Carcer|Sein oder Nichtsein?

  • Nach der Rückkehr der geflohenen Sklaven, hatte ich nicht wieder zur Ruhe zurückgefunden. Die beschaulichen Stunden im flavischen Garten inmitten des Blumenmeeres und Charis, die ich griechische Poesie rezitieren ließ, sie waren endgültig vorbei. Fieberhaft wandelte ich nun in den Räumen umher, die bis vor kurzem noch mein cubiculum waren. Eine grundlegende Frage beschäftigte mich. Wie sollte ich meinen Sklaven bestrafen. Niemand konnte mir bei dieser Frage mit Rat zur Seite stehen. Ich hätte dies nicht zugelassen. Er hatte mich betrogen, bestohlen, mich bloß gestellt. Er hatte mein Wohlwollen auf die schändlichste Art strapaziert. Eigentlich hatte er den Tod verdient! Ganz langsam sollte er sterben. Jede Faser seines Körpers sollte meinen Zorn spüren. Aber eine innere Stimme appellierte auch an mein Herz, ihm gegenüber Nachsicht walten zu lassen. Bestrafte ich mich wirklich selbst, wenn ich ihn töten ließ? War es am Ende für mich nicht nützlicher, wenn ich ihn am Leben ließ? Ich war mir so unschlüssig. Denn wenn ich mich erweichen ließ, dann war das ein Zeichen der Schwäche. Gegenüber meinen anderen Sklaven war das eindeutig das falsche Signal! Zumal er immer wieder versuchen würde zu fliehen. Nein, ich mußte ein Exempel statuieren, damit meine anderen Sklaven nicht einmal nur an das Wort Flucht dachten! Insbesondere hegte ich bei meinem Parther den Verdacht, er könne bereits an einem Fluchtplan arbeiten.
    Dann war da noch mein Zorn, der in mir loderte. Niemals zuvor hatte es ein Sklave auch nur gewagt, mich zurückzuweisen. Ich hatte Chimerion mit Präferenzen und Geschenken überschüttet. Er hatte einfach meine Gutmütigkeit mißbraucht! Aber es gab da etwas, was für ihn sprach und was, während ich grübelnd auf und ab ging, immer mehr in den Vordergrund trat. Ohne ihn wäre ich wohl nie aus der Hand der Piraten gerettet worden.
    Aber hin oder her, er hatte eine Strafe verdient! Bevor mir die Argumente aus gingen, ihn einer ordentlichen Bestrafung zuzuführen, beschloß ich, ihn noch einmal selbst in Augenschein zu nehmen. Ich wollte ihn zur Rede stellen. Vielleicht vereinfachte es mir diese Begegnung, eine Entscheidung zu treffen.
    In Begleitung zweier custodes, die mit zwei brennenden Fackeln und einer Peitsche bewaffnet waren, stieg ich hinab in die Unterwelt, zu jenem Carcer, in den ich Chimerion hatte werfen lassen. Einer der custodes öffnete die Tür und trat ein. Von dem darin befindlichen Sklaven konnte nur eine geringe Gefahr ausgehen, denn noch immer war er gebunden, so wie er hergebracht worden war. Im Schein der Fackel trat ich ein und wäre am liebsten sofort wieder umgekehrt. Ein fürchterlicher Gestank menschlicher Ausdünstungen trat mir entgegen. Aber ich hielt mir die Hand vor die Nase und trat doch ein. Der zweite custos folgte mir uns schloß hinter sich die Tür. Mit den beiden Leibwächtern an meiner Seite war es bedrückend eng in diesem Loch. Zu eng! "Ihr beiden könnt jetzt gehen! Wartet draußen und laßt mir eine der Fackeln da! Und du, gib mir die Peitsche!" Die beiden custodes wagten es nicht zu widersprechen. Nickend kamen sie meinen Anweisungen nach. Erst als die Tür hinter ihnen ins Schloß fiel, wandte ich mich Chimerion zu. Mit der Fackel in der Hand näherte ich mich ihm. Mit meinem Fuß versetzte ich ihm einen Tritt. "Du, steh gefälligst auf, wenn ich mit dir sprechen möchte!"

