Der Turban

  • Durch einen seltsamen Zufall, dessen Grund in der Dunkelheit der Geschichte verloren ist, entwickelten sich vor 400 Jahren 2 große Reiche fast zeitgleich. Im Westen, wie man politisch korrekt in Rom sagen würde, „verteidigten“ sich die Bewohner von 7 kleinen Hügeln am Tiber ein Weltreich zusammen. Im Osten jedoch, wo solche politische Korrektheit niemals gefragt war, war man ehrlich, was die Entstehung des parthischen Reiches anbelangte. Ein Überfall von Nomanden in die iranischen Besitzungen der Seleukiden war der Anfang des parthischen Reiches. Beide Reiche hatten so viel gemeinsam, zum Beispiel der große Einfluss der Hellenen, und trotzdem waren sie schon seit Jahrhunderten daran, sich zu bekriegen. Zahlreiche Kriege, die niemanden nutzten, und Menschen nur überrollten, ihr Leben zerstörten, ihre Lebensgeschichte grundsätzlich änderten.
    Einer der Leute, bei denen dies der Fall war, war Phraates, Sohn des Tiridates von Aspadana, aus der Sippe des Babak (jener mysteriöse Stammvater, auf den die Familie von Phraates ihre Wurzeln zurückführte). Ihm war ein spektakulärer, meteorenhafter Fall gelungen – zuerst noch ein Ritter, ein Savaran, des parthischen Reiches, hoch zu Rosse in seiner Kataphraktenrüstung, nun ein unglückseliger Sklave, ohne Rechte, ohne Befugnisse, in Rom. Wenn doch wenigstens seine ständige Unglückssträhne einmal abbrechen würde.
    Doch heute Abend schien alles ganz gut zu gehen. Seine Herrin hatte ihn angewiesen, die Kleidnung seiner Heimat zu tragen. Er wandelte also durch die Stadt in einem wallenden parthischen Gewand, wie es die Adeligen seiner Heimat trugen, mit einem Turban auf seinen Kopf, und er war bisher noch nicht gestolpert oder in ein Loch gefallen. Sein Gewand war so weit, dass man die Bulla nicht sehen konnte; und die Briefe, die er auszutragen hatte, konnte er bequem in eine Falte seines Gewandes unterbringen, er musste sie nicht in der Hand schleppen. Alles lief sehr gut, dachte er sich, als er übers Forum lief, um einen Brief zum Aventin zu bringen.
    Doch er lag darin falsch.
    Er war vor einer Minute an einem Sklaven vorbeigekommen, der für seinen erblindenden Herren eine Fackel hielt, damit jener auch etwas in der Dunkelheit sehen konnte. Was er nicht wusste, von der hoch erhobenen Fackel waren ein paar Funken auf seinen Turban heruntergefallen. Sie waren nicht verweht, sondern entzündeten sich auf Phraates‘ Turban, sodass kleine Flammen ebendort hinaufloderten und Rauch aufstieg.
    Doch bislang hatte er das noch nicht bemerkt, er schritt unbekümmert einher.


    Sim-Off:

    Reserviert :D

  • Das Forum Romanum. Ein wunderlicher Ort. So viele Menschen, so viele prächtige Bauwerke. Und doch hatten bereits zwei Taschendiebe versucht, dem staunenden Bashir seine magere Geldbörse zu entwenden. Im Vergleich zu den Dieben seiner Heimat schienen sie ihm ungeschickt zu sein. Zumindest hatte er bis jetzt verhindern können, daß ihm das Geld gestohlen wurde.


    Eigentlich war Bashir schon ziemlich erschöpft gewesen von der Reise. Doch da er noch ein bißchen was von Rom sehen wollte, war er doch noch gegangen, um wenigstens das Forum zu besuchen. Um diese Zeit war hier natürlich lange nicht so viel los wie am Vormittag. Bashir wußte dies, doch er staunte auch jetzt schon darüber, wieviele Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichsten Standes hier noch unterwegs waren.


    Gerade umrundete er eine kunstvoll gestaltete Statue und fragte sich, wen dies wohl darstellte, als er eines Mannes angesichtig wurde, er aussah wie ein parthischer Adeliger. Aber... das war ja wohl unmöglich! So jemand würde niemals frei in Rom herumlaufen können! Bashir rieb sich die Augen. Doch noch immer sah er den Mann. Der unwillkürliche Drang zu ihm zu gehen und mit ihm zu sprechen kämpfte in seinem Inneren mit der Scheu als Unfreier einem solchen Mann dreist gegenüberzutreten. Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen vom Anblick einer auflodernden Flamme auf dem Turban des edlen Mannes. Anscheinend hatte er irgendwie Feuer gefangen und der Mann merkte es nicht einmal. Bashir hatte keine Zeit zu überlegen, ob das eine gute Idee war. Er sprang auf den Mann zu, riß ihm den Turban vom Kopf und trat wüst darauf herum, um die Flammen zu ersticken.

