Der Hortus Lollianus war eine der beschaulichsten Teile von Rom. Es war ein riesiger park, zwar innerhalb der Stadtmauern, jedoch abgeschottet zugleich. Ein Park voller Bänke, aufgestellt, um jungen Pärchen, romantischen Naturliebhabern und hoffnungslos in Gedanken versunkenen Römern Platz zu bieten.
Der junge Patrizier, welcher eine Hälfte einer sonst verlassenen Bank in einem nicht allzu frequentierten Teil des Hortus besetzte, gehörte zur gedankenverlorenen Sorte. Piso wälzte seine Sorgen in seinem Hirn herum. Nun war das nicht etwa etwas, was er oft tat, da er sich so oft wie möglich als sorgenfrei, unabhängig und den Musen verfallen ausgeben wollte. Doch hie und da fiel die Maske des Bohemiens von ihm ab wie eine vetrocknete Kruste. Nun war es wieder soweit.
Piso saß auf der Bank, hatte seine Augen halb geschlossen und runzelte seine Stirne halb. Er könnte eigentlich zufrieden sein. Doch war das Geld, was er durch seine Arbeit bekam, die Zuneigung, die von seiner Schwester ausging, die Verbundenheit, die er mit seiner Familie fühlte, nicht alles. Wie bei den meisten Männern, wenn sie Sorgen haben, waren auch seine Sorgen mit Frauen verbunden. In seinem Fall waren es zwei.
Die Erste war jene, die ihm die Freude an der Musik vergällt hatte, durch ihre Gehässigkeit und harschen Urteile. Er wusste nur ihren Künstlernamen, und obwohl es am Ende etwas gegeben hatte wie eine Versöhnung, fühlte er noch immer ein Schaudern, wenn er an sie dachte, und das Gefühl der Demütigung war omnipräsent, wenn er sich ihr Gesicht vorstellte.
Die Zweite war jene, die ihm die Freude an allem, an seinem ganzen Leben, zurückgeben konnte. Er seufzte tief, als er an sie dachte. Wie sollte er sie jemals bekommen? Eine Ehe zwischen Patrizier und Plebejerin war nicht undenkbar, doch die Chancen, dass seine Familie seine Liebe zu IHR jemals zur Kenntnis nehmen würde, stand bei Null. Zudem hatte er seiner Familie noch gar nichts davon gesagt. Noch überhaupt nichts. Kein Mensch bei den Flaviern wusste von der Tochter des Decimus Verus... er konnte es einfach nicht über sich bringen. Sie würden einen Keil zwischen die beiden treiben... er krümmte sich innerlich, als er daran dachte.
Da merkte er plötzlich einen Schatten über sich. Waren die CUler gekommen, um ihn von seinem Platz zu vertreiben? Er blickte auf, irgendwie neugierig darauf, wer sich hier ihm offenbaren konnte. Wer konnte das sein?
[Hortus Lolliani] Grausam ist die Welt
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Verus war dieser Schatten, der sich bedrohlich näherte. "Aulus?" Er kam näher. "Ich bin es Titus," sagte er freudig und ließ sich neben ihm nieder. Er legte den Arm um ihn. "Du siehst bedrückt aus? Zum Glück fand ich dich hier. Was bedrückt dich denn? Kann ich dir helfen?" Er lächelte und drückte Piso kurz väterlich. "Die Götter scheinen uns immer öfter rein zufällig zusammenzubringen: Es ist Schicksal."
Verus löste seine Umarmung von Piso und lehnte sich zurück, um den Tag zu genießen. "Ein wahrlich schöner Ort, wie kann man hier traurig sein?" Verus holte tief Luft, natürlich übertrieben und scherzhaft überzogen. Er wollte Piso aufheitern. "Gute Luft hier."
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Der Mann, der sich Piso genähert hatte, war nicht jenes furchterregende Ungeheuer aus dem Tartarus, welches er erwartet hatte, und auch kein Soldat. Viel eher war es Titus Decimus Verus.
