Die Wege der Parzen* sind unergründlich.
Die Zwei-Mast-Corbita glitt gemächlich über die Wellen. Heiß brannte die Sonne vom beinahe wolkenlosen Himmel herab auf die Deckplanken. Dort saßen - vertieft ins Würfelspiel - ein Grüppchen merkwürdiger Gestalten. Diocles, der junge griechische Kitharist, warf gerade die Würfel. Er seufzte, als er das blamable Ergebnis erkannte und reichte den Becher weiter an Lysandra, die Hure. Sie grinste anzüglich und küsste den Würfelbecher mit ihren knallrot geschminkten Lippen, die einen Abdruck hinterließen. Die Würfel rollten und Lysandras Grinsen blieb bestehen. Ihr Wurf war besser gewesen. Der nächste im Kreis war der kleine Sven, ein Bettlerjunge nördlicher Herkunft, vermutlich ein entlaufenes Sklavekind. Der würfelte ohne ein Wimperzucken und machte scheinbar das höchste Ergebnis, denn er lachte mit seiner hohen Knabenstimme, während die anderen beiden eine Schnute zogen.
Sermo wandte sich ab und ließ seinen Blick über das Wasser schweifen. Er stand an der Reling und beobachtete die Wellen. Seit Tagen war bereits Flaute und das verfluchte Schiff dümpelte auf dem Wasser vor sich hin. Die Reise hätte nur ein paar Tage dauern sollen, doch nun waren sie schon fast doppelt so lange unterwegs wie geplant. Sermos Blick entschweifte in die Ferne. Er sinnierte über seinen bisherigen Lebensweg.
Geboren war er im Zentrum der Welt, in der ewigen Stadt, in Roma. Er war der zweitälteste von drei Söhnen des Marcus Quintilius Drusus, einem verdienten Offizier der Legio Secunda. Mit seinen Brüdern Titus Quintilius Lupercus und Marcus Quintilius Valentinus wuchs Sermo in der Casa Quintilia auf. Sie hatten eine abenteuerreiche Kindheit in den Straßen der Urbs Aeterna und lernten die Stadt zu lieben. Als die Brüder dann langsam aus dem Knabenalter herauswuchsen, schickten ihre Eltern sie nach Griechenland, wo sie eine umfangreiche Ausbildung erhalten sollten. Der Älteste, Lupercus, war bereits vor Jahren fertig geworden und zur Legion in Mantua gegangen. Sermo hatte seine Ausbildung vor Kurzem endlich abgeschlossen und auch Valentinus hatte seine Zeit in Griechenland für beendet erklärt. Die beiden jüngeren Brüder hatten sich in Piräus, dem Hafen Athens, eingeschifft. Jedoch ging es in unterschiedliche Richtungen. Valentinus wollte nach Alexandria, um sich bei den Legionen in Nikopolis einzuschreiben. Der Chaot war wohl von der Abenteuerlust befallen. Hoffentlich würden ihm die Centuriones Disziplin und Ordnung eintrichtern.
Sermo allerdings wollte zurück nach Rom. Er würde die Casa Quintilia wiedersehen, sich dort einrichten und seinen Geschäften nachgehen. Alte Freunde wiedertreffen, sich mächtige Fürsprecher suchen und dann in die Politik gehen. Er wollte den Cursus Honorum beschreiten. Doch das war ein Traum, den zu erreichen er noch in weiter Ferne sah. Vor ihm lag ein steiniger Weg. Gut, dass seine Sandalen aus dickstem Leder waren.
Und dann ertönte der Ruf des Ausgucks. "Schiff in Sicht!" hieß es. Sermos Blick suchte am Horizont und fand bald was die Blicke auf sich zog. Ein Schiff, mit zerfetzten Segeln, umgestürztem Mast und keinerlei Rudern trieb vor ihnen her. Über dem Schiff hing eine Traube flatternder Möwen, die ein grässliches Gekreische von sich gaben. Der Kapitän gab Befehl, das Schiff anzusteuern. Sermo kniff die Augen zusammen und starrte hinüber zu dem fremden Segler. Hier musste erst vor kurzem ein Unwetter gewesen sein.
*Parzen=Römische Schicksalsgöttinnen