cubiculum MAC | Schlaflos in Rom

  • Ich gab es auf. Siv verhedderte sich in zu vielen Kleinigkeiten, als dass ich sie noch nebenbei hätte berichtigen können, also ließ ich es ganz bleiben und begrunb den eben erst geborenen guten Vorsatz gleich wieder. Ich war stets der Annahme gewesen, dass sich Sklaven viele Geschichten - und Gerüchte - erzählten, wenn sie abends in ihrer Unterkunft lagen und den Tag ausklingen ließen. Siv blieb dies verwehrt, sollte es des Abends wirklich so zugehen in diesem Hause, da sie längstens nicht mehr bei den anderen schlief, sondern in der Kammer nebenan.


    Dass sie nicht besonders begeistert war von meiner ausweichenden Antwort, konnte ich spüren, auch wenn ich ihr Gesicht ob ihrer Lage nicht einzusehen vermochte. Und dass sie eine Rückfrage stellte, war eigentlich klar gewesen. An das Eingeständnis dachte ich nicht, der Gedanke war mir nicht einmal gekommen, obwohl er logisch gewesen wäre. Und Siv war nicht dumm, sie wusste, welche Vereinbarung ich mit Cadhla getroffen hatte, seinerzeit, und sie bot mir das gleiche an. Mit dem Unterschied, dass sie es für das Kind tun würde und nicht für sich. Auf ihre Worte hin entstand eine drückende Pause. Was sollte ich auch sagen? Ich hatte nicht vor, Siv arbeiten zu lassen, nur damit das Kind - mein Kind - nicht das Dasein eines Sklaven würde fristen müssen. "Ich werde darüber nachdenken", entgegnete ich ihr. Das war relativ knapp angesichts der Situation, zu mehr konnte ich mich allerdings nicht durchringen. Die Nachricht Celerina betreffend hatte mich erst vor kurzem erreicht und das Kind würde überdies erst in einigen Monaten geboren werden. Bis dahin würde ich mich entschieden haben, doch vorerst galt es, andere Dinge zu regeln - und mir darüber klar zu werden, ob ich überhaupt heiraten sollte und wenn ja, wer in Frage kam. Das von Siv geschilderte "Problem" allerdings spukte mir noch im Kopf umher. Ich dachte darüber nach, sagte dann etwas dazu. "Früher oder später wird es ohnehin bekannt werden, zumindest hier im Haus. Es dürfte den anderen nicht schwer fallen, zu bemerken, dass du bei niemandem sonst liegst. Ich würde den Moment gern noch etwas hinauszögern, das dürfte für dich auch angenehmer sein. Ich weiß nicht, wie du sonst behandelt wirst."

  • Geschichten, vor allem Gerüchte, wurden auch in der Villa Aurelia erzählt – und das nicht nur abends, sondern auch tagsüber, wenn es die Arbeit zuließ. Diese Art von Geschichten meinte Siv allerdings nicht. Ihr ging es mehr um Sagen, um Legenden. Geschichten wie die eben, die Corvinus ihr erzählt hatte darüber, wie Athen zu seinem Namen gekommen war. Dass sie die Gerüchteküche weitestgehend verpasste, machte ihr nicht sonderlich viel aus, im Gegenteil. Es hatte einen Grund, warum sie nun, da ihr die Gartenarbeit nur noch in sehr beschränktem Ausmaß möglich war, ausgerechnet in der Küche so häufig anzutreffen war. Niki wusste eine Menge, weil die Küche nun mal der Ort war, wo die Sklaven tagsüber am ehesten aufeinander trafen und den ein oder anderen Schwatz abhalten konnten. Aber sie hielt nicht viel von Tratscherei, und Siv fand das sehr angenehm.


