Ein Meer aus Blumen…
Das Leben hatte seinen eigenen Rhythmus und wenn dann auch noch das Schicksal seine Finger im Spiel hatte, dann konnte es etwas grausames, kaltes und herzloses Wesen. Veränderungen waren dann meist nicht weit entfernt und ein Weg zurück zu einer alten Ordnung war dann meist versperrt. Wenn dies geschah, so zerbrach dann meist etwas in dem Menschen und hinterließ nur finstere Leere und Einsamkeit.
Das Leben war voller Leidenschaft, Liebe, Gelächter, Trauer, Schmerz und auch Einsamkeit, Zorn, Hass oder Verzweiflung. All diese Gefühle türmten sich in ihrem Herzen, buhlten um ihre Aufmerksamkeit und hinterließen ein Chaos, welches sich nicht so schnell wieder richten ließ. Der Tag, an dem sich für sie alles geändert hatte, war noch nicht allzu lange her, nur wenige Wochen, in denen sie sich hatte mit sich selbst auseinander setzen müssen und was nun aus ihr werden sollte. Doch da sie keine Antwort auf die Frage ihrer Zukunft hatte, wurde ihr bewusst, dass sie sich erst ihrer Vergangenheit stellen musste und den Ereignissen, die ihr aber auch alles genommen hatten. Selbst die Musik, die sie ihr Leben lang so sehr geprägt hatte.
Der Winter hatte sich als Frühling verkleidet, die Sonne schien und doch steckte in dem Wind immer noch eisige Nadeln, welcher sich hartnäckig hielt und seinen Griff nicht lösen wollte. Und doch waren die ersten Anzeichen von neuem Leben überall zu sehen und zu spüren, zarte Knospen, helle Sprösslinge die sich durch den gefrorenen Boden gekämpft hatten und fröhlicher Vogelgesang. Für all diese kleinen Boten des Frühlings hatte Calvena jedoch keinen Blick, als sie die Casa Germanica verlassen hatte und sich ihren Weg durch die verwirrenden Gassen, Straßen und suchte. Wonach sie suchte, wusste sie selbst nicht, sie war auf der Flucht vor engen Räumen ohne Himmel und Luft, auf der Flucht vor ihrem Kummer und auf der Suche nach Erlösung. Es war zwar nicht schicklich für eine junge Frau allein durch Rom zu gehen, doch um die Meinung anderer kümmerte sie sich im Augenblick nicht, sie wollte allein sein und sich ihrem Schmerz stellen. Denn egal was sie tat, sie hatte das Gefühl, dass der Kummer ihr das Herz auseinander riss, der Schmerz der Seele war kaum zu ertragen.
Sie achtete kaum auf ihren Weg und hatte sich sicherlich wieder verlaufen, denn als sie den Kopf hob, war sie nicht nur weit weg von der Casa, sondern am Rande des Mercatus Urbi. Das Herz blieb ihr stehen, als sie die Gegend erkannte und ihr bewusst wurde, dass hier einst eine Bühne gestanden hatte, auf der sie Gesungen hatte. Damals war die Welt noch in Ordnung gewesen und keiner hatte geahnt, welche Grausamkeit das Leben für sie breit halten würde. Es war ein Wink des Schicksals, welches ihr sagte, dass es nun Zeit war, abzuschließen, damit ihre Wunden heilen konnten und sie endlich wieder Leben konnte.
Starr blieb sie stehen und betrachtete jenen Ort, wo ihr Leben noch völlig unbeschwert gewesen war, wo die Menschen die sie geliebt hatte, noch mit ihr gemeinsam gelacht hatten. Es waren Erinnerungen die ihr Tränen in die Augen trieben, welche aber dennoch zurück gehalten wurden. Der Wind zupfte vorsichtig an ihrem Haar und ihrer Tunika und wollte sie fortlocken von jenem Ort voller Leben, denn die Menschen hier ahnten nichts von dem Kummer in ihrem Herzen, sie gingen ihren Alltäglichen Geschäften nach und wussten nichts von den dramatischen Ereignissen die sich abgespielt hatten.
„Wollt ihr Blumen schöne Frau?“ fragte ein Händler im freundlichen Ton. Calvena zuckte zusammen und sie drehte sich zu dem Mann um der sie angesprochen hatte. Er sah aus wie jeder andere Händler, eine schlichte aber dennoch gute Tunika, kurzes braunes gelocktes Haar und ein freundliches Gesicht. Auch er konnte von ihrem Kummer nichts wissen, aber es war dennoch wie eine Fügung des Schicksals.