Piso rang sich ein Lächeln ab. „Titus!“ Er war ehrlich erfreut, seinen Freund hier zu erblicken. Bevor er sich es versah, saß Verus neben ihm und die beiden Männer lagen sich in den Armen, als ob sie schon ewig nicht mehr gesehen hätten. „Schön, dass ich dich sehe!“, meinte Piso und ließ von Verus ab. „Tut mir Leid, ich war in Gedanken. Wie dem auch sei.“ Er lächelte dem Decimer zu. „Nein, nein, keine Sorge, ich habe nich...“ Die letzten zwei Konsonatnten ließ er aus, da er sich in der Mitte des Wortes unterbrochen hatte und seinen Blick zu Boden senkte. „Wirklich, Titus, ich will dich damit nicht belasten...“, meinte er, doch man konnte merken, dass er dies nur höflichkeitshalber sagte. In Wirklichkeit hatte er sich nach jemanden gesehnt, der ihm zuhören würde. Innerhalb seiner eigenen verkorksten Familie gab es ja niemanden, der ihn für voll nähme. Weder unter den Sklaven, die sich einen Jux aus ihm machten, noch die anderen Familienmitglieder, bei denen sich Piso einbildete, sie schauten von oben auf ihn herab.
Er blickte zu Verus hin. „Aber Titus, recht hast du, schön ist der Tag wirklich. Hat er wenigs... hat er dir Glück gebracht?“, fragte er. „Ich habe in der Kanzlei gehört, das mit der Absetzung des Procurators ist nichts geworden. Ich hoffe nur, Plennius Flamininus weiß nicht, dass ich beim Putschversuch involviert war.“ Er grinste leicht. „Du schaffst das sicherlich noch. Sei erst einmal Curator Calendarii, dann kommst du schon noch in die Kanzlei.“ Er redete über den beruf, um von seinen eigenen Sorgen abzulenken, doch lange hielt er das nicht durch. Er machte eine kurze Pause und seufzte dann. „Hie und da ist die Welt ungerecht, Titus. Dir hat man den Procuratorenposten fürs erste verwehrt und mir...“ Er unterbrach sich erneuert und blickte Verus trist an. -
"Ich freue mich auch eher auf den Posten des Curators. Es ist besser als garnichts," stellte er fest. "Die Kanzlei ist momentan nicht mein Hauptziel. Mein Ziel ist es ein gerechter Mensch zu werden."
Verus strich sich freundlich durch den Bart. "Ich mache mir keinen Kopf mehr darum. Ich habe gerade eben einen Kurs an der Schola nicht bestanden und es stört mich nicht. Ich habe es versucht und aus den Fehlern gelernt. Das Leben ist viel zu kurz, um es mit unnötigen Grübeln zu verplempern. Man sollte zwar vorsorgen und versuchen ein gerechter Mensch zu sein aber man sollte sein Leben nicht nur auf Erfolg und Reichtum ausrichten. Die guten Menschen sind meistens durch den Orcus gegangen und sind stärker auferstanden."
Da begann Verus wohl wieder zu philosophieren.
"Ich sehe die Welt nicht als düsteren Ort aber auch nicht als leuchtendes Paradies. Es ist irgendetwas dazwischen. Was wir aus ihr machen, das ist wichtig. Du kannst nur dein eigenes Leben beeinflussen und mit deinem Beispiel andere erfreuen oder zerstören."Verus holte ein wenig Luft. "Langweile ich dich?"
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„Mhm.“, bestätigte Piso. „Ich meine, der Posten, den dir Balbus besorgen will, ist sicherlich erstrebenswert. Ich glaube dir, dass du dich da schon drauf freust. Wir haben dann sicher auch noch einiges beruflich miteinander zu tun.“, meinte er grinsend. „Obwohl ich denke, in der Flotte hättest du es auch noch weit bringen können. Man hat mir mal ein paar Sachen darüber erzählt. Man hat mir gesagt, dort findet man Vergnügen, durchsucht die Welt nach Schätzen, lernt Navigationstechnik, ja, alle Träume sollten in der Flotte in Erfüllung gehen! Man kann, so hat man mir gesagt, die 7 Weltmeere besegeln, und seine Gedanken zu Ruhe kommen lassen.“ Er zuckte die Achseln. „Das hat man mir mal gesagt. Irgendwann, ich weiß nicht mehr, wer und wo oder wann.“
Er hörte Verus zu. „Das ist aber Schade! War sicher verteufelt schwierig. Tja, da kann man wenig machen. Beim nächsten Mal wird es sicher besser ausfallen.“, versuchte er seinen decimischen Freund aufzumuntern. Den Rest seines Vortrages hörte er sich gleichmütig, mit einem gelegentlichen Kopfnicken an. Verus schien tatsächlich einen Philosophen gefressen zu haben.