    Im Moment allerdings verlor die Situation etwas von der angenehmen Atmosphäre, die sie bis vor kurzem noch gehabt hatte. Er würde nachdenken über ihren Vorschlag. "Nachdenken", murmelte sie. Nachdenken. Das konnte alles heißen. Warum musste er überhaupt nachdenken darüber, ob sie zusätzlich Geld verdienen könnte? Cadhla hatte er es erlaubt, welchen Grund könnte er haben, es ihr zu verneinen – nach wie vor weigerte sie sich zu glauben, er könne wollen, dass ihr gemeinsames Kind als Sklave aufwuchs. Aber er sagte sonst nichts, machte nicht einmal eine Andeutung – er sagte nicht einmal, ob sie richtig lag mit ihrer Vermutung, ob er tatsächlich ein Problem darin sah, dass sonst für andere, auch für Menschen außerhalb der Familie, eindeutig sein könnte, dass er der Vater war, wenn er das Kind einfach so freiließ. Er sagte ihr nichts von seinen Gedanken, und das machte es für Siv so schwer, sich damit abzufinden. Sie vertraute ihm, aber wenn sie nicht einmal wusste, worüber er überhaupt nachdachte, fühlte sie sich, als ob ihr jegliche Grundlage fehlte. Sie war Sklavin, nach wie vor, und selbst wenn sie es nicht gewesen wäre, sie war die Frau, Entscheidungen wie diese waren seine – aber Siv gehörte einfach nicht zu den Frauen, die das einfach so akzeptierten. Für die meisten mochte es richtig sein, sie hatte sich immer dagegen aufgelehnt – was auch der Tatsache geschuldet war, dass ihr Vater so weichherzig gewesen war und ihr diese Flausen nie ausgetrieben hatte. Es fiel ihr so schwer, nicht einbezogen zu werden in eine so wichtige Entscheidung wie diese.


    Sivs Körper in seinem Arm war nun nicht mehr so entspannt wie noch zuvor, hatte im Gegenteil an unterdrückter Spannung zugenommen. Ihre Finger ruhten nun auf seiner Brust und strichen nicht mehr darüber, und sie sah in die Dunkelheit, ohne die Wand oder etwas anderes wirklich wahrzunehmen, während sie den Kloß in ihrem Hals zu bekämpfen versuchte, der auf einmal da war. Sie hasste es, so empfindlich zu sein, plötzlich von dem Bedürfnis zu weinen überwältigt zu werden, und das war etwas, was sich in letzter Zeit bei ihr häufte. Corvinus selbst schwieg ebenfalls einen Moment, was ihr die Möglichkeit gab, sich etwas zu beruhigen. Als er dann jedoch weitersprach, zuckte Siv nur leicht mit einer Achsel. "Für mich? Ich weiß nicht, wie sollen sie behandeln?" Schlimmer als in der Zeit nach ihrem Fluchtversuch konnte es gar nicht sein, aber dieser Gedanke streifte nur flüchtig durch ihren Kopf, und sie sprach ihn nicht aus. "Auf Gerede höre ich nicht. Und sonst… Ich kann umgehen, damit." Dann fiel ihr etwas anderes ein. Worüber sie auch noch nicht nachgedacht hatte: ob das Kind mit dem Wissen aufwachsen würde, wer sein Vater war – oder ob es das, zumindest in den ersten Jahren, nicht würde erfahren dürfen. Wenn es nach ihr ging, dann würde es wissen, dass Corvinus sein Vater war, aber sie war sich nicht so sicher, ob er das genauso sah. "Was…" Siv verstummte wieder und nagte an ihrer Unterlippe, wusste nicht, ob sie das einfach auf sich zukommen lassen sollte, einfach abwarten sollte, was er sagte, wenn es so weit war – aber das war nicht ihre Art, und so platzte sie doch damit heraus. "Was ist mit Kind, wenn es da ist? Kann es wissen, dass du der Vater bist? Ich meine, aufwachsen, und es wissen, nicht offen, aber geheim?" Und nun hielt sie es auch nicht mehr aus, stillschweigend zu akzeptieren, dass er nicht vorhatte sie wenigstens in irgendeiner Weise über die Zukunft des Kindes einzubinden. Ihr Kopf hob sich an und drehte sich etwas, so dass sie ihn ansehen konnte. "Und was, wieso denkst du nach, ich meine, worüber? Was ist da zu nachdenken? Bitte, ich will nicht wissen, was, was sein wird, aber jetzt, was, warum du denkst. Was ist Problem?"

