stroh. Leises Plätschern von Wasser ganz in der Nähe, als eines der Pferde trank und mir die Lauscher aufmerksam zuwandte. Alles wirkte friedlich hier, und ich verstand schlagartig, warum sich Siv und Tilla so gern hierher zurückzogen. Nur ein wiederkehrendes Geräusch störte die Idylle. Ich zog die Tür hinter mir zu und ging den breiten Mittelgang entlang. Zur Rechten und Linken standen Tiere in ihren Verschlägen. Einer stand offen. Siv befand sich darin und schichtete Stroh. Ich blieb stehen, mein Kommen nur durch das leise Rascheln meiner Schritte ankündigend. Hineingehen wollte ich nicht. Ich mochte keine Pferde, wohl aber den Geruch hier drinnen. So stand ich nur dort und sah zu, wie Siv Heugabel um Heugabel frische Streu verteilte. Braungelbe Halme hatten sich im blonden Haar verfangen. Sie wirkte so unschuldig. Ich fühlte mich schlecht. Auch nur daran gedacht, es tatsächlich erwogen zu haben. Stumm senkte ich den Kopf und heftete den Blick auf die Hufe der Stute, die diesen Verschlag bewohnte. Unfähig, etwas zu sagen. Etwas Dunkles in mir sehnte sich nach Wein. Keinem Becher, einem Krug.

  • Die Verschläge hatte sie der Reihe nach gesäubert, hatte Mist und verdrecktes Stroh nach draußen befördert – komplett gereinigt werden mussten sie nicht, es genügte, wenn dies einmal in der Woche geschah. Die Regelmäßigkeit der Bewegung tat ihr gut, ebenso wie die damit verbundene Anstrengung. War sie anfangs noch nahezu verbissen dabei gewesen, die Mistgabel ins Stroh zu rammen, hatte bald schon eine ruhige Routine von ihr Besitz ergriffen, die erst durchbrochen wurde, als sie mit der letzten Box fertig und der Mist draußen war. Es half ihr nicht dabei, ihre Grübeleien abzuschließen, es half ihr nicht dabei, Möglichkeiten zu entdecken, wie sie mit ihrem persönlichen Scherbenhaufen umgehen sollte, es half ihr nicht dabei, fertig zu werden mit dem, was passiert war und noch passieren mochte. Aber es half ihr, zur Ruhe zu kommen. Wenigstens etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Und die Wartezeit mit etwas Sinnvollem zu füllen und zu verkürzen. Einen Moment zum Durchatmen gönnte Siv sich nicht, als sie fertig war, vielmehr holte sie neues Stroh und begann, es mit ebenso ruhigen Handgriffen großzügig in den Boxen zu verteilen, um das entfernte zu ersetzen und den Pferden eine gute Unterlage zu geben. Sie wollte nicht aufhören, wusste sie doch, dass sie die Grübeleien, die Zweifel und die Angst nur so lange auf Abstand halten konnte, wie sie beschäftigt war.


    Sie wollte dieses Kind. Sie hatte Angst vor dem, was kommen mochte, Angst vor der Schwangerschaft und der Geburt und vor dem, was danach war. Sie hatte keine Ahnung, ob sie als Mutter geeignet war. Sie hatte selbst nie eine gehabt, hatte sie nie erleben dürfen. Und bis vor wenigen Tagen hatte sie sich noch nicht einmal vorstellen können, wie es sein mochte ein Kind zu haben. Aber jetzt, wo sie schwanger war, wo sie es wusste und akzeptiert hatte… Wo sie den Göttern geopfert hatte… Stroh rieselte auf den Boden und wurde von den Zinken der Gabel verteilt. Ein Gedanke streifte Ragin, und die Frage tauchte auf, was gewesen wäre, wäre sie vor drei Jahren schwanger geworden. Siv musste nicht darüber nachdenken – sie wusste, dass sie anders reagiert hätte. Panischer. Zorniger. Sie hatte Ragin nie geliebt. Aber sie liebte Corvinus. Und genau das war mit ein Grund, warum ihr dieses Kind jetzt schon so viel bedeutete, obwohl sie die Schwangerschaft, sah von man von der Übelkeit ab, noch nicht einmal wirklich spürte, obwohl es ihr bisher nur Schwierigkeiten gebracht hatte und noch weitere bringen würde. Sie musste an Cadhla denken. Sie waren draußen gewesen, hatten Herbstlaub zusammengerecht. Die Germanin war erst seit kurzem bei den Aureliern gewesen, damals, und sie hatten sich über alles mögliche unterhalten. Siv wusste gar nicht mehr so genau, über was alles, aber sie wusste noch, wie die Keltin ihr plötzlich versichert hatte, sie würde eines Tages eine gute Mutter werden. Die Heugabel stach ein weiteres Mal in einen Ballen frisches Stroh und verteilte ihn. Sie wollte zumindest die Chance haben, es zu versuchen. Aber diese Entscheidung lag nicht bei ihr, und das wusste sie.


