Der Turban

  • „Haben sie ja jetzt auch nicht mehr! Zumindest nicht mehr über einfach alles hier. Ihre Macht ist auf die vier Wände ihrer Villa beschränkt. Wenig konsolierend für mich.“, gab er zu. „Und wohl deshalb halten sie die Zügel so straff. Sie wollen das Gefühl der absoluten Macht.“ Ein guter Psychologe war er sicher nciht, doch nur so konnte er sich dies erklären. Oder war es der mysteriöse flavische Wahn, der jedes familienmitglied zu betreffen scheint? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass es in Parthien unmöglich war, dass solch eine Sippe jemals an die Macht gelangen würde. Ja, er war sehr wohl ein politisch denkender Mensch, und er hätte gerne in Parthien ein Amt mit einem gewissen Maß an Macht übernommen, in der Regionalverwaltung oder sogar am königlichen Hof. Doch dies war nun hinfällig.
    „Ich habe mit nicht so vielen Soldaten Kontakt gehabt wie du. In Rom habe ich kaum welche gesehen. Aber wenn du dies sagst, will ich deinen Worten gerne Glauben schenken.“, meinte Phraates, der hauptsächlich an römische Fußsoldaten gewohnt war. Doch das Wort Prätorianerkavallerie schien eine Art Schrecken in Bashir auszulösen. „Ich habe sie am Schlachtfeld gesehen, doch damals war ich nicht mit ihnen in Kontakt gekommen. Viel eher waren es die Speere... diese verdammten Pilae... sie haben den Himmel verdunkelt. Sie töteten mein Pferd, und der Schwerthieb eines Legionärs tat meinem Bauch etwas an, was du nicht sehen willst. Die Legionen sind die, die ich...“ Er unterbrach sich. Fast hatte er „Fürchte“ gesagt, doch dies war einem Adeligen nicht angemessen. Er ließ deshalb den Schluss des Satzes in der Luft stehen.
    „Oh, du wirst begleitet werden... was für eine Schande. Aber...“ Phraates kam nicht weiter, er hörte gebannt zu. „Was redest du dir ein. Ich habe mir die Freiheit verdient, du nicht? Wie kommst du darauf? Das ist doch Humbug, bei Ahriman!“ Seine Phantasie ging mit ihm durch. „Wir sollten irgendwo einbrechen, Pferde und zwei Schwerter klauen, und dann ausbrechen! Sie...“ Er hielt inne, als ihm die Wahnwitzigkeit des Plans bewusst wurde. Sein blick wurde dunkel. „Wir sind in der Scheiße. Ich will nach Hause, Bashir... ich...“ Seine Augen wurde wieder wässrig.
    „Ich habe Heimweh.“

  • "Absolute Macht über Sklaven zu haben, ist doch nicht weiter schwer", sagte Bashir leise und schüttelte wieder betrübt den Kopf. Unter was für unwürdigen Verhältnissen mußte Phraates leben! "Wie armselig, diese Macht derartig auszunutzen! Besitzen sie denn gar keinen Stolz?" Konnten sie sich gar nicht vorstellen, daß sie in der gleichen Lage sein könnten, hätten sie in Parthien gekämpft und verloren?


    Bashir nickte. "Ja, ich habe es auch erst vorhin erfahren. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Herr davon weiß, daß sein Sohn ihn aufsuchen will. Aber er wird kaum etwas dagegen haben." Seine Augen wurden wieder einmal groß vor Erstaunen. Dieser Phraates kam wirklich auf die absonderlichsten Ideen! Pferde und Schwerter stehlen und fliehen? Sie würden keine Meile weit kommen, soviel war klar. Außerdem spürte Bashir in seinem Inneren immer deutlich, daß er wirklich nicht fliehen wollte.


