cubiculum MAC | Schlaflos in Rom

  • Durch den nur halb zugezogenen Vorhand fiel silbriges Licht ins Zimmer. Ein schmaler Streifen verlief auf dem Boden, über ein Löwenfell bis fast zu meinem Bett hin. Nur schwer konnte man einige Sterne am Firmament erkennen. Der Mond stand schon eine ganze Weile hoch droben. Ich seufzte leise und legte mich bequemer hin. Die Laken raschelten leise, ich schloss erneut die Augen.


    Als ich sie wieder öffnete, war der Streifen auf dem Boden ein wenig länger geworden. Sanftes Mondlicht umspielte nun einen der Eckpfosten meines Bettes. Ich konnte nicht schlafen. Erneut verlagerte ich mein Gewicht, stellte einen Fuß auf das Lager und fuhr mir müde über die Augen. Es musste inzwischen weit nach Mitternacht sein. Ich war spät zu Bett gegangen, hatte aber doch keinen Schlaf finden können. Die Nachricht von Celerinas Tod wühlte mich auf, dann die Sache mit Siv und dem Kind. Ich hatte allmählich das Gefühl, der tollpatschige Leithammel einer Schafherde zu sein. Wie kam es, dass stets mir solche Dinge widerfuhren? Hatte ich gefehlt? Ein weiteres Mal wandte ich mich um, blickte nun wieder hinaus in den Himmel. Am Morgen würde sich rächen, dass ich jetzt keinen Schlaf fand. Viel zu schnell wäre die Nacht vorbei, und gleich nach der salutatio stand eine weitere Senatsdebatte an, hernach blieb mir kaum Zeit, etwas zu essen, und ich hatte schon wieder Dienst in der regia. Es würde ein langer Tag werden, und er würde umso länger für mich sein, je langsamer ich in den Schlaf fand. Und doch wollten die kreisenden Gedanken mich einfach nicht gehen lassen.

  • Siv lag auf dem Rücken, regungslos, starrte an die Decke. Sie konnte nicht schlafen. Genauer gesagt hatte sie seit Tagen Probleme mit dem Schlafen. Seit dem Tag, als sie Corvinus ihre Schwangerschaft gebeichtet hatte. So viel war passiert, die Opfer, die sie dargebracht hatte, ihren Göttern genauso wie Iuno, der Besuch des Arztes, dann der Zusammenstoß mit Corvinus… Und wie er zurückgekommen war. Wie er sie im Stall aufgesucht hatte. Und wie er gegangen war. Wie er sie allein gelassen hatte. Nicht nur an jenem Nachmittag, sondern im Grunde seitdem. Er ging ihr aus dem Weg, sie kannte ihn gut genug, um das zu wissen. Er beeilte sich in der Früh und rief andere Sklaven zu Hilfe, damit sie nicht allein waren, und abgesehen von der morgendlichen Routine, die er kaum durchbrechen konnte – immerhin schlief sie in der Kammer nebenan –, hatte er keine Aufgaben für sie. Er nahm sie nicht mit, wenn er in die Stadt ging, er ließ sich von jemand anderem das Essen bringen, wenn er nach Hause kam, und er rief nicht nach ihr, wenn er sonst etwas brauchte. Dass er jede Nacht in ihrer Nähe schlief, nur durch eine Tür getrennt, machte es auch nicht unbedingt leichter. Und sie hatte noch nicht einmal mehr die Möglichkeit, den Frust und die Zweifel irgendwie durch Schuften loszuwerden oder wenigstens für einige Zeit zu verbannen. Brix nahm Corvinus’ Anweisung ernst, dass sie keine schweren Arbeiten mehr erledigen sollte, allzu ernst in ihren Augen. Wann immer sie mehr zupacken wollte, tauchte irgendjemand auf, der sie genau davon abhielt.


    Ihre Zweifel und die Grübeleien vertrugen sich jedoch mehr schlecht als recht mit der Tatsache, dass sie nicht ausgelastet war, und dazu kam, dass sie nach wie vor unter heftigen Übelkeitsanfällen litt. Die Medizin, die der Arzt zusammengerührt hatte, half etwas, aber nicht viel. So kam es, dass sie nachts kaum schlafen konnte und tagsüber wortkarg und entweder abweisend oder schlecht gelaunt war. Und so lag sie auch jetzt da, starrte die Decke an und wartete vergebens auf den Schlaf, der sich nicht einstellen wollte. Eine Hand glitt unter die Decke zu ihrem immer noch flachen Bauch, um sich darauf zu legen. Sie vermisste Corvinus. Sie wollte nicht einmal so unbedingt mit ihm reden wegen dem, was nun kommen würde, in der nächsten Zeit, obwohl es gut wäre, weil sie keine Ahnung hatte, ob es einfach so weiter gehen sollte wie bisher oder ob sich etwas ändern würde. Aber in erster Linie vermisste sie ihn, seine Gesellschaft, seine Nähe. Es ging weniger um die besonderen Augenblicke, es ging ihr um den Alltag, all die Momente, die sie gemeinsam verbrachten und in denen sie sich kaum mehr Beachtung schenkten als in einem Blick oder einem kurzen Wort. Ihre Gedanken wanderten weiter, drifteten aber nicht zu dem Kind, sondern zu der Flavia. Sie hatte von dem gehört, was passiert war. Es war schwer, nicht davon zu hören. Ihr erster Impuls war gewesen, zu Corvinus zu gehen, genauso wie der zweite. Beide entsprangen jedoch widersprüchlichen Beweggründen, der eine, weil sie sich freute, dass er nun doch nicht heiratete, nicht so bald jedenfalls, und schon gar nicht diese Frau, die sie einfach nur grässlich fand – nicht einmal ihr Tod änderte etwas daran, Siv hatte noch nie zu den Menschen gehört, die von anderen besser dachten, nur weil sie gestorben waren –, der andere, weil sie für ihn da sein wollte, weil sie wusste, dass es einen Rückschlag für ihn bedeutete. Sie war sich nicht sicher, wie sie ihm gegenüber reagiert hätte – und sie war sich nicht sicher, ob der Tod der Flavia, seiner Verlobten, nicht inzwischen mit eine Rolle spielte, warum er sie nicht sehen wollte. Die Wahrheit war, sie war unsicher und hatte Angst, und so sehr sie sich selbst dafür auch verfluchte und sich einen Feigling der erbärmlichsten Sorte schimpfte, sie brachte es nicht über sich, zu ihm gehen.


    Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Das Mondlicht, das durch das schmale Fenster in die Kammer fiel, zeigte an, dass es schon spät sein musste, sehr spät, was auch die Stille bezeugte, die in der Villa herrschte. Sie bohrte ihren Kopf noch tiefer in das Kissen hinein und seufzte leise, als sie von nebenan ein Geräusch zu hören meinte. Ihr Kopf drehte sich in Richtung der Tür, während sie angestrengt lauschte, nicht sicher, ob es Einbildung gewesen war oder real. Es wiederholte sich, und Siv setzte sich auf. Wenn Corvinus auch noch wach war und nicht schlafen konnte… Sie überlegte nicht lange. Hätte sie lange überlegt, hätte sie den Gedanken wieder verworfen, aber sie hatte nicht den Ruf weg, vorschnell und temperamentvoll zu sein – oder auch frech, ungehorsam und undiszipliniert, je nachdem wie man es betrachtete –, weil sie nachdachte, bevor sie handelte. Kurzentschlossen schlug sie ihre Decke also ganz zurück, stand auf und ging hinüber zu der Tür, welche sie gleich darauf leise öffnete. Ebenso leise betrat sie Corvinus’ Schlafgemach und ging langsam auf sein Bett zu, das beinahe genau gegenüber der Tür lag. Mondlicht fiel herein durch nur halb zugezogene Vorhänge, und der silbrige Schimmer fiel auf Corvinus und brach sich in winzigblitzendem Funkeln in der feuchten Oberfläche seiner geöffneten Augen. Siv hielt für einen Moment inne und betrachtete ihn einfach nur, dann kam sie noch näher, bis sie vor dem Bett stand – blieb dann aber erneut zögernd stehen. Eine Hand hob sich und deutete halb in die Richtung der kleinen Kammer, aus der sie gekommen war, nur um gleich darauf wieder seltsam kraftlos hinab zu sinken. "Ich… kann nicht schlafen."

