Die Hütte des Largus Lebovscus

  • Largus Lebovscus, oder der Dudus, wie ihn seine Freunde zu nennen pflegten, hatte einen verdammt guten Tag.


    Er hockte vor seiner schäbigen Zweiraum-Lehmhütte in einer ebenso schäbigen Mietshaus-Kolonie auf einem uralten Stuhl, den er vor Jahren mal auf dem Müllhaufen vor einem Domus in einer der nobleren Viertel der Stadt gefunden hatte. Nicht, dass er öfter dort verkehrte. Reiche Leute waren ihm suspekt, denn sie wussten seiner Meinung nach nicht, wie man das Geld in Dinge investierte, die das Leben schöner machten.
    Sie pflegten sich in riesigen Häusern zu verschanzen, in dem man ohne Mühe zwei Stunden lang "Such-den-Eunuchen" spielen konnte, ohne dass man sich auch nur einander näherte, und verbrachten den ganzen Tag mit Essen und Arbeit.


    Arbeit!


    Bei den Göttern, wie der Dudus Arbeit hasste. Arbeit war die schlimmste Zeitverschwendung, die er sich vorstellen konnte. Das Leben konnte so einfach sein, wenn man es nur zuließ. Selbstverständlich war die Konsequenz dieser Tatsache, dass der Dudus arm war. Bettelarm. Aber es war ihm egal. Irgend so ein armer reicher Irrer namens Volfartus hatte sich bereit erklärt, den Lebensunterhalt für ihn und ein paar andere Leute zu bezahlen. Angeblich war dieser ein verkappter Christianer, oder ein arbeitswütiger Kyniker, der sich auf diese Art und Weise doch noch irgendwie seinem von ihm angestrebten Ideal nähern wollte, indem er diese Leistung einfach auslagerte. Autsorsingere nannte man das wohl.


    Die anderen nutzten den kleinen Obulus, den man jede Woche bekam, um ihre Familien durchzubringen. Der Dudus hatte keine Familie. Was nicht bedeutete, dass er es nicht trotzdem geschafft hat, den kompletten Familienobulus zu ergaunern. Er lieh sich jedes Mal einfach die Familie eines bekannten Bettlers, schmierte sie mit Dreck ein und bekam bei soviel demonstrierter Erbärmlichkeit eben auch den ganzen Satz. Das reichte um nicht zu verhungern, nicht nackt durch die Gegend laufen zu müssen, und vor allem um sich das Leben noch ein klein wenig zu versüßen.
    Mit Rauchwerk und einem Trunk, dessen Rezept er von einem jungen Seemann erhalten hatte, der dem Dudus, kaum dass er an Land war, auf die nicht vorhandenen Schuhe gekotzt hatte. Der Dude war von der Rezeptur begeistert, und widmete dem Mann diesen Trunk, der fortan nurnoch "Weißer Skythe" genannt wurde.


    So hockte der Dudus vor seiner Hütte, schlürfte einen weißen Skythen und zog ab und an mal an der Pfeife aus Ebenholz, in die er wahllos Kräuter stopfte, denen bewusstseinserweiternde Funktionen nachgesagt wurden. Die Leute, die an seiner Hütte vorbeikamen, grüßten den dicklichen Mann mit kurz erhobener Hand, und der Dudus grüßte zwei Minuten später zurück.


    Dies war Largus Lebovscus, den sie nur "den Dudus" nannten.

  • Der Dudus hatte viele Freunde. Wie konnte man eine so friedliche, ruhige und vollkommen harmlose Gestalt denn auch nicht mögen?
    Richtig, nur Unmenschen mochten den Dudus nicht. Oder Arbeitsfanatiker. Und Hygienefetischisten. Und Vermieter. Oder "Gib Opium keine Chance"-Freaks. Oder Steuereintreiber. Oder Steuerzahler. Oder.. nun, eigentlich gab es eine ganze Reihe von Menschen, die den Dudus aus dem einen oder anderen Grund nicht mochten, aber diese Menschen hatte meist keine Freude in ihrem komplexen Leben, und gönnten so dem Dude die Freude in seinem simplen Leben mit einem bizarren und vor allem unlockeren Argumentationsgeflecht auch nicht.


