Ein Junge, aus dem ein Römer wurde – Metamorphosen Pars II

  • Auch heute war wieder einer der Tage, in denen viele Römer auf das forum romanum strömten, um dem Müßiggang oder ihren Geschäften nachzugehen, auch Marcus war mit der jungen Bridhe und ihrem Sohn, seinem Neffen, aufgebrochen, um ein Amtsgeschäft an diesem Tage zu erledigen, etwas, was womöglich nicht mal eine hora dauern würde, aber dennoch für das Kind eine ganz andere Zukunft bedeuten würde. Die Sänfte schaukelte sanft während die Träger sie durch die Menge manövrierte und das Gebäude anvisierte, in dem die Bürgerlisten des römischen Imperiums, und natürlich ganz speziell von Rom, aufbewahrt wurden. Mit einem leichten Ruck setzten die Träger die Sänfte vor dem Eingang ab und einer der Sklaven strich den Sichtschutz beiseite. Einigermaßen darin geübt schwang sich Marcus aus der Sänfte, dennoch kam ein leises Stöhnen über seine Lippen, denn in den letzten Tagen tat sein rechtes Bein wieder gehörig weh und machte ihm bei jedem Schritt und bei jeder Bewegung das Leben schwer. Aufgestanden, reichte er Bridhe die Hand, damit sie leichter mit dem Kind aussteigen konnte.
    „Auf ins Gefecht!“
    Er lächelte Bridhe aufmunternd zu und wandte sich dann dem Eingang zu, um dann durch die Tür in das Innere des Gebäudes zu treten. Der Geruch nach muffigen Schriftrollen vieler Jahrhunderte lag in den Hallen, in denen sie nun kamen. Marcus schickte einen Sklaven vor, damit dieser den Weg für sie eruieren konnte. So war es nicht sonderlich schwer, die richtigen Räumlichkeiten zu finden, an denen Marcus schließlich auch klopfte und nach einem von einer recht unterkühlten Stimme gerufenem Herein auch betrat. Musternd sah sich Marcus in dem Raum um, der ausgesprochen aufgeräumt wirkte. Jede Schriftrolle in den Regalen wirkte wie auf den Zoll gleich hingelegt. Kein unnötiger Schnickschnack war im Raum zu finden, außer eine Statue vom derzeit – noch – lebenden Kaiser, dann wanderten Marcus Augen zu dem Mann hinter dem Schreibtisch und ihm wäre wohl fast die Kinnlade herunter gefallen. Das Fretchengesicht, die kalten, blauen Augen, die ihn unverhohlen feindselig musterten, kannte er wirklich gut genug; denn es war niemand anderes als Appius Carteius Cirenthius, der ehemalige optio aus dem Rekrutierungsbüro der Prima.
    Salve, Flavius!“
    , begrüßte der frühere Soldat Marcus, der für einige Momente baff blinzelte und sich kurz danach weit, weit weg wünschte, denn mit Carteius war er nie sonderlich gut zurecht gekommen.
    „Ähm...Salve, optio...ähm...Carteius...Du, hier?“
    , stellte Marcus die wenig durchdachte Frage.
    „Ja, ich – hier, Flavius, das siehst Du richtig. Was willst Du?“
    Marcus war für den Moment wie vor den Kopf geschlagen und starrte den früheren Kameraden, der ihm immer nur Ärger gemacht hat, irritiert an.

