Neue Welt. Schöne, neue?

  • "Ja. Sind es... aber ich hatte lange damit zu kämpfen.", murrte Lando, der in Gedanken schon wieder vollkommen woanders war, und dementsprechend auch lange brauchte, um zu checken, dass seine Frau sich ziemlich nutzlos fühlte. Er drückte sich an seine Seite, und zusammen gingen sie die 'Uferpromenade', also das in Stein gefasste Flussufer in Richtung Brücke herauf, und Lando überlegte, wie er Elfleda eben diese Sorgen nehmen konnte. Und er bemerkte, wie selbstverständlich dies alles für ihn geworden war, was ihm irgendwie nicht behagen wollte. Wie lange war er jetzt schon hier? Jahre, sicherlich.


    "Ich habe hier angefangen", begann er schließlich den gedanklichen Faden laut weiter zu spinnen, "als ich keine fünf Worte Latein sprach. Ich bin durch den Rhenus geschwommen, verwundet, und wurde von einer römischen Priesterin aufgenommen, die mich gesund gepflegt hat. Ich bekam vom Legaten die Erlaubnis, im Reich zu bleiben, und landete schließlich über Umwege in der Casa der Duccii. Ich war ein Bauer. Ein Fischer. Ein Mann unserer Völker... aber hier war ich nichts. Ein Nichts. Farold gab mir Arbeit, das was Pepino heute macht. Ich schlief über den Ställen, und passte auf, dass nichts geschah. Ich hatte zehn Sesterzen im Monat. Das reichte, um zu überleben. Ich wurde in der Familie aufgenommen, mir wurde Latein beigebracht, und ich begann langsam, LANGSAM zu verstehen wie das hier alles funktionierte. Als ich schließlich genug verstand, wollte ich auf eigenen Beinen stehen. Ich lieh mir etwas Geld von Venusia, und machte das, was ich früher zuhause schon am besten konnte: Waren tauschen. Ich importierte Oliven und Öl aus dem Süden, und verkaufte sie hier weiter. Das solange, bis ich das Geld zurückzahlen konnte, und schließlich Geld genug hatte, ein neues Geschäft aufzumachen. Das ging nicht immer gut, ich hatte nicht wirklich jeden Abend groß zu essen. Aber es reichte. Irgendwann kam Eila zurück, die ich bis dahin für tot gehalten hatte, und da merkte ich: ich muss etwas tun. Verantwortung übernehmen. Für meine Schwester sorgen."


    Während sie so nebeneinander her über die steinerne Uferstraße spazierten, konnte man sehen wie die Gebäude immer wieder dunkle Zeichen von Überschwemmungen trugen. Andere waren behelfsmäßig ausgebessert, und andere standen wiederrum auf Stein, bevor die tönerne Schicht viel weiter oben anfing, wo das Wasser sie nichtmehr bedrohen konnte. Wie bei einem riesigen Lagerhaus, auf das Lando deutete, und zwischendurch einwarf, dass dies von seinem Handelskonsortium gemietet war. Komplett. Nicht gekauft, denn das konnten sie sich beileibe nicht leisten, aber gemietet.
    "Naja... so nahm das seinen Lauf. Ich bekam das Bürgerrecht, als Sarolf mich adoptierte, dann war ich nichtmehr Loki, sondern Tiberius Duccius Lando. Naja, zumindest nennen mich die Römer so. Aber es wurde immer mehr.. Besonders als Sarolf plötzlich verschwand, und dann auch Farold. Irgendwann war da noch mehr Verantwortung, und noch mehr. So nahm ich eine Stelle in der Verwaltung der Römer an, ich konnte ja ziemlich gut organisieren und so. Sprache war nicht das meine, aber Dinge organisieren, das konnte ich. Und ich hab meine Arbeit gut gemacht, ich wurde befördert... und jetzt bin ich sozusagen für den kompletten Postverkehr der Provinz verantwortlich. Ich. Ich glaube es immernoch kaum. Vor zehn Sommern noch schwamm ich in der Amisia und hütete das Vieh, und jetzt? Naja... und weißt du, warum? Ich hab mich immer irgendwelchen Notwendigkeiten angepasst. Es ging nicht darum ob ich das wollte. Ich musste. Das ist jetzt anders... die anderen, Witjon, Phelan, Ragin. Die können sich aussuchen was sie machen, gut ausgebildet wie sie sind. Das gibt auch Probleme.. unsere Frauen zum Beispiel, Eila und Vera. Beide über zwanzig Sommer alt, und beide noch nicht verheiratet. Manchmal glaube ich, das Fehlen von Notwendigkeiten ist kein Luxus. Es ist ein Fluch."