    Nun, aber der Dude hatte eben auch Freunde. Und einer dieser Freunde war Raoulusus Ducus. Raoulus hatte eine ähnliche Lebensphilosophie wie der Dudus, war allerdings politisch aktiv. Also, so aktiv wie man einen passionierten Opiumkonsumenten wie ihn nennen konnte. Eigentlich war er mehr der passive Politiker: er dachte im Pfeifenqualm über eine Sache nach, entschloss sich nach einer adäquat langen Zeit des Nachdenkens, etwas zu tun, aber erst nachdem er die nächste Pfeife geraucht hatte. Und so weiter und sofort, man muss an dieser Stelle nicht weiter erklären wo das hinführte, die richtigen Rückschlüsse sind dem kognitiv fähigen Geist auch so möglich.
    Der Dude hingegen war ein absolut unpolitischer Mensch: ließ man ihn in Ruhe, ließ er die anderen in Ruhe, wenn man ihn in Ruhe ließ hatte er seinen Frieden. Hauptsache, jemand baute das Zeug an, dass er in seine Pfeife stopfen konnte. Und natürlich mit dem er seinen Weissen Skythen mischen konnte. Strategoi interessierten ihn nicht. Kosmetoi noch weniger. Eponminatographoi noch weniger. Und was ihn garnicht interessierten waren die Römer. Die hatten es einfach nicht drauf. Sie konnten weder das Zeug für die Pfeife, noch das für den weißen Skythen anbauen, sondern nur in blank polierten Rüstungen durch die Gegend marschieren. Was sie der Aufmerksamkeit des Dudus vollkommen entzog. Es gab Tageszeiten, je nach Bewölkung, an denen der Dudus nicht einmal wusste, dass es die Römer überhaupt gab.


    Eine dieser Tageszeiten war eben diese. Der Dudus hockte auf einem alten Schaukelstuhl draußen vor seiner Hütte, hatte einen älteren Strohhut auf dem Kopf und noch viel ältere Sandalen an den Füßen kleben. Neben ihm, auf einem nicht ganz so alten Stuhl hockte Raoulus, in etwas zivilisierterer Kleidung, allerdings kein bisschen weniger benebelt als der Dudus. Auf dem Boden vor ihnen, keinen Schritt weit von dem Gehweg entfernt, der die Barracke des Dudus von einer anderen Barracke trennte, löste sich die Asche zweier Pfeifenfüllungen langsam in seichten Alexandriner Wind auf.
    Die Stühle quietschten, als der Dude und Raoulus sich langsam vor, und wieder zurücksinken ließen. Sie sprachen nicht. Der Nebel, der sich ihrer Hirne bemächtigte schaltete als eine der ersten Amtshandlungen das Sprachvermögen aus, um es nach Zunahme der eigenen Konzentration nach Belieben und Willkür wieder ein zu schalten... und wieder aus... man kennt das ja.


    Irgendwann hatte der Nebel genug von der Stille, die sich zwischen den Ohren der beiden Freunde und auf der Straße breit gemacht hatte, und schaltete das Sprachzentrum des Raoulus wieder ein.


    "Ey, Mann.", sprach dieser mit einer schleppend langsamen Zunge. Sowieso: alles war langsam. Zwischendurch passierte ein alter Mann auf Krücken die beiden Freunde, hob die Hand zum Gruße und rief ein knappes 'Chairete.' bevor er weiterging, was sich in den vernebelten Hirnen der beiden Freunde als kurzes buntes Aufblitzen mitsamt einem donnernden Schallschlag manifestierte. Zwei Minuten später zuckten die beiden schlagartig zusammen. Es dauerte noch einmal eine Minute, bevor der Dudus die Sprache wiederfand: "Was bei den zehn Kräutern war das, mann?"


    Wieder verging einige Zeit, die Sonne zog weiter ihre Bahn am Himmel entlang, und schließlich antwortete Raoulus: "Keine Ahnung, mann, aber es war verdammt schnell."


    "Ja mann.", antwortete der Dudus nach einer adäquaten Verarbeitungszeit, "Wirklich verdammt schnell. Du wolltest etwas sagen, mann."


    Die Worte verhallten in der kleinen Seitenstraße, die Stühle quietschten, und die Asche vor ihren Füßen hatte sich längst verzogen als Raoulus den Kopf drehte, und den Dudus ansah: "Wollte ich, mann?"


    "Ja, mann, wolltest du.", antwortete der Dude, als er nach ganzen fünf Minuten den Kopf wandte, und seinen Freund fragend ansah.


    Raoulus runzelte nach einer Minute die Stirn, und blickte ahnungslos aus der Wäsche, weil ihm nicht einfallen wollte, was er vor knapp einer halben Stunde sagen wollte: "Ey, mann. Ich glaube, ich hab es vergessen."


    Der Dudus zuckte mit den Achseln, als die Worte nach zweieinhalb Minuten zu ihm durchdrangen: "Kann ja nicht so wichtig gewesen sein."


