Hortus - der Garten

  • “Ein Freund... Er kennt Caius schon so lange...“ Und er hatte mit ihr geschlafen. Axilla wusste noch immer nicht so recht, ob er sie überhaupt leiden konnte oder doch nicht. Im Moment war alles so fürchterlich durcheinander. So sehr, dass Axilla noch nicht einmal bemerkte, dass ihre jetzige Erklärung nicht wirklich sinniger war als die letzte. “Er wird sich um die Beerdigung kümmern. Ich... ich kann das nicht. Ich... ich versteh das nicht...“
    Axilla verstand nicht, warum Archias jetzt tot war. Es gab so überhaupt keinen Grund dafür. So absolut gar keinen. Sie verstand es nicht. Was war nur in ihm vorgegangen, als er das getan hatte?
    Serrana berührte sie ganz leicht, und doch erschreckte Axilla bei der Berührung und zuckte merklich unter der Hand der Cousine zusammen. Sie fühlte sich heiß an, brennend heiß, obwohl sie vermutlich nicht wärmer oder kälter war als die Hand jedes anderen. Einzig Axillas Haut war noch immer weiß, blutleer und fürchterlich kalt. Und sie sagte etwas von Crios. Von besser gehen. “Besser?“ fragte Axilla tonlos und sah Serrana an. Einen Moment lang blickte sie nur vor sich hin, dann verfiel sie in ein trauriges Lachen, das gräßlich hysterisch klang. Vermutlich war sie das auch in diesem Moment, bis sie schließlich die Knie anzog, die Füße auf die Bank stellte und den Kopf an den Knien vergrub, die Hände schützend drum herum geschlossen. Und zum ersten Mal nach Archias Tod weinte sie. Aber nicht um ihn. Nicht einmal um die schöne Zeit. Nur aus Verzweiflung. Besser werden... wie sollte es denn besser werden. “Jeder um mich herum stirbt. Wie soll das besser werden?“ weinte sie verzweifelt. Selbst Serrana sagte, sie starb. Bald war sie wieder allein. Ganz allein. Weil jeder, der ihr mal etwas bedeutet hatte, tot oder auf dem besten Weg dahin war, und selbst die, die ihr nur Nahe waren, entgingen diesem Schicksal nicht. “Ich bin verflucht“, heulte sie weiter in ihre Knie, ohne dass der Fluss an Tränen auch nur irgendwie besser wurde.

  • "Ein alter Freund....wie nett, dass er das tun will. Für ihn muss es doch auch ganz furchtbar sein." murmelte Serrana, der die ganze Tragweite ihrer eigenen Bemerkung erst bewusst wurde, nachdem sie diese ausgesprochen hatte. Allein die Vorstellung, sie selbst müsste die Beerdigung von Calvena oder Septima organisieren, war so entsetzlich, dass sich ihr Verstand weigerte, sie auch nur ansatzweise weiter zu spinnen. Sie hatte Axilla eher unbewusst berührt, doch als diese derart heftig zusammen zuckte, fuhr auch Serrana selbst zurück, und ihre Hand blieb unschlüssig in der Luft hängen, während ihre Cousine auf diese schreckliche Art und Weise zu lachen anfing. Das allein löste bei Serrana schon ein gehöriges Maß an Panik und Grauen aus, doch spätestens bei der nächsten Bemerkung hatte sie das Gefühl, dass ihre Eingeweide von einer eisigen Hand zusammengepresst wurden und sich das Kribbeln auf ihrer Haut noch verstärkte. Sie selbst hatte ja schon häufiger Vermutungen dieser Art in Bezug auf ihr eigenes Schicksal geäussert, aber dass so etwas jetzt ausgerechnet aus Axillas Mund kam, die doch so offensichtlich den Aberglauben ihrer Cousine kritisiert hatte, machte das Ganze noch viel beängstigender. Ganz abgesehen davon, dass sie Axilla bislang noch nie eine einzige Träne hatte vergießen sehen.
    Serranas linke Hand legte sich automatisch wie zum Schutz über ihren mittlerweile schon recht deutlich gerundeten Bauch, während die andere sich vorsichtig Axillas Haar näherte, kurz davor jedoch erneut in der Luft stockte.


    "Du solltest so etwas Schreckliches nicht sagen, Axilla. Warum solltest du denn verflucht sein? Du....du hast doch niemandem etwas getan."

  • Axilla konnte und wollte im Moment nicht darüber nachdenken, wie die Sache wohl für Piso war. Wenn sie das tun würde, würde sie vermutlich noch viel mehr weinen als jetzt schon. Piso hatte Archias wirklich geliebt, wenngleich eben wie Freunde das taten. Bestimmt spürte er wirklichen Schmerz über den Tod seines Freundes. Axilla hingegen... sie kam sich unendlich grausam und kalt vor, aber da war im Moment nichts. Einfach nichts. Leere. Sie fühlte Schmerz, aber den des Selbstmitleides und der Verzweiflung. Und den der Erkenntnis, dass man etwas war, was man nicht sein wollte.