  • Das Intermezzo im Atrium war einfach an Chimerion vorbeigezogen, er hatte gesehen, wie der schmierige Sklavenjäger seinen Lohn empfangen hatte und sich gewünscht, er hätte ihm den Dolch durch das Gesicht ziehen können. Doch am meisten ekelte ihn dieses Kind, das sie alle so schändlich verraten und verkauft hatte. Mochten die Götter sie mit Krankheit strafen. Vor Chimerions Augen war die Welt wieder zurückgetreten und er war allein gewesen mit seinen Gedanken an der nun Kommende. Doch statt einer sofortigen Hinrichtung war er in den Keller gebracht und in eines der engen Verliese gesteckt worden. Das wenige Licht, das er gesehen hatte, war das einer Fackel gewesen, als einer der Wächter ihm grinsend einen Holzeimer hingestellt hatte, in den er seine Notdurft verrichten konnte.
    Dann war es wieder dunkel geworden, für eine sehr lange Zeit, wie es Chimerion vorkam. Was tue ich hier überhaupt?, fragte er sich zum wiederholten Male. Wäre es nicht besser gewesen, sich von dem Sklavenhändler töten zu lassen, mit der Genugtuung zu sterben, dass er seine Belohnung für einen Kadaver nicht bekam? Doch etwas in ihm hatte es so gewollt, er würde vielleicht noch einmal seine Herrin sehen und sie würde ihm den Tod bringen. Er hatte sich fest vorgenommen, nicht zu betteln und alle Qualen zu ertragen, die sie sich für ihn ausgedacht hatte. Hätte vielleicht alles anders sein können? Hatte er sich vom Duft der Freiheit anstecken lassen und musste nun den Preis dafür zahlen?
    Sein Kopf schwirrte von Fragen, auf die er keine Antwort kannte, die Stunden zogen sich endlos dahin, brachten ihm aber keine Klarheit. Schließlich begann er zu beten, er bat die Erdenmutter um ihren Beistand in den kommenden Tagen und beschwor die Geister seiner Ahnen, ihm in seinen kommenden Qualen beizustehen und sie ihn wie einen Mann ertragen zu lassen. Dann setzte er sich wieder auf den Boden und dämmerte vor sich hin. Er wusste nicht mehr, wann er endlich eingeschlafen war, an die kalte modrige Wand gelehnt. Mit einem Ruck öffnete er die Augen, als die Türe geöffnet wurde und das Licht einer Fackel ihn blendete. Er hielt die Hand vors Gesicht und hörte auch gleich die Stimme seiner Herrin. Dann spürte er einen Tritt in die Seite, nicht fest, beinahe zärtlich nach den Tagen in Gefangenschaft und erhob sich. Er atmete tief durch und machte sich bereit. Ohne Celerina anzusehen stand er vor ihr, die Blick sittsam auf den Boden zu seinen Füßen gerichtet.

  • Wie ein Häufchen Elend stand er da, nachdem er sich aufgerichtet hatte. Er vermied es mich anzuschauen, weil er vielleicht den Mut dazu fand. Mit der Fackel leuchtete ich etwas näher an ihn heran, damit ich ihn besser sehen konnte. Wie tief war er nur gesunken! Er hatte so hoch in meiner Gunst gestanden und das hatte er einfach achtlos weggeworfen. Dieser Narr! Alleine schon dieser Anblick hätte mir Genugtuung verschaffen können, aber das tat er nicht. Ganz im Gegenteil! Ich enpfand so etwas wie Ekel und Verabscheuung.
    "Sieh mich gefälligst an!", zischte ich. Mit dem Knauf der Peitsche berührte ich sein Kinn, damit er es anhob. Er sollte mir in die Augen sehen, wenn er mir gegenüber Rechenschaft ablegte. Ich bebte vor Zorn und mußte mit mir kämpfen, mich im Zaun zu halten.
    "Du Dieb, du Betrüger, du nichtsnutziger Abschaum! Wie konntest du nur?", fuhr ich ihn an. "Ist das der Dank dafür, für mein Vertrauen, das ich dir geschenkt habe und für all die Vergünstigungen, die ich dir gewährt habe? Los, antworte mir!"
    Es war einfach unbegreiflich für mich, wie Chimerion auch nur ansatzweise glauben konnte, durch seine Flucht ein besseres Leben finden zu können. Mit seiner Tat hatte er sich tief ins Unglück gestürzt, aus der nur eine sehr harte Strafe resultieren konnte. Umso mehr interessierte mich das Warum. Ich hoffte, er verschonte mich mit den für Sklaven so typischen Ausflüchen und dem Bitten und Betteln, ihm gegenüber Nachsicht zu üben. Auf solche Spielchen hatte ich absolut keine Lust. Dadurch machte er mir es nur noch leichter eine Entscheidung zu treffen, was mit ihm geschehen sollte.