  • Plötzlich war etwas anders. Etwas hatte sich verändert. Ich konnte nicht sagen was, und doch war da das Gefühl, dass etwas anders war als eben noch. Und dann öffnete sich leise die Tür zu Sivs Kammer. Ich regte mich nicht, sah ihr nur entgegen. Wie sie in ihre Schlaftunika gehüllt ganz leise näher kam. Fast mochte man meinen, ein Geist schwebte heran. Silbrig schimmerte das Mondlicht auf ihrem Schopf, als sie ans Bett trat. Kurz darauf hatte sie der Schatten wieder verschluckt. Überzogen wie zuckriger Guss einen süßen Keks. Es wunderte mich, dass ich zu so später Stunde solche Vergleiche zog. Einen Augenblick später war der Gedanke bereits wieder verflogen.


    Siv hob die Hand und deutete vage zurück. Sie konnte also nicht schlafen. Ein angedeutetes Lächeln huschte über meine Züge, und wieder fiel mein Blick auf den Bauch, der noch flach war und sich unter den falten der tunica verborgen hielt. Ich antwortete nicht, zumindest nicht mit Worten. Vielmehr hob ich den Zipfel meiner Bettdecke an und wartete, bis sie zu mir ins Bett gekrochen war. Mir stand der Sinn nicht nach Vergnügen, ich war vielmehr dankbar über die Ablenkung, die ihre Anwesenheit mit sich brachte. So legte ich stumm einen Arm um sie und wartete, bis sie sich bequem gebettet hatte. Eine Weil war das Rascheln von Stoff beinahe unnatürlich laut zu vernehmen, dann kehrte Stille ein. Ich hatte den linken Arm aufgestützt, hielt den Kopf mit der Hand und betrachtete sie im Dunkel. Sivs Brust hob und senkte sich. Das Lederband mit dem Pferdeanhänger daran kräuselte sich um ihren Hals und verschwand irgendwo seitlich in der tunica. "Sie ist tot." Es war das erste Mal, dass ich es laut aussprach. Nüchern und dennoch melancholisch. Siv musste wissen, was das bedeutete. Auf den Kopf gefallen war sie nicht.

  • Im vage schimmernden Mondlicht konnte Siv das Lächeln sehen, das kurz in seinem Gesicht aufblitzte, und als er anschließend wortlos ein Stück seiner Decke anhob, hoben sich auch ihre Mundwinkel ein Stück. Ebenso schweigend kam sie der Einladung nach und schlüpfte zu ihm unter die Decke, legte sich auf den Rücken, nah genug bei ihm, dass sich ihre Körper an mehreren Stellen berührten, aber nicht so nah, dass sie sich tatsächlich an ihn geschmiegt hätte. Ihr Kopf war ihm leicht zugewandt, musterte ihn in dem fahlen, nur unzureichenden Licht, sein Gesicht, das etwas über dem ihren schwebte, die Augen, die um so vieles dunkler schienen. Dass er ebenso wenig wie sie hatte schlafen können, war offensichtlich, und es schien, als hätte ihr Kommen ihn zumindest für den Moment dazu bewegt, auch nur den Versuch dahingehend aufzugeben. Auch als sie lag, herrschte Stille, und sie brach das Schweigen nicht, empfand sie es doch keineswegs als unangenehm. Es war nicht feindselig, nicht einmal unbeholfen oder peinlich, sondern einfach… gemeinsam.


    Es dauerte noch ein paar Augenblicke, bis Corvinus schließlich als erster das Wort ergriff. Sie wusste, von wem er sprach. Natürlich wusste sie es. Es gab nur eine Person, die er meinen konnte. Ihr Kopf wandte sich kurz ab, ihr Blick ging zur Decke streifte darüber, wanderte zum Fenster hin und sah durch den Spalt, den die Vorhänge frei ließen, nach draußen. Schließlich sah sie wieder zu ihm, zu dem Gesicht, das nach wie vor schräg oberhalb dem ihren schwebte, wandte ihm ihren Kopf zu, ein Stück mehr noch als zuvor. "Ich weiß", antwortete sie leise, während sie ihn aufmerksam musterte und zu ergründen versuchte, was in ihm vorging. Er wusste, musste wissen, wie sie letztlich darüber dachte. Ein Mensch war gestorben, das war nichts, was ihr gefallen sollte, aber wirklich traurig konnte sie über den Tod dieses speziellen Menschen auch nicht sein. Aber sie wusste auch, was das für ihn hieß. Eine neue Suche. Nach einer Frau, die geeignet war, sowohl was ihre Familie betraf als auch ihr Wesen. Nicht dass sie selbst Celerinas Wesen als sonderlich angenehm empfunden hätte, aber sie hatte auch gesehen, wie anders die Flavia sich gegenüber Gleichen verhielt, und damit war sie bei weitem kein Einzelfall. Und daran, dass er heiraten würde, heiraten musste, würde ihr Tod nichts ändern. Es würde die ganze Sache nur etwas aufschieben.

  • Wäre es nicht ohnehin schon offensichtlich gewesen, wie wenig es Siv kümmerte, dass Celerina verbrannt war, so hätte ich es spätestens dann bemerkt, als sie ihren Blick in jeden erdenklichen Winkel des Raumes schweifen ließ, nur um micht nicht mit ihrem ehrlichen Blick anzusehen. Und als sie es dann tat, ließ ich meinen Blick fallen, betrachtete die im Zwielicht gräulich erscheinende Haut ihres Halses und seufzte leise. "Ich glaube nicht, dass ich irgendwann heiraten werde", sagte ich schließlich und blickte Siv dabei wieder an. "Deandra ist auch tot. Dieser Claudier hat es erzählt. Und ich habe es nicht einmal mitbekommen. Sie waren beide mit mir verlobt", erzählte ich mit belegter Stimme. Die Götter konnten also nur etwas dagegen haben, dass ich heiratete. Etwas anderes war gar nicht möglich. Obgleich ich mich natürlich fragte, warum sie ausgerechnet mir solche Aufmerksamkeit zuteil werden lassen sollten, ich war nur eines der kleineren Lichter des Staates. Und dennoch schien ich ihr Missfallen erregt zu haben.