  • Natürlich gefiel es ihr nicht. Ich selbst hätte mich mit einer solchen Antwort auch keinesfalls zufrieden gegeben, sondern nachgefragt. Vermutlich tat sie es aus einem einzigen Grund nicht postwendend: Sie führte sich vor Augen, dass ich ihr Herr war. Sie schien ihren Gedanken nachzuhängen. Und ich war noch wacher, als ich es zuvor gewesen war. Ein erneuter Seufzer hob meine Brust. Ich suchte nach Worten, die ich sagen konnte, ohne sie zu verletzen. Mir fielen keine ein, zumindest nicht zu diesem Thema. Es war schließlich nur natürlich, dass eine Mutter das Beste für ihr Kind wollte. Siv stellte da keine Ausnahme dar. Aber wie konnte ich ihr etwas zusichern, über das ich mir selbst noch nicht ganz im Klaren war? Eine Ablenkung musste her. Mir fiel wieder ein, wie wir vor einigen Stunden in der Küche zusammengekommen waren. Die Saturnalien standen kurz vor der Tür. Hier galt es, ebenfalls rasch eine Entscheidung zu fällen.


    "Wegen Louans Reise... Ich wollte..." begann ich und verstummte, als sie plötzlich fortfuhr und zugleich seltsam steif neben mir wirkte. Diesmal unterdrückte ich den Seufzer und hörte mir an, was sie zu sagen hatte. Siv wollte wissen, wie die anderen sie denn vielleicht behandeln würden. Darauf wusste ich keine genaue Antwort. "Meinst du nicht, dass sie dir neiden werden, wenn du bevorzugt behandelt wirst?" fragte ich sie daher. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie die sonst so friedliche Gemeinschaft sie behandelt hatte, als die anderen von dem Fluchtversuch erfahren hatten. Im Liegen zuckte ich mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Es mag sein, dass du damit umgehen kannst und auch nichts darauf gibst. Aber sowas kann einem ganz schön das Leben schwer machen, Siv. Ich würde es nicht unterschätzen, wenn sich ein Gutteil der anderen gegen dich stellt oder auch nur unfreundlich ist", warnte ich sie. "Wenn das je passieren sollte, möchte ich, dass du mir davon erzählst."


    Die andere Frage war schon weitaus kniffeliger. Durfte das Kind wissen, wer sein Vater war... Mir kam ein Sprichwort in den Sinn. Kindermund tut Wahrheit kund. Es würde wohl einfacher sein, wenn es zunächst nicht wusste, wer sein Vater war. Zumindest, bis ich mir selbst darüber im Klaren sein konnte, wie ich damit umgehen würde. Konnte. Sollte. "Das weiß ich jetzt noch nicht", erwiderte ich also ein weiteres Mal ausweichend. "Es ist ja aber auch noch mehr als genug Zeit bis dahin." Vermutlich würde ich die Entscheidung dann aber doch so kurzfristig fällen, wie die Saturnalien stets vor der Tür standen, obgleich sie doch alljährlich zur gleichen Zeit stattfanden. "Problem?" Mit gerunzelter Strin rappelte ich mich auf die Seite und stütze den Kopf auf den angewinkelten Arm. "Siv. Wenn ich wollte, dass du Cadhla nacheiferst, dann wäre das sicher längst passiert. Ich will es aber nicht. Deswegen bist du hier. Und ich weiß noch nicht, was ich dir - euch - zugestehen kann, ohne dass ich mir dadurch weitere Komplikationen innerhalb der Sklavenschaft zuziehe. Es gibt hier durchaus andere, die länger und weniger störrisch ihre Arbeit verrichtet haben als du selbst. Betrachte es einmal aus anderem Blickwinkel: Eine Freilassung ist eine Belohnung. Ein Privileg. Es ist bei weitem nicht so einfach, wie du es dir sicher ausmalst. Ein solcher Schritt will wohl überlegt sein. Ich muss darüber nachdenken. Das muss dir als Antwort reichen", erklärte ich ihr. Im nächsten Moment knurrte mein Magen, wie als brumme ein Bär eine abschließende Zustimmung. "Auch das noch", seufzte ich und grinste Siv im nächsten Moment an. Louan hatte ich überdies vergessen.