  • Der Knauf der Peitsche war hart und drückte ihm den Kopf nach oben, sodass er gezwungen war, sie anzusehen. Doch statt voller Hass blickten seine Augen freundlich, er durfte Celerina wieder sehen und vergaß einen Moment lang seine Lage. Sie schien schlecht geschlafen zu haben in letzter Zeit, ihre Augen zeigten dunkle Ränder und sie schien vor Zorn zu beben. Womöglich würde sie hier und jetzt seinem Leben ein Ende bereiten, doch darauf hatte er sich in den Tagen seiner Gefangenschaft vorbereitet. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass sie ihm vor Augen führen würde, welche Privilegien er genossen und wie sehr er sie verletzt hatte. Er setzte zu einer Antwort an, doch es kam nur ein trockenes Krächzen aus seiner Kehle. Er räusperte sich und sah sie weiter an, bemüht seine Gefühle in Worte zu fassen.
    Eine Erklärung für das alles? Die hatte er selber nicht, alles schien wie ein Traum gewesen zu sein, ihre Flucht durch Italien, die Freude über das ägyptische Schiff, ihren harten Kampf gegen die Sklavenjäger und ihre demütigende Reise zurück nach Rom, um ihr Kreuz in Empfang zu nehmen. Seine Zunge fuhr über die ausgetrockneten spröden Lippen.
    "Wie hätte ich dir dein Vertauen zurückzahlen können?", begann er mit heiserer Stimme, die nicht seine eigene zu sein schien. "War ich nicht dein Spielzeug, deine exotische Errungenschaft? War ich nicht dein dakischer Hund, dem die Gunst seiner Herrin zuteil wurde? Es gab nie ein Vertrauen zwischen uns, ich war dir immer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und das wollte ich ändern. Ich wollte meine Freiheit, eine eigene Familie haben und sie mit der Arbeit meiner Hände ernähren..." Er drehte den Kopf zur Seite, weg von der Peitsche und schüttelte sich unter einem trockenen Husten. Keuchend sah er sie wieder an. "Es fiel mir trotz allem nicht leicht, dich zu verlassen, ich hatte mir eingebildet, dass ich mehr für dich wäre als nur ein Hund mit dem man spielt, aber ich habe gesehen, wie es den anderen Sklaven hier im Haus erging. Sie lebten von der Gunst ihrer Herren und wenn diese ihrer überdrüssig waren, kamen sie in die bestenfalls in die Küche oder wurden verkauft. Wusste ich denn, ob du meiner nicht auch überdrüssig werden würdest, früher oder später? Ich wollte nicht darauf warten, bis das passierte, also beschloss ich mit Cassim und den anderen zu fliehen, nach Parthia, wo wir keine Sklaven mehr gewesen wären." Er unterbrach sich und seine Augen wurden traurig, als er an die mögliche Zukunft dachte, die er bei einer gelungenen Flucht gehabt hätte.
    "Aber wir wurden verraten, von unseresgleichen...", redete er weiter, mit Bitterkeit in der Stimme. "Wem soll man noch vertrauen, wenn sich Sklaven sogar gegenseitig verraten? In solch einer Welt möchte ich nicht mehr leben", sprach er leise und verstummte dann. Man konnte sich nur auf sich selber verlassen, diese Lehre hatte er bitter erkaufen müssen. Er verkniff sich die Frage, was sie jetzt mit ihm machen würde, er wollte keine Schwäche mehr zeigen. Wenigstens im Tode wollte er das letzte bisschen Würde bewahren, das ihm geblieben war.