    Heimweh... Ja, Heimweh, das kannte er gut. Als er sah, wie tief das Heimweh Phraates schmerzte, legte er einen Arm um ihn. "Wenn das Dein tiefster, Dein innerster Wunsch ist, dann wirst Du unsere Heimat wiedersehen. Dann wirst Du den Wind schmecken, der so merkwürdig anders ist als hier. Und die kostbare Erde unter Deinen Füßen spüren. Habe Geduld. Und nutze jede Gelegenheit. Die Götter helfen dem, der mutig ist, willensstark und es versteht, ihnen zu danken. Solltest Du eines Tages fliehen. Und solltest Du es bis Mantua schaffen, so versuche, mir eine Nachricht zu schicken. Ich versorge Dich dann mit allem Nötigen. Mein Herr heißt Servius Artorius Raetinus. Er ist Tribun bei der Legio I. Phraates... ich wünschte, ich könnte Dir jetzt und sofort helfen."

  • „Sie besitzen Stolz, zuviel davon.“, gab Phraates zurück. „Und wollen nicht, dass andere jemals so etwas verspüren. Aber mich werden sie nicht brechen können. Mich nicht, bei Ahura Mazda.“, meinte er ernst, kurz in den immer dunkler werdenden Himmel schauend.
    „Ich finde es einfach Schade für dich, dass du dich mit einen Drecksrömer herumschlagen musst. Und dann noch so lange. Ist er wenigstens in Ordnung, oder ist er so wie alle Römer, die ich bisher kennen gelernt habe?“, fragte Phraates.
    Und er spürte, wie sehr seine Idee vom Abhauen sein gegenüber verwunderte. Es war kein Wunder, das es dies tat, war doch die Abstusität dieser Idee dem Erfinder selbst gerade eben klar geworden.
    Er spürte eine freundschaftliche Berührung rund um seine Schultern. Phraates schenkte Bashir ein dankbares Lächeln. „Ach, das sagst du so... irgendwann werde ich mich dann doch damit abfinden müssen, dass das letzte, das ich in meinem Leben jemals von meiner Heimat gesehen haben werde, diese abgebrannte Hütte am Euphrat ist... ein winziger Punkt am Horizont, dort verschwindend...“ Er hörte sich Bashirs Angebot mit einem müden Lächeln an. „Ich danke dir. Artorius Reatinus in Mantua. Eine Überlegung wert, durchaus.“ Er dachte kurz nach. „Eine Nachricht schicken... wenn dies irgendwann gelingt... kannst du lesen? Ich meine, in der parthischen, der pahlawischen Schrift? Kann es irgendjemand von den Römern lesen, die du kennst?“, fragte er, ein Plan entstand schon in sienem Kopf.

  • "Das ist, als würde man jemanden hinuntertreten, nur um selbst größer auszusehen. Das ist kein echter Stolz, das ist falscher Stolz. Gefährlich und ohne Ehre. Solchen Menschen kann man niemals trauen." Flavius. Ein Name, den Bashir sich sehr gut merkte.


    "Mein Herr ist ein guter Mensch. Er würde so etwas nie tun, einen Menschen in ein Schlammloch stecken. Er läßt sich natürlich auch nicht auf der Nase herumtanzen. Aber... das hat auch noch niemand versucht. Ich habe nie gesehen, daß er einen seiner Sklaven schlägt. Er schenkt mir Vertrauen. Er hat mir schon mehrere Bitten erfüllt. So darf ich sein Pferd pflegen. Und er hat mir erlaubt, Rom anzusehen. Er hat mir mehr als genug Geld für die Reise gegeben. Und ich darf sein Pferd reiten. Also das, was er sonst selbst reitet. Und das ist ein gutes Pferd! Ich hätte fliehen können. Gleich über die Berge. Aber er hat nicht einen Augenblick geglaubt, daß ich das tun würde. Und damit hat er Recht. Ich habe ein bequemes Schlaflager. Ich bekomme gutes Essen. Und die Arbeit, die ich verrichten muß, ist weder schwer noch entehrend. Er ist kein Drecksrömer. Er ist ein Mann, den ich gerne Freund nennen würde, wäre ich ein freier Mann." Erst als er ausgesprochen hatte, merkte Bashir, daß er etwas sehr schwärmerisch klingen mußte. Aber gerade im Vergleich zu Phraates Erzählungen war all das nur zu wahr.


