"Ja. Sind es... aber ich hatte lange damit zu kämpfen.", murrte Lando, der in Gedanken schon wieder vollkommen woanders war, und dementsprechend auch lange brauchte, um zu checken, dass seine Frau sich ziemlich nutzlos fühlte. Er drückte sich an seine Seite, und zusammen gingen sie die 'Uferpromenade', also das in Stein gefasste Flussufer in Richtung Brücke herauf, und Lando überlegte, wie er Elfleda eben diese Sorgen nehmen konnte. Und er bemerkte, wie selbstverständlich dies alles für ihn geworden war, was ihm irgendwie nicht behagen wollte. Wie lange war er jetzt schon hier? Jahre, sicherlich.
"Ich habe hier angefangen", begann er schließlich den gedanklichen Faden laut weiter zu spinnen, "als ich keine fünf Worte Latein sprach. Ich bin durch den Rhenus geschwommen, verwundet, und wurde von einer römischen Priesterin aufgenommen, die mich gesund gepflegt hat. Ich bekam vom Legaten die Erlaubnis, im Reich zu bleiben, und landete schließlich über Umwege in der Casa der Duccii. Ich war ein Bauer. Ein Fischer. Ein Mann unserer Völker... aber hier war ich nichts. Ein Nichts. Farold gab mir Arbeit, das was Pepino heute macht. Ich schlief über den Ställen, und passte auf, dass nichts geschah. Ich hatte zehn Sesterzen im Monat. Das reichte, um zu überleben. Ich wurde in der Familie aufgenommen, mir wurde Latein beigebracht, und ich begann langsam, LANGSAM zu verstehen wie das hier alles funktionierte. Als ich schließlich genug verstand, wollte ich auf eigenen Beinen stehen. Ich lieh mir etwas Geld von Venusia, und machte das, was ich früher zuhause schon am besten konnte: Waren tauschen. Ich importierte Oliven und Öl aus dem Süden, und verkaufte sie hier weiter. Das solange, bis ich das Geld zurückzahlen konnte, und schließlich Geld genug hatte, ein neues Geschäft aufzumachen. Das ging nicht immer gut, ich hatte nicht wirklich jeden Abend groß zu essen. Aber es reichte. Irgendwann kam Eila zurück, die ich bis dahin für tot gehalten hatte, und da merkte ich: ich muss etwas tun. Verantwortung übernehmen. Für meine Schwester sorgen."
Während sie so nebeneinander her über die steinerne Uferstraße spazierten, konnte man sehen wie die Gebäude immer wieder dunkle Zeichen von Überschwemmungen trugen. Andere waren behelfsmäßig ausgebessert, und andere standen wiederrum auf Stein, bevor die tönerne Schicht viel weiter oben anfing, wo das Wasser sie nichtmehr bedrohen konnte. Wie bei einem riesigen Lagerhaus, auf das Lando deutete, und zwischendurch einwarf, dass dies von seinem Handelskonsortium gemietet war. Komplett. Nicht gekauft, denn das konnten sie sich beileibe nicht leisten, aber gemietet.
"Naja... so nahm das seinen Lauf. Ich bekam das Bürgerrecht, als Sarolf mich adoptierte, dann war ich nichtmehr Loki, sondern Tiberius Duccius Lando. Naja, zumindest nennen mich die Römer so. Aber es wurde immer mehr.. Besonders als Sarolf plötzlich verschwand, und dann auch Farold. Irgendwann war da noch mehr Verantwortung, und noch mehr. So nahm ich eine Stelle in der Verwaltung der Römer an, ich konnte ja ziemlich gut organisieren und so. Sprache war nicht das meine, aber Dinge organisieren, das konnte ich. Und ich hab meine Arbeit gut gemacht, ich wurde befördert... und jetzt bin ich sozusagen für den kompletten Postverkehr der Provinz verantwortlich. Ich. Ich glaube es immernoch kaum. Vor zehn Sommern noch schwamm ich in der Amisia und hütete das Vieh, und jetzt? Naja... und weißt du, warum? Ich hab mich immer irgendwelchen Notwendigkeiten angepasst. Es ging nicht darum ob ich das wollte. Ich musste. Das ist jetzt anders... die anderen, Witjon, Phelan, Ragin. Die können sich aussuchen was sie machen, gut ausgebildet wie sie sind. Das gibt auch Probleme.. unsere Frauen zum Beispiel, Eila und Vera. Beide über zwanzig Sommer alt, und beide noch nicht verheiratet. Manchmal glaube ich, das Fehlen von Notwendigkeiten ist kein Luxus. Es ist ein Fluch."