    Axilla weinte, und irgendwo durch den Schleier drangen die Worte ihrer Cousine an sie. Warum sie verflucht war? “Ich weiß es niiiicht“ kam heulend und schluchzend die Antwort, das langgezogene I hoch getragen von brüchiger Stimme, während sich ihr Kopf noch ein wenig tiefer unter ihre Arme vergrub. Ihr ganzer Körper wurde vom Schluchzen erfüllt und zuckte im Takt der japsenden Atemzüge.
    “Jeder, den... ich liebe... stirbt... oder geht weg... wird krank.... jeder... ich.... Silanus ist krank.... Urgulania... tot“ Axilla steigerte sich immer mehr ins Weinen hinein, und so kamen die Worte nicht mehr zügig, sondern immer durchbrochen von lautem Schluchzen und schnappendem Atemholen. “Und Vater... er...ich hab... ihn so sehr... geliebt... und er... ist tot... und.... und Archias... ich hab... ihn nichtmal... so richtig, weißt du?... Ich meine... nicht so... tief... und trotzdem... er... er ist... ich wollte ihn verlassen... heute morgen... er wusste nichts davon. Aber trotzdem.... und du... du sagst, du stirbst auch.... das ist alles meine Schuld!“
    Auch wenn es für die Welt da draußen wohl keinen Sinn ergeben würde, in Axillas Kopf drinnen ergab gerade alles einen ganz fürchterlichen Sinn. Alle um sie herum starben, jeder, der ihr nahe stand. Vielleicht sollte sie einfach das Schwert ihres Vaters nehmen und sich in die Klinge stürzen, um die anderen Menschen um sie herum zu retten. Serrana, und auch Seneca. Und Vala. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn ihm auch etwas zustoßen würde, ihretwegen. Sie wusste einfach nicht, wie sie das ganze aufhalten konnte.

  • Als das Schluchzen schlimmer wurde und allmählich Axillas ganzen Körper zu erfassen schien, legte Serrana ihre Hand schließlich doch vorsichtig auf deren Rücken, blieb auf der Bank jedoch weiterhin auf Distanz, um ihre Cousine nicht erneut zu erschrecken. Was für eine seltsame Erfahrung, zur Abwechslung mal nicht diejenige zu sein, die in Tränen aufgelöst vor sich hinweinte sondern die, die ihr Gegenüber zu beruhigen versuchte. Es war nicht gerade leicht, Axillas Worte durch all das Weinen hindurch richtig zu verstehen, doch je mehr davon bei Serrana ankamen, desto heftiger schüttelte diese ihren Kopf, denn irrationale Denkfehler anderer Leute ließen sich ganz offenbar viel leichter entlarven als die, in die man sich selbst hineingesteigert hatte.


    "Aber nein, das stimmt doch nicht." sagte sie eifrig und schüttelte weiterhin den Kopf, obwohl Axilla das gar nicht sehen konnte. "Schau mal, dein Vater war Soldat, und so traurig es auch ist: er ist im Kampf für Rom gefallen, genau wie so viele andere. Mein Vater wurde auch im Dienst getötet, das war bei beiden einfach nur entsetzliches Pech und Unglück, aber doch kein Fluch. Urgulania ist gestorben, weil irgendjemand ihren Tod wollte und skrupellos genug war, sie umbringen zu lassen. Und was Silanus betrifft...."Serrana seufzte und zuckte dann mit den Achseln. "Er ist krank, ja. Aber tot ist er noch lange nicht, und scheinbar scheint es ihm in Hispania ganz gut zu gehen, sonst hätten wir wohl mehr von ihm gehört. Und ich..." jetzt musste Serrana doch eine kurze Pause machen und ein paar mal ein- und ausatmen, bevor sie in Ruhe weitersprechen konnte. "ich....also, diese Angst, von der ich dir erzählt hab, die war immer schon in mir, schon lange, bevor wir uns überhaupt getroffen haben. Das hat also überhaupt nichts mit dir zu tun und ist noch viel weniger deine Schuld. Und vielleicht geht ja auch alles gut..." Serranas Unterarm schlang sich jetzt ein wenig fester um ihren Bauch, und sie war für einen Moment lang derart von ihren eigenen Gedanken in Anspruch genommen, dass ihr eine von Axillas Bemerkungen fast entgangen wäre. Als deren Bedeutung dann doch schließlich noch in ihr Bewusstsein sickerte, hob sie überrascht den Kopf. "Du wolltest Archias verlassen? Aber...aber wieso denn das?"