Er ließ Verus aber geduldig ausreden. „Nein, nein, sicher nicht!“, meinte er und machte ein ganz entsetztes Gesicht. „Das ist alles hochinteressant! Und vieles davon kann auch ich auf mich beziehen. Mit der Ausnahme, dass es oft die Umstände sind, welche das Leben erfreuen und erschweren. Zwar sind die Umstände indirekt von den Menschen gemacht worden, doch sie stellen die größeren Freuden und Hürden da als es Personen je schaffen könnten.“ Er seufzte. Er musste offen mit Verus sein. „Titus, ich stehe vor so einer Hürde, in vielerlei Hinsicht.“ Er kratzte sich am Kopf. „Drei Sachen machen mir das Leben schwer. Der momentane Procurator a rationibus. Dann die Blockade, die meine musikalische Kreativität momentan erlebt. Und nicht zuletzt... der Standesdünkel, welcher immer eine Lücke sein wird zwischen mir und vielen anderen Leuten, die ich schätze. Plebejer. Patrizier. So einen Aufstand machen die Leute deswegen. Wir sind doch alles Römer, und als solche gleichwertig!“ Er schüttelte nach jenem seltenen Ausbruch an aufrichtigen, und nicht nur vorgeschützten, liberalen Gefühlen, langsam den Kopf. „Ich weiß weder ein noch aus. Alles ist so... erdrückend.“ Zum wiederholten Male seufzte er. -
Verus lachte. "Das denkst du von der Flotte?" Er klopfte Piso auf die Schulter. "Die Flotte ist weitaus komplexer. Du segelst nicht nur, du schrubst Decks, suchst nach keinen Schätzen, sondern tötest Feinde Roms in blutigen Kämpfen und rettest dich von brennenden Schiffen. Die Flotte ist kein traumhafter Ort. Die Flotte ist eine Militärmaschine, die auf Töten gestellt ist."
Verus schaute in den Himmel. "Ich vermisse nur die endlosen Segeltörns in den Horizont und die frische Luft. Man war doch recht frei in seinen Handlungen, das muss ich der Flotte lassen. Zumindest ich als Centurio."
Sein Blick wanderte erneut zu Piso. "Warum lässt du dir Probleme machen? Ignoriere den Procurator und lasse ihn, wenn du es kannst, abseits liegen. Ebenso lass' die Arbeit nicht so dicht an dich heran. Du investierst zu viel von dir, selbst für einen zu geringen Erfolg, eben dies hemmt deine Muse. Du musst, wenn du erfolgreich als Künstler sein willst, dich gedanklich freimachen können. Arbeit ist Arbeit und Freizeit ist Freizeit. Was die Dünkel angeht, vergiss' sie, sie gab es immer und wird es immer geben. Wenn du sie als Mensch überwinden kannst, großartig. Beachte sie einfach nicht, sie haben Rom nie auseinander gerissen, zwar in einigen Kreisen aber nie ganz. Römer schützt immer noch Römer, ob Patrazier, Ritter, Senator oder Bürger."
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Er spürte das Klopfen eines starken Mannes auf seiner Schulter. „Ich glaube, dir kann ich viel eher vertrauen in dieser Sache als jenem Schwafler, der mir das gesagt hat. Es war nur so ein Mann aus einem Dorf. Kein echter Flottensoldat“
Uwillkürlich musste er seinen Blick auch nach oben schweifen lassen. Dort war aber nichts, außer ein paar Spatzen, die in der Luft herumwirbelten. „Mhmm...“, stimmte er zu. „Du weißt, dass ich auch schon oft mit dem Schiff unterwegs war. Ich habe es immer genossen. Es ist wundervoll. Aber auch beängstigend, wenn man umherschaut und es ist nichts da außer Wasser.“, gab er zu Bedenken.