  • Das mit der Miete verstand Elfleda noch immer nicht. Bei ihnen auf der Hros arbeiteten ja gute Männer, und die Sippe hatte auch gute Männer vorzuweisen. Warum sie nicht selbst eine Scheune bauten mit ihrer eigenen Hände Kraft erschloss sich ihr nicht auf den ersten Blick. Allerdings erinnerte sie sich daran, dass dies ja nicht das Land der Amisvarier war, sondern der Römer, und diese wohl dafür zahlen ließen, dass man auf ihrem Grund baute. Diese Welt war sehr merkwürdig, und Elfleda würde noch viel Zeit brauchen, bis sie die Dinge auch so selbstverständlich verstand, wie es ihr Mann wohl inzwischen tat.
    Statt aber weiter unwissende Fragen zu stellen, hörte sie ihm zu. Er erzählte von seiner Ankunft, seinem Werdegang, und schließlich von seiner Verantwortung in der Sippe. Elfleda hörte still zu, lauschte auf das, was er nicht direkt ansprach. Sie konnte gut zuhören, vor allem die kleinen Nuancen in der Stimmlage eines anderen, und zog daraus gern ihre Schlüsse. Rodewini, der sich selbst zwar sehr gern reden hörte, hatte ihr beigebracht, dass zuhören oft mehr brachte als hundert Fragen zu stellen. Viele verrieten mehr, als sie selbst glaubten, wenn man sie nur aussprechen ließ.
    “Wenn du es dir aussuchen könntest, würdest du es denn anders wollen?“ fragte sie ihren Mann, bei dem sie das Gefühl hatte, er wolle gar nicht der Anführer seiner Sippe sein. Jedoch ließ sie ihm nicht die Zeit, darauf wirklich zu antworten. Sie glaubte, die Antwort schon zu wissen, und die gefiel ihr nicht, also brachte sie schnell weitere Punkte ein.
    “Manchmal bestimmt uns das Schicksal für etwas, was wir für uns selbst so nicht sehen. Aber es ist nicht alles nur Zufall. Wir sind auf den Plätzen, weil wir es ertragen können, auch wenn es manchmal schwer zu sein scheint.
    Meine Cousine Elke wünscht sich beispielsweise einen Mann, in den sie sich vorher Hals über Kopf verliebt hat, und der sie zum Lachen bringt. Ich hoffe aber, dass ihr Vater ihren Stand eher beachtet und sie versorgt haben will. Denn sie ist, was sie ist: Die Nichte eines Fürsten. Das schließt nicht aus, dass sie glücklich wird, es verteilt nur die Prioritäten anders.“

    Dass Elfleda damit genauso gut von sich hätte reden können, konnte wohl jeder verstehen. Auch sie war die Nichte eines Fürsten. Auch sie hatte bei der Wahl ihres Mannes kein Mitspracherecht gehabt, und sie war zum Wohle der Sippe verheiratet worden aus politischem Kalkül ihres Onkels. Das hieß aber nicht, dass sie jetzt nicht glücklich war. Sie war sogar sehr glücklich mit ihrem Mann, auch wenn sie ihre Heimat und die Menschen vermisste.
    “Ich finde, du bist ein sehr guter Rich. Nicht nur aus Notwendigkeit. Ich sehe, wie die anderen in der Sippe dich anschauen. Das machen sie nicht aus Furcht und nicht, weil es sonst keine andere Möglichkeit gäbe. Sie lieben dich und ehren dich für das, was du getan hast und noch immer tust.“
    Elfleda war sich sicher, dass wohl keiner unter ihnen Lando den rang streitig machen könnte. Selbst wenn Lando es wollen würde, er war der, zu dem alle aufblickten. Das konnte eine Bürde sein, das wusste sie selbst. Vor allem, wenn man nicht sein Leben lang in dem Wissen aufgewachsen war, dass das passieren würde.
    “Vielleicht, wenn ich dir da ein wenig helfen kann, bin ich doch nicht so unnütz. Auch, wenn ich auch nichts gegen eine Aufgabe einzuwenden hätte, während du für diese Post arbeitest.“ Elfleda lachte leicht und knuffte ihn spielerisch in die Seite, um ihn aufzumuntern.