  • Zufall, Unglück, das war im Endeffekt doch alles ein Ausdruck des Willens der Götter. Gab es denn sowas wie Pech überhaupt? Es gab Philosophen, die alles auf eine logische Folge von Ereignissen zurückführten. Wieder andere betrachteten die Welt als Spielball der Götter die nur so im Vorbeigehen eben das Leben der Menschen durcheinanderbrachten. Aber im Grunde war es so, dass einem schlimme Dinge passierten, weil etwas einem etwas böses wollte und man nicht die nötigen Schutzmaßnahmen ergriffen hatte. Meistens jedenfalls.
    Und Axilla dachte wirklich, dass sie verflucht sei, und dass dieser Fluch sie auch weiterhin begleiten würde. Sie war schon vor langer Zeit zu dieser Überzeugung gelangt, und es fanden sich nur immer mehr und immer neuere Beweise dafür, dass es so war. Auch wenn Serrana dafür Erklärungen fand, die rein objektiv betrachtet ja durchaus logisch waren. Nur allein die schiere Anzahl an Zufälligkeiten widersprach ihr. “Vielleicht... ist Silanus... aber auch zu krank... zum schreiben“, schniefte sie in einer Phase, wo sie sich ein wenig beruhigt hatte, nur um danach noch einmal umso heftiger zu weinen, als Serrana sie nach der geplanten Scheidung fragte.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder so weit Luft bekam, um wieder zu reden. Sie hob einmal den Kopf, auch wenn sie vor lauter Tränen rein gar nichts sah, und schüttelte den Kopf. “Er hat... Lenader... ich meine, ich bin mir sehr sicher... das er... damit zu tun hatte. Oder... es zumindest ausgenutzt hat.... mit seinen Wachen... damit er mich ganz für sich... hat. Damit ich... nirgends hin kann, ohne dass... er es weiß und... er war immer so... so eifersüchtig. Und er hat... gedroht, Vala etwas anzutun... er hat ihm sogar eine Falle... gestellt. Hat ihn in den Palast gelockt, mit einer falschen Einladung. Und hat ihm gesagt, er wird ihn umbringen. Kannst du dir das vorstellen? Er hat Quartos Siegel benutzt, um ihn hinzulocken. Und wenn er nicht gewusst hätte, dass ich ihm das niemals verziehen hätte, stell dir vor, was er getan hätte? Er hätte... ich meine, ich bin mir sehr sicher, dass er Vala etwas angetan hätte.“ Je mehr sie sprach, umso mehr beruhigte sich ihr Atem wieder, und umso flüssiger konnte sie reden. Ihre Tränen versiegten auch langsam, weil einfach nichts mehr da war, was sie hätte ausweinen können.
    Im Grunde konnte Axilla es verstehen, wenn ein Mann für seine Familie tötete. Ihr Vater war Soldat gewesen. Er hatte im Krieg gekämpft und getötet, damit Axilla zuhause in Sicherheit war. Er hatte auch Frauen und Kinder von Aufständischen getötet, wenn es nötig war. Er hatte Menschen ans Kreuz nageln lassen, das hatte er mehr als einmal erzählt. Axilla konnte das verstehen, wenn ein Mann so etwas für seine Familie tat. Aber Vala... wenn Archias ihm etwas angetan hätte, das hätte sie ihm niemals verzeihen können. Niemals. Sie würde niemandem verzeihen, der ihm etwas antat. Das wusste sie mit solcher klaren Sicherheit zu sagen wie sonst nichts.

  • "Ach, das glaub ich nicht. Wenn es ihm so schlecht ginge, dann hätte uns längst jemand von den Sklaven dort informiert." behauptete Serrana mit mehr Überzeugung in der Stimme, als sie eigentlich selbst in dieser Sache empfand. Viel eher spürte sie in diesem Moment so etwas wie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich im Gegensatz zu Axilla bislang kaum Gedanken über den Gesundheitszusstand ihres in der Ferne weilenden Verwandten gemacht hatte. Irgendwo tat es ihr schon leid, dass es ihm nicht gut ging, aber andererseits war ihr Silanus in der kurzen Zeit des gemeinsamen Zusammenlebens in der Casa Iunia im Grunde fremd geblieben, während Axilla ihn offenbar nicht nur länger sondern auch besser gekannt hatte als sie selbst. Serrana rieb sich ein wenig zerknirscht den Arm, doch dann wurde ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf andere Dinge gelenkt. Leander? Ihr Gesichtsausdruck nahm kurzzeitig einen verwirrten Ausdruck an, denn dieser Name war Serrana zwar irgendwie vertraut, doch es dauerte ein bisschen, bis sie ihn mit Axillas in der Subura ermordetem Sklaven in Verbindung brachte. Seltsamerweise tauchte als erstes dessen entsetzer Gesichtsausdruck in der Nacht, als Axilla beinahe gestorben wäre, vor Serranas innerem Auge auf. Diese grässliche Nacht, in der die dunklen Träume und das Blut wieder zu ihr zurückgekehrt waren.... Auf Serranas Haut bildete sich erneut eine Gänsehaut. Ob Axilla vielleicht doch recht hatte mit diesem Fluch? Nein, das war Unsinn, am besten dachte sie darüber gar nicht mehr nach. Und das was ihre Cousine jetzt erzählte, klang in Serranas Ohren zwar etwas wirr, lenkte sie aber doch recht erfolgreich von dem wesentlich beängstigenderen anderen Thema ab. War Quarto nicht Sedulus' Schwager? Achja, der hatte ja erwähnt, dass seine Schwester mit einem Mitglied der kaiserlichen Familie verheiratet war. So wirklich richtig folgen konnte sie dieser doch recht verwickelt scheinenden Geschichte um gefälschte Siegel, Fallen und Eifersucht nicht, aber ein Detail fiel sogar der unbedarften Serrana bereits nach wenigen Worten auf: Axillas Sorge um das Wohl und die Sicherheit des Germanen war eindeutig genauso groß, wie das, was sie selbst in Sedulus' Fall an den Tag legen würde. "Das hat er getan?" fragte sie aufrichtig schockiert, "ich hab deinen Mann ja kaum gekannt, aber so etwas hätte ich ihm wirklich nicht zugetraut. Und...ähm...versteh mich bitte nicht falsch, aber...ähm...du und Vala...ihr habt doch nicht...also...du weißt schon..."