  • Phraates war komplett im Frieden mit sich selbst und der Welt, als er plötzlich angerempelt wurde, und zwar ziemlich stark. Er stieß einen Schreckensruf aus und ruderte mit den Armen herum, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Geschockt, wie er war, merkte er aber dennoch, wie ihm auf einmal seine Kopfbedeckung vom Kopf gerissen wurde. Ein Dieb! Er hatte es sicher auf den feinen Stoff abgesehen! Er wirbelte herum, um dem vermeintlichen Verbrecher hinterherzujagen, da sah er, dass der Fremde nicht damit beschäftigt war, mit dem Turban davonzurennen. Vielmehr stand er auf der Stelle und trampelte auf dem Turban herum. Phraates war entsetzt von diesem grausigen Akt des Vandalismus, welcher sich hier vor ihm (so dachte er zumindest) offenbarte. Er stellete sich breitbeinig vor dem sichtlich verrückt gewordenen auf.
    „Was du machst mit meiner Turban!“, brüllte er. Sein latein hatte sich verbessert. Hie und da haperte es noch an der Wortstellung und am Vokabular, aber er konnte sich schon viel besser verständlich machen. „Unseliger! Wieso du zerstörst ihm?“ Er reichte mit seinen Armen vor und wollte dem Fremden brutal an den Armen packen... da bemerkte er sie.
    Die Flammen, die von seinem Turban emporzüngelten.
    Dies war der Moment, wo Phraates ins Parthische verfiel. „Sch***e!“, rief er gellend und sprang ebenfalls auf den schon platt getretenen Turban, knapp vor dem Fremden hektisch auf ihn herumspringend. „Das gibt es doch nicht... verdammt, bei Ahriman und seinen Höllenkreaturen!“ Sehr edel klang das ja nicht, doch Adel verpflichtete erwiesenermaßen genau dann nicht, wenn der eigene Hut brannte.
    Abwechselnd mit dem rechten und den linken Fuß stampfte er in atemberaubender Wechselfolge auf den ehemaligen Turban, welcher jetzt nur noch mehr ein an den Rändern in Flammen stehendes langgezogenes, ausgerolltes Leintuch war.

  • "Ich", begann Bashir in der Sprache seiner Heimat, doch da er zunächst auf Latein beschimpft wurde, wechselte er in diese Sprache. Er wußte ja nicht genau, mit wem er es zu tun hatte. "Ich wollte doch nurr... das Feuerr..." Aber es erübrigte sich, eine weitere Erklärung abzugeben, denn der Fremde trampelte nun nicht weniger auf dem Turban herum wie er selbst. Die Flammen waren aber auch hartnäckig!


    Der nächste Fluchregen erfolgte dann auf parthisch. Und ganz unfein sogar. Bashir blickte den Mann ungläubig an. Da er kein Adliger war, wußte er ja nicht, daß für brennende Kopfbedeckungen andere Regeln galten, was die Verpflichtungen des Adels anging. Auf jeden Fall war die Beinarbeit bewundernswert. Da konnte Bashir mit seinem kaputten Knie nicht mithalten und versuchte es auch gar nicht erst. Das bisherige Herumtrampeln hatte schon genug unangenehme Folgen. Außerdem hatte der Fremde die Sache nun gut im Griff. "Es tut mir leid um Deinen Turban. Aber so schnell ist mir nichts besseres eingefallen, Herr", versuchte Bashir, sich auf parthisch zu entschuldigen für seine überaus grobe Vorgehensweise.

  • Phraates hörte gar nicht mehr die Worte des Hinkenden, sondern war vollends damit beschäftigt, entsetzt auf seinem Turban herumzutrampeln. Die Flammen wurden langsam erstickt, das Entsetzen darüber, sich fast den Kopf verbrannt zu haben, spornte ihn zu athletischen Meisterleistungen an. Schlussendlich waren die Flammen erstickt. Schwer atmend stützte der Parther seine Arme an seinen Oberschenkeln auf. Wie von weit her hörte er die Stimme des anderen.
    Er keuchte schnell ein, zweimal, bis er zu einer Antwort ansetzte. „Du musst dich nicht entschuldigen... ich muss das tun. Tut mir Leid, dass ich dich so angefahren habe. Und ich muss mich bedanken. Ohne deine Hilfe hätte es mir das Gehirn verkohlt.“ Er grinste dem anderen zu. „Was für eine Freude, einen Landsmann an diesem elenden Ort zu finden. Bist du denn auch in die römische Sklaverei gepresst worden, oh Bruder?“, fragte er jenen. Sicher hätte er jetzt seine Freude auch noch physisch mit einer großzügigen Geste untermalt, doch fehlte ihm jetzt die Puste dazu. So beschränkte er sich nur auf ein dankbares Lächeln mit einem freudigen Blitzen in seinen Augen.
    Er schnaufte nochmals aus, bevor er sich vorstellte. „Ich bin Phraates, Sohn des Tiridates, aus der Sippe Babak. Savaran des Reiches, Kataphrakt und römischer Sklave. Was ist dein Name?“

  • Die Flammen waren besiegt und der Fremde ziemlich außer Atem. Naja, das war kein Wunder. Immerhin wäre ihm fast die ganze Haarpracht abgefackelt. Bashir schaute noch einmal genau hin. Aber tatsächlich schienen die Haare nichts abbekommen zu haben. Ein Glückspilz, wie es schien. "Das... war doch selbstverständlich. Jeder hätte das getan, ich habe es nur zufällig als erster gesehen. Vielleicht... weil ich Dich ohnehin neugierig angestarrt habe." Er blickte ein wenig verlegen drein, denn sicher war es dem edlen Herrn lästig, so angestarrt zu werden.


    Doch als er sich vorstellte, war es wieder an Bashir, vor Staunen den Mund nicht mehr zu zu bekommen. Und so dauerte es einen Moment, bis er wieder sprechen konnte. "Es ist mir eine Ehre, edler Phraates." Römischer Sklave! Ein Mann wie er! Und er nannte ihn Bruder! Trotzdem verneigte sich Bashir voller Respekt. "Mein Name ist Bashir. Sohn des Barak. Wie mein Vater war ich einfacher Soldat. Und nun bin ich römischer Sklave. Wie... wie ist das möglich? Ein Mann wie Du? Und dann... darfst Du in solch edler Kleidung durch die Stadt gehen? Bist Du mehr Geisel als Sklave?" Er mußte sich auf die Lippen beißen, sonst wären ihm wohl noch mehr derartig unangemessene Fragen entschlüpft.

