peristylium | Briefe aus dem Jenseits

  • Lieber Avianus,


    du wirst diesen Brief sicherlich nicht mehr lesen, den ich dir aus dem Jenseits schreibe. Du wärest mittlerweile alt genug, um die wahre Geschichte zu erfahren. Vielleicht wärest du der einzige, dem ich zutrauen würde, mit einer Situation umzugehen, die so banal ist, dass es sie schon makaber macht. Ich hoffe, du wirst selbst alle Hintergründe erfahren, doch ich bereue es. Ich bereue es, dir nicht selbst sagen zu können, was an jener schicksalhaften Nacht geschehen ist. Doch vielleicht ist es besser, es wenigstens nicht unerwähnt zu lassen. Vielleicht ist es auch besser, dir die Wahrheit in leicht verdaulichen Häppchen zu servieren. So wie man mit seinem Kind eben manchmal umspringen muss. Hoffentlich geht es meinem Bruderherz, Marcus, noch gut.


    So sähe der Brief aus dem Jenseits aus, wenn er ausgeschrieben werden würde… und Avianus wäre an die Grenzen seiner Belastbarkeit gestoßen, hätte er einen solchen tatsächlich lesen müssen.


    Es war ein Tag, der den Frühling beinahe anzukündigen versuchte. Die ersten Vögel trällerten seicht ihre Lieder durch die Luft, welche wärmer wurde und doch noch die Frische des milden italienischen Winters in sich trug. Die Männchen versuchten, den Weibchen zu imponieren und so ihre Partner zu finden. Sie folgten natürlichen Prozessen, welche ihnen von Geburt an gegeben waren, und doch steckte mehr hinter diesem Ritual. Mehr, als es für das Gefühlstier Mensch im ersten Augenblick schien.
    Manchmal aber kamen auch Vögel vor Trauer um, wenn sie den Teil ihres Lebens verloren haben, den sie ins Herz geschlossen hatten. Weil sie etwas vermissten, was sie im Leben begleitet hat. Weil nun etwas nicht da war, was sonst eine Selbstverständlichkeit ist, was man sich nicht hat wegdenken können. Avianus hockte nun einsam auf einer Bank im Perystilium und beobachtete Vögel dabei, wie sie sich aus Zweigen und Stöckchen ihr gemeinsames Liebesnest zusammenbauten. Es erinnerte den jungen Aurelier daran, wie sie damals, sein Vater und er, die kaputte Figur eines Holzadlers repariert hatten, mit der klein Avianus so gerne spielte. Sein Blick war starr und aus seiner Mimik konnte man nicht den Hauch dessen herauslesen, was wirklich in dem jungen Aurelier vor sich ging.
    Leere. Keine Gedanken. Weniger als man sich denken konnte. Nur Gefühle, die ihn im Hier und Jetzt stehen ließen, einsam und mutterseelenallein in seiner Gefühllosigkeit, die ihn benebelte und versuchte, die Seele von seinem Körper zu trennen. Ein bedrückendes Gefühl, welches einen in die Vorstellung versetzte, in einem kahlen Raum zu sitzen und vor sich hin schmollen zu müssen – denn etwas Anderes blieb nicht übrig in einem solchen kahlen Raum, dem auch Türen und Fenster fehlten. Kein Ausgang, kein Licht, eingesperrt und hilflos in seiner Situation.
    Auch er vermisste seinen Vater, so sehr wie ein verwitweter Vogel, doch ihn brachte der Kummer, reichte er doch bis an den Himmel, nicht um. Sich das Leben zu nehmen, das traute er sich nicht zu. Er wollte Seelenfrieden, den er nicht bekam. Nicht, nachdem er Informationen bekam, mit denen er diese Vatermörder aufspüren konnte. Doch was sollte ein Einzelner, ein kleiner schwacher Anfänger im Cursus Honorum schon groß unternehmen? Ein Mensch in Rom, im Verhältnis dazu ein Staubkorn im Wind. Nur ein erbärmliches Staubkorn...


    Nicht alles, Avianus, stimmt, was euch damals erzählt wurde … doch nimm es den Stadtkohorten nicht übel, sie trifft keine Schuld. Sie wussten selbst nicht besser, wie durchplant der „Mordfall Regulus“ war. Hier im Jenseits könnte ich ja noch darüber lachen. Ich habe tatsächlich Berichte über meine Tätigkeit als Iudex geführt, mir beinahe pingelig die kleinsten Fälle notiert. Normalerweise müsste ich jetzt meinen eigenen Mordfall aufzeichnen… komischer Gedanke, nicht? Aber ich schweife ab, mein Sohn.