Ihre grauen Augen blieben an den bunten Blüten hängen, welche er in den Armen trug. Zuerst war sie einen Moment verwirrt, dann aber kam ihr eine Idee, wie sie selbst ihrem Kummer ein Ende bereiten konnte.
Wenige Augenblicke später, war sie ihr restliches Geld losgeworden und hatte dafür mehr Blumen, als sie fast tragen konnte. Diesmal folgte sie dem Wind der sie durch die Straßen lockte, eilig und ihr Herz war nicht mehr ganz so schwer vor Kummer. Es dauerte nicht lange, dann hatte sie trotz dem Gewirr aus engen Straßen einen Ort gefunden, den sie im Grunde ihres Herzens gesucht hatte.
Sie war am Tiber gelandet, einer sehr stillen und ruhigen Ecke, wo sich kaum jemand niederließ. Einmal davon abgesehen, dass der Fluss erbärmlich von dem Dreck der Stadt stank, war dieser Ort dennoch eine kleine Idylle, nicht weit ab vom hektischen Treiben der Stadt. Unter einem alten Baum ließ sie sich nieder, zog sich ihre Sandalen trotz des doch recht kühlen Tages aus und strich zärtlich über die Blütenblätter, wobei sie sich ihre Worte und Wünsche genau zurecht legte.
Trauern kannst du überall hatte ihr Addae gesagt, nachdem ihre Mutter umgekommen war und sie noch zu klein war um die Bedeutung des Todes zu begreifen. Dabei stand er mit ihr an der Küste und hatte einige Blumen ins Meer treiben lassen. Es spielt keine Rolle was du sagst, es muss dir nur helfen hatte er hinzugefügt und dann ein Lied der Reise angestimmt, denn im Grunde war der Tod auch nur eine weitere Reise der Seele. Es war ein Moment der Stille gewesen damals auf den Klippen, auch der Wind hatte sich für einen Herzschlag gelegt und das kleine Opfer als Tribut an das Leben angenommen. Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst was er gemeint hatte. Kummer und Trauer gehörten dazu, wenn man einen Verlust erlitten hatte, aber man durfte dennoch nicht zum Stillstand kommen, man musste dennoch weiter leben und das Leben in vollen Zügen genießen.
Ungehemmt ließ sie diesmal ihren Tränen freien Lauf und gab dem Kummer nach der sie schon seit Tagen bedrängte und ihr keinen Frieden ließ. Während die Tränen ihr die Sicht nahmen Ließ sie die Blütenköpfe ins Wasser, welchen einen bunten Teppich auf der stinkenden Brühe hinterließen und im krassen Kontrast zu dem Abfall der Stadt bildeten. Eine tiefe Symbolik steckte dahinter und gab ihr wieder Kraft. Denn egal wie hässlich das leben manchmal war, es gab immer Hoffnung, immer Lichtblicke und auch immer eine tiefe Schönheit die man nur sehen musste.
„Ich werde euch alle vermissen! Ich wünsche mir nur, dass die Götter euch aufnehmen! Ihr habt nur das Beste verdient!“ sagte sie zum Wind, der ihre Worte hoffentlich zu den Götter hinauftragen würde. Sie holte eine kleine Flöte heraus uns spielte eine kurze Melodie, sie war traurig, aber ein winziger Anflug von Hoffnung schwang darin mit.
Es war als ob ein Stein von ihrer Seele genommen wurde, sie konnte wieder etwas freier Atmen und auch ihre Tränen versiegten. Sie hatte Abschied genommen, etwas das sie schon viel früher hätte tun sollen. Auch wenn der Kummer und der Verlust nicht gänzlich verschwinden würden, hatte sie nun wieder die Kraft zu Leben und auch die Verzweiflung war verschwunden.
Einsam stand sie am Tiberufer und betrachtete Rom mit neuem Blick, er war klarer und sie wieder mit mehr Mut verbunden. Sie wischte sich die letzten Tränenspuren hinfort und schlüpfte in ihre Sandalen, es war wohl besser wenn sie in die Casa zurück kehrte, nicht das man sie dort vermisste. Während sie dem Fluss ihren Rücken zukehrte, nahmen die Blüten ihre Reise quer durch die Stadt auf, während auch die ein oder andere vom Wind davongetragen wurde.
Es war ein ungewöhnlicher Anblick der sonst so tristen Brühe, die sich Tiber schimpfte und vorallem ein Herz erwärmender, denn wer kam schon auf die Idee, dem Fluss seine Schönheit zurück zu geben, indem er diesen mit Blumen schmückte.
Reserviert