  • Dass Corvinus von Louans Reise anfing, ging an Siv vorbei. Zu sehr war sie beschäftigt mit ihren eigenen Gedanken. Und so kam es auch, dass ihr gar nicht bewusst war, dass sie ihn unterbrach, als sie auf seine vorigen Worte einging. Seine Erklärung konnte sie aber nicht so ganz nachvollziehen. "Warum bevorzugt behandeln?" fragte sie verständnislos nach. "Dass ich schwanger bin, oder Kind habe, das heißt doch nicht, dass ich bevorzugt behandle. Behandelt werde", korrigierte sie sich, als ihr der Fehler in ihren Worten auffiel. "Nicht mehr wie als Leibsklavin, jetzt. Und das ist, da sind mehrere." Man musste nur an Nuala denken, die vom ersten Tag an Leibsklavin gewesen war, mit den entsprechenden Privilegien. Da gab es ein paar, die sie immer noch schräg ansahen, obwohl sie ja nichts dafür konnte, dass Orestes sich eine Sklavin gekauft hatte, anstatt einen aus dem Haus zu wählen. Und sie… nun ja, auch bei ihr hatte es den ein oder anderen Kommentar gegeben, warum ausgerechnet sie, die einen Fluchtversuch auf dem Kerbholz hatte, doch noch die Leibsklavin des Hausherrn geworden war, aber es war, wie Siv gesagt hatte: sie gab nicht viel auf derlei Kommentare, jedenfalls nicht von den Leuten, von denen sie kamen. Und es war sehr schnell klar geworden, dass Siv sich nun keineswegs für etwas besseres hielt. Was sollte also so großartig anders sein, wenn sie ein Kind bekam? Sicherlich würde sie in der Schwangerschaft und in der ersten Zeit danach nicht so viel arbeiten können, das tat sie ja jetzt schon nicht, aber im Grunde wusste jeder im Haus, dass sie selbst das am meisten störte. "Ich werde dir erzählen", versicherte sie anschließend, "wenn es zu viel ist." Was genau genommen nicht das war, was Corvinus gewollt hatte.