    Siv verteilte weiter das Stroh, bis sie nach einem kurzen, prüfenden Blick entschied, dass es auch für diese Box genug war. Die Schritte, die sich genähert hatten, hatte sie nicht gehört, waren sie doch leise genug gewesen, um in den Geräuschen, die die Pferde verursachten, unterzugehen. Und aufmerksam gelauscht hatte sie ohnehin nicht, im Gegenteil, sie war ganz in der Arbeit aufgegangen, hatte ihre Aufmerksamkeit auf ein Minimum gesenkt. Kurz stützte sie sich auf der Gabel ab mit einer Hand, während sie mit der anderen der Stute über die weichen Nüstern fuhr, dann den Kopf hinauf, bis hin zu der Stelle zwischen den Ohren, um sie dort zu kraulen. Die Stute schnaubte leise und bewegte ihren Kopf auf und ab, und Siv streichelte noch einmal ihre Nüstern und drehte sich dann um, um ihren Verschlag zu verlassen und zum nächsten zu gehen. Sie packte die Heugabel mit einem festen Griff und überquerte die Schwelle zum Gang – und erstarrte. Erst jetzt sah sie, dass dort jemand war und sie beobachtete. Corvinus. Nicht wissend, wie lange er schon da stand und sie betrachtete, ihre Gedanken auf einmal wieder jagend, rührte sie sich nicht, sondern erwiderte einfach seinen Blick, ohne ein Wort zu sagen.

  • Ein Rascheln ließ mich wieder aufblicken. Die Liebenswürdigkeit, die Siv dem Pferd mit wenigen Berührungen entgegen brachte, war beiläufig, doch deswegen nicht weniger herzlich. Dann wandte sie sich um und trat mit Elan aus dem Pferch hinaus, in dem sie bis eben noch gearbeitet hatte. Die Heugabel schwebte kurz über dem Boden. Ich blickte Siv an, streckte dann die Hand aus und nahm sie ihr ab, um sie zur Seite zu stellen. Lange maß ich sie daraufhin mit einem Blick, sagte jedoch immer noch nichts. Irgendwo schräg hinter uns schnaubte eines der Tiere. Schwalben und Spatzen tschirpten hoch oben im Gebälk.


    Endlich schwankte mein Blick, riss ich ihn los von diesen meerblauen Augen, und ließ ihn an einen unbestimmten Ort irgendwo weit hinter Siv irren. Ich trat zwei Schritte vor, umarmte sie. Zunächst vorsichtig, als könne ich sie zerbrechen, dann inniger. Die Augen hatte ich nun verschlossen, stattdessen konzentrierte ich mich vollauf auf den Geruch, den sie verströmte. Er war herb, hatte sich ein wenig mit Schweiß gemischt. Die Götter allein wussten, wie sie es fertig brachte, ein wenig nach Tannengrün zu duften. Der Kloß in meinem Hals wuchs ins Unermessliche, während ich so stand und sie hielt. Langsam hob ich eine Hand und fuhr ihr durch das lange Haar, pflückte einige lose Strohhalme daraus und ließ sie achtlos zu Boden fallen. Dann strich ich ihre goldenen Strähnen von einer Schulter. Meine Nase suchte den Kontakt zu ihrer Haut, blies einige Male den Atem darüber, bis meine Lippen sachte ihren Hals berührten. Einmal, zweimal, dann zog ich sie zurück. "Es tut mir leid", flüsterte ich. Dass sie es missverstehen konnte, kam mir nicht in den Sinn, so klar war mir selbst der Zusammenhang, in dem ich die Worte sprach.

