Sprachunterricht für Callista

  • Es waren einige Tage vergangen, seitdem sie hier eingeheiratet hatte und Callista fand sich in dem großen Haus immer noch nicht wirklich zurecht. Die Eingewöhnung fiel ihr schwerer als sie erwartet hätte und obwohl man sich wirklich nett um sie kümmerte, merkte sie selbst, dass es an einer ganz entscheidenden Sache fehlte. Germanisch! Alle hier sprachen es und sie war immer darauf angewiesen, dass jemand so nett war ihr zu übersetzen. Damit musste schnellstmöglich Schluß sein. Sie wollte nicht nur gern alles verstehen, aber sie wollte vor allem auch mit den anderen Frauen freier reden können. Bisher schienen es eher die Männer zu sein, die fließend Latein beherrschen, was es notwendig machte, dass einer von ihnen dabei war, wenn sie mit Elfleda sprach. Und das empfand Callista als frustrierend, so frustrierend, dass sie den Schritt selbst gewagt und Rufus gefragt hatte, ob er bereit wäre ihr zu helfen. Der junge Duccier war sehr nett und witzig, außerdem sprach er auch griechisch, wie sie ja schon festgestellt hatten. Er jedenfalls erklärte sich gerne bereit und so wartete Callista zur verabredeten Zeit mit Schreibutensilien ausgestattet auf ihn.

  • Ragin hatte sich sehr gefreut, als Callista ihn gefragt hatte ob er ihr helfen würde die germanischen Dialekte zu lernen. Natürlich nicht alle, aber sie sollte zumindest den hier üblichen lernen. Klar hörte man auch schon zwischen den mattiakern, den Ubiern und den Amisvariern Unterschiede, aber die waren so gering, dass sie beim Reden kaum störten. Außerdem war er natürlich geehrt gewesen, dass sie ausgerchnet ihn gefragt hatte. Vielleicht hielt sie ihn ja für besonders klug, schließlich war er ja auch der Jüngste hier, und deswegen sah das schon als Kompliment an, dass sie zu ihm gekommen war.


    Sie hatten sich dort verabredet, wo er damal Unterricht beim Magister Milacorix erhalten hatte. Als er dann dort eintraf war Callista schon anwesend und schien sehr lernwillig zu sein.


    "Salve oder Heilsa" meinte er gleich grinsend. "Ich hoffe ich kann dir viel beibringen, wobei ich natürlich kein geübter Lehrer bin. Aber ich denke mal, du kannst ja auch viel bei uns üben. Dann bekommst du endlich mit, was Albin und Marga immer so grummeln. Ansonsten hast du dich gut eingelebt bei uns? Gab es schon Probleme wegen der Sprache?"


    Ragin setzte sich mit seiner Tabula auf einen der Stühle. Für heute hatte er nur einige grundlegende Wörter vorbereitet. Es kam ja auch auf die Aussprache an und nicht nur auf die Wörter an sich.

  • "Heilsa." Callista grinste, das Wort kannte sie schon und das machte ihr auch keine Schwierigkeiten mehr. "Ja, danke. Es ist wirklich sehr nett von dir, dass du mir helfen möchtest."


    Callista setzte sich ebenfalls und legte ihre Sachen neben sich. IRgendwie war es komisch, dass Vodafonis nicht in der Nähe war. Aber zum einen war sie nun eine verheiratete Frau und zum anderen war die Sklavin mit ihrem Onkel wieder nach Rom gereist, denn die Duccier legten keinen gesteigerten Wert auf Sklaven im Haus. Soviel hatte man ihr erklärt und so hatte sie die Ägypterin ziehen lassen. Wahrscheinlich, dachte sie für einen kurzen Moment, trugen die Germaninnen deswegen eher einfache Frisuren, weil sie niemanden hatten der ihnen dabei half, die Haare aufzudrehen und hochzustecken. Sie jedenfalls hatte ebenso begonnen ihr Haar nur in einen dicken Zopf zu pflechten, das ging schnell und man konnte es selbst tun. Aber es war noch sehr ungewohnt und wenn sie sich nach vorn beugte, wie jetzt um ihre Schreibsachen abzulegen, fiel der Zopf über ihre Schultern nach vorne. Genervt warf sie ihn zurück und blickte wieder zu Rufus. Der ja eigentlich Ragin hieß. Ob er wohl den germanischen Namen bevorzugte?