    Melancholisch war mir zumute, vermutlich konnte ich auch deswegen nicht schlafen. So zupfte ich nach einer Strähne des goldenen Haares und drehte sie zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, ohne mir wirklich dessen bewusst zu sein. "Es ist so schwer, alles richtig zu machen. Titus und Tiberius sind mir gram. Manius vertraut mir nicht. Glaube ich. Er hat sich wohl in diese Tiberia verguckt... Prisca wird bald heiraten und hoffentlich glücklich werden. Severa und Laevina sind noch beinahe Kinder, so unbeschwert. Minervina zieht sich immer weiter zurück. Und Helena schreibt mir nicht mehr seit ich sie fortgeschickt habe. Was mache ich falsch, Siv?"

  • Siv bewegte ihren Körper etwas, so dass sie nicht mehr wirklich auf dem Rücken lag, sondern noch mehr ihm zugewandt war. Nun war er es, der ihrem Blick auswich, und sie konnte nicht wirklich sagen, was in ihm vorging – ob es dafür schlicht zu dunkel war oder er es nicht zu erkennen gab, konnte sie nicht sagen. Aber was hätte sie noch sagen sollen? Sie hätte lügen müssen, hätte sie behauptet es tue ihr leid. Und sie beide hätten das gewusst. Als Corvinus sie dann wieder ansah und weitersprach, schoben sich Sivs Augenbrauen um eine Winzigkeit näher aneinander heran, wodurch ihr Blick eine traurige Nuance bekam. Wieder gab es wenig, was sie hätte sagen können. Sie hätte sich darüber freuen sollen, aber das konnte sie nicht, genauso wenig, wie sie über Celerinas Tod traurig sein konnte. Sie fühlte sich seltsam, als ob sie zwischen zwei Stühlen stünde und sich nicht entscheiden könnte, welchen sie wählen sollte. Sie sollte sich freuen, dass Corvinus Abstand von einer Hochzeit nahm, und ein Teil von ihr tat das sicherlich auch, irgendwie. Aber es freute sie nicht, ihn so zu sehen. Diesen Klang in seiner Stimme zu hören. Zu hören, dass er offenbar glaubte, es laste ein Fluch auf ihm.


    Sie schwieg weiterhin, musterte ihn nur und wich seinem Blick nicht mehr aus. Eine Hand hob sich, und langsam strichen die Kuppen ihrer Finger über seine Wange, bevor sie sie wieder sinken ließ. Es traf sie, ihn so zu sehen, und so gern sie ihm geholfen hätte, es gab nichts, was sie tun konnte – außer einfach da zu sein. "Du machst nichts falsch", antwortete sie, und ihre Stimme, obwohl nach wie vor leise, klang überzeugt. Sie war überzeugt davon. "Du… versuchst bestes. Mehr kannst du nicht. Und Dinge passieren. Du kannst nicht alles, alles… bessern. Einfluss haben." Nachdenklich sah sie ihn an. "Es passiert viel, so viel. Und keiner hat Einfluss, nicht für alles. Das ist nichts deine Schuld, was passiert gewesen ist, mit Celerina. Oder Deandra. Und deine Familie… wird wieder besser, irgendwann. Ich glaube das." Das tat sie tatsächlich. Prisca würde nicht weit fortgehen, und sie würde sicherlich weiterhin Kontakt halten und oft zu Besuch kommen. Die drei anderen Frauen würden ihren Weg finden, schon allein, weil sie Unterstützung aus der Familie bekamen, und was die männlichen Aurelier betraf… Siv war bei weitem nicht involviert genug, um tatsächlich zu wissen, wie abgekühlt das Verhältnis war, aber auch hier glaubte sie, dass es sich wieder ändern würde, mit der Zeit. Alles änderte sich doch, irgendwie. "Sie vielleicht auch haben, schwere… Gedanken. Schwere Zeit. Es wird wieder anders." Nur wie es werden würde, das konnte keiner wissen. Sie seufzte lautlos, wusste sie doch, dass ihm mit diesen Worten wohl kaum geholfen war. Aber ihm zu versichern, dass alles gut werden würde, konnte sie auch nicht. "Du machst nichts falsch, jedenfalls", wiederholte sie stattdessen leise.

  • So ernst, wie Siv mich ansah, glaubte ich fast selbst, verdammt zu sein. Mir fiel diese seltsame Freudlosigkeit wieder ein, die damals von mir Besitz ergriffen hatte. Fast so, als habe Pluto selbst seinen Schatten auf mich geworfen. Das war nicht nur Einbildung gewesen. Sivs Stimme zerschnitt, obwohl sie leise war, die Stille im Raum und lenkte mich ab. "Ja. Auffällig ist, dass stets mir diese Dinge passieren", erwiderte ich trocken und zog eine Grimasse. Siv bemühte sich zwar, mir zu versichern, dass es nicht meine Schuld war, allerdings gelang es ihr nicht, mich davon zu überzeugen. Irgendetwas musste das alles doch mit mir zu tun haben. Die Parallelen, die ich sah, erschienen mir selbst nur allzu offensichtlich.


    Sivs lautloses Seufzen hörte ich nicht, doch ich spürte den Atemzug auf der Haut. Sie brachte mich damit, ohne es zu beabsichten, auf andere Gedanken. Ich schob meine Hand unter ihre Tunika und legte sie auf den Bauch. Er war warm und weich und noch flach. Eine Weile sagte ich nichts, dann beschloss ich, ihr mit meiner Trübsal nicht die Laune zu verderben. Wie würde ohnehin nichts an meiner Sicht der Dinge ändern können, das vermochte wohl nur ein Wunder zu tun. "Wie geht es dir?" fragte ich sie ein wenig später, die Hand immer noch auf ihrem Bauch ruhend. Es musste offensichtlich sein, worauf genau ich anspielte, und der Gedanke an das Leben in ihrem Leib erhellte die Düsternis zumindest zu einem winzig kleinen Teil in dieser Nacht.

  • Corvinus reagierte kaum auf ihre Worte, sagte nur einen Satz – und sowohl die Worte als auch der Tonfall machten klar, dass er ihr nicht glaubte. Siv presste für einen winzigen Augenblick die Lippen zusammen, und ihre Lider senkten sich und blieben kurz geschlossen, bevor sie ihn wieder ansah. Sie wollte ihm helfen, wollte ihn überzeugen, dass es nicht seine Schuld war, auch wenn es ihm so erscheinen mochte, aber sie wusste nicht wie, außer dass sie einfach für ihn da war. Und so schwieg sie und musterte ihn weiterhin, legte nur erneut ihre Hand an seine Wange und strich darüber, bevor sie sie ein weiteres Mal sinken ließ. Dieses Mal blieb sie jedoch so ruhen, dass ihre Finger noch seine Brust berührten.


    Auch Corvinus sagte nichts mehr, aber Siv spürte, wie seine Hand sich bewegte, sich einen Weg unter ihre Tunika suchte und schließlich auf ihrem Bauch zu ruhen kam. Eine Weile lagen sie schweigend so da, und Siv genoss die Berührung, genoss es, dass er auf diese Art Kontakt suchte. Seine Stimmung schien sich etwas zu verändern, sie spürte es, wie ein sachter Windhauch, der die Atmosphäre etwas auflockerte. Ein Lächeln hob ihre Mundwinkel ein, als sie seine Frage hörte. "Gut." In diesem Moment ging es ihr gut, eindeutig. All die lästigen Begleiterscheinungen der Schwangerschaft spielten gerade keine Rolle. Vergessen waren sie allerdings bei weitem nicht. "Da ist, na ja, da ist Übelkeit. Am Vormittag, vor allem. Aber das ist normal. Mh. Da ist mehr, was nervt. Und ich bin, will mehr tun. Aber…" Den Satz vollendete sie nicht, stattdessen zuckte sie nur andeutungsweise mit den Achseln. Corvinus war deutlich gewesen, was sie und schwere Arbeit betraf, oder besser, was er unter schwerer Arbeit verstand, ebenso wie sie deutlich gemacht hatte, was sie davon hielt – und er hatte, wie so häufig, die Oberhand behalten, oder eher: hatte ihre Argumente ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach ignoriert. Sie zog kurz die Nase kraus bei dem Gedanken daran und lächelte anschließend wieder, nur leicht, aber doch sichtbar. "Sonst geht es gut."