  • Ich hatte erreicht, was ich wollte. Er blickte mich an. Seine Augen schienen keinesfalls haßerfüllt. Sie sahen freundlich und gutmütig aus, so wie ich sie gekannt hatte. Das verunsicherte mich schon ein wenig, denn er mußte mich doch hassen, wenn er vor mir geflohen war.
    Es fiel ihm schwer, zu sprechen, was nicht nur daran lag, dass sein Mund ausgetrocknet war. Was dann aber über seine Lippen kam, traf mich, denn er war schonungslos direkt, mit dem was er mir sagte. Mit einem Mal fühlte ich mich schuldig, denn es entsprach der Wahrheit. Anfangs hatte ich in ihm nur ein exotisches Spielzeug gesehen, was sich aber später geändert hatte. Ich begann meinerseits schon im Geiste nach Ausflüchten zu suchen, daß dies nie meine Absicht gewesen war, daß ich ihn sehr geschätzt hatte. Bis ich mir selbst die Frage stellte, wer hier der Sklave und wer der Herr war. ER war der Sklave und ICH seine Herrin. ER hatte einen fatalen Fehler begangen, nicht ich! Das versetzte mich so in Rage, daß ich die Peitsche fallen ließ und ihm mit dem Handrücken ins Gesicht schlug. Der Ring, den ich trug, riß an einer Stelle seiner Wange die Haut auf, so daß es zu bluten begann.
    "Wie du mir mein Vertrauen hättest zurückzahlen können? DU hattest, nein du hast mir Gehorsam zu leisten! Nur so kann ich dir auch vertrauen. Du wolltest deine Freiheit? Eine Familie! Hatte ich dir nicht genug Freiheiten gegeben? Wenn du mich darum gebeten hättest, ich hätte dir erlaubt, eine Frau zu haben und Kinder. Es lag nie in meiner Absicht, dich los zu werden! Nie!" Das alles wühlte mich so sehr auf. Meine Stimme überschlug sich und es klang fast wie das Jammern einer verlassenen Ehefrau. Doch bei der Erwähnung des Parthers war ich mir sicher, woher er solche Flauseln hatte. Dieser Parther war die Wurzel allen Übels!
    "Der Parther? Er war es, nicht wahr? Er hat dich dazu gebracht, mich zu verlassen! Stimmt´s? Sag es! Sag, daß er es war! Sag es! Bitte!", flehte ich ihn schluchzend an. Meine Verzweiflung trat nun offen zu Tage. Das hatte ich eigentlich vermeiden wollen, denn es war ein Indiz meiner Schwäche.
    Ich wandte mich von ihm ab und schritt zurück zur Tür. Meine Faust hämmerte dagegen. Einer der custodes, die vor der Tür warteten, öffnete mir. "Bring mir ein Messer, eine Schale mit Wasser, ein Tuch und einen Becher Wein! Schnell!" Der Sklave sah mich erstaunt an, nickte dann aber eifrig und verschwand, nachdem er wieder die Tür schloß.
    Ich ging zurück zu Chimerion, diesmal weitaus gefaßter. "Sag mir, warum sollte ich dich nicht töten lassen, Chimerion?"

  • Der Schlag fiel und Chimerions Kopf wurde zur Seite geschlagen. Die Stelle wo sie getroffen hatte brannte und langsam sickerte ein Blutstropfen die Wange hinunter. Also hatte es begonnen. Chimerion sah sie wieder an, sah wie zornig sie war. So kannte er seine Herrin, sie befahl und er hatte zu gehorchen... So lange bis der Tod ihn von seinem Dienst erlöste.
    "Freiheiten und die Freiheit sind zwei verschiedene Dinge, ich wollte nicht von der Gunst eines anderen Menschen abhängig sein, ihm ausgeliefert bei allen Dingen des täglichen Lebens..." entgegnete er völlig ruhig und versuchte, sein Blut, das bei dem Schlag zu kochen begonnen hatte, zu beruhigen. Das Kommende würde er nur mit größter Selbstbeherrschung ertragen können. Offensichtlich hatte mir Cassims Namen einen Nerv bei seiner Herrin getroffen, sie schien ihm die Schuld dafür zu geben, dass er geflohen war. Welch herrlicher Anker im Sturm, dachte er. Doch dann antwortete er: "Cassim hat mir angeboten, ihn in sein Land zu begleiten, nach Parthia, wo er einer angesehenen Familie entstammt. Vielleicht wäre ich nicht geflohen, hätte ich nicht dieses Land als ein Hoffnungsschimmer am Horizont gesehen...." Er unterbrach sich und blickte verlegen zu Boden. Noch vor einigen Wochen hätte er seine Herrin getröstet, wäre sie so in Tränen aufgelöst gewesen wie jetzt. Ein Stich ging ihm ins Herz, als er sah, wieviel Leid er ihr angetan hatte, hatte sie es scheinbar doch ehrlich mit ihm gemeint. Doch das Vergangene konnte er nicht rückgängig machen. "Meine Taten sind nicht zu entschuldigen, doch glaube mir, dass ich dich nie verletzten wollte," murmelte er betreten.