    Anschließend musste Siv ein Seufzen unterdrücken. Er wusste es nicht. Natürlich wusste er es nicht. Sie schloss für einen Moment die Augen und sagte gar nichts darauf. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie wusste, sie hatte von Anfang an gewusst, dass es schwierig werden würde. Dass es Dinge gab, auf die er achten musste. Dennoch, sie würde ihr Kind nicht anlügen. Niemals. Wenn Corvinus tatsächlich nicht wollte, dass es erfuhr, wer der Vater war, würde sie vor einem Problem stehen, spätestens dann, wenn es anfing Fragen zu stellen. Siv beschloss, vorerst zu diesem Thema zu schweigen. Noch war Zeit, er hatte es selbst gesagt, und noch war er sich selbst offenbar nicht sicher, wie er das handhaben wollte. Es hatte keinen Sinn, darüber zu diskutieren, solange er nicht wusste, was er wollte. Allerdings gab es etwas anderes, was sie ihn fragen konnte, und nachdem sie das getan hatte, bewegte Corvinus sich, richtete sich seitlich auf, so dass sie von seiner Schulter herunterrutschte, wieder auf dem Rücken landete und ihn von unten herauf ansah. Ihre Brauen zogen sich leicht zusammen, als er antwortete. Er wollte also nicht, dass sie Cadhla nacheiferte? Dass sie versuchte, Geld zu verdienen? "Warum nicht?" War das nicht die beste Möglichkeit, zu erklären, warum er das Kind, sein Kind, schließlich freiließ, ohne dass es Gerede gab? "Ich weiß, was Freilassung heißt. Ich weiß, dass andere besser arbeiten, und länger, und braver. Aber ich, ich will ja arbeiten, weiter arbeiten, das Freilassen, das will ich doch nicht für mich!" Cadhla mochte weniger störrisch gewesen sein als sie, aber als Corvinus mit der Keltin diese Abmachung getroffen hatte, hatte sie weit kürzer in seinen Diensten gestanden als Siv jetzt. Und sie verstand nicht, warum ihr Kind auch ein Sklave sein sollte. Dass die Freilassung ihres Kindes ein ebensolches Privileg sein würde wie ihre eigene, das war ihr klar, aber sie würde ja Sklavin bleiben, sie würde ein ganzes Leben haben, dieses eine Privileg abzuarbeiten, und sie würde es tun, wenn es sein musste. "Ich will nichts für mich, ich…" Ihre Stimme verlor sich, und sie presste für einen Augenblick die Lider zusammen, um aufsteigende Tränen wegzublinzeln. Corvinus hatte endgültig geklungen. Es blieb ihr nichts anderes, als abzuwarten, was er entscheiden würde. Dies war einer der seltenen Momente, in denen sie es hasste, Sklavin zu sein. Oder nein, nicht Sklavin. Eine Frau. Dies war einer der Momente, in denen sie es hasste, eine Frau zu sein. Nicht über sich selbst entscheiden zu können. Einen so großen Unterschied zu dem, was sie als verheiratete Frau in Germanien hätte tun dürfen, und dem hier als Sklavin, gab es da nicht. Siv öffnete ihre Augen wieder, als sie seinen Magen knurren hörte, und zwang sich zu einem vagen Lächeln. "Soll ich was holen?"

  • "Nein", erwiderte ich verstimmt auf das Angebot hin, etwas zu essen zu organisieren. Schweigend brütete ich über ihren Worten. Sie wollte nichts für sich, sondern nur für das Kind. Und sie sah nicht ein, warum andere in ihrer Situation dachten, sie würde bevorzugt behandelt werden, wenn ich ihr das Geschenk machte, ihr Kind freizulassen. Ich seufzte. Wieder einmal. "Nein, Siv. Das weißt du nicht", widersprach ich ihrer Behauptung, sie wüsste, was Freiheit - römische Freiheit - bedeutete. Aber ich führte es nicht weiter aus. Ich erklärte ihr es nicht. Und mein Gesichtsausdruck machte gewiss deutlich, dass ich es auch auf Nachfrage hin nicht erklären würde. Stattdessen ging ich auf etwas anderes ein. "Was hätte das Kind davon, gleich nach der Geburt freigelassen zu werden? Es wäre vielmehr ein Geschenk für dich als für ihn. Oder sie", fragte ich sie und schüttelte gleichzeitig den Kopf, um weiterzusprechen, ehe sie etwas erwidern konnte. "Ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken werde, und das werde ich auch tun. Aber ich bin nicht bereit, jetzt weiterhin mit dir darüber zu diskutieren, Siv." Da ich selbst merkte, wie harsch die Worte geklungen haben mochten, schob ich ein vages Lächeln nach und legte eine Hand auf die Tunika über ihrem Brustbein. "Vertraue mir."


    Ich betrachtete ihr missmutig dreinschauendes Gesicht. Was sie wohl denken mochte? "Du macht ein Gesicht wie König Athamas, als er seinen Sohn opfern sollte", spottete ich halbherzig. "Vielleicht heitert es dich ein wenig auf, wenn ich dir sage, dass du mitfahren darfst nach Mantua? Aber du musst mir versprechen, auf dich acht zu geben. Und Louan anzufeuern, natürlich."