  • Er sah sie an, und sie erwiderte seinen Blick. Kein Wort fiel. Keiner rührte sich, bis auf den kurzen Moment, in dem Corvinus die Hand nach der Heugabel ausstreckte und sie ihr abnahm, um sie an der nächsten Boxenwand abzustellen. Die typischen Stallgeräusche schwebten um sie herum. Siv vernahm die Vögel, das gelegentlich Aufstampfen eines Hufes, das rhythmische Kauen eines Pferds, das etwas Heu zermalmte, hörte ein Schnauben. Über allem lag der Geruch, der so typisch war für einen Pferdestall. Und all das zog wie nebensächlich an ihr vorbei. Sie sahen sich einfach nur an. Und Siv schien wie gefesselt von seinem Blick, konnte sich nicht losreißen, konnte nichts sagen oder tun. Konnte nicht einmal die Frage stellen, die ihr im Herzen brannte. Sie dachte in diesem Moment nicht einmal wirklich, versuchte nicht in seinem Blick zu lesen, weil ihr Kopf wie leer gefegt war.


    Irgendwann löste sich sein Blick von ihrem, wanderte an ihr vorbei, heftete sich kurz auf etwas hinter ihr und schweifte dann weiter, wie in endlose Ferne. Zum ersten Mal, seit sie Corvinus dort gesehen hatte, holte Siv bewusst Atem. Immer noch war ihr Kopf leer, wusste sie nicht, was sie sagen sollte, und immer noch schwieg er ebenso wie sie. Plötzlich trat er dann vor, überbrückte den kurzen Abstand zwischen ihnen beiden und schloss sie in seine Arme, so vorsichtig zunächst, dass sie schon fürchtete, es würde so unpersönlich wie zuvor im Tablinum werden, so als wäre es gar nicht sie, die er in den Armen hielt. Aber im nächsten Moment schon wurde die Umarmung fester, inniger, schenkte die Geborgenheit, nach der sie sich die ganze Zeit so gesehnt hatte. Sie schmiegte sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Hals und blieb wiederum einfach stehen, ohne sich zu rühren, ohne ein Wort zu sagen. Sie spürte, wie er durch ihre Haare strich, wie er daran herumzupfte und schließlich Strähne um Strähne auf ihren Rücken verbannte, bis Schulter und Hals frei waren. Sie rührte sich immer noch nicht wirklich, als sein Kopf sich ihrem Hals näherte, neigte den ihren lediglich ein wenig in die entgegengesetzte Richtung. Warmer Atem strich über ihre Haut, und mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich darauf, spürte, wie feine Nackenhärchen sich aufstellten. Gleich darauf spürte sie seine Lippen, ganz sanft nur, und sie sog jede Empfindung in sich auf, jede seiner Berührungen, und verbarg sie tief in sich wie einen Schatz. Er hatte immer noch nichts gesagt, aber das musste er in diesem Moment auch gar nicht. Er war einfach nur da.


    Dann, auf einmal, sagte er doch etwas. Es tut mir leid. Im ersten Moment reagierte sie nicht, brauchten die Worte doch, bis sie eingesickert waren in ihr Bewusstsein. Es tut mir leid. Für einen winzigen Moment dann versteifte Siv sich in seinen Armen. Es tut mir leid. Für sie war klar, was das hieß. Er hatte sich entschieden. Auf einmal war da ein Kloß in ihrem Hals, und sie spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Er hatte sich entschieden. Es ging nicht. Er konnte nicht. "Das… es ist…" Was? In Ordnung? Genau das war es nicht. Eine ihrer Hände sank hinab, über seine Schulter, bis sie schließlich auf seiner Brust zu ruhen kam, wo sich die Finger in den Stoff seiner Kleidung klammerten. Sie drängte sich noch enger an ihn. Sie wollte das Kind behalten, aber sie selbst war es ja gewesen, die ihm angeboten hatte, die Dienste des Arztes in Anspruch zu nehmen, wenn er das wollte. Und sie hatte es ernst gemeint. Sie wusste, dass er sich diese Entscheidung keineswegs leicht gemacht haben konnte, so wie er sich kaum eine Entscheidung leicht machte, und eine wie diese schon gleich gar nicht – und wenn es nur um ihretwillen war. Sie vertraute ihm. Aber sie hatte nicht geahnt, wie sehr es schmerzen würde. Wie weh es tun würde. Sie hatte die Tatsache, dass sie ein Kind bekam, doch selbst erst vor wenigen Tagen wirklich akzeptiert, auch wenn sie es schon länger geahnt, gewusst hatte. Und doch füllten sich ihre Augen mit Tränen, immer mehr, immer weiter. Siv vergrub ihr Gesicht in dem Stoff, der seine Brust bedeckte. Jetzt, in diesem Moment, konnte sie noch nichts sagen. Sie brauchte ihn, brauchte seine Nähe, und er war da. Er ging nicht auf Distanz zu ihr wie sonst so oft, sondern blieb, umarmte sie, hielt sie fest, und es war genau das, was sie in diesem Moment brauchte. Sie wusste nicht, konnte nicht sagen, wie lange sie so da standen, bis sie schließlich, ohne ihren Kopf zu heben, ohne sich aus der Umarmung zu lösen, murmelte: "Wann?" Sie sagte nicht mehr. Für sie war klar, was dieses Wörtchen ausdrückte. Wann kam der Arzt. Sie hoffte, betete, dass er heute noch kam. Wenn es nicht anders ging, wollte sie es so schnell wie möglich hinter sich haben.