    "Was?", fragte Raoulus, der den Blick wieder starr auf die Straße richtete um Sandkörner zu zählen, und langsam an seiner frisch gestopften Pfeife sog.


    "Was was?", antwortete der Dudus, als die Pfeife seines Freundes erlosch.


    "Was kann nicht so wichtig gewesen sein?", hakte Raoulus nach, als er sich langsam nach vorne beugte, um die Pfeife von der Asche zu befreien, was der Dude nutzte, um sich langsam aufzuraffen, seine Hütte zu betreten und sich einen neuen weißen Skythen zu mischen. Als er nach einer Dreiviertelstunde die Hütte wieder verließ, antwortete er: "Na, was du mir sagen wolltest, Mann."


    "Wieso ist das nicht wichtig?", empörte sich Raoulus mit schleppend langsamen Worten, als der Dude sich wieder in seinen Sessel sinken ließ und einen ersten Schluck des süffigen Getränks nahm.


    "Weil du es vergessen hast, mann.", sagte der Dude später, als er sich selbst eine neue Pfeife stopfte, während die Asche der vorangegangenen im Wind verflog.


    "Hab ich doch garnicht, mann.", antwortete Raoulus, der ein wenig beleidigt klang, als ihn das Quietschen der Tür nach einiger Zeit aufschreckte.


    "Ahja?", fragte der Dude, als die Tür nach einigen Minuten wieder verklemmt hatte, "Was war es denn?"


    "Was?", gähnte Raoulus einige Zeit später, nachdem er einen tiefen Zug aus seiner Pfeife genommen hatte.


    "Das, was du mir sagen wolltest.", antwortete der Dude, dem die Konversation langsam zu schnell wurde.


    "Achso... das...", raunte Raoulus, der immernoch auf die Straße starrte und weiter Sandkörner zählte. Er war bei drei.


    "Nun, was war es?", fragte der Dudus, dem die viele Fragerei binnen so kurzer Zeit langsam zuviel wurde.


    "Was?", wollte Raoulus wissen, als er bei fünf angekommen war.


    "Du wolltest mir etwas sagen...", hakte der Dudus nach einer Weile noch einmal nach.


    "Achja...", meinte Raoulus, als er das sechste Sandkorn entdeckt hatte, "Iunia Urgulania ist tot."


    Es dauerte ganze zehn Minuten, bis der Nebel zugelassen hatte, dass der Dude verstand, was Raoulus ihm gerade eben gesagt hatte: "Wer ist diese Urgulania?"


    "Welche Urgulania?", fragte Raoulus, der der Meinung war, dass das achte Sandkorn eine verdammt schöne Form hatte.


    "Diese Iunia, die tot ist.", meinte der Dudus, bevor er einen langen Zug an seiner Pfeife nahm.


    "Die ist tot?", raunte Raoulus nach einer Minute, man konnte ihm den Schock geradezu ansehen.


    "Ja, mann. Das hast du gesagt.", antwortete der Dudus, nicht minder überwältigt von so einer schrecklichen Nachricht.


    "Achja, genau. Die Archeprytanou. Man hat sie umgebracht.", resümierte Raoulus nach einiger Zeit. Das neunte Sandkorn sah irgendwie seiner Mutter ähnlich, allerdings konnte er nicht genau erkennen, warum. Dazu bewegte es sich zu schnell.


    "Wen?", jetzt wollte der Dudus es aber genau wissen.


    "Die tote Iunia.", stellte Raoulus fest, der dem enteilenden Sandkorn einen sehnsüchtigen Blick hinterherwarf.


    "Man hat die tote Iunia umgebracht?", ächzte der Dudus später, der nicht begreifen wollte, wie man so etwas nur tun konnte.


    "Ja, mann.", schloss Raoulus, der nicht begriff warum seine Pfeife immer so schnell durchbrannte.


    "Warum hat man das getan?", wollte der Dudus wissen, den die Vorstellung nicht losließ.


    "Was?", fragte Raoulus nach garnichtmal allzulanger Zeit.


    "Die tote Iunia Urgulania umgebracht.", half der Dudus seinem Freund nach einer Weile auf die Sprünge.


    "Achso... man meint, die Römer seien es gewesen.", erklärte Raoulus daraufhin.


    "Die Römer?", hakte der Dudus nach, als die Sonne weiter über den Himmel kroch.


    "Ja, die Römer.", meinte Raoulus zufrieden, schnell eine so gute Auskunft geben zu können. Allerdings war er etwas verwirrt durch die konstante Bewegung eines der Häuser, das sich plötzlich zur Seite neigte.


    "Welche Römer?", wollte der Dudus nach einiger Zeit wissen.


