cubiculum MAC | Schock am Morgen

  • Ich schlief zumeist ohne tunica, nur mit einem Schurz bekleidet, es sei denn, ein germanisch anmutender Winter hielt Rom in seinen Klauen fest und Kohlebecken brachten nicht die erwünschte Wirkung mit sich. Dieser Tage war es draußen recht mild, der Frühling hielt bald Einzug, und ob dessen schälte ich mich nur mit einem subligaculum bekleidet aus den Federn. Es war früh - früher, als ich mich normalerweise von Siv wecken ließ. Draußen dämmerte es gerade, doch war ich voller Tatendrang und konnte einfach nicht weiter im Bett liegen, bis Siv sich auf die Kante setzen und mich wecken würde. Deswegen stand ich auf, hockte nur kurz auf der Seite des Bettes und gähnte herzhaft. Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht, streckte mich kurz und stand dann auf. Ich wusste, was heute für ein Tag war. Vor dreißig Jahren hatte ich das Licht der Welt erblickt.


    Den Gedanken schob ich beiseite und wankte in Richtung der Waschschüssel. Mein Näherkommen betrachtete ich in dem großen Spiegel, der dahinter stand. Ich erinnerte mich an den Tag, an dem ich seinen Vorgänger mit bloßen Händen entwei geschlagen hatte. Heute kam es mir selbst albern vor, wie ich dagestanden und wuterfüllt gewesen war, weil Helena mich anders sah, als es sich gehörte. Weil Ursus und ich Differenzen hatten. Ich war an mir selbst gewachsen, zumindest erschien es mir so, rückblickend.


    Inzwischen stand ich vor dem Spiegel und betrachtete mein Spiegelbild. Meinen Oberkörper, der auch schon einmal muskulöser gewesen war als jetzt. Die angedeuteten Falten auf Stirn und um die Mundwinkel herum. Herrje, ich wurde alt. Ich war alt. Wie um den Gedanken zu vertreiben, schüttelte ich den Kopf und goss Wasser aus dem bereitstehenden Kurg in die Schüssel zwischen mir und meinem alter ego. Ich sah absichtlich nicht mehr in den Spiegel hinab, platzierte den nun leeren Krug wieder auf seinem Platz und beugte mich über die mosaikumrandete Schüssel. Mit den Händen formte ich eine Mulde und tauchte sie ins kühle Nass, dann schöpfte ich mir Wasser ins Gesicht. Dreimal wiederholte ich diese Prozedur, dann blickte ich doch auf und in den Spiegel. Was ich sah, ließ mich stutzen: Da war ein Haar.


    Ein graues.

  • Munter tropfte das Wasser von meiner Haut und den Bartstoppeln zurück in die Waschschüssel. Ich konnte den Blick nicht von der Stelle an meiner rechten Schläfe abwenden, er hatte sich regelrecht an das graue Haar geheftet und versuchte, es zu dematerialisieren. Ich lehnte mich nach vorn, näher an die Silberspiegeloberfläche heran, drehte den Kopf ein wenig zur Seite und verschraubte die Augen so, dass ich einen guten Blick auf das Haar hatte. "bona dea" murmelte ich. Zugleich versuchte ich, mit spitzen und klammen Fingern das Haar von den anderen abzusondern, um es auszureißen.


    Wie erwartet, klappte es so nicht. Ich schnaufte beleidigt und griff nach dem Handtuch, um mein Gesicht zu trocknen. Vielleicht spielte auch nur die Dämmerung einen Streich, und das wenige Licht ließ ein besonders helles - braunes Haar farblos erscheinen. Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, ließ ich das Handtuch fallen und betrachtete die Problemstelle wieder nahe am Spiegel. Mein Atem kondensierte auf der glatten Oberfläche, als ich angestrengt versuchte, das graue Haar zu greifen. Eine ganze Weile probierte ich herum, bis die Ungeduld schließlich obsiegte und ich einfach losriss. Kurz darauf stand ich mit schmerzverzerrtem, gerötetem Gesicht und einigen Haaren zwischen Daumen und Zeigefinger keuchend vor dem Waschtisch und sah auf meine Beute herab. Kein Grau zu sehen. Entsetzt ließ ich die Haare fallen und beäugte mich wieder im Spiegel: Es war noch da. Und jetzt schien es mich höhnisch anzugrinsen und mir zu danken, dass es nun, von einem Großteil der Nachbarn befreit, mehr Platz zum Wachsen hatte. Ich schnaubte entnervt und senkte den Blick, um in das Wasser der Schüssel zu starren. Einsam schwammen dort ein paar meiner Haare herum.

  • Nun, wenigstens war ich jetzt wach. Ich rümpfte die Nase, während ich die Haare auf dem Wasser betrachtete. Dreißig Jahre. Und schon grau. Nein, das ging nicht. Entschlossen riss ich mich von dem desolaten Anblick los und lenkte meine selbstbewussten Schritte hin zur Zimmertür, die ich dann förmlich aufriss.