    Schließlich rief sie nach einem Messer. Chimerions Körper spannte sich sofort an und er richtete seinen Blick wieder geradeaus auf Clerina. Sie würde ihn nicht wimmern hören, das hatte er sich geschworen. Ihre Frage überraschte ihn nicht sonderlich, sie spielte wieder Katze und Maus mit ihm, wie zu Anfang. Doch nun würde es nicht wieder auf ihrem Lager Enden sondern mit seiner Leiche zu ihren Füßen. Er schüttelte den Kopf. "Warum du mich nicht töten lässt? Wenn ich ehrlich bin denke ich, dass du es selber tun willst." Er blickte zur Tür, wo der Custos gerade mit den bestellten Dingen ankam. Sein Blick fiel sofort auf das Messer, welches er bei sich trug. "Du hast allen Grund, dies zu tun," meinte er, bemüht, seine Stimme sachlich klingen zu lassen, obwohl es um sein Leben ging.

  • Es war doch immer das Gleiche! Immer die gleichen Floskeln. Es hatte wohl noch keinen Sklaven gegeben, der nicht der Freiheit nachjammerte. So auch Chimerion. Ich hatte es satt, dieses Gerede. Wer war denn schon frei?
    "Frei, frei, frei! Was glaubst du denn? Meinst du ich bin etwa frei? Glaubst du das wirklich? Nein, auch ich bin gefangen in meiner Rolle, bin anderen verpflichtet und kann nicht tun und lassen, was ich wirklich will." Gerade jetzt nach der Hochzeit hatte ich mich wieder in eine neue Abhängigkeit begeben, die mir wieder neue Pflichten auferlegte. "Wir alle haben unsere Bestimmung. Daran glaube ich. Deine Bestimmung war es, mir bedingungslos zu dienen. Meine Bestimmung ist es, nun über dich ein Urteil zu fällen. Denn du hast eine schändliche Tat begangen. Du hast mich sehr enttäuscht Chimerion! Nicht nur geflohen bist du. Du hast dich auch an einem Mitglied meiner Familie vergriffen. Deswegen alleine müsste ich dich schon töten lassen."
    Wie ich es mir bereits gedacht hatte, war es dieser Parther gewesen, der ihn um den Verstand gebracht hatte, mit seinen billigen Versprechungen. Ich konnte nur noch den Kopf schütteln. "Parthia!" fauchte ich verächtlich. "Du glaubtest allen Ernstes, du könntest in Parthia als freier Mann leben? Törichter Junge!" Es gab so viel Unwissenheit in der Welt! Wie naiv mußte Chimerion sein, um tatsächlich zu glauben, er hätte in Parthia frei sein können. Dort war er doch auch nur ein Fremder.
    "Du hast mir gefehlt! Dann, als ich dich am meisten gebraucht hätte. Es ist so viel geschehen, während du fort warst. Viel zu viel. Und du warst nicht bei mir."


    Hinter mir öffnete sich die Tür des Carcers und der Sklaven, den ich losgeschickt hatte, trat ein. Ich sah zu ihm hin. "Das Messer händigst du mir aus. Die Wasserschale, das Tuch und den Becher stelle auf dem Boden ab. Dann kannst du wieder gehen!" Der Sklave reichte mir das Messer, nachdem er einen kurzen Blick auch Chimerion geworfen hatte. Es fühlte sich so leicht an und lag gut in der Hand. Die Klinge blitzte im Schein der Fackel. Hoffentlich war es nicht stumpf.
    Mir war es nicht entgangen, wie sich Chimerions Körper anspannte, als ich das Messer in Empfang genommen hatte. Er ging wohl davon aus, sein Leben würde nun hier seinen Abschluß finden. Kurzweilig gefiel mir sogar diese Idee, ihn schmoren zu lassen, ihn im glauben zu lassen, sein Leben würde nun hier enden. Im Angesicht des Todes kam zu jedem die Angst gekrochen, auch zu dem, der glaubte keine Angst vor dem Tod zu haben.
    "Da stimme ich dir zu. Ich habe in der Tat allen Grund dazu, dich zu töten. Du hast es verdient, als Löwenfraß in der Arena zu enden. Dreh dich um!"