    Das andere, was er gesagt hatte, bereitete ihr eigentlich auch Sorgen. Oder nicht wirkliche Sorgen, aber es beunruhigte sie ein wenig. Eigentlich sollten die Frauen der Duccier schon lange verheiratet sein. Nicht, dass sie noch zu alt dafür sein würden, denn welcher Mann nahm schon eine Frau, die nur mehr vielleicht zwei oder drei Kinder haben würde, die über das fünfte Lebensjahr hinaus wachsen würden? Vor allem, wenn er eine jüngere haben konnte, die mit dem Gebären wohl weniger Probleme haben würde als eine ältere?
    Andererseits war da aber auch die Persönlichkeit besagter Frauen. Bei Eila hielt sich Elfleda zurück, da wollte sie ihren Mann durch ein falsches Wort nicht gegen sich aufbringen. Wenn sie ein lebendes Kind mit ihm hatte, war ihre Stellung gefestigt und sie konnte sich mehr herausnehmen. Aber nicht im Moment, nicht so kurz nach der Hochzeit.
    Bei Sontje hingegen war das ein wenig anders. Zu ihr konnte sich Elfleda wohl trauen, ein paar Worte zu verlieren.
    “Aber was Sontje angeht… ihr verhalten ist manchmal sehr jung im Vergleich zu ihrem Körper. Ihre Mutter hat ihr nicht viel beigebracht, oder? Sie wirkt manchmal sehr unbeholfen.“
    Und das war diplomatisch ausgedrückt. Elfleda konnte sich bei der jungen Frau, obwohl sie älter war als sie selbst, nicht vorstellen, dass diese eigene Kinder haben und versorgen sollte. Dafür war sie selbst noch sehr kindlich.

  • "Ich habe es schon lange aufgegeben, über den Willen der Nornen nachzudenken.", wich Lando einer konkreten Antwort auf die Fragen seiner Frau aus. Was sollte er sich auch groß Gedanken machen, er konnte es sowieso nicht ändern, und er würde damit nur Zeit verschwenden. Zeit, von der er das Gefühl hatte, immer weniger davon zu haben. Es war klar, dass er wahrscheinlich immernoch ein kleiner Arbeiter auf der Hros wäre, wenn seine Schwester nicht aufgetaucht wäre, und sein ganzes neues Leben auf den Kopf gestellt hätte. Und es war klar, dass er nur ein kleiner germanischer Bauer, der die Härten des Lebens mit dem Götterwillen ergebenem Geist hingenommen hätte. Aber jetzt war er hier, ein getriebener seines eigenen Schicksals, und auch nach Jahren seiner Laufbahn kam ihm das erreichte noch unwirklich vor.
    "Es gibt einiges zu tun, ich bin mir sicher, du wirst etwas finden, das dir entspricht.", zog Lando sich am roten Faden des Gesprächs zurück in die Wirklichkeit, und als das Gespräch auf Sontje kam, verzog Lando nur eine unwillige Miene, die nur allzu klar machte, wie unangenehm ihm das Thema war.


    "Ich verstehe nicht, woran das liegt. Eigentlich hätte sie schon lange verheiratet sein müssen, lange bevor sie zu uns stieß. Im Dorf in dem ihre Mutter lebte. Als Phelans Schwester untersteht sie auch meiner Verantwortung, so wie er meiner untersteht, und ich bin davon ausgegangen, dass sie den normalen Weg geht. Aber anstelle dessen... naja, du siehst sie ja. Sie führt sich auf, als wäre sie keine fünfzehn Jahre alt, nicht einmal. Phelan hat vorgeschlagen, ihre Mutter zu uns zu holen, damit sie sich dem Problem annehmen könnte. Ich halte das für die denkbar schlechteste Lösung.. immerhin ist Ildrun direkt schuld an der Verzogenheit ihrer Tochter. Wenn sie es bisher nicht geschafft hat, ihre Tochter dem richtigen Weg zuzuführen, dann wird sie es jetzt auch nicht. Ich denke, wir werden sie irgendwann vor vollendete Tatsachen stellen müssen, wenn sie sich nicht selbst mit dem Thema beschäftigt. Allerdings... ich habe ihr die Taberna anvertraut. Beziehungsweise sie ein wenig unten im Schankraum arbeiten lassen, damit sie wenigstens etwas von dem selbstverantwortlichen Leben mitbekommt. Aber ihre Kindlichkeit hat anscheinend ein paar Banditen zu einem Überfall gereizt. In einer Taberna voll mit Soldaten... den Göttern sei dank ist nichts schlimmeres geschehen, und dennoch. Was soll ich mir ihr anfangen? Ich kann sie so nicht verheiraten."