  • Warm lagen ihre Arme an meinem Hals, zumindest, bis sie hinabrutschten und Siv sich in meine toga krallte. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich mich nicht umgezogen hatte, als ich vom Opfer nach Hause gekommen war. Eine Hand zerwühlte ihr Haar, und ich war so sehr in Gedanken versunken, dass ich nicht registrierte, wie sie von Anspannung heimgesucht wurde. Auch die darauf folgenden Tränen bemerkte ich nicht. Die toga war aus gutem Stoff, dicht gewebt, und er ließ keinen der salzigen Tropfen hindurchweichen. Ich konnte ihre Reaktion nur bedingt nachvollziehen. Sicherlich hatte sie gebangt und gehofft, das wäre nur allzu verständlich gewesen. Gewiss war sie nun erleichtert, das Kind behalten zu können, während ich mich dafür schämte, überhaupt ihr in Aussicht gestellt zu haben, es nicht austragen zu dürfen.


    Ich ließ von ihren Haaren ab und ließ die Hand stattdessen unter die goldenen Strähnen und in den Nacken gleiten, wo ich damit begann, automatisch mit dem Daumen über die weiche haut zu streichen. Plötzlich fragte sie mich wann. Wann was? Ich stutzte, blinzelte irritiert. Was meinte sie? Bereits teilten sich meine Lippen, um eine entsprechende Frage zu stellen, als mir aufging, dass sie es wohl falsch verstanden hatte. Irritiert blinzelte ich einige Male. "Es tut mir leid, dass ich überhaupt daran gedacht habe, den iatros vielleicht darum zu bitten.", erklärte ich also. "Es ist dein Kind. Unseres. Ich meine, ich werde es nicht anerkennen können, aber... Es soll dennoch ohne Mangel aufwachsen. Es war selbstsüchtig von mir. Es...kommt nur so...überraschend. Ich dachte wirklich..." Ich verstummte und zuckte mit den Schultern. Es spielte keine Rolle mehr, dass ich gedacht hatte, dass Siv sich darum kümmern würde, keine Kinder empfangen zu können. Das war nun eine neue Situation für mich. Ich würde mich erst hineinfinden müssen, auch wenn es niemals so werden würde, wie Siv es sich vielleicht wünschte. Das durfte nicht sein, der Familie wegen.

  • Siv hielt nach wie vor die Augen geschlossen und den Kopf an seine Brust gepresst, während sie nun seine Finger in ihrem Nacken spürte. Es gab nichts zu sagen, in diesem Moment, nicht für sie, nicht für ihn. Sie bemerkte seine Verwirrung nicht, als sie schließlich doch etwas sagte, als sie ihre Frage stellte. Dass er mit einer Antwort zögerte, erschien ihr nicht abwegig, im Gegenteil, für ihn konnte es doch auch nicht leicht sein – war er es doch, der die Entscheidung treffen musste. Erst als er den Mund öffnete und Worte über seine Lippen kamen, erklärende Worte, die das Gegenteil von dem kundtaten, was sie bis vor einem Moment noch geglaubt hatte zu wissen, ging ihr auf, dass sie ihn falsch verstanden hatte. Sie löste ihr Gesicht von dem Stoff seiner Tunika und sah zu ihm hoch, sah ihn an. Ihr Magen zog sich zusammen, und ausgehend davon schienen kleine Schlangen in sämtliche Regionen ihres Körpers gesandt zu werden, die dafür sorgten, dass ihr heiß und kalt zugleich wurde. Es ist dein Kind. Unseres. Siv stockte für Momente der Atem, als sie endgültig realisierte, was Corvinus ihr sagte. Der Arzt würde nicht kommen, würde nicht dafür sorgen, dass sie das Kind verlor. Sie würde es bekommen. Einige Male blinzelte sie, während ihr Atem wieder einsetzte, langsam zunächst, dafür aber tief, bewusst eingesogen bis in die letzten Verästelungen ihrer Lunge, so schien es ihr. Sie sah ihn die braunen Augen, die etwas über ihr auf sie herab blickten, und sie konnte nichts darin erkennen, was darauf hätte schließen lassen, dass er es nicht ernst meinte. Da schien… Verunsicherung zu sein, und Zweifel, Gefühle, die sie auch empfand, wenn auch in anderer Intensität und teils aus anderen Gründen. Aber da schien auch Reue zu sein, und nun begriff Siv auch, warum er seine ersten Worte Es tut mir leid gewesen waren. Und, jedenfalls bildete Siv sich das ein, sie meinte auch so etwas wie Freude zu sehen. Wenigstens ein winziges bisschen. Vielleicht sah sie es nur, weil sie es sehen wollte, aber darüber machte sie sich keine Gedanken.