  • Im vagen, durch den schmalen Schlitz der Vorhänge hereinfallenden Licht des Mondes sah Sivs lächeln ehrlich aus. Ich versuchte, es zu erwidern, hatte allerdings das Gefühl, vielmehr eine Grimasse zu ziehen denn ein Lächeln zustande zu bekommen. Behutsam ließ ich die Fingerkuppen über ihren Bauch streichen, darauf bedacht, sie nicht zu kitzeln. Vielleicht hätte ich einst so mit Celerina gelegen, doch das war mir nun verwehrt. Ich sollte wirklich nicht noch ein drittes Mal versuchen, ein Eheweib zu finden, das mir einen Erben gebar. Vielleicht sollte ich es wie Flavius Felix halten und mich zurückziehen, auf eine Insel oder aufs Land, wo ich tun und lassen konnte, was ich wollte. Ich könnte Siv mitnehmen. Und mich jedweder Verantwortung entziehen. Und doch wäre das nicht ich gewesen, sondern nur ein Teil von mir. Der beugsamere. Leise seufzte ich und drehte den Kopf so, dass meine Wange auf ihrer Schulter lag. Blonde Haarkringel kitzelten mich an der Nase.


    "Wir können morgen dem iatros Bescheid geben. Vielleicht kann er dir einen Sud mischen", sagte ich, da ich nicht wusste, dass Siv diesen Dienst bereits in Anspruch genommen hatte. "Ich möchte einfach nicht, dass du irgendetwas tust, was das Kind gefährden könnte. Bist du nicht zufrieden mit der Arbeit, die Brix für dich hat?" fuhr ich fort. Ich hatte Brix ermahnt, Siv nur leichte Arbeit zu geben. So war sie es nun, die das Wäscheaufhängen übernahm und Niki in der Küche zur Hand ging. Siv räumte diverse Zimmer auf, machte die Betten und wischte Staub. Aber tragen durfte sie nichts mehr, ebenso, wie sie sich nicht zu häufig bücken sollte. Noch sah man zwar nichts, aber das Kind war schließlich schon da, nur eben ganz winzig klein. Wenn es wachsen würde, würde man es auch sehen. "Dein Latein wird seit einer Weile gar nicht mehr besser. Übst du noch?" fragte ich sie dann.

  • Siv fiel es schwer, in seinem Gesicht zu lesen. Sie meinte in dem fahlen Licht zu sehen, wie auch sein Mund sich zu einem Lächeln verzog, aber sie konnte nicht erkennen, ob es auch seine Augen erreichte. Wenn sie an die gedrückte Stimmung dachte, die ihn noch kurz zuvor im Griff gehabt hatte, vermutete sie eher nicht, und das folgende Seufzen schien ihr Recht zu geben. Ihr Lächeln wurde etwas traurig, als sie seinen Kopf nun an ihrer Schulter spürte, und sie drehte den ihren ebenfalls, bis ihre Wange an seinem Haar lag und ihre Lippen an seiner Stirn, die sie kurz küsste. Einmal mehr wünschte sie sich, sie könnte seine Gedanken lesen, könnte sehen, was ihn wirklich so umtrieb. Wünschte sich, sie könnte ihm helfen. Aber vielleicht standen da auch einfach die Unterschiede zwischen ihnen, die unbestreitbar da waren – nicht die Tatsache, dass sie Sklavin war, sondern dass sie aus Germanien stammte. Sie wusste inzwischen, was ihm wichtig war, was in Rom wichtig war, aber das hieß nicht, dass sie es auch wirklich verstand. Auch in ihrer Heimat hatte es gewisse Standesunterschiede gegeben, hatte es Anforderungen gegeben an die jungen Menschen, aber nicht derart extrem wie hier. Bei weitem nicht.


    "Ich habe schon, was von Arzt. Er hat gemischt, etwas, als er hier war. Aber hilft nur bisschen." Sie zog eine leichte Grimasse, als Corvinus erneut davon sprach, warum er nicht wollte, dass sie schwere Arbeit verrichtete. "Ich weiß", seufzte sie. "Nur… das ist… langweilig, weißt du? Betten, und Wäsche, und Aufräumen… Aber ich weiß. Ich weiß, das ist besser." Sie gab es nur ungern zu, aber sie war zu gerührt davon, dass er sich solche Sorgen machte. Im nächsten Augenblick stockte sie. "Mh", brummte sie, etwas verlegen nun. Ihr Latein wurde in letzter nicht wirklich besser, das wusste sie. Irgendwie… stockten ihre Fortschritte, und das schon seit ein paar Wochen. "Jaaa…", antwortete sie dann gedehnt. "Ich übe schon. Nur… Es ist… so schwer, gerade, egal wie ich lerne, und da… na ja." Die Wahrheit war, dass ihr ein wenig die Lust vergangen war, seit die Fortschritte sich eingestellt hatten. "Ich übe nicht genug. Denke ich. Weiß ich. Es macht nicht Spaß, mehr. Im Moment", gestand sie dann doch. "Ich will fragen, den Lehrer, bei den Flaviern. Vielleicht gibt er Unterricht, zusätzlich, ich meine allein. Vielleicht ist das besser."

  • "Ist ein wenig Langeweile nicht besser, als das Kind zu verlieren?" fragte ich Siv. Im Grunde hatte ich keine Ahnung davon. Ich konnte mir nur vorstellen, dass so ein Kind durch das Schaukeln bei schwerer Arbeit krank wurde oder nicht richtig wachsen konnte. Auch fragte ich mich, ab welcher Größe man es spüren konnte. Jetzt, wo es noch winzig klein war, war es logisch, dass nichts zu erfühlen war. Doch wenn es erst einmal auf Handtellergröße gewachsen sein würde, konnte man sicher auch Tritte fühlen, überlegte ich. "Du bist dünn geworden. Eigentlich sollte es andersherum sein. Vielleicht sollte der iatros noch einmal vorbei kommen. Du brauchst doch Kraft", sinnierte ich vor mich hin. Mir kam der Gedanke, dass Siv vermehrt Frisches zu essen bekommen sollte. Ich würde Niki wohl Bescheid geben.


    Eine Locke kitzelte mich an der Wange. Ich schob sie zur Seite und ließ meine Hand dann halb an meiner Wange, halb auf Sivs Oberarm liegen. "Warum nicht?" hakte ich nach, als sie sagte, dass es ihr keinen Spaß mehr machte. "Pass nur auf dich auf", bat ich sie dann. Wer wusste schon, was die flavischen Sklaven im Schilde führten. "Und wenn es dich tröstet, dann lass dir sagen, dass ich gut die Hälfte der germanischen Worte wieder vergessen habe, die du mir beigebracht hast. Ich denke, ich bin kein Sprachentalent. Zahlen liegen mir mehr." Ich schmunzelte flüchtig. "Vielleicht solltest du einfach mehr reden? Und nicht so oft Germanisch sprechen mit Brix und den anderen?"