    "Ja, ich kann lesen und schreiben. Sowohl die pahlawische Schrift als auch die lateinische. Mein Vater hat darauf sehr viel Wert gelegt. Nicht viele in unserem Ort konnten lesen und schreiben. Und Latein sprechen und lesen und schreiben. Es hat meinen Vater auch viel Geld gekostet, daß seine Söhne es lernen durften." Und der Lehrer war ein strenger alter Mann gewesen. Daß ein Schüler nicht lernte, das gab es bei ihm nicht.

  • „Da magst du recht haben. Echter Stolz kann nur mit Ehre verbunden sein, dieser Stolz ist aber mit Niederträchtigkeit verbunden. Ich werde sie alle irgendwann... ach was. Ich verlange keine Rache, ich verlange nur ein Grundrecht. Freiheit.“ Er schüttelte den Kopf. „Das muss ich aber nicht betonen, denke ich. Wie dem auch sei, du bist gut beraten, wenn du denen nicht traust. Traue am besten keinen Römer.“, meinte er, noch bevor Bashir etwas zu seinem Herr sagen konnte.
    Er horchte aufmerksam zu, und schüttelte den Kopf. „Du hast die Möglichkeit gehabt, zu fliehen. Die Mücke zu machen. Aber du hast sie nicht genutzt.“ Er überlegte. Er schätzte Bashir nicht als Geistesgestörten ein, sodass nur eine Möglichkeit blieb. „Du übertreibst nicht. Dein Herr behandelt dich wirklich gut. Ich freue mich für dich deshalb.“, meinte Phraates. „Ich kann sehen, dass du nicht fliehen willst. Das Risiko ist zu hoch. Du hast wenig zu gewinnen in Parthien, und viel zu verlieren hier in Italien. Ich aber habe wenig zu verlieren – was sollen sie mir nehmen, die Pampe? Eine Erleichterung wäre das! – und ich habe viel zu gewinnen, wenn ich abhaue. Meine Ehre, meinen Stand, den Hof meiner Familie. Ich würde wissen, wie es um meine Familie steht. Es ist eine Überlegung wert.“ Ja, er konnte sehen, wieso Bashir weniger die Neigung hatte, auszubüxen, wie er. Er war ihm nicht sauer deswegen. Es war einfach so.
    „Das ist gut, das ist sehr gut! Dann kann ich dir eine Nachricht zukommen lassen in einer Sprache, die nur wir verstehen.“, freute er sich. „Wenn ich mal nach Mantua komme.“ Er unterließ es, zu sagen, dass auch sein Vater ihm die beste Bildung angedeihen hat lassen, die er sich hatte leisten können, es war selbstverständlich. Nur hatte Phraates sich nicht so auf latein konzentriert, wie er es sollen hätte, und so hatte er jetzt noch immer Kommunikationsschwierigkeiten.
    Er blickte nach unten. „Uh! Da liegt ja noch immer mein Turban.“, murmelte er und kniete nieder, um den Stoff aufzuheben.

  • Bashir nickte und schaute schon wieder verlegen drein. Phraates hatte ihn vollkommen durchschaut. Gut, das war vielleicht auch nicht schwer nach der Lobeshymne über seinen Herrn. Es war Phraates wirklich hoch anzurechnen, daß er Bashir deswegen nicht auslachte. So manch anderer hätte das sicherlich getan. "Ja, das ist alles wahr. Ich habe hier ein gutes Leben. Besser als in der Heimat. Als Soldat war ich nie glücklich. Bei Dir ist das etwas anderes. Dich zieht so vieles zurück in die Heimat. Du gehörst dorthin. Und ich bin sicher, eines Tages schaffst Du es." Bashir fiel es leicht, daran zu glauben. Denn Phraates kam ihm unglaublich willensstark und entschlossen vor.


    "Versiegle die Wachstafeln, dann wird sie niemand lesen. Ich kann nicht sicher sagen, ob jemand bei der Prima unsere Schrift lesen kann. Sie gehörten zu den Truppen, die gegen uns kämpften. Vielleicht gibt es unter ihnen welche, die darin geschult wurden. Aber niemand wird private Post öffnen, die für den Haushalt des Tribuns ist. Und mein Herr kann die Schrift ganz sicher nicht lesen. Auch keiner der Sklaven im Haus. Es wird schon klappen." Vor allem, wenn Phraates vorsichtig formulierte. Aber daran würde er sicher auch von selbst denken.