Nun ließ Verus einen wahren Wortschwall auf ihn herab, den Piso erst einmal verdaute. Was Verus sagte, klang zwar vernünftig, aber wie bei der Flotte, so war auch Pisos Position komplexer, als es ein Außenstehender hätte vermuten können. Piso beschloss, Verus einzuweihen.
„Es ist nicht so einfach.“, begann er deshalb. „Ich versuche ja, mir vom Procurator nicht den Tag versauen zu lassen. Doch ich sehe ihn jeden Tag, und er ist einfach... die klassische Arschgeige. Von seinen Schikanen habe ich dir schon erzählt. Aber du hast recht, er ist mein geringstes Problem. Viel schwerwiegender ist mein Kreativitätsloch. Weißt du, es hat schon mit mienem Beruf zu tun. Aber ich hatte vor ein paar Wochen einen Auftritt am Markt in Rom, vor Leuten. Weißt du was? Lies diesen Artikel. Alles wird dir dadurch klar werden.“ Er hatte komplett vergessen, dass Verus damals dabei gewesen war. Aber es war sowieso irrelevant, da Verus, wie es schien, alles darüber vergessen hatte. Piso griff in eine kleine Tasche, die er immer bei sich trug, und holte eine Schriftrolle der Acta Diurna hervor. Er legte sie Verus auf dem Schoss und wartete eine Weile.
„Wie du siehst, hat der große Kritiker Blandus mir etwas bescheinigt, was sowieso schon im Vorhinein klar gewesen war, dass ich kein schlechter Musiker bin, nein, ein Avangardist!“ Das Wort Genie wollte er vermeiden, war es ihm jedoch schon auf der Zunge gelegen. „Doch die Leute erkennen dies nicht! Niemand will meine Musik hören, egal, wie gut und durchdacht sie ist! Und zu meinem Glück hat mir da noch diese Muse gefehlt. Nicht mal ihren echten namen wollte sie mir verraten. Nur ihren Künstlernamen. Irgendeine Muse. Melete? Clio? Calliope? Neinnein, ähm, was mit A. Nicht Eutherpe. Nein... genau, Aoide.“ Er sprach den Namen mit einem gewissen ablehnenden Unterton aus. "Sie hat mich heruntergeputzt. In den Dreck gezogen. Ausgelacht. Beleidigt. Angeschrien." Es entsprach nicht ganz der Wahrheit, doch in der Retrospektive kam es Piso wirklich so vor. "Wegen meiner Musik. Mich, einen Römer aus der Gens Flavia." Er schnaubte aus.
„Und was die Standesdünkel angeht, so habe ich einen guten Grund, mich davon herunterziehen zu lassen... aber die Frage ist, willst du es wissen?“ Diese Frage war etwas blöd formuliert, weil sie sicher Verus dazu veranlassen würde, es wirklich wissen zu wollen. Doch Piso war sich wirklich nicht sicher, ob er Verus seine Sorgen in der Richtung berichten sollte, sie könnten Verus gehörig den Tag verderben. -
"Wenn er kein Flottensoldat war, kann er es auch nicht wissen," sagte Verus dahin. "Eine Seereise hat etwas Befreiendes. Das Meer scheint die Tränen und das Leid mit sich zu nehmen. Vielleicht ist das Meer sogar aus den Tränen der Götter oder Menschen entstanden und irgendwann wird es die Menschheit davonschwemmen, wie einen schmutzigen Fleck." Ja, Verus philosophierte gerne und viel, wenn der Tag lang war oder kurz. Auf diesen Procurator ging er nicht weiter ein, da Piso dieses Thema selbst als abgeschlossen betrachtete.
Verus erinnerte sich. Piso hatte diesen dubiosen Auftritt, eher ein totales Versagen seiner Stimme und seines Talentes. Er blickte in die Acta. Verus schmunzelte über die Kritik. "Nimm' es nicht so schwer. Ein Künstler muss vieles überwinden. Jedoch solltest du dich etwas zurücknehmen und hinterfragen, wo deine Fähigkeiten liegen. Im Texten oder singen? Mein Vorschlag zur Güte: Arbeite doch mit der Künstlerin zusammen. Du schreibst die Texte und sie singt sie. Eine klassische Kooperative." Verus klopfte Piso erneut auf die Schulter. "Wenn sich zwei kreative Köpfe zusammentun, kann das nur etwas Gutes. Vielleicht kannst du auch durch ihre Hilfe dein Loch überwinden? Vielleicht gibt sie dir neue Impulse?"
