In eine ungewisse Zukunft - Auf der Durchreise

  • Die Zwei-Mast-Corbita - ihr Name war im Übrigen Glanz von Piraeus - auf der Sermo von Achaia aus aufgebrochen war, hatte an diesem Morgen den Hafen von Misenum verlassen. Ein starker Wind erfasste die Segel, die sich aufblähten und das Schiff flog über die Wellen hinweg. Sermo stand am Bug der Corbita und hielt seine Nase in den Fahrtwind, die aufspritzende Gischt genießend. Der kleine Sven hingegen balancierte wagemutig in der Tagelage, während Diocles mit seinem Erbrochenen die Fische fütterte. Sermo lächelte verhalten. Sie folgten der Küste und in diesem Moment kam endlich die Hafenstadt in Sicht, die das Ziel dieser Schiffsreise bedeutete: Ostia!


    Im Portus Ostiae verließ Sermo schleunigst das Schiff, um zum Postamt zu gehen. Er hatte Briefe geschrieben, die er an seinen Bruder Lupercus in Mantua und an seinen Vetter Valerian in Rom schicken wollte. Hinter ihm begann die Mannschaft der Glanz von Piraeus die Ladung zu löschen, die von Tagelöhnern im Dienste eines Zwischenhändlers in eins der großen Lagerhäuser in Hafennähe gebracht werden würden. Sven und Diocles waren noch dabei ihre wenige Habe zu packen und besonders Lysandra zu helfen eine schwere Kleiderkiste vom Schiff zu hieven.
    Wenig später kehrte Sermo auch schon zurück, denn das Postamt war nicht weit vom Hafen entfernt. Er entdeckte die drei Gestalten auf einem Haufen Kisten sitzend. "Der Kapitän wollte uns deinen Kram nicht vom Schiff holen lassen. Der Hund sagt du musst ihm erst die Reisekosten bezahlen," ereiferte Diocles sich, als er Sermo entdeckte. "Woran er gut tut," erwiderte dieser nur und zog seinen Geldbeutel. Er ging zum Schiff, wo er den Kapitän einmal mehr brüllend und scheuchend antraf. "He, Kleanthes! Hier hast du deinen Lohn für die gefahrlose Überfahrt. Hab dank für deine Mühen." Sermo drückte dem Mann eine Handvoll Münzen in die Hand plus eine Handvoll extra Münzen. "Ich komme auf dich zurück, falls ich dich irgendwann einmal brauche. Ich weiß ja wie ich dich finde." Der Kapitän grinste schurkisch und erwiderte mit leichter Verbeugung. "Quintilius, mein Schiff, meine Mannschaft und ich stehen dir gerne wieder zur Verfügung. Hab Dank für deine Großzügigkeit." Sermo nickte nur, klopfte dem Mann zum Abschied auf die Schulter und verließ dann mit seiner wenigen Habe das Schiff. Er rief seine drei Begleiter mit einem Pfiff zu sich und betrat sodann die nächstbeste Taverne, wo sie zu viert ein Quartier bezogen. Morgen würden sie nach Rom aufbrechen und bis dahin musste ja noch ihre Ankunft in Italia gefeiert werden.