  • Phraates war natürlich ein Pechvogel, doch auch schien immer wieder Glück in seinem Pech zu liegen. Er demolierte unabsichtlich das Zimmer seiner Herrin, doch direkt danach folgte eine seiner schönsten Abende, die er jemals gehabt hatte. Er verzog sich den Rücken, machte jedoch eine sehr nützliche Bekanntschaft. Sein Turban ging in Flammen auf, doch seine Haare blieben verschont, und zusätzlich lernte er jemanden aus seiner Heimat kennen. „Du mich angestarrt? Du meinst wegen meiner Kleidung. Meine Herrin, das ist Flavia Celerina, sicher kennst du sie nicht, lässt uns Sklaven die Heimat ihrer Kleidung tragen. Immerhin etwas, da habe ich sofoert zu den feinsten Sachen gegriffen.“ Er schaffte ein Grinsen.
    Die nächste Bewegung vom anderen Parther hätte Phraates kommen sehen müssen, aber er reagierte trotzdem erst, als die Verbeugung abgeschlossen war. „Ist doch nicht nötig.“, meinte er, obwohl das Funkeln in seinen Augen verriet, das er diese Geste sehr gern gesehen hatte, nach den vielen Demütigungen und Zurückstufungen, die er in der Villa Flavia erlitten hatte. „Aber... danke trotzdem, Bashir. Was meinst du, ein Mann wie ich? Ich bin einer der Landadeligen. Wir stellen die Panzerreiter. Ich war auch einer davon.“ Er seufzte. „Und meine Einheit ist in einen römischen Hinterhalt geraten. Fernab der anderen Schlachtenschauplätze am Chaboras oder in Edessa. Sie haben mich gefangen genommen, und der Großkönig hat nicht das Geld aufgebracht, um für meine Freilassung zu zahlen. Meine Familie auch nicht, es hing mit... diversen finanziellen Schwierigkeiten zusammen.“ Er zuckte mit den Achseln. „Deshalb haben sie mich nach Rom gebracht. Bist du auch in der Schlacht gefangen genommen worden?“ Sein Blick lastete für einen Moment auf dem Knie des Bashir. „Woher kommst du eigentlich?“

  • "Ja, deswegen", gab Bashir noch immer etwas verlegen zu. Flavia Celerina kannte er natürlich nicht, was er mit eniem leichten Kopfschütteln auch zu verstehen gab. Aber er hörte sehr fasziniert zu, was Phraates da alles erlaubt wurde. Dem ging es anscheinend nicht schlecht. "Ich hatte meine Kleidung nicht mehr, als ich hierher kam. Ich glaube, meine vorherige Herrin und auch mein jetziger Herr hätten es durchaus erlaubt, wenn ich einfache Kleidung aus unserer Heimat tragen wollte. Aber ich besitze derartiges leider nicht. Du hast viel Glück gehabt, wenn Deine Herrin Dir so etwas erlaubt." Vielen Römern wäre es ein besonderes Vergnügen, den Besiegten deutlich zu zeigen, daß sie besiegt waren. Auch wenn es in Wirklichkeit noch gar kein Sieg gewesen war. Sie waren ja wegen ihres toten Kaisers abgezogen. Ob sie gesiegt hätten, wenn sie weitergemacht hätte, das fand Bashir als braver Patriot ziemlich zweifelhaft.


    "Ich stamme aus der Nähe von Assur. Und bei uns waren die Landadeligen ziemlich mächtig. Zumindest aus der Sicht einfacher Leute. Gefangen genommen wurde ich in der Schlacht um Edessa. Ich erinnere mich kaum. Da war der heftige Schmerz, ich stürzte und alles wurde dunkel um mich. Als ich erwachte, war meine Wunde notdürftig versorgt und war mit anderen Gefangenen eingepfercht... Sie schafften mich hierher nach Rom, aber niemand wollte mich kaufen, weil es mir schlecht ging und mein Bein noch sehr schlimm aussah. Ein Händler kaufte mich für einen geringen Preis und nahm mich mit nach Germanien. Die Reise war sehr hart, aber ich überlebte irgendwie. Warst Du schon mal in Germanien? Es war kalt dort. Und es fielen eisige Flocken vom Himmel, bis alles Land mit einer dicken weißen Schicht gedeckt war. Sie nannten das Schnee. Es war naß und kalt. Aber das ist es nur im Winter. Im Sommer ist dort alles grün und fruchtbar. Riesige Bäume wachsen dort in dichten Wäldern. Das ist wieder sehr schön." Er brach ab und biß sich auf die Unterlippe. "Bitte verzeih, ich bin ins schwafeln geraten. Das wird Dich gar nicht interessieren."