  • Es war doch wesentlich bequemer, den Weg zum Forum Romanum in der Sänfte zurückzulegen. Auch das Innenleben der Sänfte war prachtvoll ausgestattet. Man saß weich und komfortabel und konnte, während man durch die Stadt getragen wurde, durch den dünnen durchsichtigen Stoff nach draußen schauen. Allerdings blieb dadurch der Einblick für allzu neugierige Passanten verwehrt.
    Ich empfand es noch immer als sehr ungewohnt, in der Sänfte zu sitzen und nicht neben ihr herlaufen zu müssen, so wie ich es die letzten Jahre immer getan hatte. Daran würde sich auch vermutlich nichts ändern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch oft in den Genuss einer Sänfte kam, war doch eher gering.
    Der Kleine bekam davon nicht viel mit. Er schlummerte sanft in meinen Armen. Erst als wir an unserem Bestimmungsort angekommen waren und es ans Aussteigen ging, wurde er wach, öffnete seine Äuglein einen Spalt und gähnte einmal kräftig. Als er nach einem kurzen Moment richtig wach geworden war, verfolgte er alles mit seinen Augen, was um ihn herum geschah.
    Aristides half mir aus der Sänfte. Seitdem ich ihn und er mich, an den Saturnalien richtig kennen gelernt hatte, war er immer freundlich und zuvorkommend zu mir. Dafür und auch weil er heute hier war, war ich ihm unendlich dankbar. Wäre ich auf mich alleine gestellt gewesen, dann wäre ich auf ganzer Linie verloren gewesen.


    Danke vielmals!


    Ich lächelte ein wenig unsicher zurück und folgte ihm einfach in das Gebäude. Hier war ich vorher noch nie gewesen. Alles war so fremd. Nur der Geruch von Schriftrollen erinnerte mich ein wenig an die Bibliothek in der Villa, in der ich einige Male gewesen war, als ich Lesen gelernt hatte. Meine Augen musterten ganz genau jede Einzelheit, die mir auf dem Weg auffiel.
    Wir betraten einen Raum, in dem es nichts anderes außer Regale mit Schriftrollen zu geben schien. Kurz schweifte mein Blick zu der Statue des Kaisers, wurde aber ganz schnell wieder abgelenkt, als ich die Stimme eines Mannes hörte, der den Flavier zu kennen schien. Allerdings machte Aristides nicht den erfreutesten Eindruck, den Mann wieder zu sehen. Ein wenig eingeschüchtert stellte ich mich hinter Aristides und verfolgte das Gespräch. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Womöglich konnte dieser Mann meinem Sohn doch noch sein Recht verwehren.

  • [Blockierte Grafik: http://img366.imageshack.us/img366/8029/appius2vq9.jpg| Appius Carteius Cirenthius



    Es waren schon schwere Monate für Appius gewesen, vor nicht allzu langer Zeit – etwas mehr als ein Jahr war es nun her - hatte er gerade den Dienst beim Militär aufgegeben, war ehrenhaft entlaßen worden, hatte eine ordentliche Summe erhalten nach seinen fast dreißig Dienstjahren und somit versucht, sich eine neue Existenz zu schaffen. Einen Gemischtwarenladen hatte er eröffnet mit dem Akzent auf 'Katzenbedarf', Drusilla war natürlich immer die Testkatze gewesen und wenn es ihren Ansprüchen genügte, dann verkaufte Appius die Waren, leider mit sehr mäßigen Erfolg. Oh ja, er hatte seine Stammkunden, die seine Expertise sehr zu schätzen wußten. Natürlich besonders die Katzen von den Kunden, aber leider waren das weniger als eine Handvoll und die Kosten des Einkaufs überstiegen die Einnahmen proportional; und irgendwann wurde es immer schlimmer, die Schlägertruppe seine Belieferers besuchte ihn immer öfters, mit dem Erfolg, daß es auf seinem Gesicht stest erblühte und rosa und blau um seine eisblauen Augen schimmerte. Und am Ende blieb Appius nichts anderes übrig, sich eine Arbeit zu suchen und jetzt war er wieder hinter einem Schreibtisch gelandet, an dem er sich mit Idioten und Schwachsinnigen beschäftigen mußte, wie dem Flavier, der jetzt vor ihm stand und ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen war. 1. Weil er schlampig war und auch so arbeitete, 2. weil er die Acta nicht lesen konnte, im Gegenteil, sie als Unterlage für seinen puls genutzt hatte und 3. weil er ihn einfach nicht leiden konnte. Dementsprechend schlecht war jetzt seine Laune, sich mit dem Patrizier wieder herum schlagen zu müßen und auch kalt der Blick, den er auf die Frau mit dem Kind und den Flavier richtete. Er war den Dreien nicht wohl gesonnen und das sah man seinem Frettchengesicht an. Wenigstens hatten sie geklopft! Er griff nach einer Schreibtafel, die neben zwei Anderen lagen und drei styli, die wie mit einem Zollstab ausgerichtet lagen und in genauem Winkelabstand und paralleler Führung.
    Dem Danke schenkte er keine Aufmerksamkeit, wobei er es doch in seinem Hinterkopf abspeicherte. Womöglich hätte er die junge Frau sogar höflich - im Rahmen seiner asozialen Kompetenz - behandelt, aber sie hatte sich die falsche Gesellschaft heraus gesucht. Starr sah er zu dem Flaiver und wartete, was dieser denn wollte; dennoch verspürte er eine gewiße Häme darüber, daß er den Flavier ganz offensichtlich aus dem Konzept gebracht hatte.
    „Der Junge hier ist der Sohn eines Flaviers und soll in die Bürgerrolle eingetragen werden!“
    Also noch ein verkommenes Subjekt mehr, daß die unnützen Elemente Roms, die Politiker und Senatoren, wählen durfte. Wenn es nach Appius ging, zerschlug man den Senat, schaffte den CH ab und legte alles in die Hände des Kaisers, der für ihn ein Gott war.
    „So!“
    , schneidend wie eine eiskalte Klinge surrte seine Stimme durch den Raum.
    „Wie heißt der Junge? Wer ist sein Vater? Hat sein Vater den Jungen anerkannt? Gibt es Zeugen dafür?“
    All die Fragen richtete er direkt an die Mutter des Kindes und ignorierte komplett den Flavier.