  • Sivs Augen weiteten sich etwas. Dass zu viel Arbeit dazu führen könnte, dass sie das Kind tatsächlich verlor, daran hatte sie bisher nicht wirklich gedacht. Es war nicht so, dass ihr die Gefahren nicht bewusst waren, aber sie hatte eher die Einstellung, dass ihr das schon nicht passieren würde. Zumindest nicht jetzt, wo man doch noch gar nichts sah. Aber es Corvinus laut aussprechen zu hören, erschreckte sie dann doch etwas, und sie nahm sich vor, ab jetzt wirklich vorsichtig zu sein. Egal wie langweilig ihr war. "Ist es", murmelte sie dementsprechend nur leise, ohne auch nur den Versuch zu starten, eine erneute Diskussion anzufangen. Dann schloss sie kurz die Augen und seufzte. "Ja. Das nervt. Also, die Übelkeit. Ich hoff das ist vorbei, bald. Meinst du, er kann was tun? Der Iatros?" Die Kräutermischung, die er ihr gegeben hatte, verwendete sie, jeden Morgen, nach seinen Anweisungen. Und es war auch etwas besser geworden, meinte sie jedenfalls. Immerhin beschränkten sich ihre Übelkeitsanfälle nun tatsächlich nur noch auf den Morgen, während sie gegen Mittag langsam nachließen. So kam sie wenigstens dann zum Essen, ohne Gefahr zu laufen, es gleich wieder loszuwerden.


    Sie bewegte sich kurz, um eine bequemere Lage für ihren Kopf zu finden, achtete aber darauf, nicht die Schulter zu bewegen, an der der seine lag. "Weil… da kein Fortschritt ist. Ich übe… also… mh, hab geübt, und da ist jetzt so lang nichts besser. Das ist…" Es nervt, aber das wollte sie nicht schon wieder sagen. Sie nickte, als er sie sagte sie solle aufpassen, auch wenn sie nicht ganz verstand warum. Dann fiel ihr auf, dass er das ja nicht sehen konnte, und murmelte leise ein "Ja", während sie ihre Wange wieder an seine Haare legte. Im nächsten Moment hob sie ihren Kopf schon wieder leicht an. "Du hast was?" Gespielte Empörung schwang in ihrer Stimme mit, und eine ihrer Hände glitt über seinen Oberkörper und begann ihn zu kitzeln, ehe ihr wieder einfiel, dass das bei ihm nicht wirklich brachte. "Schäm dich! Das ist nicht gut, gar nicht." Sie grinste breit bei diesen Worten, was ihrer Stimme auch anzuhören war. "Du hast Übung nicht mehr. Mehr reden… Mh, ich rede ja Latein. Nur, jeder versteht. Also, was ich sage. Und ich verstehe andere. Da ist nicht Problem. Aber, jeder versteht so gut, mich, dass… keiner verbessert."

  • "Ich weiß nicht. Ich bin kein medicus Aber es kann nicht falsch sein, wenn du ihm sagst, dass sein Medikament nicht hilft. Und vielleicht solltest du ihm auch sagen, dass du Appetit auf seltsame Dinge hast..." Schließlich würde es jedem anderen den Magen verrenken, wenn er oder sie das essen würde, was Siv sich bisweilen aus der Küche holte. Ich dachte da an liquamen und Honig, miteinander vermengt, garniert mit einer Hand voll Oliven und gewürzt mit Nelken und ordentlich viel Pfeffer. Allein beim Gedanken daran wurde mir schon anders. Und für das Kind konnte es auch nicht gesund sein, wenn es zu scharf oder zu durcheinander aß. Obwohl ich keine Ahnung hatte, wie so ein winziges Kind überhaupt etwas aß. Angestrengt versuchte ich mir vorzustellen, wie eine Art Strohhalm von Sivs Magen abzweigte und das Kleine daran nuckelte. Anders war es doch gar nicht möglich, oder doch?


    Siv verlagerte ihren Kopf und ich konzentrierte mich wieder auf ihre Worte. Sie lernte also nicht mehr, weil sie keine Fortschritte machte. "...mühsam", ergänzte ich ihren halb fertigen Satz und verdrehte die Augen schräg nach oben, um sie teils tadelnd, teils amüsiert anzuschauen. "Ah, das ist etwas anderes. Ich muss kein Germanisch lernen. Das ist nur ein Zeitvertreib. Bedauerlicherweise bleibt mir letztlich immer weniger Zeit. Aber wenn du fluchst, verstehe ich dich schon noch. Oder ab und an ein paar Worte. Und viel ergibt sich auch aus dem Kontext. Aber ich werde es mir merken und dein Latein verbessern. Nur beschwere dich dann nicht, ich sei ein unverbesserlicher Besserwisser." Ich zog einen Mundwinkel nach oben und piekte meinen Zeigefinger flüchtig in Sivs Seite, dann ließ ich die Hand wieder sinken und den Kopf von ihrer Schulter zurück auf die Kissen rutschen. So sah ich eine Weile in Richtung Zimmerdecke, die irgendwo in der wattigen Dunkelheit über mir verborgen lag. "Wenn du die Möglichkeit hättest, nach Hause zu gehen... Würdest du es tun?"

  • "Es hilft ja. Etwas. Davor, das war schlimmer", antwortete Siv. Dann zog sie nachdenklich die Nase kraus. "Mh, aber… das ist doch normal. Nicht? Also, dass ich hab Hunger, auf seltsame Sachen?" Sonderlich viel Erfahrung hatte Siv mit Schwangeren auch nicht – sie hatte zwar geholfen, bei denen, die sich auf Heilkunde verstanden, aber wenn es um Schwangere ging, hatte sie sich dann doch häufig gedrückt, wenn es ging. Sie hatte kein Problem mit Kranken, aber schwangere Frauen hatten ihr immer ein bisschen Angst gemacht – weil schwanger zu werden in ihren Augen nur allzu häufig für das gestanden hatte, was sie um jeden Preis hatte vermeiden wollen: zu heiraten, sich niederzulassen, ihrem Mann eine gute Frau zu sein und nicht mehr. Den Erwartungen zu entsprechen. Ihre Freiheit aufzugeben. Und wer wusste es schon, wäre sie damals von Ragin schwanger geworden, hätte es das vermutlich für sie bedeutet, hätte er sie dazu gedrängt, mehr und mehr in diese Rolle zu schlüpfen. Ein Mundwinkel zuckte kurz nach oben, als sie daran denken musste, und daran, wie anders ihre Situation nun war.