Dass es sich bei der Künstlerin um Calvena handelte, wusste Verus. Doch er verdrängte alles, was sie betraf. Er wollte nichts mehr von ihr wissen. Er wollte einfach vergessen, was er für ein liebestoller Hengst war.
Als er ihn fragte, ob er wissen wollte, verzog Verus eine Braue. Jetzt kam wohl etwas Ernsteres auf ihn zu. "Ja, möchte ich, Aulus. Sprich' ruhig offen..."
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„Da magst du recht haben...“, erwiderte Piso, auch wenn er zunehmend vom Gerede seines Kumpanen verwirrt war. Was wollte er damit sagen? Vermutlich war das wieder eine seiner melancholischen Anwandlungen. Er zuckte also kurz die Achseln und ließ es damit auf sich beruhen.
Pisos Augen folgten denen von verus, als jener sich die Kritik anschaute und schmunzelte. Jetzt erinnerte sich Piso daran, dass Verus ja auch dabei gewesen war und ihn gesehen hatte. Nun verlor jener aber kein Wort darüber, und Piso war recht dankbar, dass Verus nicht auch noch einen Kommentar abgab.
„Vielleicht stimmt das ja...“, meinte Piso und überlegte. Nicht selber singen? Eine wahnwitzige Vorstellung. Aber Lieder schreiben, wieso jetzt nicht? Selber singen könnte er sie noch immer. Vielleicht aber sollte er erst einmal schauen, wie seine Lieder bei anderen Stimmen klingen. Er kratzte sich den Kopf. „Aber das Spiel mit der Lyra ist ein so großes Hobby von mir... und auch wenn es nicht alle mögen, ich bin sicher, es hat einen erbaulichen Wert!“ Von diesem Standpunkt würde er nicht abweichen. „Aber wieso denkst du, sie würde mit mir zusammen arbeiten wollen? Und wieso denkst du, ich würde mit ihr zusammen arbeiten wollen?“ Gleich zwei Fragen wurden Verus gestellt, in Pisos Augen waren sie durchaus berechtigt.
Irgendwie hatte er das gefühl, Verus verberge ihm etwas. Er wusste aber nicht, was. Vielleicht interpretierte er da einfach zu viel hinein.
Diese Gedanken wurden aber annihiliert, als Verus begann, mit Piso über die Standesdünkel zu sprechen. Er hatte sich nicht geirrt, sein decimischer Freund wollte wissen, was Piso auf der Seele lag. Krampfhaft bastelte er sich ein paar Worte zusammen.
„Also... Titus... weißt du... weißt du, wie vielen in meiner Familie ich schon über meine Beziehung mit deiner Tochter erzählt habe?“ Scham konnte man seinem Gesicht ansehen. „Niemanden. Es hat einen Grund... weißt du, wann es das letzte Mal war, dass eine Person aus dem Ritterstand und aus dem Patriziat heirateten? Ewig ist es her. Ich habe keine Ahnung, was meine Familie sagen würde. Vermulich nichts Gutes. Deswegen habe ich Sorgen. Ich weiß nicht, ob meine Familie jemals Serrana akzeptieren würde.“ Er seufzte. „Ich bin kein Feigling... normalerweise, denke ich. Ich liebe deine Tochter. Die Vorstellung, auf ewig mit ihr zusammen sein zu können, ist umwerfend. Aber meine Familie damit zu konfrontieren... das wäre, als ob man sich vor einer Kolonne von parthischen Kataphrakten in den Staub wirft. Das meine ich mit dem Standesdünkel.“ -
"Du solltest dieses Hobby auch weiterbetreiben, alleine um Frustrationen abzubauen." Verus schmunzelte. "Natürlich wird sie mit dir zusammenarbeiten wollen. Es kommt nur darauf an, wie du es ihr verkaufst. Du musst ihr freundlich und reflektiert gegenübertreten. Verkaufe es so als ob du von ihr lernen willst."