  • Wie Phraates vermutet hatte, war Bashir auf ihn wegen seiner Kleidung aufmerksam geworden, und wie erwartet, kannte er seine Herrin nicht. Er musste grinsen, als er hörte, was Bashir sagte. „Glück? Dass ich hier in Rom Kleider aus der Heimat kaufen durfte und nun tragen kann, ist der einzige Funken von Glück in meinem Unglück! Weißt du, wie ekelig das Essen ist, das wir hier kriegen? Auf die lange Frist gesehen kriegt man davon ja Skorbut...“, meinte er und blekte seine Zähne. „Nicht gut! Und dann gibt es noch die Aussicht des Loches...“ Der Name wurde mit einem gewissen Grauen ausgesprochen.
    Und trotz allem musste Phraates schmunzeln, als Bashir plötzlich loslegte mit seinem Enthusiasmus, was Schnee anging. Schnee! Als ob das ein Problem wäre. „Warst wohl noch nie im Zagros-Gebirge, hm? Ich bin aus der unmittelbaren Nähe von Aspadana, in der Oberpersis. Bei uns schneit es immer wieder, dann und wann. Manchmal bis in die Stadt hinunter. Das ist dann immer sehr schön.“ Seine Augen blitzten auf vor Sehnsucht. „Was du von Germanien erzählst, klingt aber erstaunlich. Riesige Bäume? Und ich habe geglaubt, die Bäume hier in Italien sind gewaltig.“, meinte er und stellte sich vor, wie riesig diese Bäume wohl sein müssten.
    „Die Landadeligen sind natürlich, überall mächtig!“, meinte er voller ständischen Stolzes. „Aber, nun ja, meine Familie ist ein wenig... verarmt. Wie viele adelige Familien weiter östlich in Parthien, wo die Ernten oft kärglich sind. Wir können mit euch Flachländern nicht so gut mithalten.“, seufzte er. Und abermals. „Meine Rüstung. Ich habe sie verloren. Man hat sie mir abgenommen. Das ganze Geld der Familie wurde in meine Rüstung, mein Pferd, und dessen Panzerung gesteckt. Wie soll ich ihnen bloß wieder unter die Augen treten?“, fragte er, mehr sich selbst, als den anderen.

  • Bashir zuckte mit den Schultern. "Das Essen, das ich bekomme, ist eigentlich ganz in Ordnung. Ich habe sogar inzwischen selbst ein wenig kochen gelernt. Wenn man es vermeiden kann, daß sie zuviel von dieser Fischsauce an das Essen geben, dann ist es gar nicht so übel. Und sie haben sehr gutes Obst. Hier in Italia viel mehr und besser als in Germanien." Das Essen war wirklich das letzte, an dem Bashir sich störte. "Wenn ich ehrlich bin, war das Essen während meiner Zeit als parthischer Soldat viel schlechter." Aber etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch. "Was meinst Du mit die Aussicht des Loches? Was für ein Loch?" Er klang ein wenig beklommen, denn schon wie Phraates es aussprach, mußte es etwas schreckliches sein. Etwas, was Sklaven offenbar bevorstand, wenn sie Fehler machten. Bisher hatte er gedacht, daß dann die Peitsche die Folge war.


    "Nein, ich war nie im Zagros-Gebirge. Ich bin nie über mein Dorf oder Edessa hinausgekommen." Sie waren einfache Leute gewesen, so weite Reisen, das war doch nichts für sie, hatten seine Eltern stets gesagt. "Die Bäume hier sind nichts gegen die in Germanien. Und Wälder gibt es hier auch kaum und nicht so dunkel und dicht. Wenn Du mal die Gelegenheit bekommst, dorthin zu gelangen: Es ist ein erstaunliches Land. Und seine Bewohner.. sie sind Barbaren, wie die Römer auch sagen. Aber sie sind auch merkwürdig gerade heraus und sehr willensstark." Bashir war gut mit den Germanen zurecht gekommen. Also mit den wenigen, die er hatte kennenlernen dürfen.


    "Als Sklave hättest Du Deine Rüstung doch sowieso nicht behalten dürfen. Weißt Du sicher, daß die Römer sie haben? Vielleicht konnte ja ein Teil gerettet und an Deine Famile zurückerstattet werden? Glaubst Du, daß Du wieder frei sein wirst? Und zurückkehren kannst?" Selbst wenn Bashir irgendwie die Freiheit erlangen könnte, sein Vater würde ihn bestimmt nicht zurück haben wollen mit dem lahmen Bein. Und mit der Schande, als Sklave gelebt zu haben.

