Nein, Berenike hatte wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Auch nachdem sie den undefinierbaren, nach nichts schmeckendem Brei gierig aus der viel zu kleinen Schüssel gegessen hatte, knurrte ihr Magen noch. Immerhin gab es hier ausreichend Wasser, so dass ihre Kehle lange nicht mehr so ausgedorrt war, wie an Bord des Schiffes, das sie hierher gebracht hatte. Dafür lauerte aber überall der Duft von Schweiß und Exkrementen, schien sich doch bisher niemand darum zu scheren, diese zu beseitigen. Und so saß sie hier apathisch an einen der Pfosten gelehnt, die den engen Verschlag begrenzten, in den man sie mit acht weiteren Frauen und Mädchen gesperrt hatte, bekleidet nur mit einer viel zu kurzen Tunika, wie sie sonst nur Huren trugen.
Aber war sie nicht längst selbst eine Hure geworden? Die Götter schienen einen feinen Sinn für Ironie zu besitzen, wenn dies ihre Strafe dafür war, dass sie ihren Gatten getötet hatte. Schließlich war er es gewesen, der sie auf diesen Pfad geführt hatte. Sie wollte doch nur eine gute Ehefrau und Mutter sein und so hatte sie vieles ertragen, was er ihr angetan hatte. Seine Trunkenheit und die Schläge die sie dann erhielt, seine Spielsucht und die daraus erwachsenden Schulden, die sie dann begleichen mußte. All dies hatte sie ertragen und nach außen die Fassade der glücklichen Händlerfamilie aufrecht erhalten. Doch eines konnte sie ihm nicht verzeihen. Als seine Schulden immer größer und sein Umgang immer schlechter wurde, hatte er es getan, hatte das einzige, an dem sie sich wirklich erfreuen konnte einfach verkauft. Ohne jede Emotion hatte er als sie selbst auf dem Markt einkaufen war seine eigene Tochter für ein paar Silbermünzen an den nächstbesten Sklavenhändler verschachert.
Eine einsame Träne rann über Berenikes Gesicht, wie so häufig, wenn sie an Arsinoë, ihre kleine Tochter dachte.
Völlig emotionslos hatte er Berenike verzweifelt nach dem Kind suchen lassen und rückte erst mit der Wahrheit heraus, als der Sklavenhändler mit Arsinoë schon über alle Berge verschwunden war. Und genauso emotionslos hatte sie ihm am nächsten Tag seine letzte Mahlzeit serviert.
Sie packte das nötigste zusammen und reiste dem Sklavenhändler hinterher solange die Spur noch heiß war, einzig getrieben von der Sorge um ihr Kind. Sie ignorierte die Gefahr, die es bedeutete allein als Frau durch die Welt zu ziehen. Wie dumm sie doch war. Schon nach wenigen Tagen war sie in die Fänge von Räubern geraten und wer weiß was diese mit ihr angestellt hätten, hätte nicht ihr Anführer sie unter seinen Schutz gestellt. Er tat ihr keinerlei Gewalt an, sondern war im Gegenteil tausend mal zärtlicher zu ihr, als ihr Mann es je gewesen war. Dennoch versuchte sie zu fliehen, noch immer getrieben von der Sorge um ihr Kind. Sie kam nicht weit und in ihrer Verzweiflung offenbarte sie ihm das Schicksal ihrer Tochter und versprach bei ihm zu bleiben, sollte er ihr Arsinoë zurück bringen.
Sofort machte er sich auf die Suche, doch die Spur war erkaltet und verlor sich auf dem großen Sklavenmarkt von Delos. Resignation machte sich in ihr breit. Was sollte sie denn nun tun? Wie sollte sie ihre Tochter jemals wieder finden? Da sie keine Antwort auf diese Fragen fand und er ihr versprach auch weiter nach Arsinoë zu suchen, blieb sie bei ihm und begann langsam damit seine Zuneigung zu erwiedern.
Doch dann brach erneut das Schicksal mit aller Macht über sie herein. Die Römer hatten das Lager der Räuber ausfindig gemacht und griffen an. Beherzt wollte auch sie sich den Angreifern entgegenstellen. Doch er wollte dies nicht zulassen, wußte er doch, dass sie keine Chance hatten gegen die Römer zu bestehen. Er rang sie nieder und fesselte sie. Liebevoll gab er ihr einen letzten Kuß und flüsterte ihr zu, dass sie leben müße um ihre Tochter schließlich eines Tages wieder zu finden. Danach sah sie ihn nie wieder.
Mit Tränen in den Augen hörte sie dazu verdammt tatenlos herumzusitzen den Kampfeslärm. Schließlich wurde es ruhig. Ein Legionär kam in die kleine Hütte, in der sie war und nahm sie mit in das Lager der Römer. Sie sagte dem Centurio ihren Namen und dass sie entführt worden sei. Doch dieser lachte nur und erklärte ihr, sie solle froh sein als Sklavin verkauft und nicht als Räuberin hingerichtet zu werden. Und so geschah es dann auch. Sie wurde nach Delos gebracht und an einen Sklavenhändler verkauft, der sie schließlich nach Alexandria brachte.
Was würde nun mit ihr geschehen? Es lag im Moment auf alle Fälle nicht in ihrer Hand. Vielleicht war es ja die Ironie der Götter, dass sie mit ihrer Tochter als Sklavin wieder vereint werden würde und würde es soweit kommen, wäre sie den Göttern trotz ihres Schicksales dankbar. Aber sie gab sich keinen Illusionen hin, war es doch etwa genauso wahrscheinlich Arsinoë so wieder zu finden, wie auch Kaiserin in Rom zu werden.
Ein plötzliches Geräusch in dem Sklavenverschlg riß Berenike aus ihren Gedanken. Sie sah wie eine recht kräftige Germanin einem nubischen Mädchen eine Ohrfeige verpaßte und ihr die Schüssel mit dem Brei weg nahm. Berenike konnte noch nie mit ansehen, wenn sich jemand so an Schwächeren vergriff. Sofort sprang sie auf und entriß der sichtlich überraschten Germanin die Schüssel wieder. Gerade noch rechtzeitig konnte sie diese dem Mädchen zurück geben, bevor die Germanin zuschlug. Es entbrannte eine Schlägerei zwischen der Blonden und ihr. Doch noch bevor viel passiert war, kamen die Aufseher herein und nahmen die beiden mit nach draussen.
"Gib den beiden ein Dutzend Hiebe, das wird die Furien schon wieder abkühlen.", hörte sie den Oberaufseher sagen und schon wurde sie an einen Pfahl gebunden und brutal die Tunika auf dem Rücken zerissen. "Eins" hörte sie und ein stechender Schmerz durchzuckte sie. "Zwei", Berenike biß sich auf die Lippen um einen Schmerzenschrei zu vermeiden. "Drei", ihren Kopf zur Seite gedreht sah sie in ihren Verschlag. "Vier", sie sah in die dankbaren Augen des nubischen Mädchens, dass hungrig den Brei aß. "Fünf", sie wußte, dass sie das richtige getan hatte und nahm die Schmerzen dafür billigend in Kauf. "Sechs", schmerzverzerrt lächelte sie ihr kurz zu. "Sieben", doch nun konnte sie den Schmerz nicht länger zurückhalten und schrie. "Acht", ...
Auch wenn Berenike im Moment an sich eine Sklavin ist, so ist dies nur Teil ihrer abgesprochenen Einführung und wird sich schnell ändern. (Insbesondere steht sie nicht öffentlich zum Verkauf.) Ich hoffe, das ist soweit in Ordnung.