Er nickte abschließend. Das Thema "Künstlertief" war nun für ihn durch. Es kam nun auf Piso an, was er daraus machen würde. Ebenso wollte Verus nicht weiter über Calvena sprechen, auch nicht in fernen Ansätzen.
Plötzlich brachte Aulus Serrana ins Spiel. Verus' Augen weiteten sich. Er dachte nach und hörte aufmerksam zu.
"Es ist deine Entscheidung. Serrana ist nicht mein Besitz, ich kann zwar über sie verfügen aber will ich dies? Die Liebe fällt dahin, wohin sie hinfällt. Verfluche Armor, wenn es dir nützt aber die Liebe bleibt bestehen. Deine Familie wird es akzeptieren, mehr oder minder. Wenn du sie heiraten willst, tu' es einfach und deine Familie wird damit schon irgendwie fertig." Er lächelte. "Mal abgesehen davon, dass wir nicht einfache Proletarier sind, sondern aus einer honorigen Familie stammen. Sprich' deine Familie einfach darauf an. Manchmal muss man für seine Liebe kämpfen und nachhaken."
Verus sprach da leider aus Erfahrung.
"Jedoch kann ich dir keine allgemeingültige Antwort geben. Es ist deine Entscheidung und deine Familie. Du schaffst das schon!"
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Sim-Off: Ups, fast vergessen.
Piso grinste. “Um Frustrationen abzubauen...”, echote er und kicherte in sich hinein. „Vielleicht keine schlechte Idee.“ Er enthielt sich eines Kommentares zu der Tatsache, dass er ziemlich frustriert war mit allem. Verus konnte es sich denken.
Er hörte ihm aufmerksam zu, als Verus Piso schilderte, wie er sich verhalten solle ihr gegenüber. „Hmm.“, stimmte er zu. Doch dann fiel ihm etwas ein. Etwas ganz Wichtiges. Was konnte das bloß sein? Genau. „Gegenübertreten? Ich weiß ja überhaupt nicht, wo sie lebt oder was ihr echter Name ist. Sag, Titus... weißt du etwas davon? Weißt du, wer sie wirklich ist, und wo ich sie finden kann?“ Er runzelte die Stirn. Verus hatte gerade so deutlich davon geredet, dass er ihr gegenübertreten sollte – so redete niemand, der keine Ahnung hatte, wo sich die betreffende Person aufhalten könne. Er hatte zwar das Gefühl, Verus wolle über das Thema nicht mehr reden, doch Piso wollte noch ein paar Informationen.
Er merkte, dass Verus fast die Augen überquollen, als er über Serrana zu reden kam. Er nickte während Verus‘ Antwort und gab hie und da ein paar zustimmende Laute von sich. „Ja... ich... danke für dein Vertrauen.“, meinte er. Fast hätte er nun den Kopf hängen lassen und sich aristidisch der Unzulänglichkeit gezeiht. Doch in der pisonischen Denkweise wurden solche Gefühlsregungen von einem schier unerschütterlichen Glauben an sich selber unterminiert.
„Gut. Ich werde darüber sprechen. Mit meiner Familie. Und, ich werde Serrana einladen. Ihre Grazie und Anmut wird die Familie sicher überzeugen.“, so hoffte er einmal. „Erlaubst du dies?“ Es war eine Frage, die sich durchaus stellte. Niemand sollte Töchter einladen, ohne zuerst den Vater zu fragen. Und außerdem wusste Piso nicht wirklich, in welchem Ausmaß er Serranas Sicherheit inmitten eines Haufen von Patriziern mit einem gewissen... Hang zur Exzentrizität gewährleisten konnte. -
Verus zog eine Braue hoch. Piso konnte und wollte einfach nicht aufhören dieses windige Thema anzuschneiden. Vielleicht sollte Verus es mit einer knappen Antwort beenden? Er befand sich sowieso schon im Mülleimer des Universums, viel änderte es ja nicht. "Ihr Name lautet Germanica Calvena," sagte er herzlos dahin. "Den Namen hast du aber nicht von mir."
Wo er sie finden konnte, verschwieg Verus. Piso sollte sich selbst auf die Suche machen. Er konnte ihm ja nicht alles abnehmen, zumal eine Wiedersehen mit Calvena im Moment nicht anzustehen hatte, zumindest nicht für Verus. Er lächelte und sprang erneut zum anderen Thema. Serrana war doch ein weitaus angenehmeres Thema im Vergleich zu Calvena, seiner geheimen Liebe.