  • Ruhig hörte sich Elfleda die Sorgen ihres Mannes an. Ihn quälte der Umstand wohl wirklich sehr, dass die jungen Frauen in seiner Sippe unverheiratet waren, und er fühlte sich da wohl bei Sontje besonders in der Pflicht. Wenn sie so zwischen den Zeilen las, machte er sich wegen des Überfalls wohl selbst Vorwürfe, auch wenn er gar nichts dafür konnte.
    “Ich glaube nicht, dass der Überfall an Sontjes Art lag. Die Männer müssen verrückt gewesen sein, in einem Haus voller wehrfähiger Männer mit so wenigen einzudringen und auf Erfolg zu hoffen. Die Taten von Verrückten muss man nicht verstehen.“
    In Elfledas Denkwelt gab es nicht explizit Soldaten, die nur Soldaten waren. Jeder Mann, der älter war als 14, war für sie wehrfähig. Die einen zwar mehr und die anderen weniger, aber im Grunde war noch jeder Bauer, Vater, Bruder und eben Kämpfer für Heim und Herd. Und wenn sie sich vorstellte, jemand wäre in das Lager der Mattiaker gekommen in das Langhaus mit nur einer Handvoll Männer, um sie zu überfallen, der wäre schneller überwältigt worden, als er bis drei zählen konnte. Arg viel anders konnte sie sich das in der Taverne also auch nicht vorstellen, auch wenn die Gefahr natürlich nicht zu vernachlässigen war, dass Sontje dabei hätte verletzt werden können. Dennoch war das eindeutig die Tat eines Wahnsinnigen, einen Sinn darin zu finden war müßig.
    “Aber du hast Recht, sie wirkt sehr kindlich. Und… sie ist kränklich. Ich habe mir schon überlegt, ob ich ihr anbieten soll, ihr etwas zur Stärkung zu geben, und gegen das ständige Seufzen und Sehnen. Ein wenig Veilchenextrakt vielleicht, und etwas Fencheltee oder Köppernickel…Oh, entschuldige, ich bin ganz in Gedanken. Aber ich will mich ihr nicht aufdrängen und ich weiß auch gar nicht, ob sie das wollen würde.“
    Elfleda kannte viele Kräuter und Tees gegen verschiedene Leiden, aber bei Sontje war sie sich selbst nicht sicher, was ihr eigentlich fehlte. Nur so schwach, wie sie manchmal war, und das ständige leise Seufzen, so würde sie wohl keine Geburt überstehen. Und das machte Elfleda schon Sorgen, denn immerhin war das Grundvoraussetzung für eine Ehe und damit sicherlich ein Teil des Problems.

  • "Ja, das habe ich mir auch gedacht. Diese Männer werden jetzt von der Legion vernommen, ich bin gespannt, was diese aus jenen rauspresst.", log Lando. Eigentlich war es ihm egal, was dabei rauskam, es war doch eh immer dasselbe, drei Motive kamen zur Auswahl: Geld, Germanenhass, Römerhass. Irgendwas davon würde das letztendliche Ergebnis sein, und deswegen verfolge Lando die Sache auch nicht weiter aktiv, es gab Dinge die eher seiner Aufmerksamkeit bedurften.