  • Ich war weit davon entfernt, mich wohl zu fühlen in meiner Haut. Dieser Mann machte mir Angst. Seine Stimme, sein Blick, sein Aussehen, alles an ihm wirkte kaltherzig auf mich. Er ließ uns nicht im Zweifel, wie unerwünscht wir hier waren. Ich konnte mir nicht erklären, was zwischen diesem Mann und dem Flavier stand, doch er schien es voll auskosten zu wollen, dass der Flavier es war, der in der Bittstellerrolle stand. Dabei bat er nicht für sich selbst, sondern für meinen Sohn. Jedoch konnte ich mir vorstellen,dass es genügend Leute gab, die die Flavier nicht besonders mochten, warum auch immer. Sie waren eine reiche einflussreiche Familie und manchem ein Dorn im Auge.


    Ich stand noch immer halb verdeckt hinter Aristides und hoffte still, dass ich nicht allzu lange hier bleiben musste, da es doch nur eine Formalität war, wie ich glaubte, die schnell erledigt war. Allerdings wurde ich das Gefühl nicht los, dass es hier um viel mehr ging.
    Spätestens als Carteius den Flavier völlig ignorierte, nachdem der ihm erklärt hatte, weswegen wir eigentlich hier waren, und mich direkt ansprach, blieb mir fast das Herz stehen. Damit hatte ich am wenigsten gerechnet. Wenn ich jetzt etwas Falsches sagte, dann war alles vertan.
    Ich hasste solche Situationen, auch wenn man mir schon oft gesagt hatte, ich solle mich meinen Ängsten stellen. Diesmal übertrugen sich meine auf mein Kind. Der Kleine wurde auf einmal unruhig, begann zu quengeln und wandte sich in meinen Armen. Ich versuchte ihn zu besänftigen, was sich als sehr schwierig herausstellte.
    Carteius konfrontierte mich mit einem Schwall voller Fragen, die ich ganz einfach hätte beantworten können, aber es ging plötzlich nicht mehr! Vielleicht lag es an dem quengeln des Jungen oder einfach an dem Unbehagen, das der Mann ausstrahlte. Ich jedenfalls starrte ihn nur an, mit offenem Mund auch noch und musste auf ihn, wie eine Irre wirken.
    Die kleinen kalten Augen des Mannes suchten meinen Blick. Er musterte mich und wartete auf Antworten, die ich ihm nicht schuldig bleiben durfte, wollte ich etwas erreichen. Dabei fand er daran gefallen mich noch zu verunsichern, als ich es eh schon war.