  • Am Abend ihrer Ankunft in Ostia gönnten sich die vier Reisenden noch ein paar Stunden im Schankraum der Taverne, in der sie untergekommen waren. Sie bestellten ein ausgiebiges Essen, das besser schmeckte als erwartet. Dann bestellte Sermo einen Krug Wein, an dem die anderen drei sich bedienten. Das Würfeln war ihnen auf der Reise langweilig geworden, weshalb sie nun einfach eine Weile da saßen und die Gäste betrachteten, die die Taverne betraten.
    Nach einer Weile kam ein Herr zur Tür herein, er machte einen griechischen Eindruck. Zumal er die Koiné sprach, also vereinfachtes Griechisch, das rund um das Mare Internum verstanden wurde. Er machte es sich mit einem Jüngling und zwei Leibwächtern an seiner Seite in einer Ecke des Schankraums bequem und wurde auch sogleich bedient.
    Lysandra und Diocles wechselten verschwörerische Blicke, Sermo zog gelassen die Augenbraue hoch. Sven hingegen schien das alles nicht zu interessieren, er goss sich lieber noch vom Wein nach. Lysandra und Diocles standen gemächlich auf und schlenderten zu dem offenbar wohlhabenden Mann herüber. "Salve edler Herr. Wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Christiána und dies ist mein ehrbarer Begleiter und Kitharist Oréstis." Die Hure säuselte aufs feinste. Sie hatte diese Nummer schon öfter durchgezogen. Nun würden die beiden den Herren bezirzen, Lysandra würde mit ihm nach Hause gehen und später mit seinem Geldbeutel wieder zurückkehren. Wenn alles gut ging. Sermo verlor das Interesse und schaute weiter im Raum umher.
    Da fiel ihm eine Frau ins Auge, die ganz und gar sein Interesse weckte. Sie saß auf dem Schoß eines rauhbeinigen Matrosen, der mit seinen Kameraden würfelte und sah nicht so aus als wäre sie dort freiwillig anwesend. Sermo betrachtete sie eingehender. Ihr Haar fiel ihr in pechschwarzen Locken über die Schultern, ihre Züge waren filigran und ihr Körper wohlgeformt. Außerdem strahlte sie einen Stolz aus, der Sermo beeindruckte.


    Kurzerhand stand er auf, ließ sich vom Wirt einen weiteren Krug Wein geben und gesellte sich zu den Matrosen. Der junge Sven schaute nur verdutzt hinterher, er saß nun allein am Tisch. "Salvete," begrüßte er die Männer schlicht und schob sich mit auf die Bank. Ihm wurde zur Begrüßung ein Grummeln entgegengeworfen, die junge Frau schaute ihn nur trotzig an. Der Anführer der Gruppe stellte sich vor. "N'abend. Ich bin Chaeron. Wenn du mitspielen willst, brauchst du einen Einsatz." Er schien nicht gerade erfreut über Sermos Auftauchen, was den Quintilier insgeheim amüsierte. Er zeigte auf Diocles, der gerade mit seiner Kithara zugange war. "Wir spielen um Leute. Ich setze den da, du setzt die Frau." Verblüffung spiegelte sich im Gesicht des Seemannes. Er schaute die Frau auf seinem Schoß an und grunzte: "Die ist meins!" Sermo tat als wolle er aufstehen, während er gespielt enttäuscht erwiderte: "Schade. Wenn dir deine Feigheit das Würfelspiel gegen mich verbietet, dann muss ich mir wohl jemand anderen..." Chaeron schlug mit der Faust auf den Tisch. Feigheit würde er sich nicht nachsagen lassen. "Setz dich, Römer! Wir spielen. Um die Frau und den..." Skeptisch schaute er den Kitharisten an. "...den merkwürdigen Typen da."


    Also los. Der Becher ging drei Mal herum, jeder der mit der höchsten Punktzahl am Ende der Runden gewann. Chaeron begann.
    3 - 5 - 1
    Der Kerl knirschte mit den Zähnen, während Sermo seelenruhig den Becher nahm und die Würfel klappern ließ.
    4 - 2 - 5
    Sermo zeigte keine Gefühlsregung. Der Matrose hingegen knurrte bedrohlich, während die Frau auf seinem Schoß gespannt dem Spiel zusah.
    6 - 2 - 3
    Und wieder war der stille Quintilier an der Reihe.
    1 - 3 - 5
    "Hrmpf. Gleichauf. Du wirst kein Glück mehr haben, Römer. Die Frau gehört mir..." Sermo ließ sich jedoch nicht von dem Gerede einschüchtern und beobachtete nur wie der Mann jetzt seinen letzten Wurf tat.
    3 - 3 - 6
    "Hm..."
    meinte der nur und reichte den Becher wieder zurück. Jetzt wurde es spannend. Sermo blickte in die Runde. Die Matrosen sahen ihn allesamt gespannt an, auch das Mädchen. Sie war höchstens fünfzehn, wie Sermo feststellte. Dann ließ er die Würfel rollen.
    3...5.....6!
    Sermo schmunzelte leicht. Chaeron jedoch schaute ungläubig auf die Würfelaugen. "Verfluchter Römer..." Der Quintilier nahm den Arm des Mädchens und entzog ihn der Pranke des Seemanns. "Du hast verloren. Ich nehme mir jetzt was mir zusteht. Hindere mich nicht daran." So stand er auf und nahm das Mädchen mit sich an seinen Platz. Die Seeleute waren einfach nur verblüfft und starrten ihnen eine Weile hinterher, dann wurden sie laut und verhöhnten Chaeron. Wein wurde nachgeschenkt.