    Alexandros zuckte zusammen und verlor zwei schmutzige Tuniken, so sehr erschreckte er sich. "Hüah! Oh... Fröhlichen guten Morgen, dominus!" zwitscherte der Grieche und klaubte derweil die Wäsche vom Boden auf. "Morgen", knurrte ich, ergriff unvermittelt seinen Oberarm und zog ihn ins Zimmer. Alexandros blinzelte irritiert und verlor dabei noch eine weitere tunica. Einsam blieb sie auf dem Gang liegen, während sich meine Zimmertür wieder schloss und der Sklave mich unsicher ansah. "Äh, dominus? Geht es dir nicht gut?" argwöhnte er, dabei musste er doch meiner Miene ansehen, dass ich überaus schlechte Laune hatte. Ich riss ihm die tunicae aus dem Arm und warf sie achtlos von innen vor die Tür. Alexandros würde seine Hände gleich brauchen. Momentan wurde sein Blick noch unsicherer, und seine Stimme klang eine Oktave höher, als er mich ansah und das Wort an mich richtete. "dominus, ich...verstehe nicht, äh...?" Die Tatsache, dass Alexandros nichts an Frauen fand, sondern vielmehr Muskelmasse, tiefe Stimmen und Testosteron anziehend fand, tat für mich selbstverständlich nichts zur Sache in diesem Moment - der Grieche selbst war mehr ein hageres Würstchen denn ein stattlicher Mann - wohl aber schien Alexandros das zu glauben, denn ihm brach der Schweiß aus, während er mich argwöhnisch musterte, und das wiederum bemerkte ich. "Komm mit", befahl ich und ging hinüber zum Bett.

  • Der Grieche zögerte. Er fasste die Hände beisammen und schob die Brauen in purer Skepsis aufeinander zu. Ich setzte mich auf den Rand des zerwühlten Bettes und betrachtete kurz die aufgehende Sonne, deren Licht sich durch einen Spalt in den noch zugezogenen Vorhängen ergoss. Leise seufzend wandte ich hernach Alexandros den Blick wieder zu - und erstarrte.


    Der Grieche hatte eine Sandale ausgezogen und fuhrwerkte soeben mit ausdrucksloser Miene an der Kordel seiner tunica herum. Eine, vielleicht zwei Sekunden sah ich ihm dabei zu, viel zu perplex, um mich zu rühren. Dann hob ich abwehrend die Hände. "bona dea...nein. Alexandros, zieh das wieder an, ich bitte dich! Du sollst einfach nur... Komm einfach nur her, in Ordnung? Du musst mir helfen. Aber nicht dabei, Grundgütiger..." Auf einem Bein stehend und mit einer Hand an der zweiten Sandale hielt Alexandros inne und sah mich an. Die Erleichterung stand auf seinem Gesicht geschrieben, als hätte man sie in leuchtenden Lettern mitten auf die Stirn gepinselt. Ich hatte einen dicken Kloß im Hals und schluckte ihn hinunter, und gleichzeitig zog sich Alexandros hastig wieder an. "Verzeihung, Herr", murmelte er noch, dann schnürte er die Sandale wieder fest und kam zaghaft näher. Ihm musste wohl ein Buch mit sieben Siegeln sein, was ich von ihm wollte. "Mach die Vohänge auf. Und dann setz dich neben mich", wies ich ihn an, und der Sklave tat wie ihm gehießen. Kurz darauf strömte kühle Morgenluft ins Zimmer.


    Als Alexandros sich zu meiner Rechten hingesetzt hatte, lehnte ich mich ein wenig zu ihm hin und tippte an meine Schläfe. "Ich brauche deine Hilfe. Siehst du das? Das muss weg. Und das muss unter uns bleiben. Hast du mich verstanden?" Ein prüfender Blick streifte den griechischen Sklaven, der erst starrte, dann langsam nickte. Ein seltsames Zucken ereignete sich um seine Mundwinkel, und dafür sah ich ihn strafend an. Er riss sich zusammen. "Natürlich, dominus. Und...herzlichen Glückwunsch zu deinem dreiß-" "Jaja. Danke. Und nun los", unterbrach ich ihn. Wie unschön, auch noch an mein Alter erinnert zu werden.

  • "Aah! Hngh!" entfuhr es mir, als Alexandros schließlich beherz zupfte und sich ob dessen mein Gesicht schmerzerfüllt zusammenzog. Es war wie mit kleinen Wunden: Sie schmerzten weitaus schlimmer als große. Hätte der Grieche mir eine Ohrfeige verpasst, wäre der Schmerz sicherlich von weitaus geringerer Intensität gewesen. Missmutig funkelte ich ihn an. Alexandros zog seine Zungenspitze wieder zwischen die Lippen zurück und hielt mit spitzen Fingern ein Haar hoch. "Ich hab es!" frohlockte er. Grollend betrachtete ich es. "Hoffentlich war es das einzige. Schau nach", forderte ich den griechischen Sklaven auf und drehte ihm wieder meine Seite zu. Was nun folgte, erinnerte in gewisser Weise doch sehr an das Lausen der Primaten.


    Ein weiteres Mal zupfte es noch, glücklicherweise ohne Vorankündigung, sodass ich nicht auf das Ziehen wartete, sondern urplötzlich scharf die Luft einsog. Dann lehnte sich Alexandros zurück, betrachtete mein zerzaustes Haar und zuckte mit den Schultern. "Mehr ist da nicht, dominus. Zumindest sehe ich nichts Graues sonst mehr", beteuerte er. Ich griff mir an den Schädel und rieb über die Stelle, an der Alexandros zuletzt gezupft hatte, dabei stand ich auf. "Gut. Danke. Und kein Wort wirst du darüber verlieren. Nicht unter deinesgleichen. Und erst recht nicht gegenüber Titus! Verstanden?" Alexandros nickte nur. Der Ausdruck auf seinem Gesicht sprach Bände - Unverstehen war gar kein Ausdruck. "Gut. Hinaus mit dir. Und vergiss die Wäsche nicht." Hastig - wahrscheinlich war er froh darüber, gehen zu können - klaubte der Grieche die Schmutzwäsche vom Boden auf, sammelte unterwegs noch eine benutzte tunica aus meinem Sortiment auf und verschwand danach durch die Tür nach draußen.


    Als ich das nächste Mal an den Waschtisch trat, zeigte mir mein Spiegelbild ein vages Lächeln, dass sich rapide in ein zufriedenes Grinsen verwandelte.

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