  • Chimerion musste an ihre Gespräche im Cubiculum denken, als Celerina genau die gleichen Worte gesagt hatte, dass sie selber nicht frei sei und ihren Platz in der Gesellschaft rechtfertigen und darstellen musste. Ihm wurde klar, welch ein falsches Leben das sein musste, sich immer verstellen zu müssen.
    "Ich... ich habe dir gefehlt? Du meinst... richtig gefehlt? Nicht nur ein Diener, der dir jeden Wunsch erfüllt?" stotterte er und kam für einen Moment völlig aus dem Konzept. Sie musste ihn doch jetzt schlagen, ihn foltern und für die Sorgen und schlaflosen Nächte bestrafen, die er ihr bereitet hatte. Statt dessen sagte sie ihm, dass sie ihn gebraucht hatte und die Ratte des schlechten Gewissens, die bereits an ihm nagte, begann eine Fressorgie zu feiern. Wäre er frei gewesen, hätte er vielleicht gesagt, dass er Celerina liebte, so aber hatte er einen süßen Schmerz in der Brust, als er sich vorstellte, wie sie an ihn dachte... Wie an einen Geliebten. Der Kloß in seinem Hals schwoll an, er fühlte sich wie ein kleiner Junge, der seiner Spielgefährtin wehgetan hatte und sich nun entschuldigen wollte.
    Aber das war anders, er wusste, was er getan hatte. Als sie ihm befahl sich umzudrehen, lächelte er. " Wenigstens durfte ich dich noch einmal sehen, bevor ich vor die Götter trete", flüsterte er und fühlte sein Herz schwer werden. Dann drehte er sich um und atmete tief durch. Das würde schmerzen, mehr als alles andere, wenn sie ihre Sache nicht richtig machte. Das Messer war nicht groß genug, um ihn gleich beim ersten Stich tödlich zu verletzen, noch dazu in ihren zarten Händen. Wenn sie nun auf eine Rippe traf und abrutschte? Er beugte seinen Kopf nach vorne und bot ihr seinen Nacken an. "Stoß beim Schulteransatz hinein, dann geht es am schnellsten", presste er hervor. Dann begann er leise ein Gebet zu murmeln.

  • Einen Moment mußte ich inne halten. Offenbar hatte ich ihn verunsichert, mit dem was ich sagte. Doch er hätte es eigentlich wissen müssen. Ich hatte es ihm doch anvertraut, vor so vielen unzähligen Nächten.
    "Erinnerst du dich nicht mehr, was ich dir gesagt habe? Ich habe alles so gemeint, wie ich es damals sagte. Du solltest mir eine Stütze sein, ein Begleiter, der nie von meiner Seite weicht. Und du versprachst mir, mein Schatten zu sein. Ja, du hast mir gefehlt. Jeden Tag und jede Nacht." Ich wandte meinen Blick von ihm ab und betrachtete mir noch einmal das Messer. Hoffentlich war es nicht stumpf. Zu gerne hätte ich vorher die Klinge ausprobiert. Aber mir stand nur eine Hand zur Verfügung. Mit der anderen hielt ich ja die Fackel.
    Chimerion murmelte etwas, als er sich langsam umdrehte. Er lächelte sogar dabei. Er war sich gewiss, jetzt sterben zu müssen. Ich mußte mich sehr zusammenreißen, daß ich Herr über der Lage blieb. Chimerion beugte sich nach vorne und bot mir so seinen Nacken an, damit ich dort zustoßen konnte. Jetzt hatte ich sein Leben in der Hand. Nie war mir das so sehr bewußt geworden, wie in diesem Moment. Er hatte den Tod verdient, aber ich hatte ihm auch mein Leben zu verdanken. Das hatte ich nicht vergessen. Deshalb führte ich das Messer nicht zu seinem Nacken, sondern durchtrennte damit den Strick, mit dem seine Hände auf den Rücken gebunden waren. Die Klinge war nicht stumpf.
    "Du wirst nicht sterben. Nicht heute Nacht. Wasch dich jetzt und du bist sicher durstig." Ich deutete auf die Schale mit Wasser und den Becher mit Wein, der am Boden stand.

  • Sie hatte ihn vermisst, jeden Tag und jede Nacht, dachte er und schloss die Augen. Mit diesem Gefühl konnte er sterben, sie mochte ihn wirklich. Umso verwunderter war er, als er die Klinge an seinen Händen spürte, wie sie mit einem Schnitt die Fesseln durchtrennten. Seine Arme fielen seitlich an seinem Körper hinunter und er registrierte ihre Worte nur am Rande. Langsam drehte er sich wieder um, immer im Gedanken, es könnte eine List sein, um ihn noch ein wenig zu quälen.
    Doch in ihren Augen sah er nicht den Wunsch nach töten, sie meinte es ernst. Dankbar senkte er seinen Kopf. Er wusste nicht, warum er sein Leben behalten konnte, doch nun schien es ihm doch sehr wertvoll zu sein, nun da es in Sicherheit war. "Danke....domina", murmelte er und kniete sich nieder. Sein Glück kaum fassend nahm er den Becher und leerte ihn in einem Zug, der Wein war nicht schlecht, mit Wasser verdünnt und seine dicke Zunge dankte es ihm. Dann begann er sich notdürftig zu waschen und tupfte vorsichtig das Blut aus seinem Gesicht.
    "Warum verschonst du mein Leben, Herrin?" fragte er ehrlich erstaunt. Oder würde er in der nächsten Nacht sterben?

