arula | Vor dem Hausaltar

  • Schwerfällig sprang der glimmende Span von Öllampe zu Öllampe und entzündete Docht für Docht. Die Tür hatte ich hinter mir angelehnt, damit kein Tageslicht aus dem atrium hier hinein fiel. Bald war der kleine Altar und mit ihm jedes der stilisierten Ahnenfigürchen in goldenes Licht getaucht. Ich steckte den Span kopfüber in die mit Sand gefüllte Schale und senkte vor den Götterbildnissen den Kopf.


    "Iustitia, dies ist dein Ehrentag. Ich gedenke deiner und hoffe auf deine Gunst, im Namen meiner Familie. Ich bitte dich auch, führe den Peiniger meiner Verlobten seiner gerechten Strafe zu. Ich will auf dein Urteil vertrauen, denn ich glaube an deine Güte und Weisheit und die Gerechtigkeit, mit der du über uns Sterbliche richtest." Mein Blick blieb kurz an der kleinen Waage heften, welche die Götterfigur vor sich hielt. Mit einem leisen, schleifenden Geräusch glitt die schmale Klinge aus der Dolchscheide. Die Göttin besaß zwar ein Richtschwert, doch für diesen Tag, ihren Ehrentag, wollte ich ihr zudem auch meinen Dolch überlassen. Jenen, der sonst in ener Halterung im Regal meines Arbeitszimmers ruhte. Geschliffene Rubine waren in den Griff eingearbeitet. Ich legte ihn zwischen die Öllampen und fuhr gedankenverloren mit den Fingerspitzen über die Erhebungen.


    "Ehrwürdige Richterin, wache über meine Familie", murmelte ich. Nur noch kurz verharrte ich vor dem arula, dann wandte ich mich nach rechts und deutete eine Verbeugung an. Hernach verließ ich den Raum und verschloss sorgfältig die Tür. In Kürze würden die ersten Klienten eintreffen, und bis dahin galt es, sich die toga anlegen zu lassen

  • Es knisterte Leise. Ich stellte mir vor, dieses verheißungsvolle Geräusch sei die Vorfreude der Götter. Wie konnten sie anders zum Ausdruck bringen, dass sie anwesend waren? Die Räuchermischung zischte und schmurgelte leise. Rauch wand sich empor. Schlängelte sich um die Kopfe der Figürchen, zu denen sich eine neue gesellt hatte. Wieder einmal. Das Geschlecht der Aurelier war nicht mehr so stark wie einst. Immer weniger Kinder wurden geboren, immer mehr von uns schieden dahin. Wenige zog es nach Rom. Viele hielten sich lieber fern von Politik und Intrige, Lärm und Dreck. Ich betrachtete die schmale Figur, die als letztes hinzu gekommen war. Ein Schleier verbarg die jugendlichen Züge, die, kunstvoll geschnitzt, dennoch zu erahnen waren.


    Bald würde ihr Bruder hier eintreffen. Bisher hatte ich keine Nachricht von ihm. Ich seufzte tief. "Dis Pater, gewähre meiner kleinen Nichte eine sichere und schnelle Reise nach Hause", bat ich den Gott der Unterwelt. "Lass ihren Körper schnell heimkehren, damit wir sie bestatten können, wie es Recht und Sitte ist." Ich brach ein Küchlein und legte beide Teile vor die finster dreinblickende Statuette des Pluto. In Gedanken sprach ich erneut ein Gebet. Minervinas Figur platzierte ich etwas abseits der Familie. Nicht, dass sie nicht hinzugehört hätte. Doch noch war nicht sicher, dass sie in Frieden ins Totenreich eintreten würde. Es mochte sein, dass in larva an ihr haftete, bis sie endlich ihren Frieden gefunden hatte. Mit dem Zeigefinger strich ich der Figur über den Kopf. "Kehre schnell heim." Dann wandte ich mich nach rechts und verließ den Raum. Dabei zog ich mir den Zipfel der toga vom Kopf. Ich hatte heute noch eine Priesterprüfung abzunehmen und musste mich beeilen.

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