    "Mühsam, ja." Sie seufzte. Es störte sie ja selbst, dass es nicht mehr vorwärts ging, und sie hoffte, dass sich das bald wieder änderte. Bei seinen nächsten Worten dann musste sie schmunzeln. "Ah, wenn ich fluche, das verstehst? Sehr gut. Das ist wichtigstes. Und bitte verbesser mich. Das hilft. Das muss helfen. Ich will auch Griechisch lernen, weißt du das? Ein bisschen kann ich schon. Fluchen." Siv grinste breit, nur um gleich darauf zusammenzuzucken und einen amüsierten Laut hören zu lassen, als sein Zeigefinger sein Ziel fand und sie piekste. Dann, als sein Kopf von ihrer Schulter glitt und wieder seinen Platz auf dem Kissen fand, drehte sie sich auf die Seite, so dass sie sein Profil betrachten konnte. Im nächsten Augenblick hob sie ihren Kopf erstaunt an, stützte sich mit dem Ellbogen ab und musterte im fahlen Schein sein Gesicht. Nach Hause zu gehen? Siv konnte sich nicht erklären, warum er das nun auf einmal fragte. Sie konnte nicht so recht glauben, dass er befürchtete, sie würde einen erneuten Fluchtversuch starten. Aber aus welchem Grund er sonst auf einmal diese Frage stellte, wusste sie auch nicht. Lange überlegen musste sie allerdings nicht. "Nein", antwortete sie schlicht. Sie brauchte nicht mehr Worte, um auf seine Frage zu antworten. Sie wollte nicht weg, wollte nicht gehen, auch nicht nach Germanien – nicht wenn das hieß, dass sie ihn dafür verlassen musste, und das würde es heißen. Germanien bedeutete ihr immer noch viel, aber letztlich war es nicht mehr ihre Heimat. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein mochte dort wieder zu leben – oder irgendwo anders –, wenn Corvinus nicht bei ihr war. Und jetzt, wo sie sein Kind erwartete, kam es für sie noch viel weniger in Frage zu gehen. "Warum fragst du?"

  • Sivs Sprechweise hatte sich schon sehr verbessert, von unverständlich über drollig bis hin zu gut zu verstehen, doch den guten Vorstatz von eben, sie zu verbessern, milderte ich gedanklich bereits wieder ab. Im Grunde war ja vieles richtig, was sie sagte und wie, nur einige Wortdreher baute sie ein oder richtige Endungen an die falschen Worte. Wie sollte man das besser lernen denn durch Zuhören? So sagte ich nichts bei ihrem Dreher und raschelte stattdessen ein wenig mit der Bettdecke.


    "Du willst Griechisch lernen? Wozu?" fragte ich dann, denn was mir beim Lateinlernen noch wichtig und schlüssig vorkam, fand ich das Griechische betreffend schlichtweg unnötig in Bezug auf Siv. Wozu auch sollte sie griechisch sprechen können? Und dass man allgemeine Gebrauchswörter schneller lernte als andere, lag auf der Hand. Je öfter Siv darüber hinaus mir Niki zusammen war - und dieser Tage war das wohl aufgrund des eingeschränkten Tätigkeitsbereichs ihrerseits durchaus öfter als sonst - desto schneller lernte sie alles über die dunkle Seite der griechischen Sprache. Ich seufzte leise. Das Kind würde ohnehin zweisprachig aufwachsen, argwöhnte ich, denn Siv würde wohl kaum ihm zuliebe darauf verzichten, ihre Muttersprache zu sprechen, wann immer sich eine Möglichkeit dazu ergab.


    Ihre Antwort indes überraschte mich nicht sonderlich. Ich wusste, was sie empfand. Auch, wenn ich niemals von mir gesprochen hatte. Wenn man etwas aussprach, bekam es die nötige Griffigkeit, die letzten Endes nicht mehr zu leugnen war. Also schwieg ich, wenngleich andere Dinge mich auch unbeabsichtigt verraten mochten. "Ich frage, weil ich über die Zukunft des Kindes nachdenke", erwiderte ich ebenso unverzüglich wie sie. Ich musste an Aquilius denken, der sich jetzt irgendwo fernab Roms befand und dessen Kinder eine Fischerin und eine Sklavin ausgetragen hatten. Ich musste deswegen unbedingt nocht Gracchus aufsuchen, denn wenn jemand etwas über den Verbleib Aquilius' wusste, dann musste er es sein.

  • Ein wenig verwundert ob seiner Frage musterte Siv Corvinus. Sie hätte eher erwartet, dass er sich freute, weil sie sich nicht nur mit dem begnügte, was ihr hier nützte, weil sie mehr lernen wollte, hatte gedacht, dass er sie vielleicht sogar ermutigte. Ein winziger Hauch von Enttäuschung streifte sie, dass er, wenn sie den zweifelnden Unterton in seiner Stimme richtig deutete, sie nicht zu verstehen schien. Sie war immer schon wissbegierig gewesen. Früher, in Germanien, war sie durch die Wälder gestreift und hatte alles erkundet, was sich ihr bot, sie hatte vor allem in den Ställen mitgeholfen und bei den Heilkundigen gearbeitet, sie hatte sogar dem Schmied bei seiner Arbeit zugesehen und geholfen, so weit es ihr gestattet war – das einzige, worauf sie nie neugierig gewesen war und wovor sie sich immer gedrückt hatte, waren die typischen Frauenarbeiten gewesen, und obwohl viele ihres Stammes den Kopf geschüttelt hatten, hatte ihr Vater es nie fertig gebracht, ihr diese Arbeiten zu verbieten. Vieles von dem, was sie früher gern getan und gelernt hatte, war hier nicht mehr möglich, aber dafür boten sich andere Möglichkeiten, und ungleich mehr, als sie sich noch vor zwei Jahren je hätte träumen lassen. "Warum nicht?" fragte sie zurück. "Neues ist gut. Ich mag neues, neues zu sehen, zu lernen. Das ist… interessant, das ist aufregend. Und andere Sprache, das… ich finde das… eindruckt… fas, faszi… mh. Faszinierend" behalf sie sich schließlich doch mit Germanisch. "Also, dass die einen reden und andere nicht verstehen. Und, wie ich langsam anfange, das verstehen, und immer mehr, je mehr ich kann. Und… ich mag zu verstehen, das, also, wenn andere reden." Siv musterte ihn, sein Gesicht, suchte nach Zeichen dafür, dass er doch verstand. Dass Corvinus möglicherweise den Wunsch hegen könnte, dass ihrer beider Kind einsprachig aufwuchs, auf die Idee kam Siv gar nicht. Für sie war klar, dass sie nicht nur Germanisch sprechen würde in Gegenwart ihres Kindes, sondern dass sie es ihm auch beibringen würde. Germanien war ein Teil von ihr und würde es immer bleiben, und damit war es auch ein Teil ihres Kindes. "Ich mag neues Wissen. Und hier, hier ist so viel davon."


    Seine rasche Antwort auf ihre Gegenfrage überraschte sie beinahe ebenso sehr wie die Frage danach, ob sie nach Hause gehen würde. Die Zukunft des Kindes? Siv hatte noch nicht wirklich darüber nachgedacht – hauptsächlich, weil sie es verdrängte. Sie wusste, dass die Kinder von Sklaven ebenfalls Sklaven waren, und auch wenn sie sich mit diesem Schicksal mehr oder weniger abgefunden hatte – woran Corvinus und ihr Verhältnis zueinander einen großen Anteil hatte –, war das doch nichts, was sie ihrem Kind wünschte. Aber noch merkte sie kaum etwas von ihrer Schwangerschaft, außer der Übelkeit. Ihre Figur war normal, und bis sie tatsächlich Tritte oder ähnliches in ihrem Leib spüren würde, würde noch einige Zeit vergehen. Noch war es leicht zu verdrängen, dass ihr Kind ebenfalls Sklave sein würde, wenn sich nicht irgendeine Lösung fand, noch hatte sich für sie nicht einmal der richtige Zeitpunkt ergeben, sich damit tatsächlich bewusst auseinander zu setzen, zumal Corvinus – der der einzige war, der daran etwas ändern könnte – ihr aus dem Weg gegangen war, seit ihrer Unterhaltung im Stall. Und in den Momenten, in denen sie darüber nachgedacht hatte, hatte sie sich versichert, dass Corvinus das Kind freilassen würde. Es war auch sein Kind, sein Sohn oder seine Tochter. Er würde nicht wollen, dass es ein Sklavendasein führte, da war sie sich sicher. Ob das nach römischen Gesetzen überhaupt möglich war, daran verschwendete sie keinen Gedanken. Sie schwieg einen Augenblick, während sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne zog und sie langsam wieder freigab. "Mh", machte sie. "Seine Zukunft ist hier. Bei mir. Bei dir. Jedenfalls, erst mal."