  • Ob wirklich einer der Sklaven ihnen geschrieben hätte, wenn es Silanus wirklich schlecht ging, wusste Axilla im Moment nicht zu sagen. Aber es änderte ja trotzdem nichts an der Tatsache, dass es Silanus jetzt im Moment nicht wirklich gut ging. Und auch nichts daran, dass Axilla glaubte, dass es ihre Schuld war.
    Doch das Thema änderte sich auch gleich und konzentrierte sich mehr auf die jüngere Vergangenheit. Axillas Atem beruhigte sich etwas, und sie wischte die Tränen von den Augen, so dass sie sogar wieder etwas sehen konnte. Die Knie ließ sie dennoch in kindlicher Pose angezogen und von den Armen umschlungen. Dass Serrana Ihr die Hand auf den Rücken gelegt hatte, merkte Axilla erst jetzt, aber im Grunde war sie dankbar dafür. Sie wollte jetzt nicht ganz allein sein. Und auf der anderen Seite wieder doch, dachte sie ja, dass sie eine Gefahr für die Leute in ihrer Nähe wäre. Von daher waren sowohl Hand als auch Abstand gerade gut, und Axilla konnte sich selbst wieder beruhigen.
    Nunja, zumindest so lange, biss Serrana ihre Frage stellte. Einen Moment lang sah Axilla nur auf und zu ihr hinüber, weil sie nicht verstand, was sie meinte. Als dann aber die Erkenntnis einsetzte, wich ihr Gesichtsausdruck ehrlichem Entsetzen und Wut in solcher Schnelligkeit, dass es einer Explosion gleichkam.
    “Du... du glaubst doch nicht, dass er...? Nein! NEIN! Er würde niemals... dass du nur annimmst, er und ich könnten... Er hat mich nie auch nur unschicklich angefasst oder geküsst. Gar nichts! Vala ist der ehrbarste und, und und aufrechteste, nobelste Mann, den ich kenne!“ Dass sie ihre eigene Ehre gar nicht verteidigte, obwohl Serranas Frage ja durchaus auch implizierte, sie habe Ehebruch begangen, fiel Axilla erst einen Augenblick später auf. “Und wie kommst du dazu, mir Ehebruch zu unterstellen? Vielleicht hab ich kein so moralisch perfektes Leben wie du, aber ich bin keine Lupa! Ich hab noch nie irgendjemanden betrogen, erst recht nicht meinen Ehemann!“
    Axilla stand wütend auf. Durch das Weinen von eben war ihr Kreislauf noch etwas durcheinander, so dass sie leicht ins taumeln geriet, aber sie hielt sich aufrecht. Aber sie wollte jetzt nicht neben Serrana sitzen bleiben, wenn sie Vala so etwas unterstellte. Dass eben jener sie nur einige Tage später in der Bibliothek küssen würde und damit ihre vehemente Verteidigungsrede einen kleinen Schönheitsfehler bekam, konnte sie ja nicht wissen. Und selbst wenn sie es gewusst hätte, hätte es ihrer Meinung über ihn keinen Abbruch getan.

  • Mit nicht geringer Erleichterung beobachtete Serrana, wie ihre Cousine allmählich wieder ruhiger wurde und ihr Körper aufhörte, so entsetzlich zu zittern. Hätte sie doch nur eine Minute nachgedacht, dann hätte sie sich ihre Frage nach Vala vermutlich wohlweislich verkniffen, aber Serrana war durch Axillas elenden Zustand viel zu abgelenkt, um vernünftig denken zu können. Und dann war es auch schon zu spät, ihre Cousine sprang wie von der Tarantel gestochen von der Bank auf und fauchte sie an. Fast wäre Serrana froh gewesen, an Stelle der paralysierten jungen Frau endlich wieder die alte Axilla vor sich zu sehen, aber dann wurde es doch ein wenig zu ungemütlich. "Ich hätte das nicht fragen sollen, das war dumm, verzeih mir bitte." sagte sie schnell und verfluchte sich innerlich für ihre Gedankenlosigkeit und Dummheit. "Ich würde sowas nie von dir denken oder Vala und dir eine Affaire unterstellen, ich hab mich nur gefragt, warum ...." ...warum Axillas Ehemann eine derartige Eifersucht auf den Germanen entwickelt hatte, wenn es doch angeblich gar keinen Grund dafür gab. Serrana, die sich trotz Axillas Wutanfall und gegen besseres Wissen noch nicht geschlagen geben wollte, hatte bereits den Mund geöffnet, um ihren Satz zu Ende zu sprechen, als ihr plötzlich etwas einfiel, das sie schon fast vergessen hatte, und ihr schlagartig entsetzlich übel wurde. Sie....sie selbst hatte Aelius Archias einen Grund geliefert, an seiner Ehefrau zu zweifeln...Sie war es gewesen, die ihm erzählt hatte, Axilla sei in Vala verliebt gewesen...Damals hatte der Aelier ihre Behauptung als lächerlich abgetan, aber was, wenn er ihr schließlich doch geglaubt hatte? Und damit all diese schrecklichen Dinge erst begonnen hatten, von denen ihre Cousine ihr eben erzählt hatte? Serranas Übelkeit verstärkte sich noch, und sie presste sich kurz die Hand gegen den Mund, weil sie Angst hatte sich erbrechen zu müssen. Nach ein paar Sekunden ebbte diese Welle wieder etwas ab, aber Serrana war nach wie vor schneeweiß und auf ihren Wangen bildeten sich hektische rote Flecken, während das Blut in ihren Ohren derart laut rauschte, dass sie nicht sicher war, ob Axilla aufgehört hatte zu sprechen oder nicht.