    Avianus legte den Kopf in beide Hände, grübelte und stieß dabei einen lauten Seufzer aus. Er hatte vor einer langen Zeit gehört, dass man durch eine geregelte Atmung, Ruhe und Zeit zum nachdenken solchem Kummer Herr werden konnte. Man müsse sich beruhigen, an etwas Schönes denken. Alles Quatsch, wenn man ihn fragte. Die müssen so etwas wie Kummer und Schmerz nie gespürt haben. Ja, vielleicht hatten diese Leute auch nie die Erfahrungen, einen Vater zu verlieren. Mord, dachte er sich, feiger, hinterlistiger Mord. Und er war nicht da, wenn man ihn brauchte. Wenn sein Vater ihn am dringlichsten brauchte, lag er auf seiner Pritsche und schlief! Als wäre nichts! Avianus wusste, dass er es mal wieder geschafft hatte… sich selbst Vorwürfe zu machen, obwohl er vielleicht nichts dafür konnte. Aber dieses mal schien alles, was er sich selbst gegen den Kopf warf so… berechtigt…


    Er vergaß jetzt sein Umfeld und gab sich weiter dem Kummer hin… ratlos, was er tun sollte.




    Sim-Off:

    Wer sich beteiligen möchte, der darf natürlich schreiben. Denn auch die Geschichte geht noch weiter... Avianus bräuchte einen guten Seelsorger. :)

  • In relativ guter Stimmung - schließlich hatte er gerade eine Wahl gewonnen - streifte Orest durchs Haus und als er Avianus sah, dachte er - eheu, eine gute Gelegenheit, mal über die Amtsübergaben zu sprechen. Als er sich ihm dann aber näherte, merkte er, dass dies vielleicht keine gute Gelegenheit war. Dennoch - auch weil er nicht wusste, ob Avianus ihn bemerkt hatte, fuhr er fort sich ihm zu nähern.


    Bei ihm angekommen, sah er in seinem Blick, einen Ausdruck, den er von sich kannte (wenn er sich einem der wenigen teuren Spiegel angeschaut hatte), so dass er sich einfach zu ihm gesellte. Erst einmal kein großes Salve oder ähnliches. Diese starre Leere des Blicks verriet zwar nichts inhaltliches über das Innere von Avianus, aber wenigstens ließ es auf eine melancholische Stimmung schließen, die Orest in verschiedener Hinsicht von sich selbst kannte, so dass das sich einfach schweigend dazuhocken für den ersten Moment als das richtige erschien.

  • Sich seiner schlechten Stimmung hingebend, bemerkte Avianus erst sehr spät, sogar in etwa einer halben Minute erst, dass sich ihm jemand näherte. Zunächst war es ihm egal, seiner Meinung nach hätte es Jupiter selbst sein können. Bald jedoch bemerkte er, dass es sein Verwandter Orestes war, der sich still schweigend neben ihn setzte. Sollte er vielleicht mit ihm darüber reden?
    Er wusste es nicht, doch da fiel ihm ein, dass er das mit der Amtsübergabe noch regeln musste.
    "Oh, Manius.", quälte sich Avianus zu einem Lächeln, "Es ist schön, dich nach deinem Wahlsieg so munter zu sehen.".

  • "Oh, danke. Ich habe es ja auch Dir und Deiner guten Arbeit als Vigintivir zu verdanken.", sagte er und klopfte dem Vetter auf die Schulter. "Wir müssen auch irgendwann über die Amtsübergabe sprechen, wenn mich der Senat, wovon ich ausgehe auch zum Decemvir macht. Aber deswegen habe ich mich jetzt nicht zu Dir gesetzt. ..., sagte er und man konnte die drei Punkte gerade zu hören.