    "Probleme wegen der Sprache? Nein, eigentlich nicht. Witjon spricht eigentlich nur Latein mit mir und wenn es etwas gibt, dass ich wirklich verstehen soll übersetzt jemand für mich. Aber es wäre schön, wenn ich darauf nicht mehr angewiesen wäre."

  • Das konnte er durchaus verstehen. Als er hierher gekommen war, hatte er eben die Sprache der Römer nicht gekannt und daher nicht viel von dem verstanden was außerhalb der Casa vor sich gegangen war. Vielleicht war Ratbald damals auch vor dieser Hürde geflohen.

    "Das kann ich total verstehen. Man weis ja auch nie, ob alles genau übersetzt wird. Und man ist völlig aufgeschmissen, wenn man etwas nicht mitbekommen soll. Das wäre für mich ja unerträglich, weil ich ja so neugierig bin."


    Dabei musste er breit grinsen.


    "Also ich würde sagen wir fangen einfach mit einzelnen Wörtern an, die wir dann in latinischer Schrift aufschreiben, damit du sie lernen kannst. Ich hoffe das klappt so, denn ich muss gestehen, dass ich das auch noch nie gemacht habe. Aber das bekommen wir schon hin. Ich versuche die Worte dann so zu schreiben, wie sie klingen sollen."

  • "Ich gehe einfach mal davon aus, dass man es mir richtig übersetzt." Sagte die Frischvermählte etwas kleinlaut. Natürlich war sie nicht so blauäugig anzunehmen, dass sie immer alles genau verstand oder verstehen sollte und Ragin hatte ja auch Recht. Es war sehr einfach über sie zu reden, selbst wenn sie daneben stand. Aber sie hätte nie angenommen, dass jemand aus ihrer neuen Familie schlecht über sie redete. Callista war in dem Punkt wohl etwas zu gutgläubig, zu lieb wie manche sagen würden, aber Familie war Familie und da hielt man zusammen. Das war eben so.


    Dann aber lächelte sie und nickte, denn der junge Germane schlug direkt vor, wie man ihr das germanische beibringen konnte. Sie runzelte kurz die Stirn und sah ihn dann verwundert an. "Wieso in Latein? Hat das germanische denn keine eigenen Schriftzeichen? Das wäre doch viel einfacher, wenn ich beides gleichzeitig erlerne, oder?" Es kam ihr seltsam vor, dass eine Sprache keine dazugehörende Schrift haben konnte. Wie regelten die Germanen denn dann alles? Wie blieb man in Kontakt, wenn man keine Briefe schreiben konnte? Nutzten sie Boten? Und was, wenn mal einer was falsches übermittelte?

  • Natürlich hatten sie auch Schriftzeichen, aber eigentlich war der gebrauch der Runen den Goden vorbehalten, denn die Runen waren nunmal machtvolle Zeichen.

    "Unsere Schriftzeichen sind den Goden vorbehalten. Natürlich kann jeder vielleicht ein paar schreiben und man weis was sie ungefähr bedeuten, aber sie sind eigentlich nicht dazu gedacht in ihnen Wörter zu schreiben wie man es bei euch Römern macht. Also werden wir unsere Worte in eure Schrift setzen, damit du üben kannst. So ist es sicher schwerer für dich, aber ich fand es am Anfang auch schwer und habe es geschafft. Aber nun wollte ich noch fragen: Wo fangen wir an? Welche Sachen sind dir denn am Wichtigsten? Klar wirst du alles wissen wollen, aber wir zuerst mit den anfangen was dir am Wichtigsten ist, der Rest kommt dann von ganz alleine."


    Ragin hoffte, dass Callista ihm so zur Hilfe kam, denn der arme Kerl hatte keine Ahnung wo er anfangen sollte.