    Der Turban. Ja, der Turban. Bashir kniete sich gleichzeitig nach unten, um den Stoff aufzuheben. "Wie schade um das kostbare Gewebe. Das Feuer hat es übel zugerichtet. Den Schmutz könnte man ja rauswaschen, aber die Brandflecken sind schon ziemlich groß."

  • „Ich danke dir, dass du dies sagst.“, meinte Phraates ehrlich. Ihm war nicht entgangen, dass sich sein Gegenüber kurz unwohl gefühlt hatte, als Phraates ihn nicht, wie er es wohl erwartet hatte, nach lobenden Worten den Römern gegenüber nicht zum Ahriman gejagt, sondern Verständnis gezeigt hatte – auch wenn er sich überwinden musste. Schließlich war er stolzer Patriot und hatte doch Schwierigkeiten damit, anzuerkennen, dass ein anderer Soldat nicht mehr zurück nach Parthien wollte, um dort weiter gegen die Römer zu kämpfen. Er nickte kurz. „Dein Knie.“, sagte er. „Ich weiß, dass dies der der Grund ist, wieso du alle deine Träume, zurückzukehren, begraben hast. Du wirst kaum weit mit ihm kommen.“, entfuhr es ihm, womöglich ein wenig unsensibel, aber dennoch, wie er fand, hatte er das Zünglein an der Waage gefunden, welches für Bashir den Ausschlag gab, nicht zu fliehen.
    Er hörte sich Bashirs Plan an. „Das klingt gut! Sehr gut sogar! Und wenn dein Herr versiegelte Wachstafeln auf Parthisch bekommt, wird er sie natürlich dir geben! Wenn du jemals solche bekommst von mir, dann kannst du ihm aber natürlich nicht sagen, was der Inhalt der Tafel wirklich ist. Du musst ihm sagen, die Tafeln bezögen sich auf, was weiß ich, vielleicht wären sie eine erbeutete Liste aller Besitztümer der Artorier, welche durch unsere Truppen im Feldzug beschlagnahmt wurden.“, überlegte er laut. „Oder so etwas. Und ich werde mich vage halten.“, versprach er.
    „Ja, mein Turban.“ Zähneknirschend rollte er den Stoff zu einem Knäuel zusammen. „Ich glaube, das war es wohl damit. Die Brandflecken sind zu groß, man wird sie nicht mehr raus bekommen.“ Traurig blickte er auf seinen ehemaligen Kopfschmuck. „Das wird wieder eine Schererei geben. Verdammt.“, murrte er und drehte das Kn;auel in der Hand herum, als ob er daran irgendwas ändern könnte.

  • Bashir blickte zu Boden. Sollte er sagen, daß er auch mit einem gesunden Bein nicht fliehen wollen würde? Im Haus seines Vaters war er eingesperrter als bei dem Artorier. Und er wollte auf keinen Fall wieder in den Krieg ziehen müssen. Was unvermeidbar wäre, würde er gesund heimkehren. Nein, besser, er sagte es nicht. Phraates war so patriotisch, so ehrenhaft. Bashir würde sich fühlen, als würde er ihn beschmutzen. "Wenn ich ihm erzähle, daß ich einen Landsmann in Rom getroffen habe und wir uns schreiben, ich glaube, dann wird er gar nicht zu genau nachfragen. Umschreibe eben verbotene Dinge, für den Fall, daß es doch mal jemand liest, der es kann. Ich werde Dich schon verstehen, ich kenne ja Deine Wünsche." Bashir hatte keine Bedenken wegen des Briefwechsels.


    "Nein, nicht mal durch geschicktes Wickeln sind sie zu verbergen. Meinst Du, Deiner Herrin wird es überhaupt auffallen? Wieviel weiß sie über unsere traditionelle Kleidung? Wenn Du den Turban einfach erstmal wegläßt, bis Dir etwas eingefallen ist, wie Du ihn ersetzen kannst?"