    "Oh, ihr Götter, warum hab ich das nur gesagt? Warum war ich nur so dumm?" sagte sie schließlich leise und fast mehr zu sich selbst als an Axilla gewandt. Konnte denn eine kleine unbedachte Bemerkung tatsächlich solche ungeahnten Folgen gehabt haben?
    "Wie...wieso glaubst du, dass Archias mit Leanders Tod etwas zu tun hatte?" bekam sie schließlich mit krächzender Stimme heraus, obwohl sie sich nicht sicher war, ob Axilla ihr jetzt überhaupt noch antworten würde.

  • Serrana ruderte sofort zurück, als Axilla aufbrauste, aber die war noch nicht fertig. “Du wolltest nur wissen, warum was? Warum jemand aus der kaiserlichen Familie wie ein Idiot benehmen sollte und so etwas Dummes tun, ohne es zuende zu bringen? Oder warum ich sowas erfinden sollte gar, weil du mir das nicht glauben magst? Oh, oder noch besser! Warum mein Mann sich vom Felsen schmeißt, wenn da nichts dran ist?“ Sie hatte angefangen, leicht hin und her zu gehen, jeweils nur zwei Schritte, mit denen sie sich immer weiter in ihr Geschimpfe hineingesteigert hatte. Und das alles endete nun in einem finalen und mit schon überschnappender Stimme vorgetragenen “Ich weiß es nicht!“
    Der Zorn tat gut, er wärmte und nahm ihr die Benommenheit aus den Gliedern. Er vertrieb sogar kurzzeitig die Bilder, die sich in ihr festgefressen hatten. Und er vertrieb jedes bisschen Selbstmitleid für den Moment. Wut war einfach, die kannte ihr Ziel und ging darauf los. Da musste man nicht lange darüber nachdenken.
    Erst, als Axilla mit zornesglühenden Augen auf Serrana runterschaute, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Egal, wie wütend Axilla auch war, sie war empfänglich für die Stimmungen ihrer Umgebung. Meistens ignorierte sie sie zwar, wenn sie ihr nicht in den Kram passten, aber das hier, das war zu offensichtlich, um es zu übersehen. Serrana sah aus, als würde sie sich gleich auf dem Steinweg übergeben. Und sie war ganz blass, abgesehen von einigen hektischen, roten Flecken. Und ganz offensichtlich hatte sie ihr nicht zugehört.
    Axillas Wut war noch da, aber sie zog sich im Moment zurück. Das hier war einfach zu seltsam, zu offensichtlich, als dass sie es ignorieren könnte. Und so wartete die Wut einfach einen Moment ab, wie das ganze hier geklärt werden würde, während Axilla einen Moment nur schweigend und mit fragendem Gesichtsausdruck da stand und nicht so genau wusste, was los war. Dass Serrana so am Boden zerstört war, weil sie Axilla einen Ehebruch vorgeworfen hatte, war selbst für die abergläubische Cousine merkwürdig.
    “Ich bin mir nicht mehr so sicher wie heute Morgen, aber... er hat sich komisch benommen. Er war sehr, sehr besitzergreifend und wollte nur seine Männer in meiner Nähe haben. Ich glaube, die sollten für ihn spionieren, was ich tue und wohin ich gehe. Aus Leander hätte er nichts herausbekommen.“ Nur ein Mal hatte Leander sich verplappert bei Katander, und danach war das Verhältnis zwischen ihm und Axilla etwas abgekühlt. Doch Axilla wusste, dass er genau deshalb nie wieder auch nur ein Wort gesagt hätte, egal, was Archias ihm auch angetan hätte. “Und wir hatten gestern ein Gespräch. Er hat komisch reagiert, als ich auf Leander zu sprechen kam. Er wusste nicht, dass er auf Männer stand und hat merkwürdig reagiert, als ich es angesprochen habe. Ich glaube, er dachte, dass ich und Leander... ich mein, der durfte ja auch immer in mein Cubiculum und war sehr viel mit mir zusammen. Er war ja mein Leibsklave. Aber... da war ja nichts. Aber er... ich weiß nicht, ob er wirklich jemanden angeheuert hat, aber in jedem Fall kam es ihm alles andere als ungelegen, konnte er so seine Männer auf mich ansetzen, damit die mich beobachten und einsperren...“
    Die Wut hatte sich weitestgehend zurückgezogen. Das ganze hier war doch zu seltsam, und der Gedanke an Leander machte Axilla traurig. Ihr lieber Leander... sie hätte ihn in Alexandria frei lassen sollen, dann wäre das hier nicht geschehen.