    "Das ist… danke", wisperte sie. Die Finger ihrer rechten Hand lösten sich von dem Stoff und fuhren hinauf, strichen sacht über sein Gesicht, seine Wange, seine Lippen. Sie hätte getan, was er von ihr verlangt hätte, aber sie war unendlich dankbar dafür, dass er sich für das Kind entschieden hatte. Sie hatte versucht, Abstand zu wahren zu dem winzigen, ungeborenen Mensch in ihrem Leib, hatte versucht sich zu distanzieren, solange sie nicht wusste, ob sie wirklich Mutter werden würde – aber in diesem Moment wurde ihr klar, dass ihr das nicht wirklich gelungen war. Oder ging es jetzt nur einfach rasend schnell, dass sie sich darauf einließ? Sie konnte es nicht sagen, und es war ihr auch egal, genauso wie ihr ihre Angst vor der näheren Zukunft in diesem Augenblick egal war, auch wenn sie sie nicht ganz verdrängen konnte. Die Freude überwog. Sie schlang die Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn. "Ich weiß", murmelte sie. "Ich weiß, wegen anerkennen. Dass das nicht geht. Ich weiß, wegen Überraschung, und das tut mir leid, das… das war auch Überraschung, für mich. Das ist so neu, und ich… Ich weiß nicht… Ich will nur…" Es gab so viel, was sie hätte sagen können, so viel, was ihr auf dem Herzen lag, ihre Freude, ihre Angst, ihre Zweifel und noch viel mehr, und doch wollte nichts so recht seinen Weg aus ihrem Mund hinaus finden. Und so stand sie einfach nur da, hielt ihn fest und ließ sich von ihm halten, und hoffte, dass er auch so verstand.

  • Danke? Ich blinzelte, senkte den Blick dann auf die am Boden liegenden, vereinzelten Strohhalme. Angestrengt beobachtete ich einen Käfer, der an einem von ihnen entlang krabbelte. Sie bedankte sich also. Dafür, dass ich sie nicht gezwungen hatte, das Kind - mein Kind - loszuwerden. War das gerecht? Natürlich wusste sie, was für mich dabei auf dem Spiel stand. Wenn sich öffentlich auch keiner wundern mochte, dass ein aurelischer Senator seine Sklavin geschwängert hatte, so würde es doch der mir bevorstehenden Ehe mit Sicherheit Schwierigkeiten bereiten, oder mir einen noch schwereren Stand innerhalb der Familie bescheren. Aber dass sie sich bedankte, war doch ein Zeichen dafür, dass sie nicht damit gerechnet hatte, ich könnte mich so entscheiden. In Wirklichkeit musste sie mich doch für herzlos halten. Und wie konnte ich ihr das verübeln? Sie war meine Sklavin und damit abhängig von mir. Wenn ich heute ihren Tod befahl, wäre sie morgen schon gestorben. Vielleicht war alles nicht mehr als eine Farce. Eine Farce, die sie vergessen ließ, was die Soldaten ihr angetan, wie sie sie fortgerissen hatten aus ihrer vertrauten Umwelt. Soweit ich das beurteilen konnte, hatte Siv sich nur mit Cadhla angefreundet, die Bande zwischen ihr und den anderen waren kaum mehr als Zwangsbekanntschaften, wenn ich mich nicht irrte, von Brix einmal abgesehen. Er sah in Siv seine kleine Schwester und verhielt sich dementsprechend. Doch für mich war dies einerlei, es zählte nur, was zählen musste.