  • Phraates‘ Augen weiteten sich. „Wie? Du denkst wirklich, dein Herr wird es dir erlauben, dass wir uns Briefe schreiben?“ Er schüttelte den Kopf. „Das ist direkt unglaublich. Ich frage mich, ob irgendein Flavier bereit wäre, dies bei mir durchgehen zu lassen. Vielleciht, wenn... ach, bei mir wird das wohl eher eine Nacht- und Nebelaktion werden. Aber das kriege ich schon hin.“, überlegte er laut. „Auf jeden Fall... dein Angebot ist großzügig und barmherzig. Es tut gut zu sehen, dass du die Tugenden eines echten Parthers noch nicht vergessen hast.“ Er dachte kurz darüber nach, was der betretene Blick seines Gegenübers, was seine Bemerkung mit dem Bein anging, wohl zu bedeuten hatte. Es musste wohl damit zusammenhängen, dass er die Wahrheit getroffen hatte. Irgendwie fühlte sich phraates schuldig, dass er diesen Punkt aufs Tapet gebracht hatte, und er versuchte, sich ins nächste Gesprächsthema, welches Bashir nun anschlug, zu retten.
    „Ja, der Turban. Ist schade um den guten Stoff, aber ich habe ein paar davon.“ Dass ihr Sklave gut bestückt war an Kleidern, war seiner Herrin wichtig gewesen. „Ich werde ihn verschwinden lassen, und hoffen, dass sie ncihts bemerkt. Ich habe einen, der genau so ausschaut wie dieser hier. Wenn alles gut geht, weiß sie auch nicht mehr die Anzahl meiner Turbane... ich hoffe, ich werde Glück haben, obwohl ich nicht drarauf bauen kann.“, meinte er verdrießlich.

  • Bashir nickte. "Ich denke schon. Er hat mir auch einen Briefwechsel mit einem jungen Legionär erlaubt, mit dem ich mich in Germanien angefreundet habe. Er hatte ein Problem mit Pferden und ich half ihm, es zu überwinden. Und er ist sehr gebildet, er wollte mir einiges beibringen. Ich werde meinen Herrn einfach fragen. Doch... wohin soll ich die Briefe schicken, wenn Du keine empfangen darfst? Gibt es jemanden, der sie für Dich entgegennehmen kann?" Das war ein Problem, wie sollte Bashir Phraates schrieben, wenn seine Herrschaft so etwas nicht erlaubte? Und vor allem würden sie seine Briefe sicher lesen wollen. Das machte die Sache doppelt schwierig. Immerhin hatten sie ja schon verbotene Dinge vor. Die Flucht eines Sklaven zu planen, war ein schweres Verbrechen, dessen war sich Bashir durchaus bewußt. Trotzdem konnte er einen Landsmann auf keinen Fall im Stich lassen.


    "Du hast mehrere Turbane?" Nicht nur unendliches Staunen konnte der Stimme entnommen werden, sondern auch unverholener Neid. Er hatte also nur eine Sorge: Wie er den angebrannten Stoff entsorgen konnte? "Wie... wie wäre es, wenn Du mir diesen Turban überläßt? Vielleicht kann ich die intakten Stoffstücke noch verwenden? Solch edle Stoffe erhalte ich nicht, auch wenn ich genug Kleidung erhalte. Aber sie ist eben zweckmäßig und nicht derartig edel. Mein Herr selbst kleidet sich nicht in solch edle Stoffe."

  • „Dein Herr scheint liberal zu sein. Zwar überhäuft er dich nicht mit edlen Geschmeide, doch lässt er dir unglaubliche Freiheiten!“, erstaunte sich Phraates. „Briefe mit einem Freund von Pferden? Nun, er ist Legionär. Also ein braver römischer Bürger. Da ist sicherlich keine Gefahr. Aber anders wird es ausschauen, wenn du einem Parther schreibst, wie mir, in einer Schrift, die er nicht lesen kann. Das riecht doch förmlich nach Komplott! Wenn dein Herr dies erlauben würde, wäre er entweder unglaublich großherzig, oder lächerlich dumm. Mit diesen zwei Eigenschaften wird man kein Tribun.“ Phraates zweifelte. „Ich habe keinen Platz, an die du Briefe schreiben kannst. Weißt du was? Ich werde dir heimlich einen Brief schreiben, wenn ich einen Platz gefunden habe. Wenn keiner zurückkommt, nehme ich einfach an, dass du ihn erhalten hast, aber nicht zurückschreiben durftest.“, meinte er.
    Doch über Bashirs Frage war er doch einigermaßen verblüfft. „Oh. Äh. Sicher doch. Nimm nur, nimm ihn!“ Er händigte das Bündel an Bashir über. „Wenn du damit was anfangen kannst, sollst du es auch haben! Aber sei... ach, vergiss es. Nimm es einfach, du kannst es sicher besser brauchen als ich.“ Er nickte auffordernd.