    "...", wollte Lando gerade zu einer Antwort ansetzen, als er bemerkte, was seine Frau da gerade gesagt hatte, "Meinst du wirklich, dass sie kränklich ist? Das ist nicht gut... garnicht gut... einige Frauen in unserer Sippe sind einer Krankheit zum Opfer gefallen, immer der gleiche Verlauf. Husten, Fieber, Tod. Es scheint fast so, als hätte man uns verflucht. Die junge Dagny hat es vor einigen Monden erwischt. Heiler, Kundige, Heilkundige wussten nicht weiter.. kennst du dich damit aus? So wie du redest... aber was denke ich mir? Natürlich kennst du dich damit aus... entschuldige, ich glaube ich lebe schon zu lange hier im Reich, um mich sofort daran zu erinnern wie es in der Heimat aussah."
    Er lächelte matt, selbstverständlich war es so, dass Frauen sich schon zwangsläufig mit der Heilkunde auseinander setzten. Immerhin war es an ihnen, die kranken und Verletzten zu pflegen, bettlägrige Kinder und schwache Neugeburten. Hier bei den Römern brachte die Zerfaserung der Kundigen auch die Entfremdung der Bevölkerung von grundlegenden Dingen wie Heilkräuterkunde und Wissen über Krankheit und Tod mit sich. So wie das Berufsheer für eine Verwehrlosung sorgte, sorgten andere Berufssparten dafür, dass Kenntnisse eben nur dieser vorbehalten blieben.

  • Im ersten Moment verwirrte Landos Frage sie tatsächlich ein wenig. Natürlich kannte jede Frau einige Hausmittelchen. Ärzte als solches gab es schließlich nicht, und jedes Mal den Goden oder eine Kräuterfrau konnte man ja auch nicht rufen, nur weil mal wieder ein Kind Schnupfen hatte. Und auch das Vieh war ständig irgendwo krank. Zwar hatte Elfleda aufgrund ihres Standes da doch gewisse Vorteile, so dass sie sich nicht so sehr damit auseinandersetzen hätte müssen, aber dennoch kannte sie alles, und sogar sehr gut. Es hatte sie einfach interessiert und ihr in ihrem Dorf eine Beschäftigung gegeben. Und sie war gut darin gewesen.
    “Nun, so schlimm ist es bei ihr denke ich nicht aber… es ist mir aufgefallen, wenn sie sich anstrengt. Sie scheint ein wenig kurzatmig zu sein, und besonders kräftig ist sie auch nicht.“ Sie wollte Lando ja nicht beunruhigen, und sie wollte ihre neugewonnene Cousine sicher nicht schlechtmachen. Aber in dem fall half es ja nichts, um die Sache groß herumzureden. “Ich kenne das Fieber, von dem du sprichst. Es ist das, das Frauen von innen verbrennt, nicht? Das nicht auf andere übergreift? Die Base meiner Mutter ist auch an so einem Fieber gestorben.“ Es passierte nicht oft, aber manchmal fraß sich so ein Fieber in einer Frau fest und mergelte sie von innen aus. Sie wusste da auch nur Mittel, die den Verlauf linderten, aber heilen konnte Elfleda das auch nicht.
    “Wenn das in unserer Sippe öfter vorgekommen ist, sollten wir sie vielleicht wirklich ein wenig kräftigen und abhärten. Fieber trifft meistens nur Kinder, Alte und Schwache.“
    Und ich hätte endlich wieder was zu tun, schoss Elfleda noch durch den Kopf. So völlig ohne Ziel durch den Tag zu gehen entsprach einfach nicht ihrem Naturell. Nur hatte sie hier noch keine Beschäftigung gefunden.

  • "Ja, so ein Fieber ist es.", meinte Lando, dessen Blick schon wieder woanders weilte. Sie kamen zur Brücke, die sich erhaben und mühelos dem Strom des Rhenus entgegenstemmte, und sie hielten an, um das Bauwerk eine Weile lang zu bewundern.


    "Kräftigen und abhärten? Das ist einfacher als gesagt... viele von uns verfallen den Verlockungen der römischen Art, als hätte es nie was besseres gegeben. Es macht sie weich und angreifbar.", womit Lando vor allem das Balneum meinte. Aber auch die süßen Lebensmittel, und der Überfluss vor allem. Seiner Meinung nach verlernten sie immer mehr, um das zu kämpfen was ihnen möglich war, und nahmen zu viel als selbstverständlich hin.


    "Das ist die Brücke. Du hast sie ja schon einmal gesehen. Sie wurde vor kurzem noch renoviert, sonst sieht sie nicht so funkelnagelneu aus."