  • "Danke, Manius.", nickte Avianus und ließ sich durch das Beisein von Orestes sogar so vertrösten, dass er noch einmal aus ganzem Herzen lächelte. Er konnte seine Probleme nicht vergessen, dazu waren sie einfach zu grauenhaft und hafteten an Avianus, als hätte man ihn mit jenen gebrandmarkt. "Die Amtsübergabe... ja, stimmt.", besann sich Tiberius, "Nun, ich habe neulich Berichte für die Todesfälle am Februar bekommen. Du solltest an sie anknüpfen, ich schaffe das in dieser Amtszeit nicht mehr. Ich müsste davor so ziemlich die meisten Erbschaften durchgearbeitet haben.".
    Doch als Avianus hörte, dass Orestes sich deswegen nicht hier hergesetzt habe, runzelte sich seine Stirn: "Sondern...?", fragte er völlig unscheinbar.

  • "Gut, dann können wir ja einfach an einem der nächsten Tage mal die Listen durchgehen, etc.", knüpfte er am geschäftlichen an. "Nun, sagen wir es so. Vielleicht täusche ich mich, aber Du wirkst so, als ob Dich etwas mehr beschäftigt als es gut ist - und ich würde mich schon sehr wundern, wenn es das Vigintivirat wäre....". Natürlich wusste Orestes nicht, was Avianus beschäftigte, aber dass ihn etwas beschäftigte sah man sofort. Gerade wenn man, wie Orest, einige Zeit in den Tempeln gearbeitet hatte und diesen Gesichtsausdruck schon von daher kannte.

  • Ja, dass Avianus etwas beschäftigte war unverkennbar. Orestes lag richtig. Und ihn beschäftigte etwas, was viel größer war, viel wichtiger, fast schon so wichtig, dass nur er es wissen sollte. Es nahm so viele Jahre nach der Nacht so große Ausmaße an und ließ den jungen, überforderten Aurelier in einer Situation da stehen, die ihn mehr als nur überforderte. Er sah Orestes einige Sekunden unbeholfen an, wandte wieder ratlos seinen Blick und starrte haareraufend mit gesenkten Haupt auf den Boden, als würde er die Steine auf dem grauen, belegten Weg zählen, welcher sich dezent durch das Perystil schlängelte.


    "Aber Orestes...", sprach Avianus, "Wenn ich es dir erzähle, musst du mir etwas versprechen. Niemand darf es erfahren. Vor allem Corvinus nicht. Es geht... um Vater.". Es war schwer, die eigenen Tränen hinter dem Berg zu halten, so dass Avianus sich nicht erst die Mühe machte, über die kindlichen Züge dieses nicht Weitererzählens nachzugrübeln.

  • Es gab zu dieser Zeit natürlich noch kein wirkliches priesterliches Amtsgeheimnis und auch die Seelsorge war eher in anderen Gefilden angesiedelt, aber dennoch nickte Orestes. "Kein Problem.", er schaute sich um, ob irgendjemand in der Nähe war. "Bei mir sind Deine Worte gut aufgehoben."


    Jede weitere Ermunterung unterließ Orestes. Die Momente der Stille waren in solchen Gesprächen entscheidend, lieber ein Wort weniger sagen, als eines zu viel. Und doch schienen Orests Gesten die Offenheit des wirklich Zuhörenden ausdrücken zu wollen, die es dem Sprechenden erleichtern sollten sich zu öffnen.

  • Dank der Gesten seines Verwandten fiel es Avianus nicht allzu schwer, sich zu öffnen. Er hatte eher zu kämpfen, während er die richtigen Worte für sein Problem fand, welches sich in normale Worte nur allzu schwer umschreiben ließ. Avianus hob seinen Körper, um gerade zu sitzen und Orestes ins Antlitz zu sehen. "Es ist wegen Vater. Du weißt doch. Er wurde damals ermordet", erzählte er leise, als würde er sich über etwas Verschwörerisches auslassen, "Ich... ich war neulich in der Stadt, mit Titus. Scheinbar hat mich meine Kandidatur etwas bekannter werden lassen und natürlich bringt man mich mit Vater in Verbindung." Avianus seufzte laut und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.


    "Ein Mann sprach mich darauf an. Und ich habe Dinge erfahren... Dinge, die mein Bild von damals so sehr verändern. Vater wurde ermordet, aber nicht wegen eines Raubmordes. Gezielt. Er hatte zuvor Mitglieder einer Verbrechergruppe verurteilt. Und wurde von anderen Mitgliedern dieser Gruppe getötet. Bei den Göttern... sie werden dafür zahlen..." Avianus machte nun plötzlich keinen Hehl aus dieser Sache und sprach den letzten Satz mit solcher Verachtung aus, dass er eine Sekunde lang schon selbst um sich bangte.

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