  • Bashir nickte überzeugt. Warum sollte sein Herr ihm Briefe verwehren? Ihm fiel zumindest kein Grund dafür ein. "Ich werde ihn einfach fragen. Etwas schlimmeres als nein kann er ja kaum sagen. Ja, vielleicht wird er mißtrauisch. Aber andererseits... Wenn ich so offen damit umgehe, wird er kaum annehmen, daß ich etwas verbotenes vorhabe." Außerdem war noch die Frage, ob Phraates je auch nur die geringste Chance erhielt, zu fliehen. Bashir war davon noch ganz und gar nicht überzeugt. Aber niemals würde er das aussprechen und Phraates damit seine Hoffnung nehmen.


    "Ja, dann schreib mir, sobald Du eine Möglichkeit hast, Briefe zu empfangen. Ich werde Dir dann gewiß schreiben. Irgendwie geht es doch immer. Selbst wenn mein Herr mir die Erlaubnis verweigern sollte. Es dauert vielleicht eine Weile, aber ich werde es möglich machen." Hoffentlich versprach er jetzt nicht etwas, was er nicht halten konnte.


    "Hab Dank für den Turban. Ich weiß noch nicht, was ich damit anfange, aber es fällt mir schon etwas ein." Freudestrahlend faltete Bashir den beschädigten Stoff zusammen und steckte ihn schließlich ein. "Sag, kennst Du Dich in Rom aus? Ich habe nur wenige Stunden, mir etwas anzusehen. Was würdest Du mir empfehlen? Hast Du vielleicht sogar ein wenig Zeit? Ach, warte, ich habe ein wenig Geld. Wie wäre es mit lukanischen Würsten? Wenn das Essen, das Du bekommst, so schlecht ist, dann bist Du gewiß hungrig."

  • „Damit hast du auch wieder Recht. Wenn es wirklich das Potenzial gibt, dass dein Herr dies erlaubt, dann solltest du offen damit umgehen, dass er keinen Verdacht schöpft. Ich werde mir irgendetwas suchen. Irgendeinen Römer muss es doch in Rom geben, der Briefe für mich empfängt. Vielleicht kann ich irgendjemanden verpflichten. Ich... ich werde schon irgendetwas finden können. Mach dir da mal keine Sorgen. Es wird etwas funktionieren.“ Wenn Ahura Mazda auf meiner Seite ist, dachte er sich beklommen. Wobei, so sicher war er sich dieser Tage auch nicht mehr.
    Nun hoffte er, dass die Briefe, selbst wenn sie geschrieben werden würden, ihm etwas bringen würden. Zwar vertraute er Bashir, doch was, wenn er ihn dann doch noch verraten würde? Was, wenn seine Herrin dies herausfinden würde? Was, wenn...? Viele Gedanken schwirrten in seinem Kopf herum. Aber, was das wichtigste war – er hatte einen Strohhalm von Hoffnung gefunden, an den er sich festklammern konnte.
    „Ja, der Stoff ist an manchen Stellen noch nicht komplett kaputt.“, meinte er. „Ich weiß nicht, ob du daraus so viel herstellen kannst, aber versuchen kannst du es auf jeden Fall.“ Er zuckte die Achseln, er hatte das Gefühl, er hatte dies schon mehrere Male an diesem Tag gemacht. Doch es war einfach eine seiner Gesten, vielleicht ein Widerhall von jenen tagen, als er noch als der Sohn eines adeligen landbesitzer auf die Frage eines Bittststellers über dessen Zukunft mit einem gleichgültigen Achselzucken antworten konnte. Was nun in der weiten Vergangenheit lag. Was für ein Schnösel war er damals gewesen! Und jetzt... ein Sklave.
    „Äh... sag... hast du gerade... lukanische Würstchen erwähnt?“, fragte Phraates erstaunt. „Aber... das wäre einfach nur... zu großzügig... danke. Danke. Es gibt Stände am Markt. Nicht allzu weit entfernt von hier.“, informierte er Bashir. „Ich kann dir leider nicht allzu viel empfehlen, ich bin bisher nur in wenige kulinarische Genüsse von Rom gelangt. Aber am Markt gibt es sehr gute Wurststände, hat man mir gesagt.“ Ihm rann das Wasser im Mund zusammen.