    Mein Sohn… er heißt nach seinem Vater. Sein.. sein Vater ist Caius Flavius Aquilius.


    Leise und mit belegter Stimme brachte ich schließlich einige Worte hervor. Doch die nächsten Fragen stürzten mich in wahre Bedrängnis. Aquilius hatte nur in meiner Gegenwart das Kind als seines anerkannt. Es gab keinen Zeugen. Mich verließ der Mut.

    Zeugen..? fragte ich deshalb zögernd und blickte hilfesuchend zu Aristides.

  • [Blockierte Grafik: http://img366.imageshack.us/img366/8029/appius2vq9.jpg| Appius Carteius Cirenthius


    Womöglich sah man es erst auf den zweiten Blick, aber in dem Raum, in dem Appius arbeitete, gab es nichts überflüssiges, kein Möbelstück zu viel, was nicht einem arbeitstechnischen Zweck diente, kein unnötiges Grünzeug, keine Vasen, kein Zierzeug, es war schlicht, spartanisch, richtig gehend streng soldatisch, eben von der Büste des Kaisers abgesehen, die er jeden Morgen und jeden Abend liebvoll und ergeben mit feinem Olivenöl polierte, so daß der Stein den ganzen Tag sanft schimmerte. Und wenn sich ein Staubkorn unverschämterweise auf das Haupt des Kaisers verirrte, wurde dieser Deliquent sofort von Appius lequidiert. Aber es war Appius ganz eindeutig anzusehen, daß er Bridhe und natürlich ganz besonders Aristides für ein überflüssiges Interieur des Raumes betrachtete, was ein Wischmob am Besten sofort weg gefeudelt hätte. Doch bis auf das ständige Zucken seiner linken Backenmuskeln, der eisige Blick seiner fahl blauen Augen, verzog er kaum eine Miene, es war mehr die ganze Abneigung, die durch seine steife und besenverschluckende Haltung heraus schrie, was er eindeutig dachte. Seine Augen verirrten sich nun auf das Bündel mit dem Kind, das die junge Frau in ihren Armen hielt.


    „Flavius Aquilius? Der ehemalige Quaestor und Priester?“
    Natürlich las Appius die acta und natürlich war er deswegen immer gut informiert über das Who is Who von Rom und ganz besonders den Schmarotzern, die mit ihren Ämtern Macht erreichen wollte, die alleine dem Kaiser gebührte- so natürlich Appius bescheidene und für ihn allein zählende Meinung. Daß sich der Flavier wieder zu rühren schien und seine ahnungslose und von ungebildeter Dummheit - laut Appius' Meinung - geprägter Klappe aufmachen mußte, behagte Appius ganz und gar nicht, kalt sah er zu Aristides als jener meinte:
    „Er ist der Sohn von Flavius Aquilius, das kann ich bezeugen.“
    Mißtrauisch beäugte Appius Aristides und setzte schneidender Stimme nach.
    „Bist Du bereit, es vor den Göttern zu schwören? “
    - „Ja, das bin ich. Bei Iuppiter und Mars, dem Vater der Römer, bezeuge ich, daß dieser Junge der frei geborene und anerkannte Sohn von Flavius Aquilius ist und ihm das Recht als Bürger des Imperiums zu steht.“


    Ob es ihm zustand, das hatte Appius zu entscheiden, so fand es zumindest Appius selber, der von Aristides zu Bridhe wieder seinen Kopf richtete.
    „Wie alt ist der Junge, sprich, wann genau wurde er geboren, wo erblickte er das Licht der Welt, und wann hat der Vater ihn anerkannt?“