    Ob dieser neuen Entwicklung blieben mir die Worte im Halse stecken, die ich hatte äußern wollen. Das Aureliana wollte nicht über die Lippen kommen, ebenso wenig das Wort Freiheit und keine weiteren Worte bezüglich der Zukunft des Kindes, die nicht vom Sklavendasein geprägt sein sollte. Ich schwieg einfach, zu verwirrt von ihrer Dankbarkeit, die mir so fehl am Platze zu sein schien wie ich selbst in dieser summenden, raschelnden Welt des Stalls. Ihre Worte der Erklärung rauschten murmelnd an mir vorüber, einem kleinen Bächlein gleich, und langsam ließ ich die Hände sinken. Eine Farce. Eine Narretei. Ein Auf und Ab, ein Hin und Her. Verdammnis, geprägt durch meinen Vater, der sie heraufbeschworen hatte mit seinem freiwilligen Tod. Ich verschloss mich, doch würde es später am Abend mich heimsuchen und zu ins Verderben führen wollen. Kurz nachdem ich also schon das Streicheln eingestellt hatte, ließ ich Siv los und sah sie an. Mit gemischten Gefühlen musterte ich sie, doch nur kurz, dann wandte ich den Blick ab. "Du solltest nicht mehr so schwer arbeiten, dann", sagte ich matt und schon halb umgewandt. Unfähig, Siv weiterhin anzuschauen. "Ich werde Brix instruieren, er soll dir was Leichteres geben."

  • Siv stand da, an ihn gelehnt, und atmete tief den ihr so vertrauten Geruch ein, den er ausströmte. Sie bemerkte nichts davon, dass er innerlich wieder zunehmend auf Distanz ging, merkte nichts von seinen Gedanken, die ihn zweifeln ließen, nicht an der Richtigkeit, ihrem Kind das Leben zu schenken, sondern an dem, was sie beide hatten. In diesem Moment fühlte sie sich geborgen, bei ihm. Einfach nur seine Nähe zu spüren und die Gewissheit zu haben, dass es ihm letztlich ging wie ihr, dass er dieses Kind wollte, egal was für Komplikationen damit verbunden waren, reichte. Nur einen Augenblick später wünschte sie sich, sie hätte diesen Moment festhalten können. Corvinus löste sich von ihr. Immer noch ahnte Siv nichts von seinen wahren Beweggründen, ahnte nicht, dass ihr Dank zum Teil ausgelöst hatte, was ihn nun umtrieb. Hätte sie geahnt, was sie damit angerichtet hatte, sie hätte nichts gesagt. Sie war dankbar – aber es verhielt sich nicht so, wie er dachte. Dass er darauf bestehen würde, dass sie das Kind verlor, war eine Möglichkeit gewesen – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Sie wusste um seine Situation, und sie wusste, dass diese Variante die einfachste für ihn wäre. Umso mehr bedeutete es, dass er sie eben nicht gewählt hatte.


    Nein, Siv ahnte nicht, was ihn umtrieb. Aber sie spürte, von einem Moment auf den anderen, dass die Nähe, die sie gerade noch geteilt hatten, verschwunden war. Wieder war da diese Distanz, die er zwischen sie brachte, und dass sie nicht wusste warum, machte es noch schmerzlicher. Sie suchte in seinen Augen nach Anzeichen von der Freude, die sie selbst spürte, die sie vorhin noch gemeint hatte in seinen Augen zu sehen, aber da war nichts mehr. Wenn es denn überhaupt da gewesen war. Siv ließ hilflos die Arme sinken, und hilflos sah sie ihn an. Er wirkte verschlossen, abweisend, und unwillkürlich fröstelte sie etwas. "Nicht mehr… so schwer arbeiten", wiederholte sie, ihre Stimme etwas dumpf. Das war das letzte, woran sie nun gedacht hätte. Corvinus sah sie nicht einmal mehr an. "Ich… In Ordnung. Ich werde… achten, darauf." Schweigend blieb sie stehen und sah zu, wie er den Stall verließ. Erst, als seine Schritte draußen schon längst verklungen waren, flüsterte sie: "Marcus." Ihre Stimme schwankte dabei. Einen Augenblick blieb sie noch stehen, dann griff sie, entgegen dessen, was sie gerade noch zugesichert hatte, nach der Heugabel und fuhr fort, frisches Stroh zu verteilen. Sie konnte das Kind behalten. Er hatte sich sogar entschuldigt. Er hatte gesagt, dass es ihr gemeinsames Kind war. Warum war ihr dann trotzdem zum Heulen zumute?


    ~~~finis~~~

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