Ach Piso schien das Gesicht vertraut vorzukommen, nur wusste er nicht mehr, wo er es schon einmal gesehen hatte. Tatsächlich musste dies auf der Hochzeit von Celerina gewesen sein, wie Piso feststellte, als der andere sich vorstellte. „Aurelius Ursus! Ich habe den Namen gehört, in der Acta Diurna.“, meinte Piso und hob seine Augenbrauen exzentrisch. „Tatsächlich sind unsere Häuser nahe verwandt, werter Aurelius, und so erfreut es mich um so mehr, dich kennen zu lernen. Quaestor warst du, wenn mich nicht alles täuscht?“, fragte er neugierig.
Er sah auch, wie der andere ihn zunickte. Ah, natürlich, jetzt wusste er, woher er den kannte. Das war der Praetor! Er lächelte ihm zu. „Salve Decimus Livianus! Ich erinnere mich noch heute gerne an das schöne Fest, welches du ausrichten ließt nach deiner Rückkehr.“ Nur mit Mühe konnte er sich davon zurückhalten, den Prätor mit Fragen über Parthien zu überschwemmen. Stattdessen musterte er den Prätor ausgiebig. Bei den Decimern schienen Bärte schwer in Mode zu sein. Leider verdeckte der Bart auch jegliche Ähnlichkeiten, welche Livianus mit Serrana haben könnte.
Rückkehr zur Normalität
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"Salve Flavius. Es freut mich, dass ich bei dir positiv in Erinnerung bleiben konnte."
Livianus lächelte dem Neuankömmling ebenso freundlich zu und nickte noch einmal dankend. Formelle Begrüßungsfloskeln waren nun wohl ausreichend ausgetauscht. Nun würde sich zeigen, ob der neue Gesprächspartner sich einfach nur Vorstellen wollte, oder auch ein neues Gesprächsthema aufwarf. Gespannt sah Livianus kurz zu dem Aurelier und dann wieder zu dem Flavier.
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Puh, es entwickelte sich etwas schwierig, nun das Gespräch in Gang zu halten. Über Interna der Factio konnten sie nun nicht mehr sprechen. Und eigentlich war da auch alles besprochen, wie Ursus sachlich feststellte. "Ja, das ist richtig, ich habe zuletzt als Quästor Rom gedient. Hast Du auch vor, Dich der politischen Laufbahn zuzuwenden?" Ursus hielt dies für den normalen Werdegang eines Patriziers. Aber natürlich war nicht jeder Patrizier bereit, sich für Rom einzubringen. Manche führten auch einfach nur ein angenehmes Leben, das sie mit dem Geld der Ahnen finanzierten.
"Hat einer von euch den Praefectus Urbi schon näher kennengelernt? Für einen Mann, der allumfassende Befugnisse besitzt, macht er sich ziemlich rar, finde ich." Ursus hatte schon die unterschiedlichsten Berichte über den Mann gehört, den er bisher nur von weitem gesehen hatte. Die einen hielten ihn für einen Mann der Tat und andere einfach nur für einen ungehobelten, machtgierigen Emporkömmling.
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Er nickte zurück zu Livianus, bei dem er es sich, so hoffte er, fürs Erste nicht verscherzt hatte. Grade mal eben. Krampfhaft suchte er nach etwas Gescheitem, das er entgegnen konnte. „Was für ein miserables Gedächtnis müsste jeder haben, bei dem dies nicht der Fall wäre!“ Aber er wusste, ginge es nach ihm, würden zahlreiche Männer Roms, auch einflussreiche, unter extremer Amnesie leiden. Zum Beispiel sein Neffe zweiten Grades, wenn er drüber nachdachte. Oder der Schwiegervater seines Vetters.
Bevor er sich in Gedanken verlieren konnte, entgegnete Ursus was. Er bestätigte die Annahme des Piso, welcher darüber glücklich war innerlich, sich nicht wieder mal bis auf die Knochen blamiert zu haben. „Ich hoffe tatsächlich, dies zu tun! Doch vorerst will ich mir doch noch ein bisschen einen Namen machen. Wer kennt den Aulus Flavius Piso, den Primicerius a libellis?“ Er zuckte die Schultern. „Zuerst einmal strebe ich nach einem etwas ruhmreicheren Posten an der kaiserlichen Kanzlei. Und dann will ich mich zur Wahl stellen.“, stellte er dem Aurelier seine Pläne vor, sich zurückreißend, ihm nicht noch diverse phantastische und weit hergeholte Vorstellungen von seiner Zukunft darzulegen.