  • Siv konnte an seiner Stimme hören, dass Corvinus ungehalten war. Sie glaubte nicht ganz, dass sein Hunger nicht stark genug war, eher vermutete sie, dass ihr konstantes Nachbohren der Grund dafür war, dass er ablehnte. Was wiederum sie verstimmte. Sie war sich nicht sicher, ob er verstand, worum es ihr ging, aber indem sie angeboten hatte, etwas zu essen zu holen, hatte sie versucht, das Thema hinter sich zu lassen, für den Moment wenigstens. Jetzt war er es, der noch einmal darauf zu sprechen kam. Und Siv wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie wusste nicht, was Freilassung bedeutete? Was sollte es denn bedeuten, wenn nicht die Tatsache, dass ein Mensch wieder selbst über sein Schicksal entscheiden konnte? Sie wollte das nicht für sich, sie war zufrieden hier – sie wollte nicht fort von ihm. Aber sie wünschte sich, dass ihr Kind fort konnte, wenn es das wollte, irgendwann. Siv musterte Corvinus, während er sprach, und jedes Wort, das über seine Lippen kam, zeigte, dass er sie nicht verstand. Dass er die Dinge anders sah. Was hätte das Kind davon? Es hätte davon, dass es nicht in dem Bewusstsein aufwachsen würde, Sklave zu sein. Siv konnte nicht anders als überzeugt davon sein, dass es einen Unterschied machte für einen Menschen, ob er als Freier oder als Sklave aufwuchs. Und wenn das Kind erst einmal auf der Welt war, war es so leicht, es immer wieder hinauszuschieben. Bis irgendwann der Punkt gekommen war, an dem nicht mehr sie seine Freiheit verdienen musste, sondern es sich selbst. Dass es auch ein Geschenk für sie sein würde, konnte sie nicht leugnen, wollte sie auch gar nicht, aber sie hatte ja nicht vor, dieses Geschenk unerwidert zu lassen.


    Als Corvinus dann derart kategorisch ablehnte, noch weiter zu diskutieren, hatte Siv von einem Moment zum anderen das Gefühl, als sei ihr Magen zu einem Klumpen geworden. Er wurde flau, zog sich zusammen, und die angrenzenden Regionen schienen auf einmal seltsam schwammig zu werden. Siv biss sich auf die Unterlippe und drehte den Kopf zur anderen Seite, und ein tiefer Atemzug hob die Brust, auf der nun Corvinus’ Hand lag. Seltsam schwer schien sie dort zu lasten, und Siv drehte den Kopf wieder zurück und sah ihn mit einem undeutbaren Ausdruck in den Augen an. Vertrau mir, sagte er dann. Vertrau mir. "Das tue ich", antwortete sie leise. "Ich vertraue dir." Sie vertraute ihm wirklich. Sie wäre nicht bereit gewesen, ihr Kind loszuwerden, hätte sie ihm nicht vertraut, wäre sie sich nicht sicher gewesen, dass er wusste, was das Richtige war. Aber sie sehnte sich danach, ein Zeichen von ihm zu bekommen, ein Wort, ein Satz, der zeigte, dass er sie wenigstens verstehen konnte. Dass er nachvollziehen konnte, wie sie sich fühlte. Aber sie würde nicht darum betteln. Und einen erneuten Erklärungsversuch zu starten, würde auch nichts bringen, das hatte er nur allzu deutlich gemacht. Auf seinen Spott ging sie nicht ein, sie kannte die Geschichte nicht, und in diesem Augenblick war ihr nicht danach zumute, über den Hinweis über jemanden, der sein Kind opfern sollte, zu lachen – oder darüber, mit so jemandem verglichen zu werden. Der nachfolgende Hinweis jedoch ließ ihre Mundwinkel sich etwas heben, auch wenn ihr immer noch nicht wirklich nach lächeln zumute war. Vertrau mir. "Danke. Ich werde acht geben, natürlich", versicherte sie. "Nichts riskieren. Nichts tun, was anstrengend ist. Oder gefährlich." Sie hob eine Hand und legte sie auf die seine, verschränkte ihre Finger mit den seinen. Ihr Lächeln wurde etwas offener. "Und du, kommst du mit?"