  • “Da scheint es dir gut zu gehen.”, ließ Phraates von sich vernehmen. Irgendwie war es fast schon ungewohnt, wieder Parthisch zu reden, aber er genoss es aus vollen Zügen. „Ich kriege Pampe. Am Morgen, zu Mittag, am Abend. Nicht einmal Brot kriegen wir, schon gar kein Fleisch, doer Eier, oder frisches Obst. Nur Pampe, aus den Essensresten der Herren zusammengemischt.“ Sein Blick wurde noch trauriger wie vorhin. Phraates liebte es, gut zu essen, doch die Brühe, die man ihnen in der Villa Flavia gab, war zum vergessen. „Kochen lenen wäre eine Idee, aber ich habe nie die Gelegenheit dazu. Unser Koch ist ein Bastard und ein Tyrann, der würde sich niemals mit normalen Sklaven abgeben. Er kocht für uns auch nur sehr ungerne. Für die Flavier, ja, da legt er sich ins Zeug.“ Er murrte und knirschte mit seinen Zähnen, um seinem Unmut Ausdruck zu verleihen. „Und das Loch? Ja, das Loch. Es existiert. Ich habe es gesehen. Ein Loch im keller. Tief und voll mit Schlamm. Dort sperrt man uns eine Nacht lang hinein, oder sogar noch länger, wenn wir etwas anstellen. Es ist eine furchtbare Strafe.“ In seinem Gesicht zeichnete sich das Grausen ab. „Und sehr effetiv. Hat man mir gesagt.“
    Er war froh, als sie wieder über ihre Heimat redeten. Ja, er wusste sehr wohl, dass das gemeine Volk nicht viel herumkam. Er, als Adeliger, war das eigentlich auch nicht. In Ecbatana, in Susa und in Ktesiphon war er gewesen, bevor er zur Armee kam, weiter aber auch nicht. Er nickte, als Bashir auf die Germanen zu sprechen kam. „Ich habe auch einige kennen gelernt. Skalven. Ich schätze sie, auf ihre Weise. Sie sind die Feinde unserer Feinde, und deshlab wohl Waffenbrüder.“, meinte er und wiegte seinen kopf nachdenklich hin und her. „Was du über die Wälder erzählst, ist erstaunlich. Vielleicht komme ich einmal dorthin.“, meinte er, vielleicht ein wenig gedankenverloren.
    Aufgerüttelt wurde er durch die Erwähnung des Wortes „Rüstung“. Er lachte heiser. „Bashir, oh Leidensgenosse, meine Rüstung liegt dort, wo die Römer sie mir ausgezogen haben. Irgendwo in Mesopotamien, auf einem Schlachtfeld. Sie war zu schwer, als das die Römer sie hätten mitnehmen können. Mittlerweile müsste der Wind schon lange die Dünen darüber geweht haben.“ Er senkte seinen Kopf zu Boden. „Ich weiß nicht einmal mehr, wo das war. In der Nähe von Dura Europos. Aber ich werde diese Stelle nicht mehr finden.“ Mit einem traurigen Lächeln schaute er Bashir an, als er über die Unmöglichkeit zu fliehen redete. „Die Hoffnung stirbt zuletzt, Bashir. Doch auch sie droht in mir zu sterben. Doch klammere ich mich noch immer an die Vorstellung, dass ich irgendwann wieder Glück haben werde. Und nach Hause kehren kann. Und vorher auf wundersame Art und Weise meine Rüstung wieder erhalte.“
    Er seufzte. "Du hast wohl keine Rüstung gehabt. Warst du bei den berittenen Bogenschützen? Oder bei der Infanterie?", fragte er.

  • Bashir nickte zustimmend. "Ja, ich habe Glück gehabt. Wir bekommen, was vom Tisch des Herrn übrig bleibt. Oder eben einen Eintopf. Morgens gibt es auch Pampe, eben Getreidebrei. Aber immer auch Obst und Gemüse. Unser Herr will ja, daß wir gesund bleiben. Das ist sehr dumm von Deiner Herrschaft, euch nicht ordentlich zu ernähren. Sklaven sind doch schließlich wertvoll. Du warst doch sicher sehr teuer?" Ein Adliger, noch dazu jung und gesund! "Bei meiner vorherigen Herrin war ich der einzige Sklave. Sie war auch nicht sehr anspruchsvoll und half oft mit. Sie war wirklich sehr lieb. Aber sie konnte es sich leider nicht leisten, mich weiter zu behalten. Bei ihr mußte ich eben auch kochen und habe auch oft Kaninchen gefangen, um den Speiseplan aufzubessern. Mit der Zeit war mein Essen sogar wohlschmeckend." Er war nicht wenig stolz darauf, daß er das gelernt hatte. Sicher war er kein Koch, wie eine vornehme Familie ihn erwarten würde. Aber normale Gerichte konnte er zubereiten.


    "Ein Schlammloch im Keller, nur um Sklaven zu bestrafen? Was für eine Grausamkeit! Was sind das für Ungeheuer, bei denen Du da leben mußt?" Entsetzen war seiner Stimme zu entnehmen und wieder pries er das Glück, zuerst zu Valentina und dann zu Raetinus gekommen zu sein, die beides gute Herren waren. Nicht mal die Peitsche hatte er zu spüren bekommen bisher.


    "Ich war berittener Bogenschütze. Mit den anderen Waffen war ich nicht gut." Er wurde rot, als er dies zugab. Er war wirklich nicht der beste Soldat gewesen. "Meinst Du wirklich, man hat eine wertvolle Rüstung einfach so zurückgelassen? Kommen nicht normal immer Plünderer zu einem Schlachtfeld? Und auch die Überlebenden schauen doch nach, wenn der Feind erstmal abgezogen ist. Wenn Deine Sachen irgendwie gekennzeichnet waren, wer weiß?" Irgendwie wünschte er sich, Phraates Hoffnung zu machen. "Ich möchte nicht zurück. Meine Familie würde mich verachten. Und sonst habe ich niemanden."