"Ja, ich erlaube es, sofern du sie gut behandelst und für ihre Sicherheit garantierst," sprach er mit einem scherzhaften Unterton. "Serrana wird bei dir in guten Händen sein."
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“Germanica Calvena...”, wiederholte Piso erstaunt. Er machte den Mund auf, fast schien es so, als wolle er etwas sagen, etwas Gewichtiges, doch dann schloss er ihn wieder. Nein, er wollte seinen Freund nicht mit Fragen bedrängen, wie er den Namen kannte. Es würde schon irgendeine Geschichte dahinter stecken. Er war sich sicher, es war nichts Ehrenrühriges auf Verus‘ Seite, und somit waren ästhetische Bedenken aus dem Weg geräumt. Er ließ die Sache also ein, sicher, dass dies in Titus‘ Sinn war.
Was nun der Decimer als nächstes sagte, erfreute Piso unerhört. "Das heißt also, ich...“ Er schluckte und lächelte dann. „Das ist... gut. Und natürlich, ich werde sie beschützen.“ Er ging kurz die Liste der Flavier in seinem Kopf durch. Marcus Aristides? Dessen liberale Weltanschauung würde vielleicht ihm ein Schlupfloch beschaffen, wenn schon nicht Zustimmung, vielleicht ein wenig Verständnis. Celerina? Sie war ein bisschen unberechenbar, dachte er, es käme wohl darauf an, ob sie Serrana mochte oder nicht. Quartus Lucullus? Womöglich wäre es ihm total wurscht. Vielleicht würde es ihm sogar gefallen, wie ein guter Witz. Lucius Furianus? Er hätte durchaus das Potential, zum großen Njet-Sager in der Runde zu werden. Antonia würde womöglich im Sinn ihres Mannes handeln... da gab es wenig Spielraum. Und Vera? Piso seufzte. Ihre Meinung zählte für ihn mehr als die Meinungen von all den anderen zusammen. Was sie bloß sagen würde...? Unabsehbar. Und dann war da nioch sein Vater in Ravenna. Der würde so etwas von kategorisch dagegen sein, dass es nur so krachen würde.
Soweit sei ne Gedankengänge bezüglich der Meinung der Flavier, inwieweit seine Prognosen richtig sein würden, wusste er noch nicht.
Er blickte Verus an. Das Gespräch hatte ihn wohl etwas niedergeschlagen, während es Pisos Laune etwas gebessert hatte. So waren sie wohl an der selben Stelle angekommen.
„Wie geht es Serrana eigentlich dieser Tage? Ich habe sie schon einiger Zeit nicht mehr gesehen. Weißt du was? Ich werde einfach bei euch, in der Casa Decima anklopfen, und dann bei unserer Villa eine Cena ankündigen. Das sollte funktionieren.“, dachte er laut nach. -
Verus strich sich durch seinen Bart. "Ich dachte sie wäre bei ihrem Bruder?" Er machte sich Sorgen, wenn seiner Tochter etwas passiert wäre, könnte er es sich nie verzeihen. "Ich habe sie auch lange nicht mehr gesehen. Ich mache mir Sorgen." Sein Gesicht wurde dunkler. Seine Stirn legte sich in Falten. Wie konnte er sie so einfach verdrängen? Es lag wohl an der Calvena-Sache. "Ich werde ihren Bruder demnächst aufsuchen, meinen Sohn, er wird sicherlich wissen, wo sie ist."
Er schaute zu Piso auf. "Tu' das," sagte Verus leicht betröbelt.
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„Bei ihrem Bruder? Der ist ja der Duumvir in... nicht Ravenna. Nicht Mediolanum, nicht Patavium, nicht Aquilia... nein, Mantua, oder?“, riet er. „Du denkst, sie ist in Mantua? Das wäre seltsam. Frag einfach einmal nach.“, schlug er vor. „Ich werde auf jeden Fall in ein paar Tagen bei euch anklopfen. Da hat sich dann sicher schon etwas getan.“, meinte er.