    Insgeheim grinste Sermo. Er hatte etwas geboten, das er nicht hatte bieten können und etwas gewonnen, das er eigentlich gar nicht richtig haben wollte. Das Mädchen war zwar hübsch, aber schien ziemlich stur zu sein. Und sie sagte kein Wort. Sven hatte sich sofort in sie verguckt, auch wenn er bestimmt zwei Jahre jünger war. Was dem Quintilier jedoch während seines Spiels nicht aufgefallen war, sollte ihm jetzt offenbar werden. Offenbar war noch ein anderer Mann zu Lysandras und Diocles hinzugetreten und stritt sich nun um die Gunst der Hure. Mit einem Mal setzte ein Poltern und Brüllen ein und die Leibwächter der Männer sprangen sich gegenseitig an wie aufgehetzte Kampfhunde. Lysandra und Diocles konnten sich mit Mühe aus der einsetztenden Schlägerei herausziehen und standen plötzlich an Sermos Seite. "Schlägerei!" kreischte die Hure unnötigerweise. Reflexartig sprang der Quintilier auf und schob die ganze Meute seines lästigen Gefolges in Richtung Treppenaufgang. "Los, rauf. Aber zügig!" Er erwehrte sich eines heranfliegenden Stuhls und stieg über einen volltrunkenen Halunken hinweg. Doch bis zur Treppe kam er nicht, denn von irgendwoher traf ihn etwas am Kopf.
    Sermo wurde schwindelig, der Boden schien ihm unter den Füßen abhanden zu kommen und mit einem Mal wurde alles Dunkel, als er in die Bewußtlosigkeit entronn...

