Rodrik beweist sich als 'Fremden'-Führer

  • Nachdem die anderen ihrer Wege gegangen sind, wohl um zu schlafen und sich von der Reise zu erholen, hatte Rodrik Vala angeboten ihm das Anwesen zu zeigen, und so standen sie nun, von den anderen alleine gelassen, vor der großen Casa, unter dem hölzernen Beiwerk das den Balkon trug, und blickten sich ratlos an. Schließlich rückte Vala mit der ersten Frage raus: "Lando meinte, dies wäre mal eine Bauernkate gewesen. Für mich gleicht das eher einem Palast... so viel Stein... sind alle Gebäude der Römer so?"

  • In der Tat hatten sich beide etwas ratlos angesehen. Wenn man beide von der Entfernung sah, dann würde keiner auch nur ein Sesterz auf eine Verwandtschaft wetten. Wenn ihrer beider Geburten durch Sommer getrennt waren, dann waren es nicht viele, doch das ungefähr gleiche Alter war auch das einzige, das beide verband. War Alrik sehr groß und hatte blondes, wenn auch dunkelblondes Haar, ein markantes Äußeres und eine männliche Erscheinung, war Rodrik für einen Germanen maximal durchschnittlich groß, hatte dunkles Haar und wirkte pubertär. Und wie! Er hatte sogar noch Pickel!


    "Eine Bauernkate? Öhm..." Das war auch für ihn neu. "Keine Ahnung, ich bin selber noch nicht lange hier." antwortete Rodrik wahrheitsgemäss. "Aber alle Römer haben solche Häuser. Also zumindest die, die Geld haben. Die anderen wohnen in Häusern, die nennen die insula. Da wohnen gleich mehrere Familien in einem Haus. plauderte Rodrik einmal drauflos, bevor er sich räusperte. "Also... willst du mal was echt schräges sehen?" fragte Rodrik, dann ging er zur Eingangstüre. "Komm mit." Rodrik öffnete die Tür und schritt voran ins Atrium. Dort angekommen zeigte er hinauf. "Kuck dir das an. Das haben alle Häuser. So ein Loch in der Decke."

  • Vala wusste nichts vom Denken seines Vetters, und wenn, hätte er ihn nur verständnislos angesehen. Der markanteste Unterschied zwischen den beiden Männern war nicht ihr Aussehen, sondern ihre Vergangenheit. Während Rodrik einigermaßen behütet im Schoße des mattiakischen Stammes aufgewachsen war, hatte Vala von früh auf gelernt sich zu verstecken, Hunger zu widerstehen und den Verlust von gerade erst schätzen gelernten Menschen zu verkraften. Dass ihn dieses Leben körperlich gestählt hatte, war wohl einer der positiven Effekte in seinem Dasein, genauso wie es der Tod des Modorok gewesen war. Das war es dann aber auch... Im Grunde genommen war Vala eine Maschine, in eine grausame und gewalttätige Welt mit stetig wechselnden Allianzen reingeboren worden, während Rodrik den Luxus gehabt hatte, eben dies nicht zu sein. Hätte Vala auch nur ansatzweise verstehen können, wie das Leben außerhalb von Auseinandersetzung und Intrige, Not und Leid aussah, er hätte keine Sekunde gezögert mit Rodrik zu tauschen. Hatte er aber nicht...


    "Noch nicht lange? Achso... Lando hat von dir erzählt. Deine Mutter tat gut daran, dich her zu schicken. Die Mattiaker sind ein verlässliches Volk, das sind nicht viele. Ich zweifle nicht daran, dass du in guten Händen aufgewachsen bist...", was für ihn auch implizierte, dass Rodrik irgendwann ebenso wie alle anderen seinen Platz in der Familie einnehmen würde, denn die Laissez-Faire-Führung von Lando war ihm fremd.
    Das was Rodrik ihm nun erzählte wusste er schon. Insulae, Casae, Villae und so weiter und sofort... nur die Bilder fehlten ihm, er hatte keine Ahnung wie was nun aussehen würde, denn Erfahrungen dembezüglich waren rar bis nicht vorhanden, wenn man weit jenseits des Rhenus aufwuchs.
    Als er ihm folgte, und das Atrium mit dem erwähnten Loch in der Decke betrachtete, lächelte er, allerdings war das Lächeln eher geringschätzend als ehrlich heiter.


    "Meine Mutter hat mir erzählt, dass das Atrium dafür da ist, dass die Sonne auch ins Haus scheint. Die normalen römischen Häuser haben keine Fenster nach außen, wohl des Lärms wegen.. diese Casa hat allerdings welche. Die Sonne scheint durch das Atrium ins Haus, und erhellt so auch die Räume.", dozierte er aus seinem Wissen, das seine Mutter ihm beigebracht hatte. Seine Mutter hatte ihn mit allem nötigen Wissen über die Kultur und die Lebensweise der Römer versorgt, während sein Vater sich meist auf Politik und Militär und Verwaltung und so weiter beschränkt hatte... ihm fiel auf, dass er Rodrik belehrt hatte. Er lächelte entschuldigend, und nickte dem Mann aufmunternd zu: "Und weiter? Haltet ihr manchmal solche Sitzungen im Atrium ab? Mit politischen Freunden, und Verbündeten, und so?"