  • Jeden Atemzug den ich länger in diesem Raum zubringen musste, machte die Sache für mich noch unangenehmer. Dieser Beamte mit seinen stechenden Schweinsäuglein machte überhaupt keinen Hehl daraus, was er von uns hielt und wie wenig er den Flavier schätzte. Dementsprechend gering fiel sein Verständnis für mich und mein Kind aus. Dabei konnte der Kleine am wenigsten etwas dafür, wer sein Vater war. In meinem Inneren wünschte ich mir bereits, niemals mit meiner vermessenen Bitte an Aquilius herangetreten zu sein, um damit die Freiheit zurück zu erlangen. Dann wäre mein Kind als Sklave zur Welt gekommen und auch ich wäre eine Sklavin geblieben. Aber ich hätte mich nicht mit Leuten, wie diesem schrecklichen Menschen abgeben müssen, der mir mit jedem Wort und jeder Geste zu verstehen gab, dass ich nichts weiter als Abschaum für ihn war.
    Abschätzig wiederholte er den Namen des Kindsvaters, als handle es sich um ein übles Schimpfwort, das man unter gar keinen Umständen in den Mund nehmen sollte. Ich versuchte ruhig zu bleiben und gegen zu steuern, denn genau das war es doch, was dieser Mann provozierte. Aber ich wollte ihm keinen Grund geben, unser Begehren abzuschlagen. So nickte ich nur scheu und ein ganz leises ja folgte.
    Aristides kam mir zur Hilfe und bestätigte meine Aussage, was diesem Kriecher aber noch lange nicht genügte. Er ließ den Flavier auf seine Götter schwören. Ob das letztlich ausreichend war, war nur schwer abzuschätzen. So einfach wollte er uns nun doch nicht davon kommen lassen!
    Die stechenden Augen des Beamten hefteten sich wieder an meine Person und er überschüttete mich mit einer ganzen Reihe von Fragen.


    Der Junge ist etwa fünf Monate alt. Er wurde ANTE DIEM VI KAL OCT DCCCLVIII A.U.C. in der Villa Flavia in Rom geboren.


    Ich tat mir etwas schwer, ruhig und sachlich zu antworten. Den Tag der Geburt meines Sohnes hatte ich extra noch einmal nachgeschlagen, damit ich nicht falsches sagte. Die letzte seiner Fragen, aber schien mir umso schwieriger, denn dafür gab es wirklich keine Zeugen.


    Der Vater hat sich bereits vor der Geburt zu seinem Kind bekannt, am Tage meiner Freilassung nämlich und er hat es am Tag nach der Geburt noch einmal getan.


    Hoffentlich genügte das. Aber ich ahnte schon, dass diesem Kerl bestimmt noch etwas einfiel, womit er mich quälen konnte. Manche Menschen braucht das einfach, ihre Macht auszukosten, um ihren Hunger nach Geltungssucht zu stillen.