  • „Vor allem ist es unmenschlich.“, knurrte Phraates, der gutes Essen sehr schätzte. Und der es überhaupt nicht brauchen konnte, dass ihm gesundes, gutes Essen vorenthalten wurde. „Hie und da kriegen wir Überreste. Die Flavier behandeln uns überhaupt nicht gut. Sie sagen, sie wären die schlechtesten und strengsten Herren in ganz Rom. Du warst wohl nur in sehr kleinen Haushalten, wo Sklaven für gewöhnlich äußerst gut behandelt werden. Ich bin aber in einer riesigen Villa. Die Herrens cheren sich kaum um uns, und wenden sich nur an uns, wenn sie etwas brauchen. Wir haben Sklavenaufseher. Die Peitsche ist uns nicht unbekannt. Das Loch ist nur eine der Strafen, die sich die Flavier für uns ausgedacht haben. Manche Sklaven sind den Flaviern nahe, das sind die Leibsklaven, doch dazu gehöre ich nicht. Noch nicht. Aber vielleicht bald.“, meinte er. Besseres Essen würde das heißen, bessere Unterkunft und bessere Behandlung. „Ich glaube, bald wird meine Herrin...“, er spuckte das Wort aus, „mich zum Custos Corporis ernennen. Dann wird hoffentlich alles besser.“, meinte er mit hoffnungreicher Stimme, welche jedoch sofoert wieder einer realistischeren, nüchterneren Perspektive in seinen Augen wich.
    „Bashir, ich sage dir, effektiv ist die Drohung des Loches. Ich wünsche dir, dass du niemals die Augen der Sklaven sehen musst, die eine Nacht dort drinnen verbracht hatten.“ Ihm schüttelte es. Fast schon froh war er, dass sie über etwas anderes zu sprechen kamen.
    Er blickte ihn mit leicht hochgezogenen Augenbrauen an, als er sah, dass Bashir rot wurde, als er sagte, was er gewesen war. „Das ist nichts, weswegen du dich schämen musst, wenn du das denn wirklich tust!“, meinte Phraates. „Die berittenen Bogenschützen, die wir haben, sind die feinsten der Welt, und zusammen mit uns Kataphrakten, der größte Schrecken der Römer! Sage nur Carrhae, und siehe die Römer um dich erbleichen! Sei stolz darauf, was du warst, nein, was du noch immer bist!“ Phraates dachte absolut soldatisch-stolz in jenem Moment.
    Doch wie Bashir die Rüstung ansprach, schwand jener kurze Stolz in den Augen des adeligen Parthers. „Sie haben es mir gesagt, ich kann nicht sicher sein, ob sie lügten oder nicht. Vielleicht haben sie es an vorbeikommende Karawanen verschachert. Die Panzerrüstung, äh, sie war...“ Er kratzte sich verlegen am Kopf, „ein Erbstück... von meinem Großvater. Vologases, Sohn meines Urgroßvaters Phraates, nach dem ich benannt wurde. So ist sie auch gekennzeichnet, ich habe es nicht gewagt, diese kunstvolle Kennzeichnung zu übermalen. Ein Fehler, doch es wäre mir als Sakrileg vorgekommen. Immerhin stand der Name unserer Sippe drauf. Doch ob das hilft?“ Er konnte es einfach nicht so optimistisch sehen wie sein Mitsklave.
    Bestürzt reagierte er auf Bashirs Worte. „Sicher wollen sie dich zurück! Das redest du dir nur ein!“, machte er, im selben Moment innehaltend. Vielleicht war dies nur eine Reaktion, geboren aus der Sklaverei, eine selbstverneinende Einstellung, welche dazu führen sollte, die Sklaverei nicht als so fürchterlich zu sehen? Womöglich. Wenn dies so wäre, wollte Phraates diese Kreise nicht stören.

  • Es schauderte Bashir sichtlich, als er hörte, wie grauenvoll es im Haushalt der Flavier zuging. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es war, mit solchen Ängsten leben zu müssen. "Ja, ich war bis jetzt in kleinen Haushalten. Unser Herr kennt jeden von uns. Er spricht mit uns und wir dürfen auch Bitten äußern. Sie werden sogar gewährt, wenn man es damit nicht übertreibt. Oh, Phraates, es tut mir so leid, daß Du es so schlecht getroffen hast. Soll ich meinen Herrn mal fragen, ob er nicht einen guten Mann wie Dich gebrauchen kann?" Es kam ihm fast wie ein Verbrechen vor, den Landsmann mit solch einem schrecklichen Schicksal zurückzulassen. Ihm selbst ging es so gut. Seit der Händler ihn verkauft hatte, hatte er keine Peitsche mehr zu spüren bekommen.


    "Ich war ja stolz, ein Bogenschütze zu sein. Ich war auch gar nicht schlecht mit dem Bogen und als Reiter bin ich wirklich gut. Aber als es ans Töten ging... Ich habe meine Pflicht getan, aber da war nichts von Ehre, nichts von Stolz. Es war nur schmutzig und blutig und da waren nur Söhne und Väter und Ehemänner, die auf entsetzliche Weise starben oder töteten und damit ihre Seelen verletzten. Das Geschrei, der Lärm, ich vergesse nie, wie der Blick in den Augen der Sterbenden brach. Ich bin schon nicht gerne Soldat geworden, mein Vater wollte es, weil er einer war und sein Vater und dessen Vater davor. Ich wußte immer, meine Bestimmung sind die Pferde. Ich kenne sie. Ich weiß, was sie brauchen. Immer. Ich wollte gute Pferde züchten. Die besten." Bashir hatte Tränen in den Augen stehen, während er sprach. Er versuchte gar nicht erst, seine Gefühle zu verbergen. Nie wieder wollte er als Soldat kämpfen müssen. "Mein Vater will einen Soldaten, keinen Krüppel. Nein, dort brauche ich nie wieder aufzutauchen." Selbst wenn er jemals wieder freikommen würde, nein, dort würde er kein Zuhause mehr finden.