  • "Findest du nicht, dass du erst einmal ordentlich Latein sprechen lernen solltest?" fragte ich Siv, und den tadelnden Tonfall vermochte ich dabei nicht aus den Worten zu verbannen. Wäre es nicht Siv gewesen, ich hätte wohl über den Mehrwert nachgedacht, den viele beherrschte Sprachen einem Sklaven verliehen. Doch so kam ich nicht auf den Gedanken und dachte eine Weile darüber nach, wie es wohl wäre, das ein oder andere griechische Gespräch mit ihr zu führen. Natürlich war wir allesamt des Griechischen mächtig, alle Aurelier, darauf hatten unsere Eltern Wert gelegt, und so war es gewesen, so lange ich zurückdenken konnte. Allerdings war mein Sprachvermögen inzwischen wohl bereits so sehr eingerostet, dass ich eine Weile brauchen würde, um wieder hineinzufinden. Vielleicht sollte ich öfter in der Küche vorbeisehen, bei Niki.


    "Eindrucksvoll, beeindruckend, faszinierend", half ich Siv aus, als sie sich verhaspelte und nicht weiter wusste. "Ich habe nichts dagegen, dass du lernst, solange es nicht nur Schimpfwörter sind, heißt das. Und so lange du dich nach wie vor anstrengst, gutes Latein zu sprechen. Vor anderthalb Jahren warst du noch kaum zu verstehen", sann ich laut vor mich hin. "Hier ist so viel Wissen? Seltsam. Mir kommt es vor, als berge Rom weniger Wissen als viele andere Orte. Aber das ist wohl relativ... Gibt es denn irgendetwas, das dich besonders interessiert?" wollte ich von ihr wissen.


    Jedenfalls erst mal also. Ich schwieg, zupfte mir eine Haarsträhne Sivs, sah darauf hinunter und drehte sie zwischen den Fingern. Wieder dachte ich an Aquilius und daran, dass die Situation mit ihm und seiner Sklavin ähnlich war. Sie war nun eine liberta, ihr Kind hatte die Möglichkeit, sich das Bürgerrecht zu verdienen. Ich wollte nicht, dass mein Sohn zugleich auch mein Sklave war. Es galt, sich zu entscheiden, ehe er das Licht der Welt erblickte. Doch etwas hielt mich zurück. Was, wenn sie doch ging, wenn ich sie entließ?

  • Nein, sie hatte den Tonfall nicht falsch gedeutet, dass wurde deutlich, als Corvinus weitersprach und nun sogar tadelnd klang. Sie musterte ihn einen Augenblick lang schweigend, wusste nicht so recht, was sie darauf antworten sollte. Natürlich wäre es besser, wenn sie Latein bereits fehlerfrei sprechen könnte, aber warum sollte sie sich nur darauf konzentrieren? Aber wenigstens hatte er nichts dagegen, jedenfalls sagte er das. "Ich übe Latein, weiter. Ganz sicher. Ich will ja Latein können, ich meine, ganz richtig, und ohne Fehler zu haben. Und bei Griechisch, da ich kann mehr, als Schimpfwörter. Einfache Sachen. Küchensachen." Ein Mundwinkel hob sich leicht. Im Griechischen machte sie derzeit Fortschritte, denn dadurch, dass ihr Tätigkeitsbereich so stark eingeschränkt worden war, hatte sie nun nicht nur mehr mit Niki, sondern auch mit Sofia und Dina zu tun. Dennoch machte es ihr am meisten Spaß, mit Niki zu lernen – die Köchin war zwar zuweilen etwas ruppig, aber damit kam Siv klar. Und sowohl Sofias plapperhafte Art als auch Dina, die fast nie ohne Rollo anzutreffen war, wurden auf Dauer anstrengend. "Und es hilft, also für Latein", meinte sie dann überzeugt. "Niki und die anderen, die sagen und erklären ja in Latein, was was heißt, in Griechisch." Eine kurze Pause folgte, während der sie ihn erstaunt ansah. "Wenig Wissen, hier in Rom? Echt? Hier ist doch so viel, ich meine… viel mehr als in Germanien. Und anderes Wissen. Ich weiß gar nicht, was besonders… Pflanzen, ich lerne gern von Pflanzen, von fremden. Was Händler erzählen. Was auf Papyrus steht. Und Sprachen, das ist faszinierend." Ein leises Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie das Wort verwendete, an dem sie zuvor gescheitert war. "Mh. Wie es ist, in andere Länder. Geschichten davon. Überhaupt, Geschichten mag ich. Weißt du noch, als du erzählt hast, von Sterne, im Garten? Und Geschichten, dazu? Von Celeris, und wie Athen Namen bekommen hat, weil Meergott und Athene beide wollen." Versonnen schwieg Siv, als sie sich an jenen Abend zurückerinnerte, an den sie sich noch so gut erinnern konnte. Ohne es bewusst zu merken, wanderte ihre Hand zu dem kleinen Anhänger, den er ihr geschenkt und an eben jenem Abend umgehängt hatte.


    Auf ihre Worte, die Zukunft ihres Kinds betreffend, reagierte Corvinus zunächst gar nicht. Siv musterte ihn weiterhin, aber immer noch fiel es ihr schwer zu erkennen, was er nun darüber dachte. Langsam ließ sie sich seitlich auf das Kissen zurücksinken und beobachtete, wie er anfing mit einer ihrer Haarsträhnen zu spielen. "Kind braucht Eltern. Aber wer weiß, was er – oder sie –", Siv lächelte leicht, "macht, in 15 Jahren. Oder so." Dann verlosch ihr Lächeln, langsam, einer verglühenden Kohle gleich. Wenn ihr Kind ein Sklave sein würde, dann hatte es nicht großartig die Wahl, was es tun würde. Sklave oder Freier, das würde einen riesigen Unterschied machen, und Siv dachte überhaupt nicht an die Möglichkeiten, die ein frei geborenes Kind in Rom haben würde. Jetzt war sie es, die ihren Kopf an seine Schulter legte – teils, weil sie die Nähe wollte, teils, weil sie ihn so nicht ansehen musste. "Was denkst du, von Zukunft… Es wird Sklave sein", murmelte sie, dann drehte sie ihren Kopf doch so, dass sie zu ihm hinauf sehen konnte. "Kannst du es freilassen? Gleich nach Geburt?"

  • "Ohne Fehler zu machen", erwiderte ich an der passenden Stelle und ließ sie weiterreden. Küchensachen also. Das war es, was sie auf Griechisch verstehen konnte. Ich runzelte die Stirn, Siv versicherte, sie würde weiterhin Latein lernen wollen. Wie allerdings das Griechische ihr beim Latein helfen sollte, war mir schleierhaft. Doch auch das erklärte sie kurz darauf, auch wenn ich die Argumentation nicht sehr schlüssig fand. Nun ja, sollte sie damit weitermachen. Zumindest würde es ihr nicht schaden, sie bestenfalls sogar auf andere Gedanken bringen.