  • "Mhh, vielleicht mit ganz alltäglichen Dingen, wie man sich begrüßt oder jemanden nach dem Befinden fragt. Oder wie man sagt, dass es einem schmeckt oder eben nicht schmeckt." Callista verzog den Mund, ja, das war wahrscheinlich das Wichtigste jetzt am Anfang. "Außerdem wäre es schön, wenn ich ein wenig mehr mit den anderen Frauen reden könnte." Denn die konnten alle fast nur bruchstückhaft Latein, wenn überhaupt. Sie überlegte noch etwas und grinste dann etwas hilflos. "Und, wie man jemanden sagt, dass man ihn liebt." Wobei die Frischvermählte nicht verhindern konnte leicht rot anzulaufen, bestimmt konnte sich Ragin denken für wen dieser Satz gemeint war.


    Dann kam sie auf ihren früheren Gedankengang zurück. "Also hat das germanische gar keine alltägliche Schrift? Aber wie könnt ihr dann lange zurückliegende Dinge behalten? Und schickt ihr keine Briefe zu euern Verwandten, die weit entfernt sind?" Sie beäugte Ragin mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung und war sehr gespannt auf seine Antwort.

  • "Da schickt man Boten, die es demjenigen ausrichten. Ich meine ihr braucht ja auch Boten um die post dahin zu bringen wo sie soll. Das weis ich ja, als Mitarbeiter des Cursus Publicus."


    Überhaupt gab es eher selten Nachrichten über eine weite Strecke in ihrer Heimat, denn meistens wohnten Familien sowieso im selben Dorf.


    "Als das eine, dass soll dir besser Witjon beibringen...also ich glaub ja, dass kann der wirklich besser als ich" stammelte er ein wenig betreten, denn mit dem Thema wollte er nicht zu tun haben.

    "Also wie wir uns begrüßen weißt du ja schon. Das sagen wir Heilsa, dass ist etwas das Gleiche wie euer Salve. Aber ich glaube wir fangen erst einmal mit etwas Leichterem an. Also Gut heißt bataz und schlecht heißt bausaz. Und keusan heißt schmecken. Wenn dir also etwas gut schmeckt, dann sagst du einfach bataz keusan...und wenn dir was nicht schmeckt, dann sagst du es am besten auf Latein, damit Marga das nicht versteht!"
    sagte er erst ganz ernst, musste aber dann doch anfangen zu lachen.

  • "Marga, ja, das stimmt wohl. Ich habe bisher noch kein Wort mit ihr gewechselt, also so direkt. Aber sie macht einen ... robusten Eindruck. Irgendwie einschüchternd... " sagte Callista leicht geknickt, nachdem sie die Wörter aufgeschrieben hatte und zwar auf latein, ungefähr so wie sie meinte, dass sie klingen sollten. Die Übersetzungen schrieb sie natürlich auch gleich hin, das war immerhin das Wichtigste. "Wäre Marga denn sehr böse auf mich, wenn mir ihr Essen nicht schmeckt?" fragte die junge Frau etwas unschlüssig. Sie hatte nicht vor es sich mit der Köchin zu verscherzen.


    "Wenn ich also sagen will, Ich mag keinen Wein. heißt das..." Callista überlegte einen Augenblick. Was hieß denn eigentlich ich? Und was Wein? Ach, das war alles wirklich nicht leicht. "Wie sind die Wörter für ich, du, er, sie, es und ihr?" fragte sie und schrieb bereits tabellenartig die Wörter auf, dabei Platz lassend für die germanischen Entsprechungen. "Und Wein, das Wort kenne ich auch noch nicht."

  • Ragin hörte seiner schülerin genau zu und runzelte dann die Stirn. Wenn er weiter ihre fragen nacheinander beantwortete würden sie nie eine Struktur in den Unterricht bekommen. Außerdem störte ihn noch etwas anderes...


    "Also Wein haben wir ja eigentlich gar nicht. Das ist ja was römisches. Wir haben ja sonst nur unseren Met und der schmeckt jedem. Aber wegen der Post hast du mich noch auf was gebracht. Ich glaube bevor du unsere Sprache lernst, musst du erst noch ein wenig mehr über uns lernen. Was weißt du denn überhaupt über unsere Stämme, oder die Germanen, wie ihr uns nennt?"