  • Phraates entglitt ein sanftes Lächeln, als sein Mitsklave mit ihm sprach. Vor ihm stand, endlich, nach all diesen Jahren, wieder ein Mann, der sich wirklich um ihn sorgte. „Du bist ein Mann von wahrer Größe, Bashir, deine Worte ehren dich. Doch leicht werden die Flavier einen Sklaven nicht gehen lassen. Sie haben genug Geld, doch der Verkauf von Sklaven würde anderen das Signal geben, dass sie vielleicht schon am Verarmen sind. Keiner der Patrizier will einen solchen Eindruck erwecken.“ Er schüttelte den Kopf. Bashirs Herr sah aus wie ein netter Kerl, soweit man Bashir Glauben schenkte, doch würden sich die Flavier von nichts weniger trennen als von ihren Sklaven.
    „Das Töten...“, wiederholte Phraates. Er dehnte seine Worte und schlug seine Augen kurz nieder, bevor er aufblickte. „7 Römer habe ich getötet in meiner soldatischen Laufbahn. Ich bin von den Römern so behandelt worden, dass ich zur Auffassung komme, dass sie alle dies verdient hatten. Ich habe bisher keinen Römer je gesehen, der mir Gutes wollte, und ich habe die Hoffnung aufgegeben, nach jemanden zu suchen. Vergiss nicht, dass, wenn du deine Opfer nicht getötet hättest, sie alle eingefallen wären und unsere Familien gemeuchelt hätten. Der Feind ist nie nach Assur gekommen, aber in die Nähe jener Stadt schon. Stelle dir vor, was gewesen wäre, wenn du nicht getötet hättest, und die Römer gezwungen hättest, sich zurückzuziehen. Es hatte seinen Sinn. Es war notwendig.“, meinte Phraates und legte, erschüttert von den Tränen, mit denen der Mann vor ihm so aussichtlos kämpfte, ihm den Arm um die Schultern. „Die Pferde... ein guter Pferdezüchter wirst du sicher, bei Ahura Mazda. Einst wirst du es werden. Ich bin mir sicher. Irgendwann werden wir nach Hause zurückkehren. Irgendwann...“ Nun war es Phraates, dessen Augen feucht wurden, ein Zeichen, welches seinen Worten Lügen strafte.

  • So gelobt zu werden, war Bashir überhaupt nicht gewöhnt. Schon gar nicht aus seinem früheren Leben. Die Verlegenheit darüber war ihm deutlich anzusehen. "Das tut mir wirklich leid, daß Du es so schlecht getroffen hast. So vornehme Leute sollten es nicht nötig haben, ihre Sklaven so schlecht zu behandeln. Die Flavier... Ich werde mir den Namen merken und mich vorsehen, wenn sie mir begegnen sollten. Schrecklich, so etwas." Keine Sklaven verkaufen, um nicht arm zu wirken? Was war das denn für eine Denkweise? Bashir konnte es einfach nicht begreifen.


    "Ich weiß nicht, wieviele ich getötet habe. Nicht bei jedem Pfeil konnte ich nachverfolgen, ob er auch durchgedrungen ist. Eigentlich möchte ich es auch nicht wissen. Ich habe schon einige Römer kennengelernt, die freundlich waren. Und die das Bedürfnis hatten, mir zu helfen. Ich kann nicht ein ganzes Volk hassen, weil es schlechte Anführer hat." Er schüttelte entschieden den Kopf und atmete tief durch. Dann blickte er Phraates direkt in die Augen. Und sah den unübersehbaren feuchten Glanz. "Was ist Dein Traum? Zurückkehren in die Heimat? Und dann? Du sagtest, Deine Familie sei verarmt? Wie willst Du das ändern?" Es war ehrliches Interesse, denn es tat sehr gut zu hören, wie jemand anderer für ihn an seinen Traum glaubte. Eines Tages. Ja, vielleicht. Vielleicht würde er eines Tages tun können, wofür er geboren war.

  • Bashir schien peinlich berührt zu sein ob der Laudation, welche Phraates ihm angedeihen ließ, doch Phraates hatte nur die Wahrheit gesprochen. „Ich danke dir für deinen Zuspruch.“, meinte Phraates. „Ich denke, du wirst gut daran tun, dich nicht mit ihnen anzulegen. Sklaven sind absolute Lachobjekte für sie. Es ist absolut lächerlich, dass sie ihre Untergebenen so behandeln... ich glaube, sie wollen alle einfach nur einen Komplex, der damit zu tun hat, dass sie nicht mehr die Kaiser stellen, unterdrücken.“ Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen.
    Bashir hatte andere Ansichten als Phraates, und er konnte es ihm nicht verdenken. Doch er war gut behandelt worden. Wenn man nur behandelt wird wie ein Tier, verbittert irgendwann einmal das Herz eines Mannes. Selbst eines Mannes, der sich selber immer eines gewissen Optimismus gerühmt hatte, wie Phraates. So entgegnete er nur: „Freundliche Römer. Hm, das muss ein kruder Winkel des Imperiums gewesen sein, wo du sie kennen gelernt hast. In Rom gibt es sowas nicht.“, meinte Phraates bestimmt.
    Bashirs Interesse daran, ihn ein bisschen aufzuheitern, als er sah, dass Phraates im Begriff war, die Contenance zu verlieren, rang jenem ein Lächeln ab. „Wie ich das machen will, weiß ich nicht. Vielleicht in einem Schiff. Oder vielleicht ist das keine gute Idee. Italia ist wie eine Festung, mit dem Meer und den Alpen. Voll mit Sklavenjägern. Wer da entfliehen kann, weiß ich nicht. Vielleicht flüchte ich in die Alpen oder die Apenninen und suche dort eine Weile Unterschlupf, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Aber ob das funktioniert... oder ich nehme mir ein Schwert und ein Pferd und kämpfe mir meinen Weg hinaus.“ Düster war der Ausdruck in seinen Augen, da jedes Wort die Unmöglichkeit eines Unterfangens dieser Art unterstrich. „Lebst du auch in Rom? Weiter oben, in Norditalien müsste man sein, von dort aus wäre Fliehen um vieles einfacher.“

  • Natürlich nickte Bashir zu Phraates Worten. Ja, von solchen Leuten hielt ein kluger Mann sich besser fern, da hatte er völlig Recht. Aber was er dann sagte, ließ Bashirs Augen größer werden. "Sie haben mal die Kaiser gestellt? Wirklich? Was ist passiert? Warum sind sie jetzt nicht mehr Kaiser? Warum leben sie noch?" Ein kluger Machthaber schaltete doch schließlich seine gefährlichsten Konkurrenten aus. Und eigentlich hielt Bashir den Kaiser nicht für dumm. Das konnte er nicht sein, wenn er ein derart riesiges Reich regierte.