Was der ehemalige Quaestor nun sagte, ließ Pisos Hand an das zugehörige Kinn fahren und es kraulen. „Ich kenne ihn nicht. Aber mein direkter Vorgesetzter, Prudentius Balbus, ist oft im Kontakt mit ihm. Ich habe ihn aber schon ein paar Mal durch die Korridore der Kanzlei rennen sehen. Ein Mann, der, ohne um einen Termin zu bitten, beim Procurator vorbeikommt. Der, ohne zu Klopfen, in dessen Officium eintritt. Der offenbar den Kaiser von allem Amtlichen abschirmen will. Niemand würde natürlich suggerieren, dass er dies tut, nicht um die kaiserliche Gesundheit zu schützen, sondern um Macht in seinen Händen zu akkumulieren.“ Er lächelte, doch war es alles andere als klar, ob Piso dies ehrlich meinte oder doch eher zubitterst ironisch.
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Livianus hätte wohl mehr Informationen zu dem Genannten in das Gespräch einbringen können, hatte er sich doch erst vor kurzem mit Prudentius Balbus selbst über den römischen Statthalter ausgetauscht. Persönlich kannte er den Mann nur aus einer einzigen Senatssitzung, bei der sich dieser ein einziges Mal zu Wort gemeldet hatte. Doch hatte er Balbus versichert das Gespräch vertraulich zu behandeln und wollte dieses gegebene Wort unter keinen Umständen brechen.
"Ich selbst kann leider nicht viel über den Präfekten sagen. Bisher habe ich ihn lediglich bei meiner Anhörung im Senat wahrgenommen. Ansonsten haben sich unsere Wege bisher noch nicht gekreuzt, aber soweit ich gehört habe, soll er eine sehr eigene und gewöhnungsbedürftige Art haben, mit seinem Umfeld umzugehen."
Das war äußerst diplomatisch in den Raum gestellt und von Livianus, der erst seit kurzem wieder in Rom weilte, erwartete man sich vermutlich auch nicht, dass er über solche Dinge bereits im Bilde war. Auch wenn man ihm in solch einen Fall klar unterschätzte. Statt über den Praefectus Urbi zu reden, kam er wieder auf die Karrierepläne des Flaviers zurück.
"Ich habe euch Patrizier ohnehin nie verstanden. Es steht euch doch, aufgrund eurer herausragenden Stellung frei, die Karriere eines Ritters einzuschlagen. Warum ihr euch dann mit so Posten wie einem Primicerius am Kaiserlichen Hof begnügt ist mir nach wie vor ein Rätsel."
Livianus meinte das keinesfalls abwertend oder boshaft. Er hatte tatsächlich schon oft Patrizier kennen gelernt, die bei weitem nicht solche Posten oder Ämter innehatten, wie es Möglich gewesen wäre.
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"Es scheint sehr schwer zu sein, den Mann einzuschätzen. Sein Benehmen muß wohl oft sehr unpassend sein. Aber der Kaiser vertraut ihm, das muß ja eigentlich auch gute Gründe haben." Offensichtlich wußten die beiden auch nicht viel mehr als Ursus. Sehr schade, er hatte gehofft, ein wenig mehr zu erfahren über diesen geheimnisvollen Mann.
Das Gespräch wandte sich nun der Karriere des Flaviers zu. "Primicerius ist tatsächlich eine Stellung, die weit unter dem ist, was Du haben könntest. Aber ich verstehe Dich durchaus. In der kaiserlichen Kanzlei gleich eine gehobene Stellung zu erhalten, ist fast unmöglich. Als Flavier schon ganz und gar. Aber gerade dort befinden sich die Schaltstellen des Reiches und gehen die höchsten Personen ein und aus. - Wenn Du Dich dort bewährst, stehen Dir erst recht alle Türen offen." Er schaute Piso fragend an. Hatte er ins Schwarze getroffen oder hatte der Flavier andere Gründe, diesen Weg zu gehen?
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„Der Kaiser wird wissen, was er tut...“, hoffte Piso, als er versuchte, eine Art von erbaulichen Abschlusswort in jener Angelegenheit aus dem Ärmel zu schütteln. „Er weiß wohl um Qualitäten vom Vescularier Bescheid, die uns Normalsterblichen verborgen bleiben.“ Zumindest war dies anzunehmen. Oder war aber der kaiser wirklich schon so hinüber, wie man auf der Straße munkelte? Angeblich war es im physisch unmöglich, Misenum noch zu verlassen.