  • Bei jeder wütenden Nachfrage aus Axillas Mund schlangen sich nun beide Arme immer enger um Serranas Bauch, als wäre ihr kalt, und sie schüttelte immer wieder heftig mit dem Kopf.
    "Nein...nein, natürlich nicht...Ich glaub dir ja...ich...ich hab einfach nur nicht nachgedacht....wieder nicht..." Kurz schwappte eine erneute Welle der Übelkeit über sie hinweg, und Serrana stöhnte leise auf. Unter normalen Umständen hätte sie sich jetzt nach Hause und in ihr Bett geflüchtet, aber an diesem Tag war nichts mehr normal. Und auf eine seltsame Art und Weise war sie auch dankbar über ihren elenden Zustand, denn der lenkte sie zumindest ein bisschen von den immer quälender werdenden Gedanken und Schuldgefühlen ab, in die sich Serrana immer schon besonders gut hatte hineinsteigern können. Etwas gedankenverloren nickte sie, als ihre Cousine von Archias Verhalten ihrem Leibsklaven gegenüber berichtete. "Ja, das ist wirklich komisch. Quintus macht sich auch Sorgen um meine Sicherheit, aber ihm reicht es völlig aus, wenn Adula mich überall hin begleitet." Ein wenig überrascht und fast hoffnungsvoll hob sie dann den Kopf und sah Axilla an. Archias war also auch auf Leander eifersüchtig gewesen? Vielleicht war diese übertriebene Eifersucht dann ohnehin ein Teil von ihm gewesen und hatte nichts mit ihr und ihrer unseligen Bemerkung zu tun? Die sie, wie ihr jetzt wieder mit neuem Entsetzen einfiel, nur gemacht hatte, um ihren so unsäglich naiven Vortrag über Sitte und Moral zu untermauern? Nein, so einfach waren die Dinge nie, und Serrana ahnte bereits, dass sie diese Frage vermutlich noch lange Zeit verfolgen würde. Mit der Opferrolle hatte sie sich im Laufe ihrer Kindheit und Jugend ganz gut arrangiert, jetzt würde zur Abwechslung wohl eine andere dazu kommen. Und dann war da ja auch noch Axilla.... Natürlich gab es keine Zeugen für jenes verhängnisvolle Gespräch mit Archias, aber Serrana war immer schon eine miserable Schauspielerin gewesen, ganz abgesehen davon, dass ihre Cousine in diesem Punkt Offenheit verdient hatte, nach allem, was sie an diesem schrecklichen Tag vermutlich bereits durchgemacht hatte.


    "Es gibt da etwas, das ich dir sagen muss." sagte sie schließlich und zwang sich, Axilla, die sich inzwischen wieder beruhigt zu haben schien, in die Augen zu sehen. "Wegen Archias, meine ich."

  • Zunächst sah es so aus, als würde Serrana sich wieder beruhigen, was Axillas Wut wieder neue Nahrung gab. Sie sollte sich ja schlecht fühlen! Immerhin hatte sie ihr gerade Ehebruch unterstellt! Und viel schlimmer, Vala unterstellt, er würde da mitmachen! Noch brodelte es nur und wartete, hinausgelassen zu werden, aber der Ausbruch war noch nicht gekommen. Serrana rredete kurz von ihrer Adula, und der Teil von Axilla, der nicht streiten wollte, verstand das. “Leander hat ja auch immer gereicht, bis er...“ Sie sprach den Satz nicht zuende. Es reichte ja auch ein zuverlässiger Sklave oder ähnliches an der Seite, wenn man nicht gerade im Halbdunkel einer zwielichtigen Gasse unterwegs war. Man musste sich nicht mit einem ganzen Schwarm von Wächtern umgeben, zumindest nicht in ihrer Position. Wäre sie Augusta, wär das etwas anderes, aber sie war ja nur sie.
    Doch dann mit einem Mal klappte Serrana wieder halb in sich zusammen und schien geradezu ängstlich zu ihr aufzuschauen. Das war ein wenig paradox, denn noch hatte sie ja gar nicht die brodelnde Wut getroffen, die in Axilla schwelte und sie davon abhielt, allzu tief über das heute Geschehene nachzudenken. Warum also hatte sie dann jetzt schon so einen Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht?
    “Ja?“ meinte sie langgezogen und fragend mit einem kritischen Blick auf die Cousine. Sie war sich nicht sicher, was da nun folgen mochte. Und noch viel unsicherer war sie, ob sie es wirklich hören wollte. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit, ein sehr ungutes, und am liebsten hätte sie einfach ihrer Wut freien Lauf gelassen und wär gegangen, um dieser Situation zu entfliehen. Sie mochte es nicht, sich so zu fühlen. Sie mochte auch nicht an Archias jetzt denken. Oder an Leander. Eigentlich wollte sie gerade am liebsten einfach nur weg.