  • Ich wusste, dass ich sie verletzt hatte. Aber etwas anderes hatte ich ihr nicht sagen können. Dennoch tat es mir leid. Auch, wenn sie anderes denken mochte. Erneut seufzte ich. Nach wie vor gestattete ich mir nicht, ihr zu sagen, was sie mir bedeutete. Es hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Nicht unbedingt diesen Moment, aber doch die ganze Situation um sie, um mich, um alle anderen herum. So schwieg ich weiterhin, ließ unausgesprochen, was besser unausgesprochen blieb, und nahm auch die Hand wieder fort, um sie auf meiner Seite unter die Decke zu schieben. Dass ich damit implizierte, sie nicht zu verstehen, nicht einmal zu ahnen, was in ihr vorgehen musste, wusste ich, doch ändern tat ich daran nichts. Es war gut, wenn sie bestimmte Dinge dachte, manches annahm, das nicht den Tatsachen entsprach. Es würde die Dinge leichter machen, das war auch bisher so gewesen. Doch auch, wenn ich längstens nicht über alles sprach, was mich bewegte, wenn ich mich ihr nicht vollends offenbarte und wenn ich sie gar in dem Glauben ließ, ich verstünde sie nicht, so konnte sie mir dennoch vertrauen.


    "Ich denke schon. Ein kleiner Ausflug wird uns allen ganz gut tun. Und die Saturnalien eignen sich bestens dafür, Rom für eine Weile zu verlassen. Man verpasst nicht viel, sieht man von den betrunkenen Horden ab, die durch die Straßen ziehen", witzelte ich. "Aber du reitest nicht. Du fährst auf dem Wagen. Ja?" Immerhin wusste sie, dass ich auch kein Pferd besteigen würde. Zumindest nicht freiwillig und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.

  • Als er seine Hand, die er gerade eben erst auf ihre Brust gelegt hatte, schon wieder zurückzog, kaum dass sie danach gegriffen und ihre Finger mit seinen verschränkt hatte, erhöhte wieder die Anspannung in ihr. Seine Finger lösten sich von den ihren, ließen ihre Hand allein auf ihrem Brustbein liegen, während er die seine fortnahm. Siv holte Luft und schloss für einen Moment die Augen, und als sie sie wieder öffnete, ging ihr Blick an ihm vorbei zur Decke. Sie konnte nicht sagen, was in ihm vorging, und es schmerzte sie, dass er sich zurückzog. Sie vertraute ihm, sie war bereit, die Zukunft ihres Kindes ihm anzuvertrauen, aber sie begriff nicht, warum er sie nicht einmal in seine Gedankengänge darüber mit einbezog. Und sie begriff noch viel weniger, warum er nun wieder auf Distanz zu ihr ging, wo sie doch deutlich gemacht hatte, dass sie trotz allem, trotz ihres Unverständnisses, trotz ihrer Ungeduld, bereit war, sich zu fügen. Zu warten, bis er das Für und Wider abgewägt hatte, bis er eine Entscheidung getroffen hatte, wie die Zukunft ihres Kindes aussehen sollte.