  • Bashir war sich sicher, daß ihm schon etwas einfallen würde, was er mit dem Turban anfangen konnte. Nachdem er den Stoff sicher verstaut hatte, war er wieder voller Tatendrang. "Ja, ich sprach von lukanischen Würsten. Sie sind würzig und lecker. Komm, Du sollst sie sofort kosten!" Viel Geld konnte er nicht erübrigen, aber für einen kleinen Imbiß reichte es auf jeden Fall. Sie fanden ohne große Probleme einen Stand, der alles führte, was das Herz begehrte. Bashir erstand gegrillte Würste, Brot, Käse, Oliven und einige Trauben. Dann suchten sie sich einen schattigen Platz, wo sie in Ruhe speisen konnten. Er selbst hatte ja durchaus auch schon wieder Hunger. "Ich hoffe, es schmeckt Dir. Die römische Küche ist gar nicht so übel, finde ich."

  • Zusammen mit Bashir zog Phraates los, auf der Jagd nach lukanischen Würsten. Nach einem kurzen Trott fanden sie an einer Straße einen Wurstverkäufer. Nach allen Standards des Mannes von Welt wären diese Würstchen erbärmlich gewesen – vor allem komplett ungewürzt – doch Phraates nahm sie mit einem begeisterten „Danke“ von Bashir an, nachdem sie einen halbwegs ruhigen Platz gefunden hatten, wo sie nicht vom Lärm der Straßen belästigt wurden, und verschlang sie. Und nicht nur dass Bashir Würste hatte, nein, er hatte auch diverse Grundnahrungsmittel gekauft, die Phraates wie Nektar und Ambrosia deuchten. Er entgegnete nur auf Bashirs Ansage: „Ich glaube, so hungrig wie ich bin, würde mir sogar der Fraß, den die Sogdier immer haben, schmecken. Und ob es mir schmeckt? Ja. Danke.“ Er machte einen herzhaften Bissen in den Käse hinein.

  • Mit Vergnügen beobachtete Bashir, wie Phraates hungrig zuschlug. Er selbst nahm kaum etwas, der Anblick des Hungers seines Landsmannes ließ seinen eigenen Appetit nahezu ersterben. Er hatte jeden Tag gutes Essen. Heute sollte Phraates sich einmal richtig satt essen. "Dann laß es Dir schmecken, mein Freund." Er wartete geduldig, bis Phraates seinen Hunger gestillt hatte. Erst danach fragte er nochmal nach. "Magst Du mir noch ein bißchen was von Rom zeigen? Oder mußt Du zu Deiner Herrin zurück?"

  • Phraates bemerkte kaum etwas davon, dass er Bashir alles wegaß. Hastig stürzte er hinein, was vor ihm war. Käse? Schon weggemampft. Trauben? Schon hinuntergegurgelt. Lukanische Würste? Schon sicher im Magen lagernd. Oliven? Tschack, tschak, tschak, hinuntergewürfelt. Er schlag das Brot hinunter wie ein Wolf, und am Ende seiner Fressorgier ließ er einen feinen, seiner noblen Abstammung sehr gerecht werdenen Rülpser erklingen.
    „Ufftz.“, meinte er am Ende, gierig etwas vom Saft der Trauben, welches ihm aus den Mundwinkeln rann, mit der Zunge in seinen Mund schleckend. „Ein Festmahl! Danke! Danke, Bashir! Ich werde dir dies nie vergessen, niemals.“, rief er enthusiastisch aus. Auf seine Frage hin aber musste er leider den Kopf schuetteln. "Tut mir echt Leid... ich haette es gern getan... aber es geht sich nicht aus. ich muss noch Briefe austragen, und vor einer gewissen Zeit wieder in der Villa sein! Ich haette es gerne getan... es tut mir Leid...", entschuldigte sich Phraates mehrere Male.