  • Sich etwas vorzunehmen, war eine Sache. Diese Sache dann auch abzuschließen, eine ganz andere. Diese Erfahrung machte Serrana, während sie sich unter Axillas skeptischem Blick noch ein wenig zusammen zog und ein paar Mal den Mund öffnete, um es endlich hinter sich zu bringen und den entscheidenen Satz auszuprechen. "Ich...ähm...ich hab..Archias..." Eine erneute Welle der Übelkeit fegte über Serrana hinweg, und diesmal war der Würgreflex so stark, dass sie ihn nicht mehr unterdrücken konnte und sich mit gegen den Mund gepresster Faust auf der Steinbank zusammen krümmte. Doch was immer in ihrem Körper diesen Brechreiz auslöste, wollte offenbar genauso wenig aus ihm heraus wie das Geständnis, das sie ihrer Cousine immer noch schuldig war, und das sie jetzt doch nicht über die Lippen brachte. Die Hand immer noch gegen die Lippen gedrückt, sah Serrana zu der abwartend da stehenden Axilla hinauf und wusste plötzlich, dass sie es nicht über sich bringen würde, ihr die Wahrheit zu sagen. Eine innere Stimme sagte ihr, dass ihre Cousine ihr diese vermutlich niemals verzeihen würde, zumindest nicht, wenn sie sie ausgerechnet heute damit konfrontierte. Ein anderes Mal vielleicht, wenn Axilla sich vom ersten Schock erholt hatte und es ihr selbst nicht mehr so schlecht war, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Ja, das war eine gute Idee, vielleicht kurz bevor das Kind kam, und sie selbst vermutlich ohnehin sterben würde.... Auf diese Weise verschaffte Serrana sich für den Moment eine kleine Atempause, dem ungesagten Satz jedoch im Gegenzug die Möglichkeit, sich in ihrem Bewusstsein und Gewissen in aller Ruhe fest zu beissen, um sich später genüsslich tief und tiefer hineinzufressen. Es vergingen ein paar Sekunden, dann löste Serrana die Hand wieder von ihrem Mund und wischte sich mit dem Handrücken den kalten Schweiss von der Stirn, bevor sie ihre Cousine erneut ansah.


    "Entschuldige bitte, mir geht es heut nicht besonders gut, ich weiß auch nicht, woher das auf einmal kommt. Was ich sagen wollte, ist dass ich Archias nicht besonders gut gekannt habe, wie du weißt. Aber ich glaube, dass er eigentlich alles richtig machen wollte für dich und....euer Kind, und dass dann ganz furchtbar viel irgendwie schief gelaufen ist. Und das tut mir wirklich sehr leid." Komisch, dass in diesem Augenblick ausgerechnet dieses unförmige Kinderbett vor Serranas innerem Auge auftauchte, an dem Aelius Archias am Tag ihres Besuchs im kaiserlichen Palast mit solcher Begeisterung herumgebastelt und es mit jeder Handbewegung noch ein wenig unkenntlicher gemacht hatte.

  • Sicherheitshalber ging Axilla einen Schritt rückwärts, als Serrana sich zur Seite beugte und wohl nur die vorgehaltene Hand verhinderte, dass sie sich das heutige Essen nochmal durch den Kopf gehen ließ. Sie war fest überzeugt, dass ihre Cousine sich gleich übergeben würde, aber der Stolz behielt wohl drinnen, was nicht raus sollte. Trotzdem hielt Axilla den Sicherheitsabstand bei. Auch wenn sie ihr Kind verloren hatte, sie erinnerte sich an die ersten Schwangerschaftsmonate. Selbst wenn sie da gedacht hatte, sie sei nur krank, die Kotzerei würde sie so schnell nicht wieder vergessen.
    Als dann Serranas Erklärung kam, blieb Axillas Gesichtsausdruck reichlich skeptisch. Das wollte sie ihr sagen? Dass Archias es mit ihr lieb gemeint hatte? Und darum machte sie so ein Trara? Oder meinte sie, dass Archias diesen Aufstand gemacht hatte, weil sie das Kind verloren hatte, und das damit also ihre Schuld sei? Die Wut kam wieder hoch bei dem bloßen Gedanken daran.
    “Du, du weißt ja gar nicht, wovon du redest“, schnappte Axilla kurz in dem kläglichen Versuch, sich zu beherrschen. Tränen kamen wieder, und auch die Bilder vom heutigen Morgen, und nun war sie es, der wieder schlecht war. Zornig wischte sie sich mit dem Handrücken einmal über die Augen. Sie würde jetzt nicht wieder losheulen. Sie würde sich beherrschen. Sie würde sich auch nicht übergeben. Sie würde sich einfach von der Wut aufrecht halten lassen und nicht weiter darüber nachdenken. “Was er geliebt hat, war, mich einzusperren und mich rumzukommandieren und mich zu beherrschen. Und das Kind wollte ich eigentlich gar nicht haben. Es ist besser, dass es weg ist.“ Es rannen doch ein paar Tränen, die wieder wütend weggewischt wurden. Axilla wusste, dass ihre Worte nicht wahr waren. Nicht ganz wahr zumindest. Es gab eine Zeit, da hatte sie wirklich und aufrichtig geglaubt, sie würde Archias lieben. Selbst jetzt noch, nach seinem Tod, konnte sie nicht sagen, dass sie ihn nicht zumindest gern hatte. Trotz allem, so paradox es auch war. So wütend sie auch war. Vielleicht weinte sie deshalb auch leise und schniefte leicht durch die Nase in dem versuch, sich selbst zu beruhigen, während sie mit energisch in die Hüften gestemmten Armen da stand und einfach in den Garten schaute. Sie wollte jetzt nicht zu Serrana schauen. Und sie wollte auch nicht traurig sein. “Er hat sogar Vaters Rüstung angezogen, als wär es ein Spielzeug. Er hat mich nie respektiert, und er hat... er hat...“ Die Tränen flossen mehr und schneller. So sehr, dass sie nicht mehr alle wegwischen konnte und der Blick verschwamm, die Stimme brüchig wurde. “...nichtmal jetzt hat er Rücksicht genommen. Warum hat er sich von dem Felsen geworfen?“ Bei der letzten Frage war ihre Stimmlage anders. Nicht Wut war es, die Sprach, sondern dieselbe Verzweiflung wie vom Anfang, nur lauter und tränenreicher. Warum hatte er sich dort hinuntergeschmissen. Axilla wusste es einfach nicht. Sie verstand es einfach nicht, warum er sich umgebracht hatte.