  • Mich beschlich die Befürchtung, ich könnte eines Tages meine Entscheidung wieder bereuen. War ich zu gutmütig? Hätte ich nicht in diesem Fall hart durchgreifen müssen? Doch wenn Chimerion nun glaubte, gänzlich ohne Strafe davonzukommen, dann war er gründlich im Irrtum! Womöglich wünschte er sich hernach, ich hätte ihm sein Leben genommen. Vorerst noch ließ ich ihm aber in dem Glauben, noch einmal davongekommen zu sein.
    Er bedankte sich artig, nahm aber dann recht gierig den Wein in Anspruch, den ich hatte bringen lassen. Den großen Becher, er leerte ihn in einem Zug. Wie durstig konnte ein Mensch nur sein! Das frische, kühle Wasser in seinem Gesicht, es kündete von dem Leben, welches ich ihm geschenkt hatte. Ich sah ihm noch eine Weile ganz schweigsam zu, bis eine Frage die Stille durchbrach. Genau das konnte ich mich selbst fragen. Ich wußte keine wirkliche Antwort darauf. Es war einfach eine fixe Idee, eine Laune. Als Alibi konnte die Tatsache herhalten, daß ich durch ihn aus der Hand der Piraten gerettet worden war.
    "Weil ich durch dich weiterleben durfte. Doch jetzt sind wir Quitt! Solltest du mich noch einmal in eine solch mißliche Lage bringen, werde ich dich ans Kreuz schlagen lassen. Dann wirst du nicht so davonkommen. Apropos davonkommen. Dir ist doch sicher klar, daß ich dich dennoch bestrafen lassen muß. Was sollten sonst die übrigen Sklaven denken? Ich kann es mir nicht leisten, vor den Sklaven auch nur eine Schwäche zu zeigen." Fast bedrohlich, aufrechtstehend und mit denselben harten Gesichtszügen wie zu Beginn unserer Unterredung, stand ich nun vor ihm und sah auf ihn herab.

  • Chimerion blickte beschämt zu Boden. "Es war mir eine Ehre, dich zu retten, Herrin", murmelte er und wartete auf eine weitere Strafe. Ungeschoren würde er nicht davonkommen, also war ihm das Auspeitschen und Brandmarken sicher, damit alle Welt sehen konnte, dass er geflohen war.
    Gespannt wartete er darauf, was sie ihn als nächstes auferlegen würde.

  • Genau in den Momenten, in denen mir der Verlust meines Sklaven am deutlichsten bewußt geworden war, hatte ich mir die schrecklichsten Strafen, die nur so von Blut trieften, ausgedacht, sollte er wieder eingefangen werden. Nun war er eingefangen und stand vor mir, seine Strafe erwartend und ich...
    …ich war im Grunde meines Herzens so froh, ihn wieder zu haben, denn ich hatte ihn mehr vermisst, als nur einen Gebrauchsgegenstand, der abhanden gekommen war. Da war deutlich mehr im Spiel! Dies war auch der wahre Grund, weshalb ich ihn nicht mit dem Tode bestrafte.
    "Ich wollte dich erst nach Spanien in die Silbermienen schicken, oder auf eine Galeere. Doch für dich wäre es eine weitaus bessere Strafe, dich in meiner Nähe zu lassen, der du dich ja entziehen wolltest. Aber glaube ja nicht, daß du weiterhin deine Privilegien genießen kannst, so wie bisher! Du bist ab nun wieder ein einfacher, unbedeutender Sklave. Meine Gunst mußt du dir erst wieder mühsam erarbeiten. Morgen wird man dich als allererstes von dieser barbarischen Haarpracht befreien und man wird dir eine einfache Tunika geben, die du fortan trägst. In Zukunft gibt es keine aufwendigen Gewänder mehr für dich. Und nachdem ich mit dir fertig bin, wirst du in mein neues Zuhause gebracht, in die Villa Auelia! Was dort mit dir geschieht, hängt ganz von deinem Verhalten ab."Mit Haareschneiden und Kleidungswechsel alleine konnte es unmöglich getan sein. Ich mußte ein Exempel an ihm statuieren. "Du ahnst vielleicht schon, was noch auf dich zukommen wird?"