    Wenn sie nämlich nach einer Post fragte, dann wusste sie sicherlich weniger, als er bisher erwartet hatte.

  • Oh je. Das klang gar nicht gut. Enttäuscht ließ Callista ihr Shreibzeug sinken und blickte Ragin einen Moment peinlich berührt an. "Also ... ich ... in Rom ... dein Vetter Eburnus." Callista seufzte, jetzt wurde sie nervös, fing an zu stammeln was sie noch nervöser machte und da war es das Beste einfach den Mund zu zulassen. Sie atmete einmal tief durch und versuchte so den Kloß in ihrem Hals wegzuzaubern. "In Rom hat mich Arbjon besucht, Balbus hatte das so arrangiert, wir haben einen ganzen Nachmittag geredet. Ich habe da das erste Mal so richtig was über Germanen erfahren." Gab sie kleinlaut zu und zuckte mit den Schultern. So wie er sagte, dass Wein etwas römisches sei, klang es, als wäre das etwas schlechtes. Er trennte viel genauer zwischen Germanen und Römern, genauer als Witjon es tat und das verunsicherte Callista. Sie wurde das Gefühl nicht los, es wäre etwas schlechtes, dass sie Römerin war und dass sie dumm war, weil sie anscheinend nicht mal die grundlegensten Dinge über die Germanen wußte. Dabei lebte sie nun hier.


    Für einen klitzekleinen Moment wünschte sie sich zurück nach Rom, in die Casa, in die Nähe ihres Onkels. Aber sie versuchte trotzdem tapfer zu lächeln und blickte Ragin fragend an. Es sah ganz so aus, als würde sie nicht nur die Sprache lernen heute.

  • Callista schien etwas eingeschüchtert zu sein. Da sonst keiner da war, hatte er sie wohl eingeschüchtert und das war ihm noch nie gelungen. Nicht dass ihn das erfreute, ganz im Gegenteil, vielmehr erschreckte es ihn.


    "Das ist kein Problem, ich erzähle dir was du wissen musst. Ich wusste ja auch nicht viel von den Römern und den griechen, bis es mir jemand erklärt hatte. Ich kannte auch keinen Wein aus Trauben, oder nur vom hörensagen, bis ich hierher kam. Gut also zuerst einmal eines: Es gibt kein Volk das Germanen heißt! Nur ihr Römer nennt uns Germanen. Aber eigentlich sind wir eigene Stämme und alles was uns wirklich verbindet ist, dass wir von einem römischen Geschichtsschreiber Germanen genannt wurden. Ich zum Beispiel bin ein Amisvarier und Witjon ist ein Ubier. Natürlich sind wir verwandt, weil wir die gleichen Vorväter haben und im zweifelsfall ist das Blut wichtiger als die Stammeszugehörigkeit. Einige Stämme haben sogar andere Sprachen die ich nicht verstehe. Also ich habe mal einen Sueben getroffen, von dem habe ich kein Wort verstehen können. Und die Ubier leben schon lange mit den Römern zusammen. Deswegen ist deinem Mann das römische nicht fremd, im Gegensatz zu mir. Ich bin ja noch nicht so lange hier und deswegen trenne ich da sicher noch stärker als Arbjon oder Witjon. Aber wegen der Sprache: Unsere Dialekte hier im Haus unterscheiden sich nur ein bisschen, von daher ist das für dich kein Problem."
    Er zwinkerte ihr aufmunternd zu und wartete, ob sie dazu noch fragen hatte.

  • "Ja, das mit dem Stämmen hat mir Arbjon zu erklären versucht. Er meinte auch, dass es stammesübergreifende Gemeinsamkeiten gibt, wie die Religion und die Freiheitsliebe. Außerdem soll ich alles probieren, was mir angeboten wird, um nicht unhöflich zu erscheinen und die Füße abtreten, wenn ich ein Haus betrete." Callista versuchte sich zu erinnern, was sie an diesem Nachmittag noch gelernt hatte. Es fühlte sich an, als läge dieser schon Jahre zurück, so exotisch war ihr damals Arbjon vorgekommen und nun lebte sie hier unter seinen Verwandten und war mit seinem Bruder verheiratet. "Arbjon und Witjon sind Ubier, aber die meisten anderen hier sind Amisvarier. Und einen Cherusker gibt es, aber ich weiß nicht, wer das ist." Dann fiel ihr noch etwas wichtiges ein. "Wenn ich das richtig verstanden habe, besteht eine Sippe aus mehreren verwandten Familien. Also wie die römischen Gents. Und ein Stamm besteht aus mehreren Sippen. Und jede Sippe hat einen Führer und jeder Stamm auch, also der Anführer der Anführer, sozusagen. Glaube ich zumindesstens."

