Eine der nicht gerade angenehmsten Aufgaben eines Tresvir Capitales war die Aufsicht und Überwachung der städtischen Gefängnisse bzw. der dort inhaftierten Gefangenen, von denen es in Rom einige gab, die man aufzusuchen hatte. Der heutige Weg führte Marcus an den südlichen Stadtrand Roms, um genauer zu sein in die Nähe der Porta Querquetulana, wo die Vigiles eine Wachstube samt kleinem Gefängnis hatte. Es war also nichts Besonderes und der junge Decimer hoffte, die Sache bald erledigt zu haben. Nach einem gemütlichen Frühstück in der Casa Decima Mercator, hatte er sich zu Fuß auf den Weg gemacht und traf relativ rasch bei der Wachstube ein, vor deren Eingang ein Vigil postiert war.
"Salve! Ich bin Vigintivir Decimus Flavus und möchte kurz eine Überprüfung der Gefangenen vornehmen. Habt ihr welche?"
Der Vigil sah den jungen Mann verwundert an. Auch wenn es zu ihren Aufgaben zählte, und dessen war der Miles sich sicher, hatte er hier schon lange keinen römischer Magistraten gesehen und schon gar nicht, um die Gefangenen zu überprüfen. Er wirkte daher anfangs etwas perplex und trat einen Schritt von der Türe weg.
"Da sprichst du am besten mit dem Wachhabenden, Magistratus. Er ist in der Wachstube."
Marcus nickte dankend und trat dann durch die Türe, die ihm der Vigil frei gemacht hatte. Der Geruch, der ihm dabei entgegenschlug, ließ ihm kurz Inne halten, ehe er sich durchringen konnte, die Wachstube zu betreten. Es roch Ekelhaft – irgendwie nach Alkohol, Urin, Schweiß und anderer undefinierbarer Gerüche. Dieser Posten am Stadtrand war nicht gerade die Castra Praetoria oder eine der größeren Stationen der Vigiles, die man in mehreren Stadtteilen Roms fand. Hier her wurde vermutlich auch nicht gerade die Elite der Vigiles abkommandiert und auch die Hoffnung mit einem wachhabenden Offizier zu sprechen schwand, als Marcus einen ersten Blick in die Wachstube warf. Hier ließ sich bestimmt kein Tribun aus dem Ritterstand blicken. An einem einfachen Holztisch in einer Ecke des Raumes saßen oder besser gesagt lungerten mehrere Soldaten und wärmten sich vermutlich gerade etwas an den ringsum stehenden Kohlebecken auf. In einer anderen Ecke war ein Schreibtisch aufgestellt, hinter dem ein Mann durchschnittlichen Alters saß, der nicht gerade einen besonders motivierten oder vertrauensvollen Eindruck auf Marcus machte. Er hatte sich weit in seinen Sessel zurückgelehnt und die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Auch als Marcus näher trat, machte er keine Anstallten diese Position irgendwie ändern zu wollen. Stattdessen raunte er dem jungen Mann entgegen.
"Was kann ich für dich tun Bürger?"
Auch wenn sich der junge Mann maßlos über diese Behandlung ärgerte, versuchte er Ruhe zu bewahren und antwortete dem Soldaten, der vermutlich den Rang eines Optios oder gar Centurios bekleidete trocken und ernst.
"Ich bin Vigintivir Marcus Decimus Flavus und bin hier um den Zustand eures Gefängnisses zu überprüfen und einen Einblick in die Liste der Gefangenen zu werfen. Ihr habt doch welche derzeit oder?"
Der Wachhabende, bei dem es sich tatsächlich um einen Optio handelte, sah Marcus nur gelangweilt an, ehe er das Gespräch scheinbar keineswegs Beeindruckt über das Amt des jungen Decimers wieder aufnahm.
"Ein Vigintivir. Soso." Dann wandte er sich an den Tisch in der anderen Ecke des Zimmers, an dem die Soldaten saßen. "Habt ihr gehört Männer! Ein Vigintivir beehrt uns! Also zeigt euch von eurer besten Seite. Wenn ihr eine solche überhaupt habt."
Marcus konnte es im ersten Moment gar nicht glauben. Was bildete sich dieser ungehobelte und nichtsnutzige Vigil eigentlich ein? Natürlich, er war kein Konsul oder Prätor, aber dennoch ein gewählter Magistrat Roms und dementsprechend mit Respekt und Würde zu behandeln. Als er sich kurz zum Tisch wandte, sah er nur in die schamlos grinsenden Gesichter der Soldaten. Wütend sah er wieder zu dem Wachhabenden, der ihm ebenso hämisch angrinste.
"Du musst uns verzeihen Magistrat. Einen so hohen Beamten sehen wir hier nur sehr sehr selten. Wir sind daher auch nicht besonders geübt darin, dich standesgemäß zu begrüßen. Aber zu deinem Anliegen. Ja, wir haben derzeit einen Gefangenen. Er befindet sich da hinten in einer der Zellen."
Der Optio deutete auf eine mit Eisen beschlagene Holztüre, die vermutlich zu den Zellen führte. Dann schob er ein Blatt Papyrus über den Tisch. Marcus hatte Mühe sich zu beherrschen. Am liebsten wäre er diesem Mann an die Gurgel gesprungen oder hätte ihn ein Messer in den Bauch gerammt. Doch bei dieser Überzahl an Soldaten, war dies vermutlich keine Besonders gute Idee. Daher ging er auch nicht weiter auf die Frechheiten dieses Mannes ein und überflog das Papyros, das sowohl die Namen der letzten Insassen, als auch den Namen und die Daten des aktuellen Gefangenen aufwies. Ein gewisser Manius Asellus, dem man laut diesem Bericht Erpressung und Körperverletzung vorwarf. Anscheinend hatte man ihn auf frischer Tat erwischt, als er einen Händler hier in der Gegend erpressen wollte. Marcus sah wieder auf.
"Kann ich den Gefangenen sehen?"
Das Grinsen des Optios war immer noch nicht aus seinem Gesicht gewichen, als er dem jungen Decimer antwortete und noch einmal mit einer einladenden Geste zur Türe deutete.
"Aber natürlich. Er wird sich bestimmt über Besuch freuen."
Marcus wandte sich vom Schreibtisch ab und ging zur Türe.