    Bezüglich der anstehenden Saturnalien waren die Informationen natürlich Gold wert, die Siv mir im Anschluss an meine Frage gab. Dass sie die Natur mochte, wusste ich bereits, immerhin teilten wir diese Passion zumidnest in Bezug auf extraordinäre Pflanzen. Dass sie Geschichten und Sagen mochte, war mir neu. Damals - es musste gut ein Jahr her sein - im Garten, kurz nach den Saturnalien, hatte ich ihr von dem Sohn des Pegasos erzählt. Die Geschichte hatte ihr gefallen, das war mir nicht verborgen geblieben, doch dass sie sich darüber hinaus für solcherlei Dinge begeisterte, war neu für mich. Dass sie auch verschiedene Sprachen mochte, nahm ich ebenso kurz Kenntnis, und was auf Papyrus steht verwunderte mich ein wenig. "Wie meinst du das? Welchen Papyrus meinst du?" hakte ich nach.


    "Ja, daran kann ich mich gut erinnern. Ich wusste gar nicht, dass du solche Geschichten gern hörst." Damals, das war eine verwunschene Nacht gewesen. Eine der wenigen Erinnerungen, die ich gut verwahrte und an die ich mich gern zurückerinnerte. Sivs Worte, das Kind betrefffend, drängten die Erinnerung wieder in den Hintergrund. Was er machte, in fünfzehn Jahren. Ich hoffte, er würde es zu mehr gebracht haben als dazu, irgendwem Wein zu servieren oder die toga zu richten. Wieder hingen meine Gedanken nun bei dem Kind fest. Zumindest würde es hier im Haus einfacher werden, wenn keine Ehefrau da war, vor der man gewisse Dinge verbergen wollte, dachte ich und seufzte leise. Siv bettete ihren Kopf auf meiner Schulter, und ich schob einen Arm unter ihr hindurch und hielt sie so an meiner Seite. Die Strähne hatte ich losgelassen. Bei ihren nächsten Worten schluckte ich. Was sollte ich darauf antworten? "Ich weiß noch nicht", antwortete ich ausweichend. Schweigen. "Du solltest die Artikel nicht immer verschlucken. Sie gehören dazu", lenkte ich ab.

  • "… zu machen", wiederholte sie, kaum dass er sie verbessert hatte, und fuhr fort zu erzählen und zu erklären. Sie konnte nicht wirklich erkennen, ob er nun verstand oder nicht, aber er schien nichts mehr einzuwenden zu haben. Und dass sie eines Tages Latein fehlerfrei sprechen würde, hatte Siv sich fest vorgenommen – auch wenn sie ihren germanischen Akzent wohl nie losbekommen würde, hieß das nicht, dass sie nicht erreichen konnte, irgendwann fließend reden zu können. "Keiner besonders. Papyrus eben. Was steht, in Schriftrollen. Über Pflanzen, meinte ich gerade, aber auch andere Sachen. Lesen, lesen können ist auch faszinierend. Wie andere Sprachen. Früher hat Brix geholfen, hat gesucht in Schriftrollen und erzählt davon. Also, wenn ich da gebraucht habe, etwas, für Garten. Jetzt kann ich selbst lesen. Hm. Langsam. Und wenn Texte einfach sind, jedenfalls", fügte sie dann noch hinzu. Bei schwierigen brauchte sie noch wesentlich länger, und manchmal verlor sie die Geduld, wenn sie sich in gar zu schwierigen Satzkonstruktionen verhedderte. Aber ehrlicherweise musste sie auch zugeben, dass das keine Texte waren, die sie im Zuge des Unterrichts bekommen, sondern Brix oder sonst wem abgeschwatzt hatte, weil sie das Thema interessierte. "Doch, Geschichten mag ich. Nur, da ist selten Zeit dafür. Dass andere erzählen Geschichten. Dass ich zuhören kann. Oder selbst erzählen, Geschichten aus Germanien."


    Sie hob den Oberkörper kurz leicht an, als Corvinus seinen Arm darunter schob, legte ihren Kopf dann wieder an seine Schulter und ihren Arm auf seine Brust. Versonnen begannen ihre Finger, darüber zu streichen, während sie nachdenklicher wurde, als sie das Gespräch bei der Zukunft ihres Kindes hielt. Corvinus antwortete ausweichend, und gleich darauf wechselte er das Thema – was Siv zugegebenermaßen etwas irritierte, sowohl die nichtssagende Antwort als auch der Wechsel, denn immerhin hatte er davon angefangen. Sie überlegte, ob sie nachfragen sollte, was er nicht wusste – ob er ihr Kind nicht freilassen konnte oder nicht freilassen wollte. Oder ob er dessen Zukunft ganz allgemein meinte. Sie schwieg eine ganze Weile, bevor sie schließlich doch wieder etwas sagte. "Die Geburt", murmelte sie zunächst nur, um wenigstens etwas auf seine letzte Anmerkung einzugehen. Dann fragte sie doch: "Was weißt du nicht? Wegen Zukunft? Oder freilassen?" Im Grunde hatte sie ja eine Vermutung, wo das eigentliche Problem lag. Es war eine Art Eingeständnis. Warum sollte er das Kind einer Sklavin freilassen, wenn es nicht sein eigenes war? Sie holte Luft. "Wenn… also, wenn Problem… wenn das Problem ist, dass dann…" Ihre Stimme wurde etwas leiser. "… dass dann andere wissen, oder vermuten, dass du Vater bist… der Vater", verbesserte sie sich gleich, "dann… Ich weiß nicht. Kann ich… Sesterzen verdienen, irgendwie? Für, dass ich es freikaufen kann? Dann, das ist, das kann Erklärung sein für andere." Natürlich gehörte alles, was sie in irgendeiner Form verdiente, ihm, einfach weil sie seine Sklavin war. Aber immerhin hatte er mit Cadhla ja eine ähnliche Vereinbarung getroffen. Siv wusste nichts über die Details, aber sie wusste, dass Cadhla kämpfte – und dass sie mit jedem Sieg, mit jeder Siegprämie, die Corvinus dafür erhielt, der Freiheit ein Stück näher rückte. Vielleicht, überlegte sie, könnte Corvinus zusätzlich noch verbreiten, dass sie selbst dadurch auf jede Chance auf Freiheit verzichtet hatte. Viele Sklaven dienten ihren Herren doch gut, weil sie hofften, auf diese Weise irgendwann die Freiheit zu erlangen, und von dem, was sie gehört hatte, wurde es auch vielen Sklaven in Aussicht gestellt. Müsste das dann nicht ein fairer Tausch sein, in den Augen der meisten Römer? Die Freiheit ihres Kindes gegen einen gewissen Preis, den sie irgendwie zusätzlich zu ihrer Arbeit hier verdiente, sowie die Aussicht auf ihre Freilassung. Dass sie die ohnehin nicht anstrebte, musste ja keiner wissen. Sie wünschte sich nur, eine Möglichkeit zu finden, irgendeine, die ihrem Kind die Freiheit sicherte. Es musste ja nicht unbedingt am Tag seiner Geburt sein, oder kurz danach. Es konnte auch erst in ein oder zwei Jahren so weit sein – sie vertraute Corvinus, wenn er das versprechen würde, dann würde er es auch halten –, so lange es passierte, bevor ihr Kind realisierte was es hieß, Sklave zu sein.

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