  • Ragin nickte zustimmend. Einige Sachen wusste sie also doch.


    "Der Cherusker? Das ist Lando. Aber ansonsten hast du schon Recht. Und weil die Stämme und besonders auch die Familien alle relativ eng zusammen wohnen, brauchen wir auch keine Post. Wir haben halt keine Zentrale Regierung wie die Römer. Wir haben keinen Kaiser oder einen Germanenkönig. Bei uns wird alles im Stamm und der Familie geregelt und deswegen ist ein Briefverkehr auch nicht wirklich nötig. Wie gesagt: Wir machen sowas einfach mündlich. Wenn wir dann mal eine Botschaft nach Germania Magna schicken, dann muss sie sich der Bote halt merken. Ist ja nicht so wie in Rom, wo hunderte Nachrichten zugestellt werden müssen. Und wenn die Anführer wirklich mal was zu besprechen haben, dann treffen sie sich auf einem Thing und besprechen dort alles. Ich durfte mal mit auf eines reiten, allerdings durfte ich dort fast nichts sagen. Naja, ich bin ja auch nicht wirklich wichtig und hab daher auch nix zu sagen."


    Ragin zuckte mit den Armen. Wahrscheinlich würde er auf einem Thing auch nie was zu sagen haben, denn Alrik war nur ein paar Jahre älter als er und dann gab es ja auch noch Witjon und Phelan, so dass er wohl nie die Sippe führen würde. Aber da war ihm auch ganz recht, denn er hatte lieber jemanden über sich, der ihm sagte was er zu machen hatte und hatte daher gar keine Ambitionen die Führung über die Sippe zu übernehmen.

  • "Das war sicher sehr aufregend, dieses Thing. Also habt ihr doch sowas wie eine Regierung, weil die wirkich wichtigen Dinge auch zusammen entschieden werden. Ich denke doch, dass das ungefähr der Grundgedanke einer Regierung ist. Nur, dass im römischen Reich das nur ein Einzelner entscheidet."


    Callista überlegte und nickte dann sanft.


    "Römische Familien wohnen oft weit auseinander, vor allem wenn die Männer Karriere machen. Dann werden sie vielleicht versetzt und die Frau und Kinder folgen, soweit es möglich ist. Aber es kann auch gut vorkommen, dass sie jahrelang alleine sind, während der Mann den Willen des Kaisers erfüllt."


    Wobei das bei Witjon eher unwahrscheinlich war. So wie sie ihn verstanden hatte, wollte er sowieso hier in Germanie bleiben.

  • "Aber wie kann man ohne seine Familie wirklich glücklich sein? Also ich verstehe ja, wenn man in den Krieg muss um Seinesgleichen zu verteidigen und deswegen lange weg ist, aber sich in ein fremdes Land versetzen zu lassen nur um viel geld zu verdienen, erscheint mir irgendwie...falsch. Als ich in Alexandria war, habe ich alle hier schrecklich vermisst. Ich weis nicht ob ich nochmal hier weggehe. Neben der Familie ist es natürlich auch das Land, das mich hier bindet. In Italien und Alexandrien sieht es einfach auch total anders aus als hier und ich habe unsere Wälder wirklich fast ebenso vermisst wie meine Familie. Woher stammst du eigentlich? So richtig aus Rom, oder kommst du auch von woanders?"


    Wobei er vielleicht eines Tages nach Rom würde gehen müssen, um noch eine Karriereleiter nach oben zu klettern. Im Grunde war er ja dann auch nicht viel anders als die Römer. Wobei er ja ersteinmal noch hier einige Stufen zu erklimmen hatte. Aber jahrelang würde er sicher nicht wegbleiben.