Doch nun sprachen beide Piso auf seine Karriere an. Ein versteckter Vorwurf lag in ihren Stimmen, zumindest meinte der junge Flavier dies. Mit einem Gesichtsausdruck, der eindeutig preisgab, dass man ihn ziemlich überrumpelt hatte. Er räusperte sich. „Ich weiß, welche Stellung aufgrund meiner Geburt ich innehabe. Doch ist es nicht so leicht mehr, eine Stellung zu finden als Patrizier. Oft werden hohe Posten besetzt von erfahrenen Rittern, statt von grünschnabeligen Patriziern. Ich hatte große Mühe, dieses Amt überhaupt zu erhalten. Aber ich sage euch, ich denke nicht, dass ich noch lange Primicerius bin. Ein paar Hebel sind in Bewegung gesetzt worden, so hoffe ich einmal...“ Von wem, sagte er nicht. Welcher Art die Hebel waren, sagte er auch nicht. Nicht, weil er ein Geheimniskrämer war, sondern schlicht und einfach, weil er von diesen Hebeln keinen blassen Schimmer hatte. „Sicherlich will ich an der kaiserlichen Kanzlei arbeiten, weil sich dort etwas bewegt, und man einiges in der Hand hält.“ Öfters noch mehr, als es sich mancher Senator erträumen könnte. Doch es gab noch einen Grund, weshalb er in der Kanzlei war. „Du hast es schon erkannt. Es gibt einen gewissen Grad an... ich will nicht Animosität sagen, viel eher... ein ganz leichtes, historisch begründetes Misstrauen zwischen Aelier und Flavier. Ich bin dagegen. Es hilft niemanden und schädigt nur beiden Familien. Ich möchte durch gute Arbeit am kaiserlichen Hof zeigen, dass wir Flavier etwas zustande bringen können.“ -
Die Einstellung des Mannes gefiel Livianus, auch, oder vor allem, weil er ein Patrizier war, der nicht so Realitätsfremd schien, wie so manch einer seiner Standesgenossen. Der Senator hörte interessiert zu und entschied sich dann eine Zwischenfrage zu stellen, die zwar mit den Ausführungen des Flaviers nichts zu tun hatte, aber in diesem Augenblick dennoch von Interesse für Livianus war.
"Wer ist dein Patron, wenn ich dich fragen darf?"
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Wie Ursus es sich schon gedacht hatte: Der Flavier schuf sich eine gründliche Grundlage für seine Karriere. Und gar nicht auf dumme Art und Weise, wie er fand. Da der Senator dem Flavier allerdings eine direkte Frage gestellt hatte, hielt sich Ursus erst einmal zurück und wartete ab, was Piso auf die Frage antworten würde.
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Sim-Off: Entschuldigt mich.
Piso nicht realitätsfremd? Jedem, der Piso kannte, musste eine solche Unterstellung zuerst mal abstrus vorkommen. Natürlich war Piso realitätsfremd. Doch das stimmte nur zum Teil. Piso hatte politische und juristische Schulung erhalten. Er war nicht dumm oder ungebildet. Er wusste, wie es um die Stellung der Patrizier im Reich bestellt war. Alte Privilegien wackelten, es war nicht die richtige Zeit, auf politischem Parkett als Patrizier den starken Max zu machen. Er wusste genau, dass auch als Patrizier man sich von unten heraufarbeiten musste. Die hohe Geburt mochte einiges leichter machen, jedoch musste man nicht minder hart arbeiten als andere. Dies wusste er. Er wusste auch, dass er als Plebejer vermutlich als Notarius hätte starten müssen, wie Imperiosus.
Er hörte sich die Frage des Decimers an und dachte kurz nach, bevor er den Kopf schüttle. „Ich habe noch keinen Patron. Ein paar Kandidaten habe ich schon, aber man hat mir empfohlen, mit dem Suchen eines Patrons noch zu warten. Ich habe vor, in die Politik einzusteigen... und wenn es soweit ist, werde ich mir wohl einen guten Patron suchen, der mir, was Politik und Verwaltung angeht, mich auch wirklich weiterhelfen kann. Wenn ich bloß wüsste, wen. Es gibt viele gute Kandidaten.“, dachte er laut nach und zuckte die Schulter. „Man hat mir schon den namen Vinicius Hungaricus empfohlen... aber jener hält sich ja so weit entfernt, in Germanien auf, was schade ist.“, seufzte Piso.
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