  • Rodrik hatte von der Vergangenheit von Alrik oder Vala, wie dessen Name bei den Römern lautete, nicht den blassesten Hauch einer Ahnung. Wie auch? Rodrik hatte Alrik auch erst vor ein paar Augenblicken kennen gelernt und wusste rein gar nichts von ihm. Alrik hatte hier einen Vorsprung, denn dieser wurde offensichtlich von Lando unterrichtet, zumindest ein wenig. Sicher war Rodrik behütet aufgewachsen, zwar grossteils ohne Vater, aber unter den strengen, sehr strengen und unnachgiebigen Augen seiner Mutter und unter den weniger strengen Augen seines Onkels Berenger und seines Großvaters, dem Rich seines Heimatdorfes. Und sicher hatte er Neid, Verachtung und Intrige nicht wirklich kennen gelernt, das lag jedoch in der Veranlagung des jungen Mattiakers, der einfach viel zu naiv war, um solch komplexe Emotionen und daher Verhalten verstehen zu können. Dies, gepaart mit fehlender Sprachgewandtheit und Souveränität, war ein untrügliches Zeichen, dass Rodrik wahrscheinlich niemals auch nur irgendeine führende Rolle innerhalb seiner Sippe spielen konnte. Erschwerend kam noch hinzu, dass der junge Mann keinerlei Ambitionen zeigte für jene Rolle, die der Meinung seiner Mutter nach der Enkel eines Richs an den Tag legen sollte. Ein Quell unendlicher Enttäuschung für seine Mutter. Auch wenn Rodrik es in diesem Moment nicht aktuell bewusst war, aber er war schon froh, dass er hier war und nicht mehr in seinem Heimatdorf.


    Doch hier war hier und jetzt war jetzt. Rodrik hatte gerade Alrik das Loch in der Decke gezeigt, eine Tatsache, die ihm die ersten Tage immer Anlass zur Heiterkeit gab. Wie dumm waren doch die Römer, befand er. Ein Loch in einer Decke und das in einem Raum, in dem nicht geheizt wurde. Er hatte nicht verstanden warum und er hatte auch nicht nachgefragt. Warum denn auch, er dachte, das wurde einfach deswegen so angelegt, weil es auch die Römer taten. Über den tieferen Sinn hatte er nicht gegrübelt. Aber Alrik, und Alrik hatte den jungen Mattiaker gerade aufgeklärt warum die Römer dieses für Rodrik Unbegreifliche taten, in jedem Haus. Er, Rodrik, war schon seit etlichen Wochen hier, aber Alrik, der gerade erst angekommen war, wusste den Grund für das Deckenloch. Und Alrik lachte über ihn. In der Miene Rodriks spiegelte sich die Enttäuschung wider. Er wollte Alrik eigentlich damit beeindrucken, doch das ging enorm in die Hose. "Oh... du kennst es also schon." sagte er niedergeschlagen. Was für ein Fehlschlag. "Nuja... ehm... ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung." antwortete Rodrik auf Alriks Frage nach den Sitzungen im Atrium. "Nur ein paar Tage, nachdem ich hier ankam, sind Lando, Witjon und die anderen zur Seherin abgereist. Da war nichts mit Treffen oder Sitzungen." Was verständlich war, denn von der duccischen Familie war Rodrik als einziges männliches Mitglied daheim geblieben. Und wen hätte er schon einladen sollen, nachdem er ja niemanden kannte? "Ehm... also... von hier aus gelangt man in fast alle anderen Zimmer. Dort oben die Treppe hinauf," er zeigte mit der Hand auf das Obergeschoss, "dort sind die Zimmer. Also zum Schlafen. Schon schräg, was? Jeder hier hat ein eigenes Zimmer." Auch etwas, was er bis dahin nicht für möglich gehalten hätte. "Und hier unten sind die anderen Räume. Also die Küche, das Arbeitszimmer, das Bad, das Kaminzimmer und noch einige mehr."

  • "Naja, was heißt kennen?", versuchte Vala den wohl enttäuschten Rodrik zu beschwichtigen, "Ich kannte es nur aus Erzählungen. Meine Mutter hat hier gelebt, genauso wie mein Vater. Sie haben mir viel erzählt, vom Leben in Reich und so. Und von der Familie... es gibt ein Bad? Ein richtiges Balneum? Interessant..", er folgte dem Deuten seines jungen Vetters, und blickte die hölzerne Treppe hinauf, die wohl zu den Wohnräumen führte. So, wie er es mitbekommen hatte, wohnten schon einige Menschen in der Casa. Die Langhäuser der Heimat hatten keine Probleme mehr als zehn Menschen zu beheimaten, schließlich schlief man eng zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen.


    "Jeder hat ein eigenes Zimmer, sagte man mir? Stelle ich mir seltsam vor... aber das wird wohl der Einfluss der Römer sein, was?", er sah Rodrik fragend an, der ja wohl vor einigen Monden auch noch in den Verhältnissen rechts des Rhenus gewohnt hatte. Er selbst würde es wohl auch befremdlich finden, nicht mit mehreren Menschen das Bett zu teilen. Wobei Bett wohl auch der falsche Begriff war.


    "Was ist mit den Tieren? Also, mein Vater erzählte, dass die Familie Land besitzt, und davon lebt. Wo bringt ihr das Vieh unter, wenn nicht im Haus?", das war eine Frage, die er sich irgendwie nicht selbst beantworten konnte. In den Erzählungen seiner Eltern hatte das irgendwie nie eine Rolle gespielt. Immer ging es um den Staat, wie das Reich aufgebaut war, und wie die Familie sich darin zurecht fand. Aber nie, wovon sie eigentlich lebte.

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