„Gut.“, meinte er nur auf Verus‘ Ansage hin und betrachtete ihn dann. Trömmelig schaute er aus, als ob er gerade aus dem Bett gekrochen wäre. Er dachte kurz nach. „Was haltest du von etwas Wein? Du siehst aus, als könntest du etwas gebrauchen. Und ich bin dir eh noch einen Krug, mit dem Essen eine Amphore schuldig.“, lachte er.
"Was denkst du?" -
"Bene, " antwortete Verus und klopfte Piso auf die Schulter. "Du schuldest mir wahrlich eine Amphore. Komm' lass uns aufbrechen! Mich dürstet!" Mit der Einladung hatte ihm Piso wahrlich erneut ein süffisantes Lächeln auf die Lippen gezaubert, zumal er froh war diese leidigen Themen abzuschließen. Serrana würde auffindbar und Calvena zu vergessen sein.
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"Gut, dann gehen wir! Ich kenne da eine sehr gute Taverne am Foum. Ich wollte sie dir schon immer zeigen, du wirst begeistert sein!“ Er erhob sich und deutete die Richtung an. „Folge mir. Wir sind bald da.“Die beiden liessen die Horti Lolliani hinter sich und begaben sich zum Forum.
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Verus nickte und folgte munter.
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Sim-Off: Ich wärme einfach mal diesen Thread hier auf.
Mit seinem Gehstock bewaffnet irrte Verus durch die Gärten. Er konnte seiner Gens momentan nicht unter die Augen treten und ein Dach über dem Kopf hatte er auch nicht. Im Grunde war er ein Bettler, da er momentan keine Ansprüche auf seinen Besitz hatte, so verwahrlost er war. Inordnung, von Verwahrlosung kann man nicht sprechen. Er war gepflegt und sauber aber er entsprach nicht mehr dem typischen Römer. Er hatte sich verändert und Macht sowie Geld spielten in seinem Leben keine große Rolle mehr. Die Reisen durch das halbe Imperium hatten ihn klüger gemacht und seine Nahtoderfahrung ebenso weiser. Mit seinem langen Bart, seinen langen Haaren und dem großen Gehstock wirkte er fast, wie ein weiser Mann. Er setzte sich auf eine der vielen Banken im Park. Er legte seine Kapuze zurück und stellte den Stock neben sich ab. Ein tiefer Atemzug verschwand in seiner Brust. Er musste einige Stunden warten bis er zu seinem alten Freund gehen konnte. Wollte dieser ihn überhaupt noch sehen? Wahrscheinlich nicht. Doch Verus, der alles verloren hatte, hatte etwas neues im Leben gefunden: sich selbst. Er würde keine Maske mehr tragen. Er war endlich angekommen, zwar musste er dazu alles verlieren, selbst seine Familie aber er konnte endlich seine warmen Augen öffnen. Innerlich weinte er immer noch. Ihm war jedoch klar, dass er seine Kinder und seine beiden Lieben eines Tages wiedersehen würde aber bis dahin würde er leben. Gedanken kreisten in seinem Schädel. Er zog eine Tabula hervor, ebenso einen Griffel. Mit einem geübten Griff schob er die breiten Ärmel seines Überwurfs zur Seite. Er wollte seine Gedanken niederschreiben; Zeit hatte er ja.
Einige Vögel sangen im Hintergrund. Der Wind rauschte sanft in den Blättern und die Luft schmeckte süß. Ein wunderbarer Tag, um sich Gedanken zu machen. Verus versuchte seine Gedanken zu ordnen, die ihn seit seiner Ankunft beschäftigten, warum gerade er so war, wie er war und warum sein Umfeld reagierte, wie es reagierte.
Rührt ein Übel von dir selbst her, warum tust du es?
Kommt es von einem andern, wem machst du Vorwürfe? Etwa den Atomen oder den Göttern? Beides ist unsinnig. Hier ist niemand anzuklagen.
Denn, kannst du, so bessere den Urheber; kannst du das aber nicht, so bessere wenigstens die Sache selbst; kannst du aber auch das nicht, wozu frommt dir das Anklagen?
Denn ohne Zweck soll man nichts tun.
Sim-Off: by Mark Aurel - Selbstbetrachtungen
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