    "Und Alrik will ja auch bald nach Rom gehen. Ich weis ja nicht wie er unser Oberhaupt dort sein will, aber dem wein ich keine Träne nach. Der passt sicher ganz gut nach Rom. Er in Rom und Lando hier-so find ich das eigentlich ganz gut."

  • Sie lächelte freundlich und erholte sich von dem Schreck, er könne denken, sie sei dumm. Und unwissend. Sie lächelte besonders, als er die Landschaft erwähnte, denn da gab sie ihm absolut recht, es war wirklich ganz anders als Italia. In Ägypten war sie noch nicht gewesen, hatte allerdings genug gelesen um einen ungefähren Eindruck zu haben. Und mit Germanien hatte es nun wirklich nichts gemein.


    "Nein, nicht aus Rom. Dort lebte ich nur, weil meine Mutter das so gewollt hat. Sie ist gestorben, das ist ungefähr ein halbes Jahr her und hat arrangiert, dass ich zu Balbus komme und er mein Vormund wird. Mein Vater ist ja schon lange tot. Wir haben etwas außerhalb von Mantua gelebt, auf einem sehr ruhigen und schönen Landgut. Mantua kennst du ja bestimmt, oder? Es soll ja die Geburtsstadt von Vergil sein."


    Callista überlegte einen Moment.


    "Also, wenn ich mich recht entsinne dann nicht Mantua selber, aber ein Dorf, ganz in der Nähe. Wie hieß es noch. Irgendwas mit A. Ich glaube Andes, ja, das müsste es sein. Hast du die Aeneis eigentlich gelesen?"

  • "Oh das tut mir Leid. Meine Mutter ist auch vor etwas über einem jahr gestorben und ich muss sagen ich vermisse sie immernoch sehr." Ebenso vermisste er seinen bruder ratbald. Ob es ihm gut ging? War er in germania Magna glücklich geworden? Ragin war sich sicher, dass sein Bruder noch lebte, denn ganz bestimmt hätte er es gemerkt, wenn Ratbald etwas passiert wäre! Aber Callistas Frage kam ihm ganz recht, denn mit Literatur konnte er seine düsteren gedanken verscheuchen.


    "Nein die Aeneis habe ich nicht gelesen. Ich habe die Ilias von Homer gelesen, Die Redekunst von Aristoteles und zuletzt die Historien von Herodot. Wusstest du, dass es in Indien hundsgroße Ameisen geben soll, die nach Gold schürfen? Das behauptet zumindest Herodot. Aber um was geht es in der Aeneis? Und Vergil hat das geschrieben?" fragte er gleich neugierig.


    "ja, ich kenne Mantua, aber nur vom Hörensagen. Selbst war ich noch nicht dort. Aber ich glaube ich bin in der da in der Nähe, auf dem Hin-oder auf dem Rückweg von Alexandria, vorbeigekommen. Aber ganz sicher bin ich mir nicht."

  • "Du kennst die Aeneis nicht!?!?" Obwohl sie wußte wie unhöflich das war, konnte sie nicht verhindern, ihn verdutzt und überrascht anzusehen. Seine restlichen Worte perlten an ihr ab und sie musste sich zwingen ihren Mund zu schließen um ihn nicht weiter so dümmlich anzustarren.


    Natürlich war ihr hin und wieder aufgefallen wie germanisch ihr Umfeld war und wie fest die Bewohner dieser Casa an ihren Werten, Vorstellungen und Traditionen festhielten. Aber bei Iunos Hintern! Sie waren doch auch Römer! Sie hatten römische Namen, sprachen Latein, lebten und arbeiten im Römischen Reich, hatten römische Posten inne und heirateten römische Frauen! Aber den Nationalepos, den konnten sie nicht lesen? Sie schüttelte den Kopf, ein wenig aus der Fassung gebracht und kramte alle Informationen in ihrem hübschen Kopf zusammen, die sie über dieses bedeutende Schriftstück wußte.