  • So ganz konnte Elfleda nicht verstehen, was Lando mit den verweichlichenden Verlockungen meinte. Es war ja nichts falsches daran, wenn man sich das Leben leichter machte. Sie selbst hatte den Wandel in ihrem Dorf ja hautnah mitbekommen. Die Wassergräben und die neue Felderverteilung steigerten die Erträge doch beträchtlich, und der Wall sorgte für mehr Sicherheit. Sie hatten sich die Techniken großenteils von den Römern abgeschaut. Was daran nun verweichlichen sollte, verstand die Mattiakerin nicht so ganz.
    “Meinst du wirklich, sie vergessen durch das hier, wo sie herkommen?“ Ein bisschen klangen Landos Worte für Elfleda danach. “Mein Bruder Arndt meinte früher immer, man könne zwar einen Esel satteln und panzern, aber deshalb würde noch lange kein Schlachtross daraus.“
    Auch wenn der Vergleich etwas unvorteilhaft war, immerhin erschien es auf den ersten Blick ja so, als wären Germanen die Esel und die Römer die Pferde, so passte es doch. Man war, was man war, das konnte man nicht verleugnen. “Vielleicht brauchen sie nur ab und an eine kleine Erinnerung daran, was sie sind und worauf sie stolz sein können?“


    Sie kamen wieder zu der Brücke, über die Elfleda hergekommen war. Als ihr Wagen über das Ding gefahren war, war sie tausend Tode gestorben. Wie konnte man nur sowas bauen? Das war... monströs!
    “Hmhm...“ meinte sie nur mit skeptischem Blick auf das Konstrukt und befürchtete schon, Lando könnte vorschlagen, dass man wieder darüberging. Vorsichtshalber drehte sie dem Ding schonmal den Rücken zu, als wäre es nicht von besonderem Interesse für sie. Nur nicht zugeben, dass man Angst davor hatte!
    “Kommen wir auch da vorbei, wo du arbeitest?“ fragte sie scheinbar zutiefst neugierig, auch wenn sie eigentlich nur ablenken wollte.

  • "Gleich zwei Stämme haben sich angeschickt, den des Wolfrik zu vernichten und aufzureiben. Die Sippe hat als eine der wenigen vom alten Stamm überlebt, ich denke, das ist durchaus etwas, auf das sie stolz sein können.", antwortete Lando schon fast trotzig, "Und ja, ich denke sie vergessen es. Anders kann ich mir diese Orientierungslosigkeit nicht erklären. Früher war alles anders, jeder hatte seinen Platz, jeder wusste was zu tun war. Das ist hier anders, hier muss man sich seinen Platz schon fast selbst suchen."


    Sie kamen zur Brücke, sahen einige Momente lang zu wie Zugkarren und Fußgänger diese überquerten, und wandten sich dann um, um die Via Drusa Germanica zum Forum zu nehmen.


    "Ja, kommen wir. Da vorne gleich hinter der Ecke ist die Regia.", meinte Lando wenige Momente bevor der monumentale Bau auch schon über die Dächer der anderen Häuser und schließlich direkt vor ihnen auftauchte, "Das ist die Regia Legati, der Amtssitz des Stellvertreters des römischen Kaisers hier in der Provinz. Er beherbergt sowohl den Wohnsitz des Statthalters als auch die umfassende Zentralverwaltung der Provinz."


    Was enorm knapp und enorm untertrieben war: der Bau war riesig. Um nicht zu sagen: gigantisch. Zumindest für germanische Verhältnisse. Die ganzen Verwaltungsteile, die darin Platz fanden waren so zahlreich, dass es kaum zu beschreiben war.

  • “Nun, vielleicht versuchst du einfach mal, sie daran zu erinnern? Bei all dem Luxus hier ist es schwer, zu sehen, wie es anders hätte sein können. Vielleicht brauchen sie nur einen kleinen Schubs?“
    Wie genau dieser Schubs aussehen sollte, darüber hatte sich Elfleda noch keine Gedanken gemacht. Dafür kannte sie ihre neuen Verwandten auch noch zu wenig, um zu wissen, wie man sie bei der Ehre packen konnte und was sie am ehesten ansprach.