  • "Es stimmt mich traurig, zu sehen, wie groß Dein Hunger ist", sagte Bashir mitleidig, während die letzten Speisen im Mund seines Landsmannes verschwanden. "Edle Kleidung macht nicht satt. Als ich Dich zuerst sah, beneidete ich Dich. Doch jetzt weiß ich, daß es mir so viel besser geht als Dir. Wie schade, daß ich so weit weg lebe, ich hätte Dir gewiß häufiger etwas zu essen besorgen können." Wieder hatte er einen Grund, den Göttern zu danken für den guten Herrn, den er hatte. Sein Leben war doch wirklich nicht schlecht!


    Als Phraates dann absagte, zuckte Bashir traurig mit den Schultern. "Sehr schade. Demnach werden sich unsere Wege nun trennen müssen, nicht wahr? Es war mir eine Ehre, Dich kennenlernen zu dürfen. Und ich bin sicher, daß wir uns nicht zum letzten Mal begegnet sind!" Es war schwer, den Abschied einzuläuten, aber Bashir sah ein, daß da kein Weg dran vorbeiging.

  • Statt Ekel über seinen Rülpser zu zeigen, bewies Bashir genug Anstand, darüber hinwegzusehen und ihm sogar Mitgefühl angedeihen zu lassen. Nicht jenes herablassende, besserwisserische, sondern jenes von herzen kommende, ehrlich gemeinte. „Ich muss dir danken, und zwar soviele Male, wie ich es niemals in meinem Leben könnte.“, meinte er. Vor einiger Zeit hätte er so einem Mann aus niedrigem Stand kaum einen wohlmeinenden Blick geschenkt, doch nun nun drückte seine ganze Haltung unendliche Dankbarkeit aus. Wie ein Sklave, der von seinem Herrn ein paar Brotkrumen hingeworfen kriegt.
    „Ich glaube fast, dass du recht hast, wir werden voneinander gehen müssen.“, machte er bedauernd. „Die Ehre war ganz auf meiner Seite, und so verhält es sich auch mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen.“ Er strahlte Bashir an, glücklich, einen neuen Freund gefunden zu haben. „Ich werde dir schon bald schreiben. Es wird vielleicht noch eine Zeit dauern, aber sei dir gewiss, ich werde schreiben. Bis dahin, möge Ahura Mazda seine Hand über dich halten, und möge sein ewig währendes Feuer dir den Weg erleuchten. Ba’adan mibinamet!”, entbot er den traditionellen Abschiedsgruß seiner Sprache, bevor er sich erhob, Bashir noch einmal warm herüberlächelte, und sich dann umwandte, um zu gehen.

  • Verlegen verneigte sich Bashir leicht. "Ich bin sicher, Du hättest mir die gleiche Wohltat erwiesen, wäre die Lage umgekehrt gewesen. Also habe ich nur vergolten, was mir selbst auch zugekommen wäre." Eine etwas eigenwillige Art von Logik, doch Bashir glaubte fest daran. Das mochte ein wenig naiv sein, aber es machte das Leben so viel leichter und schöner, an das Gute im Menschen zu glauben. Solange man nicht enttäuscht wurde.


    "Ich freue mich schon jetzt auf Nachricht von Dir. Möge er auch Dich schützen und Dir zu einem besseren Leben verhelfen. Ba’adan mibinamet!" Bashir erwiderte das warme Lächeln und schaute dem Landsmann noch eine ganze Weile hinterher. Wie gut es getan hatte, mal wieder die Muttersprache zu sprechen! Wie schön es war, einen Freund gefunden zu haben. Auch wenn diese Freundschaft sich noch als gefährlich erweisen konnte. Erst als schon lange nichts mehr von Phraates zu sehen war, wandte sich Bashir wieder den Schönheiten dieser größten aller Städte zu.

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