    "Die Aeneis, manchmal sagt man auch Äneide, ist das von Vergil auf der Grundlage früherer Überlieferungen gestaltete Epos von der Flucht des Aeneas aus dem brennenden Troja. Es erzählt von seinen Irrfahrten, die ihn schließlich nach Latium führen, wo er zum Stammvater aller Römer wird. Die Aeneis erzählt also den Gründungsmythos des römischen Reiches!"


    Vielleicht verstand er ja jetzt, warum sie so erstaunt war, dass er es nicht kannte.


    "Das Epos, an dem Vergil zwischen 29 v. Chr. und seinem Tod 19 v. Chr. arbeitete, besteht aus zwölf Büchern mit insgesamt etwa 10.000 hexametrischen Versen. Der Aufbau der Aeneis verbindet mehrere Gliederungskonzepte. Am auffälligsten ist die Aufteilung in eine „odysseische“ und eine „iliadische“ Hälfte: Die ersten sechs Bücher der Aeneis übernehmen viele Motive aus Homers Odyssee, wie den Seesturm, die Irrfahrten oder den Abstieg in die Unterwelt. In den anderen sechs Büchern, die die Kämpfe in Latium beschreiben, orientiert Vergil sich vornehmlich an der Ilias, die hast du ja gelesen."


    Sie holte nochmal tief Luft und fragte sich einen Moment, ob sie noch weitersprechen sollte. Eigentlich hatte sie ja alles Wichtige gesagt, aber ihr fehlte noch der richtige Schluß, eine Art Zusammenfassung. Nur war sie sich nicht sicher, ob Ragin ihre Belehrung vielleicht negativ auffassen konnte und das wollte sie nun wirklich nicht. Er war sehr nett und hilfsbereit, sie hatte Angst, dass er böse auf sie werden konnte. Ihre Empörung war bereits verschwunden, nur die Verwunderung blieb. Ob Witjon dieses wichtige Schriftstück gelesen hatte!?


    "Die Aeneis ist ein Epos auf die Größe Roms und feiert die niemals endende Herrschaft der Römer. Zugleich wirbt die Aeneis um Mitgefühl für die Opfer der römischen Hegemonie, die im Macht- und Intrigenspiel der Götter, im sinnlosen Aufbegehren Junos gegen das Schicksal ihr Leben lassen. Manchmal mögen Aeneas’ bedingungslose Hingabe an sein Ziel und seine starke Bindung an Autoritäten wie seinen Vater Anchises und an die Weisungen der Götter ungewohnt wirken; aber in der Gestalt des Aeneas hat Vergil auch das Ideal des römischen Princeps dargestellt und einen Helden geschaffen, der sich nicht durch kriegerisches Draufgängertum auszeichnet, sondern durch sein Pflichtbewusstsein, das ihn alle eigenen Belange hinten an stellen lässt."

  • Ragin hörte gebannt zu. Callista erzählte ihm einige Dinge die er nicht verstand. Warum sollte dieser Vergil so toll sein, wenn er einige Sachen von Homer übernommen hatte? Das hatte man dann ja schon gewusst. Gab es nicht noch viel mehr andere Schlachten und Kriege über die man berichten konnte? Und warum waren die Römer so stolz darauf von den Griechen abzustammen? Aber was sie dann über Aeneas sagte, dass gefiel dem jungen Duccier dann schon sehr, denn auch er glänzte mehr durch Pflichtbewusstsein, als durch kriegerisches Geschick.


    "Die Odysee habe ich mir vor kurzem bei Eila gekauft, aber noch nicht gelesen. Abr das klingt wirklich interessant diese Aeneis, ich glaube die muss ich mir auch kaufen. Wenn diese Bücher nur nicht so teuer wären! Aber sag mal, warum wollen die Römer denn von den Trojanern abstammen? Sind das nicht eigentlich Griechen? Und eure Götter spinnen alle Intrigen? Sowas macht bei uns eigentlich nur Loki? Und warum findet ihr das Buch so toll, wenn es eure Art zu leben kritisiert? Also so ganz kann ich das nicht nachvollziehen..."


    Eigentlich hatte er Bücher immer nur gelesen, weil ihm die Geschichten gefielen. Sich dabei aber über das ganze andere Zeugs Gedanken zu machen, war ihm völlig fremd.

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