  • Chimerion blickte sie an und sah in ihren Augen, dass sie alles mit ihm machen würde was notwendig war, sollte er sich schlecht betragen. Die Gnadenfrist, die er bekommen hatte, musste er nutzen und ihr zeigen, dass er nicht wieder fliehen würde. Wohin sollte er auch gehen? Der Arm der Flavier reichte weit, das hatte gemerkt. Es gab nichts, was sie mit ihrem Geld nicht kaufen konnten, selbst der Tod eines Sklaven konnte mit einer Handvoll Denare gekauft werden.
    Seine Haare waren sein ganzer Stolz gewesen, als er nun hörte, dass sie abgeschnitten werden sollten, stieg ein Anflug von Zorn in ihm auf, die Schande war nur schwer zu ertragen. Hatte nicht Hannibal gesagt es wäre besser, stehend zu sterben als kniend zu leben??? Nun, die Frage war, wofür es sich zu sterben lohnte. Diese verhassten Römer hatten ja die ganze Welt erobert, wohin sollte man noch fliehen?
    "Ich werde tun, wie du gesagt hast und mir die Haare scheren lassen und dich danach in die Villa Aurelia begleiten", antwortete er. Dann räusperte er sich, um ihre Frage auch noch zu beantworten. "Ich nehme an du wirst mich auspeitschen und brandmarken lassen, damit alle sehen, dass ich schon einmal geflohen bin?" bemerkte er mehr feststellend als fragend, er kannte die Antwort ja bereits. Würde das überhaupt reichen? Musste sie ihn nicht härter bestrafen, um ihr Gesicht nicht zu verlieren?
    "Ich hätte noch eine Frage: Was ist mit den anderen Sklaven geschehen? Sind sie....sind sie schon tot?" fragte er.

  • Ein leichtes Zucken um meine Mundwinkel, jedoch ließ ich mich nicht zu einem zufriedenen Lächeln hinreißen, was allerdings nicht hieß, daß ich nicht zufrieden war. Ich war zufrieden, sehr sogar, denn ich wußte jetzt, ich hatte ihn ganz sicher wieder und er würde alles dafür tun, mir wieder zu gefallen. So wie ich mich kannte, würde ich das auch wieder gnadenlos auskosten. Er war einsichtig und ich nahm ihm auch jedes Wort ab, was er sagte. Es war eben doch nur der schlechte Einfluß dieses Parthers, der in dazu bewogen hatte, eine solche Dummheit zu begehen. Was allerdings in ihm vorging und wie hart ihn das Abschneiden seiner Haare traf, nahm ich nicht wahr. Es hätte mich aber auch nicht berührt. Strafe mußte sein! Das war nun einmal so. Und daß ihm noch einige Repressalien bevorstanden, dessen war er sich durchaus bewußt.
    "Ja, da hast du wohl recht!", antwortete ich versonnen. Wobei mir die Vorstellung des Brandmarkens als besonders grausam erschien und zumal er dadurch ja auch verunstaltet wurde. Aber all das lag letztlich in meinem Ermessen, wie hart ich ihn bestraffen lassen wollte.


    Im Grunde war es das, was ich hier zu erledigen hatte. Ich hatte meine Entscheidung getroffen, was mit Chimerion zu geschehen hatte. Diese Begegnung hatte mir dabei sehr geholfen. Schließlich wollte ich mich von ihm abwenden und gehen. Seine Frage, die völlig unvermittelt kam, hielt mich aber dann noch zurück. Noch einmal blickte ich mein Sklaven an. Der Blick mochte kalt sein, denn ich hatte keinerlei Mitleid für die beiden anderen Sklaven und deren Schicksal.
    "Nein, die beiden leben noch. Sie sind auch hier unten untergebracht. Aber Aristides wird sie wohl ans Kreuz bringen. Morgen früh", antwortete ich emotionslos und wandte mich dann von ihm ab. Die Sklaven, die draußen auf mich warteten, öffneten mir die Tür und entließen mich wieder.
    Die Nacht wollte ich in der Villa verbringen, denn der morgige Tag würde viel von mir abverlangen. Zwar war nun eine Bürde von mir genommen, denn ich hatte eine Entscheidung getroffen. Dennoch brachte mir die kommende Nacht nur wenig Schlaf und keinerlei Erholung.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!