    Dann mußte er lachen. "Ja, das war in Germanien. Und das ist wirklich weit entfernt. Sehr weit im Norden. Aber dort waren freundliche Römer. Dort gab es sogar einen Römer, der ein wahres Gespür für Pferde hat. Und davon habe ich vorher noch nie gehört. Die laufen doch lieber zu Fuß." Zumindest hatte er bisher den Eindruck, daß sie mit Pferden nicht so erschreckend viel anfangen konnten, wenn es nicht gerade um Wagenrennen ging.


    "Nein, ich lebe nicht in Rom. Mein Herr ist Offizier bei der Legio I in Mantua. Und Mantua liegt in Norditalia. Aber fliehen? Aus einem Militärlager dürfte das sehr schwer sein. Und wie ich schon sagte: Es gibt keinen Ort, an den ich gehen könnte. Mir geht es gut, wo ich bin. Warum meinst Du, daß es dort oben leichter wäre?" Entflohene Sklaven schafften es nur selten in die Freiheit. Die meisten wurden gefangen und zu ihren Besitzern zurückgebracht. Oder getötet.

  • „Das haben sie, ja.“, informierte Phraates seinen Landsmann. „Bis vor 10 Jahren. Doch dann ist der Kaiser gestorben, unter die damnatio memoriae gestellt worden, und ein anderer Kaiser ist eingesetzt worden. Die Flavier haben dann keine Bedrohung mehr dargestellt. Niemand hätte ihnen noch erlaubt, weiter den Thron zu besetzen. Ich denke, allgemein sagt man, dass die Flavier ihre Chance gehabt haben, und sie nicht genützt hätten. Wenn sie alle ihre Untertanen so behandeln, kann man nur froh sein für unsere syrischen und kappadokischen Brüder, dass sie nicht mehr unter deren Herrschaft stehen.“, sagte der großparthisch denkende Patriot.
    Phraates knubbelte sich an der Nase herum, als er Bashir zuhörte. „Germanien. Scheint definitiv eine Reise wert zu sein. Freundliche Römer, sowas sollte man in ein Museum stellen.“, meinte er. Er grinste. „Die Römer können schon reiten. Sie sind gewitzter, wie man denkt. Ich denke, der größte Fehler, den man machen kann, ist, die Römer zu unterschätzen. Hast du schon mal die Prätorianerkavallerie gesehen? Uns Kataphrakten natürlich nicht ebenbürtig, aber durchaus zähe Gegner. Aber berittene Bogenschützen haben sie nicht. Ein großer Fehler.“ Er grinste wieder.
    Interessiert hörte er zu. „Oh, Mantua! Das ist ja... oh, ja, stimmt. Wenn du im Castellum bist...“ Er räusperte sich beschämt und blickte kurz gen Boden. „Mantua! Die Alpen sind nur einen Katzensprung entfernt. Wenn du über den Aplen bist, hast du das Ärgste überstanden. In Illyricum gibt es nur noch einen Bruchteil von der Anzahl der professionellen Sklavenjäger hier in Rom. Immer noch viele. Aber man kann hie und da durchatmen. Aber stimmt, aus dem Castellum herauskommen... du könntest ja auf deinem Heimweg kurz vor Mantua falsch einbiegen und unvermittelt am Isonzo wieder rauskommen.“, schlug er vor mit einem Lächeln. „Von dort aus ist es nicht schwer, zum Bosporus zu kommen... und von dort aus nach Armenien... und dann in die alte Heimat.“

  • "Solch grausame Menschen sollten auf keinen Fall so viel Macht inne haben!" Bashir schüttelte sich vor Entsetzen. Was solche Leute alles zerstören konnten. Bisher hatte sich Bashir über diese Dinge noch gar keine Gedanken gemacht. Hier bemerkte man wohl, wer derjenige mit der besseren Bildung war. Phraates war eindeutig dazu erzogen, zu herrschen. Er behielt den Überblick über das Ganze. Bashir hingegen war schon froh, wenn er genug zu essen, einen ordentlichen Schlafplatz und gute Kleidung hatte. Und nicht zu harte Arbeit.


    "Gewitzt mögen sie sein. Aber ein tiefes Verhältnis zu Pferden haben sie nicht. Bestimmt gibt es Ausnahmen. Einige wenige, die diese Gabe haben. Aber die meisten sitzen zu Pferd wie Getreidesäcke." Ihm taten dann immer die Pferde leid. Sicher, die Legionsreitere in Germanien war gut gewesen. Aber das lag wohl an dem Terentier, der auf jeden Fall ein 'Pferdemensch' war. Eine jener Ausnahmen eben. "Die Praetorianerkavallerie? Die Schwarzen? Ja, die waren beeindruckend." Bashir erinnerte sich nicht gerne an sie. Sie waren wie ein finsterer Sturm gewesen.


    "Fliehen? Ich soll fliehen?" Entsetzen klang aus Bashirs Stimme. "Auf dem Rückweg werde ich nicht allein sein. Der Sohn meines Herrn wird mich begleiten. Und außerdem... ich möchte doch gar nicht fliehen. Du hast allen Grund, es zu wollen. Aber ich? Ich habe ein gutes Leben. Und wäre in der Heimat nicht willkommen. Nein. Nein, ich möchte nicht fliehen. Wenn Du es eines Tages wagen solltest, dann werde ich Dir gerne behilflich sein. Du hast die Freiheit verdient. Aber mit mir ist das etwas anderes."

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