    "Die Römer, die die tote Urgulania umgebracht haben.", wiederholte Raoulus noch einmal für seinen Freund, der mal wieder von der ganz langsamen Sorte war.


    "Du meinst, die Römer, die die tote Urgulania umgebracht haben, haben die tote Urgulania umgebracht?", schlussfolgerte der Dudus nach einiger Bedenkzeit.


    "Ja, mann.", Raoulus nickte zustimmend, den Geistesblitz seines Freundes würdigend.


    "Scheisse, mann. Wieso sollten sie sowas tun?", der Dudus sah seinen Freund hilflos an, erschrocken von der Bahnbreite seiner Feststellung.


    "Was?", fragte sich Raoulus, der nicht wusste, was sein Freund jetzt schon wieder aus dem Nichts für ein Problem hatte.


    "Die tote Urgulania umbringen.", sponn der Dudus den Faden zeitweilig weiter.


    "Wer sollte so etwas schon tun?", wollte Raoulus wissen, irritiert vom dreizehten Sandkorn, das sich gegen das mobile Haus stemmte.


    "Die Römer!", rief der Dudus besorgt aus.


    "Die Römer haben die tote Urgulania umgebracht?", zog Raoulus blitzschnelle Schlüsse.


    "Ja, mann. Das hast du gesagt.", konterte der Dudus sofort nachdem er sich einen neuen Weißen Skythen gemischt hatte.


    "Oh, ja.", entsann sich Raoulus nach einer Weile, "Man sagt, sie habe etwas gegen die Legion gemacht."


    "Sie wollte was gegen die Legion machen?", hakte der Dudus nach, weil er verstehen wollte, was sein Freund da vor sich hinhaspelte.


    "Richtig, Dudus. Was gegen die Legion machen!", plötzlich sah Raoulus seinen Freund mit offenen Augen überrascht an.


    "Wie jetzt?", fragte der Dudus irritiert nach drei Minuten.


    "Du willst etwas gegen die Legion machen, Dudus!", freute Raoulus sich überschwenglich, der garnicht mehr mitbekam wie das dreizehnte Sandkorn das Haus wieder geraderückte.


    "Warum will ich das?", fragte der Dudus nach, nur rein sicherheitshalber.


    "Weil sie die tote Urgulania umgebracht haben!", erinnerte ihn der Raoulus daran, der über die Vergesslichkeit seines Freundes nur den Kopf schütteln konnte.


    "Achja. Ja, das will ich.", stellte der Dudus fest, überzeugt von seinem brillanten Einfall.


    "Wann fangen wir an, Dudus?", fragte Raoulus voller Tatendrang.


    "Womit?", wollte der Dudus wissen.


    "Was gegen die Legion zu machen!", rief sein Freund schon fast hysterisch schnell aus.


    "Achso. Na, nachdem wir eine Pfeife geraucht haben.", beschwichtigte ihn der Dudus nachdem Raoulus schon fast aus seinem Stuhl aufgesprungen war.


    "Das, Dudus.", pflichtete Raoulus ihm bei, "Ist die zweitbeste Idee, die du heute hattest."


    "Was?", runzelte der Dudus die Stirn.


    "Ach, schon in Ordnung.", wiegelte Raoulus ab.

  • Die beiden Männer, die sich nun bereits eine ganze Weile in den heruntergekommenen Straßen von Rhakotis aufhielten, ließen die schäbige Lehmhütte nicht aus den Augen. Sie mochten zivil gekleidet sein, doch aus der Menge der Arbeitslosen, Tagelöhner und Bettler stachen sie deutlich hervor. Mit ihren sauberen Tuniken, ihren frisch rasierten Gesichtern, ihrer Haltung, die einfach viel zu römisch und militärisch war, um in der eintönigen Welt der Armen Alexandrias keine Aufmerksamkeit zu erregen.
    Die beiden Frumentarii hatten eindeutige Anweisungen erhalten: Den Mann, von seinen Anhängern schlicht Dudus genannt, ausfindig zu machen und bei seinen Aktivitäten zu beobachten.


    Die angebliche Wohnstätte des Mannes zu finden, erwies sich als überschaubares Problem an einem Ort, an dem so ziemlich jeder seinen besten Freund für ein paar Münzen an dessen Feinde verkaufen würde.
    Bislang hatte sich jener Dudus aber weder gezeigt noch wussten die Römer, ob er überhaupt existierte. Nur über die Existenz der aufrührerischen Sprüche und Verwünschungen, die in den Straßen kursierten, herrschte Gewissheit...




    FRUMENTARIUS - LEGIO XXII

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