    Einen Augenblick lang blieb ihre Hand noch, wo sie war, dann glitt auch sie an ihrer Seite hinunter und kam auf der Decke zu ruhen. Sie lächelte vage, als Corvinus ihre Frage bejahte, und ein Teil von ihr freute sich zu hören, dass er auch mitkommen würde, aber es drang nicht wirklich ganz zu ihr durch. Da war immer noch diese Distanz. Er versuchte abzulenken, das wusste sie, und auch wenn sie ihn gut genug zu kennen meinte um auch zu wissen, dass er sie nun wohl kaum noch in den Arm nehmen würde, konnte sie doch nicht verhindern, dass sie sich genau danach sehnte. Etwas Nähe, nicht nur körperlich. Die wortlose Versicherung, dass ihr Vertrauen gerechtfertigt war, dass es ihrem Kind und ihr gut gehen würde, dass er tun würde, was er konnte, auch wenn er jetzt noch nicht sagen konnte, was möglich war. Ihr Blick streifte den seinen im Halbdunkel, und erneut bemühte sie sich um ein Lächeln. "Ja. Ehm. Ich meine nein. Ich werde nicht reiten", versicherte sie. Sie hatte nicht wirklich vor, dieses Risiko einzugehen, auch wenn sie nur zu gerne geritten wäre. Das Gefühl von Freiheit und gleichzeitig Geborgenheit, das sie stets hatte, wenn sie auf einem Pferderücken unterwegs war. Erneut schloss sie kurz ihre Lider, diesmal, weil sie an Idolum dachte, und das Lächeln, das nun über ihre Lippen flog, war zwar immer noch vage, aber ehrlich. "Nur auf dem Wagen, wie du. Wie lang ist der Weg? Nach Mantua?"

  • "Etwa einhundertsechszig Doppelmeilen*", erwiderte ich auf ihre Frage hin und ließ einen Seufzer folgen. "Wenn wir gut durchkommen, sollten wir die Stadt in zwei, längstens drei Tagen erreichen." Dann legte ich doch den Arm um Siv, drehte mich dabei auf die Seite und zog sie ein wenig näher zu mir heran. Die nase vergrub ich in ihrem Haarschopf. "Wir sollten versuchen, noch etwas zu schlafen. Morgen ist ein anstrengender Tag. Also, genaugenommen heute. Es dauert sicher nicht mehr lang, bis die Sonne aufgeht", sagte ich zu Siv und versuchte all jene Gedanken auszublenden, die mir zuvor den Schlaf geraubt hatten. Es gelang natürlich nicht. So versuchte ich, mich auf Sivs Atmung zu konzentrieren, und ganz allmählich dämmerte ich auf diese Weise tatsächlich ein. Auch wenn es ein eher unruhiger Schlaf war, schlief ich letztlich doch ein.



    Sim-Off:

    * 1 Doppelmeile = 3km, Mantua ist rund 475km entfernt von Rom

  • Zwei, drei Tage also nach Mantua. Zwei oder drei Tage, die sie auf dem Karren würde verbringen müssen. Siv unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht ergab sich ja doch eine Gelegenheit zum Reiten, was sollte denn schon passieren, wenn sie Idolum nur im Schritt gehen ließ… Siv zwang sich, diesen Gedanken zu unterbrechen. Sie merkte schon, wo das hinführen würde – wenn sie so anfing zu denken, dann saß sie irgendwann auf Idolum, ließ ihn im Schritt gehen und dachte sich wahrscheinlich: was konnte es denn schaden, wenn sie ein bisschen schneller ritt… und am Ende war sie am Galoppieren. Und das war einfach zu gefährlich. Sie war eine gute Reiterin, aber auch die Besten konnten herunterfallen. Besser, sie gewöhnte sich an den Gedanken, dass sie auf dem Karren sitzen würde, und fertig.


    Entgegen ihrer Erwartung nahm er sie schließlich dann doch wieder in den Arm und zog sie heran, und Siv schmiegte sich an ihn. Immer noch hatte sie das Gefühl einer gewissen Distanz zwischen ihnen, immer noch fühlte sie sich nicht wirklich wohl damit, dass er sich vor ihr verschloss und seine Gedanken nicht mit ihr teilte, aber sie sehnte sich zu sehr nach ihm, als dass sie sich jetzt von ihm fortgedreht hätte. Dennoch war ihr Blick traurig, als sie ihren Kopf an seine Schulter legte. "Ja", murmelte sie, während sie langsam die Augen schloss und ihre Mundwinkel kurz nach oben zuckten, als sie seine Nase in ihren Haaren spürte. "Lass uns schlafen."

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