  • Appius drehte den Griff des stylus zwischen seinen Fingern hin und her und überlegte, angestrengt, grübelnd und jegliche Manöver durch gehend, mit denen er den Flaviern, die er plötzlich und in einem spontanen Entschluß allesamt auf seine Antipathieliste setzte, doch noch eines auswischen konnte oder seine Beamtenmacht dazu nutzen, um ihnen zu zeigen, daß sie doch nicht so mächtig waren, wie sie es früher doch so getan haben – die Tatsache, daß damals die Flavier auch einen Kaiser gestellt hatten und heutzutage schon lange nicht mehr auf diesem Zenit waren, sondern eher der Winterdämmerung entgegen strebten, selbst wenn immer wieder junger und enthusiastischer Nachwuchs das zu verhindern versuchte, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, das schob Appius beiseite. Fast hätte er auch einen Strick finden können, als die junge Mutter sagte, daß die Anerkennung vor der Geburt statt fand, aber sie fügte noch an, daß es danach genauso paßierte. Das kurze triumphale Zucken um seine Mundwinkel verwandelte sich wieder in die verkniffene Linie, die mitten durch sein blaßes Frettchengesicht zog.
    „Also gut...“
    , grummelte er und bohrte den Griffel besonders tief in die Wachsschicht hinein und hinterließ dort mit seiner kleinen, sehr akkuraten Schrift all jene Informationen, die ihm die junge Mutter gegeben hatte. Anschließend zog er lange Rollen aus gutem Leder gefertigt heraus, gutes Pergament, um schweigend, eisig schweigend, die Daten zu übertragen, damit sie später den großen Rollen mit den Bürgerlisten angefügt werden konnten. Nachdem er alles getan hatte, drehte er das Pergament herum.
    „Hier bitte unterschreiben, der Bürge soll hier unterschreiben, da ja der Vater scheinbar unabkömmlich zu sein scheint.“
    Unabkömmlich betonte Appius mit einem deutlichen, doch für ihn untypischen ironischen Tonfall. Marcus bedachte ihn dafür mit einem marginalem Zucken seiner Augenbraue, ehe er nach vorne trat und an der gedeuteten Stelle seinen Namen setzte. Die einzigen Wörter, bei denen er nicht Rechtschreibfehler hinein brachte, jedes andere Wort ihrer Sprache war vor seiner Schwäche diesbezüglich nicht gefeit und seine Konfabulationen der Orthographie endlos.
    „Das wars!“
    , schloß Appius an, und streute Sand über das Pergament, damit die Schrift ja nicht verwischte. Er senkte seinen Kopf und schien die Drei nicht mehr beachten zu wollen. Marcus berührte Bridhe sanft am Ellbogen und deutete mit dem Kinn auf den Ausgang, deren Tür er auch vor ihr öffnete, damit sie mit dem Kind hinaus treten konnte. Erst draußen und vor der großen Eingangshalle, in der mild scheinenden Sonne und am Herzen des Imperium, dem großen Forum, blieb er stehen und wandte sich mit einem gutmütig-freundlichem Lächeln der ehemaligen Sklavin zu.
    „Nun, da klein Caius ein Bürger ist, wenn auch noch ein Kind, gibt es etwas, was er unbedingt braucht und was ihm sein Vater schon längst hätte geben sollen.“
    Marcus zog etwas aus den Falten seiner toga hervor und hielt diesen kleinen, sehr römischen Gegenstand aus gutem und sehr fein gearbeitetem Leder über die Brust des Kindes – eine bulla, die der Junge bis zu seinem Mannwerden tragen sollte und musste, wenn er einer der römischen Bürger und Jungen sein wollte.
    „Willkommen in der Familie, Caius Flavianus Aquilius!“

  • Mich beschlich die Angst, etwas Falsches gesagt zu haben, wenn ich mir das Gesicht dieses eifrigen Beamten betrachtete. Er liess sich Zeit mit seiner Antwort, um uns damit ein weiteres Mal seine Verachtung zu zeigen. Die Antipathie die er hegte, galt wohl in erster Linie den Flaviern, warum auch immer. Auch wenn ich kein Teil dieser Familie war, aber irgendwie doch dazu gehörte, galt sie auch mir.
    Dieses scheinbar endlose warten machte mich muerbe, was sich wiederum nur noch staerker auf den Kleinen uebertrug, der daraufhin noch zappliger und verdriesslicher wurde.
    Endlich aeusserte er sich. Es musste ihm unglaublich schwer gefallen sein, das Gesuch anzuerkennen. Aber auch bei der Aufforderung, das Schriftstueck zu unterzeichnen, liess er nichts aus, um mir zu zeigen, wie wenig wert ich in seinen Augen war. In diesem Augenblick war ich so unglaublich froh, jemals schreiben gelernt zu haben, damit ich ihm nicht noch die Genugtuung geben konnte, mich als Analphabetin praesentieren zu muessen. Ich zoegerte nicht lange und unterschrieb, ebenso Aristides.
    In der Tat, das war´s! Der Beamte begegnete uns wieder mit seiner Ignoranz. Fuer ihn war der Fall erledigt und wir fuer ihn nicht mehr weiter von Belang. Wir waren entlassen!
    Von dem Verhalten des Beamten noch ganz verwirrt, blieb ich stehen und wartete auf etwas, was nicht kam. Erst Aristides leichte Beruehrung und sein Wink hinaus zu gehen, veranlassten mich, meinen Blick von diesem unliebsamen Zeitgenossen abzuwenden. Ich trat mit meinem Jungen hinaus und atmete erst einmal erleichtert auf.
    Geschafft! Ohne die Hilfe von Aristides haette ich diese Prozedur niemals bewaeltigen koennen! Der Flavier laechelte mir freundlich zu und zog etwas unter seiner Toga hervor. Es war ein lederner Gegenstand, eine Art Amulett, das die roemischen Jungen trugen, bis sie erwachsen waren.
    Ich war so sehr geruehrt und wusste gar nicht, was ich darauf sagen sollte. Aristides war so freundlich zu mir, obwohl er eigentlich gar keine Veranlassung dazu hatte. Schliesslich regelte er hier nur die Angelegenheiten seines Vetters, der Rom den Ruecken gekehrt hatte.