    Sie gingen endlich von der monströsen Brücke weg zu dem Gebäude, das Elfleda auch schon kannte. Regia hieß dieser riesige Steinbau also. Sie wusste, dort wohnte auch der Fürst. An ihrem ersten Tag hier waren ihr Vater, Lando und sie hierher gegangen für dieses komische Stück Papier, das so wichtig war, um hier zu heiraten. Seltsame Sitten, aber nungut. Die Römer waren eben einfach anders, für sie war Papier eben wichtig.
    “Wie ist das eigentlich mit dem Kaiser? Ist er ein großer Anführer? Wenn es hier so viele Sippen gibt und so viel Land, wie können sich dann alle einig werden, dass er ihr Herrscher ist?“
    Zugegeben, die Frage klang sehr naiv, aber Elfleda wusste es wirklich nicht. Rodewini war diesbezüglich in seinen Ausführungen auch sehr knapp gewesen – Elfleda vermutete, er wusste es auch nicht – aber es wollte einfach nicht in Elfledas Kopf hinein, wie ein einzelner Mann so viele Leute unter seinem Banner scharen konnte, ohne dass sie alle miteinander in Streit fielen und sich wieder entzweiten. In ihrer Welt hatte jeder Mann eine Stimme und war nur seinem Herrn, so er überhaupt einen hatte, zur Treue verpflichtet. Aber hier in Mogontiacum gab es einen Fürsten, sie hatte ihn ja getroffen, und trotzdem war der Kaiser, auch wenn er hunderte Meilen weit weg war, der Fürst der Fürsten.
    “Und hast du keine Angst, dass dieses... dieses... DING irgendwann mal über dir einstürzt, wenn du da rein gehst?“ Die Regia war einfach so verdammt RIESIG, dass sich die Germanin fragte, wie das nur stehen blieb.

  • "Einen kleinen Schubs? Du bist witzig... was soll ich machen? Die Casa abreissen, und ein Langhaus hinsetzen? DAS wäre wohl das letzte Zeichen, um unserern Gegnern klarzumachen, dass man das Messer an unserer Kehle nurnoch durchziehen muss.", grummelte Lando weiter über die Verweichlichung seiner Sippe...



    "So ganz habe ich das auch nicht ganz verstanden, um ehrlich zu sein, aber ich glaube, es funktioniert auf Basis von Ehre und Geld: man packt die Menschen bei der Ehre, um sie zum Dienst für sich selbst zu verpflichten, und man gibt ihnen genug Geld, damit es ihnen gut genug geht, um weiterhin ihre Ehre pflegen zu können. Die ganze Militärmacht wird auf den Kaiser eingeschworen, was tausende Soldaten bei der Ehre packt, und sie werden bezahlt, damit sie nicht auf die Gedanken kommen, es mit der Ehre nicht so genau zu nehmen. Verstehst du? Das ist jetzt ganz grundsätzlich... es ist noch viel komplexer... immerhin basiert das Reich auf vielen verschiedenen Institutionen, wie dem Recht, das sehr viel ausgeprägter ist als in unserer Heimat, oder dem Götterkult, der stark in die Res Publica eingebunden ist.", dozierte Lando, während sie an der Regia vorbeigingen. Lando legte eine Hand auf einen der monumental großen Fundamentblöcke, und sah seine Frau milde lächelnd an: "Nein, das stürzt nicht ein. Dagmar und Ragin haben erzählt, dass in Egyptus noch größere Bauten vor hunderten, von Sommern erschaffen wurden, zu einer Zeit, wo selbst Rom noch aus Holzhütten bestand. Ich denke, die Menschen hatten Zeit genug heraus zu finden was stabil stehenbleibt, und was in sich zusammenbricht. Komm, wir gehen aufs Forum.. da dürfte heute nicht so viel los sein, aber du wirst sehen, wie die Menschen sich hier versorgen."


    Sie schlenderten an der Regia entlang zum Forum, wo einige wenige Marktstände, unter anderem die der FMQ, heute ihre Waren feilboten. Einige der Händler grüßten Lando freundlich, andere respektvoll, andere wiederrum knurrend knapp oder garnicht..


    "Hier habe ich angefangen.", sprach Lando, als sie an einer Stelle angekommen waren, an der vor einigen Jahren mal der schäbige kleine Stand eines Olivenimporteurs gestanden hatte, "Hier hatte ich meinen ersten Marktstand... Oliven, und Öl."

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