  • Scheußliches Dröhnen. Eine ganze Kohorte schlug mit Stahlhämmern auf Sermos pampigen Schädel ein. Der Schmerz saß tief und fest im Hinterkopf und pulsierte wie eine Hauptschlagader beim Dauerlauf. Langsam wich die geistige Umnachtung und entfernte Stimmen erklangen. War er etwa schon im Elysium? Wie bei allen bösen Geistern hatte er das denn geschafft? Doch dann realisierte er langsam, dass er noch atmete, dass er den Schmerz in seinem Kopf bewusst spürte und dass die Stimmen ganz in seiner Nähe sein mussten. Sermo öffnete die Augen einen Spaltbreit und wurde von gleißender Helligkeit geblendet. Er ließ ein grausiges Brummeln hören und hielt sich den Schädel. Ganz vorsichtig richtete er sich auf. "Aha, mein Liebster Sermo ist wieder unter den Lebenden. Willkommen." Lysandra hatte ein schelmisches Grinsen aufgesetzt, insgeheim freute sie sich jedoch, dass es Sermo halbwegs gut zu gehen schien. Der schaute sich nur verwirrt um und versuchte sich an die Geschehnisse zu erinnern. "Was zum..."
    Da tauchte Sven in seinem Sichtfeld auf. "Sermo, du bis' wieder wach! Mann, dieser große Kerl hat dich volle Wucht mit so'nem Stuhl auf'n Kopp erwischt! Bist umgefallen wie'ne Steinsäule!"
    "Mhh, schrei nicht so..." erwiderte der Quintilier nur. Er ließ sich zurück ins Kissen fallen. "Was ist dann vorgefallen?" Lysandra antwortete diesmal. "Na, wir haben dich die Treppe hochgeschleift und ins Bett gelegt. Dann sind wir wieder runter und haben uns das Spektakel angesehen. In der Schenke war nämlich aus der kleinen Rauferei um meine Wenigkeit" - Lysandra hielt sich die Hand prinzessinnenhaft an die Stirn und klimperte wild mit den Wimpern - "eine ausufernde Kneipenschlägerei geworden. Diese Seeleute hatten Lust auf Prügel und schlugen alles kurz und klein, was ihnen in den Weg kam. So auch den Stuhl, dessen Überbleibsel deinen Kopf erwischt haben." Sie zuckte die Schultern. "Bis dann irgendwann die Cohortes Urbanae kamen und die Hunde herausgeprügelt haben. Ein paar wurden verhaftet, der Rest davongescheucht. Ein schönes Theater war das." Sie grinste schadenfroh und stand dann auf. "Wir gehen jetzt etwas Proviant für die Reise nach Rom kaufen. Sorg dafür, dass du in ein paar Stunden reisefertig bist." Sven und Lysandra verließen das Zimmer. Nach Diocles' Verbleib hatte Sermo sich nicht einmal erkundigt, es interessierte ihn auch nicht. Vermutlich war er gerade in irgendeinem Hinterhof und vögelte für Geld einen hübschen Knaben. Aber Sermo hatte ganz andere Probleme. Er verzweifelte an dem Gedanken, in Kürze aufstehen zu müssen und mit solch einem Brummschädel die Reise nach Rom antreten zu müssen.

  • Wenige Stunden später hatte Sermo seine Kopfschmerzen mit viel Wasser und frischer Luft halbwegs besiegt, Lysandra und Sven hatten Proviant besorgt und Diocles war auch wieder aufgetaucht, ohne dass er nach seinem Verbleib gefragt wurde. Die vier packten ihre geringe Habe und wollten schon gehen, als Lysandra bemerkte: "Sagt mal...wie soll ich eigentlich meine Kleiderkiste transportieren?" Sermo verdrehte genervt die Augen und sah sich das Monstrum an. Da musste mindestens ein, wenn nicht anderthalb Svens hineinpassen. Und da es bis oben hin mit Klamotten gefüllt war, würden sie sich bis Rom die Armlänge verdoppeln. Nein, tragen kam nicht infrage. "Miete ein Wägelchen an und spann Diocles und Sven davor," verspottete Sermo die Lupa und verließ grinsend das Quartier. Ein lauter Fluch wurde ihm hinterhergeworfen, während er die Treppe hinunterstieg und den Wirt aufsuchte, der seine Trümmerschenke zusammenkehrte. Sermo bezahlte seinen Aufenthalt und ging dann nach draußen ins Hafengetümmel. Er fand bald einen Tagelöhner, der einen Karren mit einem pummeligen Pony mit sich führte. Wenig später kamen Lysandra und ihre beiden Packesel aus der Taverne gestolpert. Sie fluchten wie Fuhrmänner und wollten Sermo schon einen Einlauf für seine mangelnde Mitarbeit verpassen, als sie des Wägelchens gewahr wurden. "Der Mann wird unser Zeug bis nach Rom kutschieren. Und jetzt hört auf zu klagen." Damit war die Sache für ihn erledigt und der Quintilier ging zügigen Schrittes in Richtung östliches Stadtor. Hinter ihm beluden seine Gefährten eiligst das Wägelchen und trieben dann das Pony an, um ihn nicht zu verlieren. "Gaude Roma. Venio."* murmelte Sermo und freute sich auf sein Wiedersehen mit der Heimatstadt.



    *Gaude Roma. Venio. = Frohlocke, Rom. Ich komme.

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