    Ich weiss gar nicht, wie ich dir danken soll! Das werde ich nie vergessen, was du fuer uns getan hast! Vielen Dank! Ich werde immer dafuer sorgen, dass der Junge die Bulla so lange traegt, bis er alt genug ist, sie abzulegen.


    Jetzt war mein Kind ein roemischer Buerger. Ich konnte es noch gar nicht fassen!

  • Natürlich gehörte weit mehr dazu, als nur eine bulla zu tragen, um ein richtiger römischer Bürger zu werden, aber da würden sich die Flavier sicherlich auch nicht lumpen lassen, damit dem Jungen auch eine paßende Bildung zu kommen würde und er nicht als ungebildeter Plebejer in der subura enden würde, also nicht, wenn es nach Marcus ging, selbst wenn der Vater des Jungen eine schmähliche Ignoranz seinem Sproß gegenüber zeigte. Marcus lächelte erfreut, als er das von Bridhe hörte, natürlich freute er sich, daß sie die Traditionen respektierte und nicht aus dem Grund, daß sie als Sklavin verschleppt wurde, den Römern grollte und nicht wollte, daß ihr Sohn auch einer wurde. Darum winkte er freundlich ab.
    „Du mußt mir nicht danken! Das ist der Sohn von Caius und somit mein Neffe, es ist meine Pflicht, daß er als Mitglied unserer Familie auch die Chancen erhählt, die ihm gebühren. Deswegen brauchst Du Dich auch nie scheuen, wenn Du etwas brauchst, es mir zu sagen. Ja?“
    Es war ein reged und munteres Treiben auf dem forum, dem Herzen des Imperium, das gleich zu Füßen des Kaiserpalastes lag, und Marcus mochte es eigentlich immer auf dem Platz zu sein, aber heute störte ihn die Hitze, die sich unter seiner toga noch verdoppelte. Er litt ganz schrecklich sogar und seine Hautfarbe war schon deutlich röter als es gesund für ihn war.
    „Ich würde sagen, zur Feier des Tages könnten wir irgendwo einkehren und die berühmten Lucius Lucullus' Mahle versuchen zu übertreffen. Was hälst Du davon?“

  • Wie sich das anhörte! Der Junge war sein Neffe! Und er war ein Mitglied der Familie. Das musste ich mir erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich, die ich als Sklavin in das Haus der Flavier gebracht worden war, hatte einen Sohn hervorgebracht, der nun Teil der Familie war. Was gewesen wäre, wenn ich Aquilius verschwiegen hätte, dass es sein Kind war, lag klar auf der Hand! Mein Junge wäre auch dazu verdammt gewesen, Sklave zu sein. War das nicht paradox? Natürlich war mir bewusst, dass ich außen vor war. Ich war kein richtiger Teil dieser Familie. Lediglich einer, der durch die Freilassung noch gewisse Verpflichtungen gegenüber seinem ehemaligen Herrn auferlegt bekommen hatte. Da der aber fernab von Rom war, blieb mir selbst das erspart.
    Dass was ich von Aquilius erhofft hatte, versuchte nun Aristides, zu geben. Auch wenn er es nun so abtat, es sei seine Pflicht gegenüber einem Familienmitglied, lag sein Handeln doch mehr an seiner Gutmütigkeit. Denn er hätte meinen Sohn und mich genauso gut ignorieren können und Diarmuid als Schandfleck oder als Ausrutscher seines Vetters sehen können. Aber das hatte er nicht.


    Die Sonne stand schon fast senkrecht über dem Forum, auf dem große Geschäftigkeit herrschte. Ich selbst war noch nicht oft hier gewesen, was nun auch kein Grund darstellen sollte, länger hier zu verweilen. Es war schon richtig drückend warm und nach all den Jahren spürte ich wieder, wie wenig ich diese Hitze mochte. Da kam Aristides Vorschlag, irgendwo einzukehren nicht ungelegen. Nicht etwa, dass ich schon großen Hunger verspürte. Aber ich wusste, wie gerne er sich einem gut zubereitetem Mahl widmen mochte. Dass er dabei nicht gerne allein war, sondern Gesellschaft mochte, war mir auch bekannt.


    Oh ja, gerne, antwortet ich deshalb,weil ich hoffte, ihm damit ein klein wenig zurückgeben zu können.

  • Was den Hunger anging, da war Marcus nie schlecht damit bestellt, er konnte essen, und das den lieben langen Tag lang, wenn er die Zeit dafür hätte - darum liebte er Feiern, cenae und ähnliche Veranstaltungen auch sehr und würde niemals eine mißen. Darum wollte er natürlich auch nicht die Gelegenheit verpaßen, ein solch großartigen Tag ordentlich zu befeiern. Seine Augen hefteten sich für einige Herzschläge auf den Jungen, der der Sproß seines Vetters war - ob aus ihm auch irgendwann so ein lebenslustiger und angenehm geselliger Mann wurde, der die Leute leicht auf seine Seite ziehen konnte? Marcus' Mundwinkel hoben sich gut gelaunt und er hoffte für den Jungen, daß er tatsächlich etwas von seinem Vater hatte und nicht nur den Namen, aber dann doch etwas mehr Verantwortung als eben selbiger übernahm.
    "Wunderbar. Aber natürlich nicht in einer billigen Garküche, wir suchen uns was feines aus, damit der Junge gleich sehen kann, wie ein Römer leben kann."
    Marcus grinste fröhlich und schien mit einem Schlag von jedwegigem Ungemach der letzten Tage befreit, heute wollte er nicht an all die schlechten Dinge denken, die in letzter Zeit paßierten. Einladend deutete er auf die Sänfte, um hernach zu folgen und mit Bridhe zusammen den Tag mit einem durchaus zünftigen Festmahl zu feiern.

  • Es gefiel ihm sichtlich, dass ich auf seinen Vorschlag eingegangen war. Selbstverständlich durfte es jetzt keine von den billigen Garküchen sein, die es in Rom an jeder Ecke gab, zu der er uns einladen wollte. Ein wenig hatte ich ihn ja schon kennengelernt und wusste, er bevorzugte immer nur das Beste vom Besten, wenn es ums Essen und Trinken ging. Für mich hätte auch ein kleiner Imbiss in einer Garküche ausgereicht, aber um mich ging es ja heute nicht. Wahrscheinlich wäre es dem Kleinen auch einerlei gewesen, da ich ihn ja noch größtenteils stillte und er nur einige wenige Bissen Gemüse und etwas Fleisch aß. Aber dennoch konnte ich sehen, wie es sich ein Römer gut gehen lassen konnte, wenn er die nötigen Mittel dazu besaß, obwohl ich das schon zur Genüge getan hatte. Und ich wusste auch, dass ich meinem Sohn ein solches Leben nie bieten konnte. Daran wollte ich aber jetzt nicht denken. Es gab noch ausreichend Zeit, um über die Zukunft nachzudenken und was sie brachte. Heute galt es, diesen Tag zu feiern, denn er ermöglichte es meinem Sohn ein besseres Leben zu führen, als mir es mir jemals möglich sein würde.
    Ich entgegnete ihm mit einem dankbaren Lächeln und stieg in die Sänfte ein. Dies war einer der Tage, die ich immer in Erinnerung behalten würde. Der Tag, an dem mein Sohn ein Römer wurde.



    ~finis~

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