  • "Ja, vermutlich hast du Recht." Noch vor einer halben Stunde hätte sich Serrana maßlos über Axillas heftige Bemerkung geärgert und sich mal wieder wie ein dummes gemaßregeltes Kind gefühlt. Das tat sie jetzt auch, allerdings mit dem Unterschied, dass es ihr durchaus gerechtfertigt schien. Was hatte sie auch schon groß zu sagen? Sehr häufig sprach sie aus Angst sich zu blamieren gar nicht erst aus, was sie dachte oder beließ es bei unverfänglichen Dingen. Und wenn sie es dann doch mal für ihre Meinung einstand, dann führte das meistens zu Streitereien oder, wie in Archias Fall, sogar zu Schlimmerem. Unglücklich ließ sie den Kopf wieder sinken und starrte auf die Wölbung ihres Bauches, als Axilla davon sprach, sie hätte ihr Kind nicht haben wollen, und das half ihr, sich wieder am Riemen zu reissen und sich auf das zu konzentrieren, was ihre Cousine erzählte. Axilla und Archias hatten etwa zur selben Zeit geheiratet wie Sedulus und sie selbst, und trotzdem hörte sich alles so deprimierend an und hatte nichts von der fast spielerischen Unbeschwertheit ihrer ersten Wochen in der Casa Germanica.
    Und so nickte Serrana hin und wieder oder schüttelte ungläubig den Kopf, ohne jedoch Axillas Worte in Zweifel zu ziehen, denn warum sollte diese sie in Bezug auf das Verhalten ihres Ehemannes auch anlügen. Sie selbst war sicher nicht annähernd so unabhängig und freiheitsliebend wie ihre Cousine, und dennoch konnte sie deren Ärger und Enttäuschung nachvollziehen. Vor allem in Bezug auf den fehlenden Respekt, denn Serrana besaß nach wie vor herzlich wenig Selbstbewusstsein und reagierte daher immer besonders empfindlich auf scheinbare Kränkungen vor allem von Seiten ihres deutlich lebenserfahrerenen Ehemannes. Als Axilla wieder zu weinen begann und ihre Stimme immer wackliger wurde, stand Serrana, einen Arm nach wie vor um ihren Leib geschlungen auf, blieb jedoch neben der Bank stehen und sah ein wenig unschlüssig zu ihrer Cousine hinüber.


    "Das hat Quintus auch gesagt." sagte sie schließlich, und erst ein paar Sekunden später fiel ihr auf, dass Axilla mit diesem Satz herzlich wenig würde anfangen können. "Dass Archias das seiner Familie nicht hätte antun dürfen, sich auf so schreckliche Weise umzubringen, meine ich." Bei dem Gedanken an Sedulus und ihren ersten wirklichen Streit vor wenigen Stunden wurden auch Serranas Augen wieder feucht, aber sie schaffte es irgendwie, die Tränen weg zu blinzeln.


    "Hat er denn gar nichts hinterlassen?" fragte sie dann vorsichtig, um ihre Cousine nicht noch mehr aufzubringen. "Eine Nachricht, oder so etwas? Vielleicht war er ja krank, oder er steckte in irgendwelchen Schwierigkeiten. Und ist es denn völlig sicher, dass er es wirklich selbst getan hat und...nicht vielleicht ein anderer?" Nicht, dass die Vorstellung am tarpeischen Felsen ermordet zu werden, besonders reizvoll war, aber sie war zumindest weniger grausam als ein Selbstmord an einem derart abscheulichen Ort.

  • Und jetzt weinte sie doch, und Axilla hasste sich dafür. Sie wollte nicht so schwach und jämmerlich und ängstlich sein, nicht so verletzlich. Sie wollte eine römische Matrone sein, wie Urgulania wollte sie sein, und konnte es nicht. Wütend wischte sie immer wieder die Tränen weg und zog die Nase hoch, versuchte, ruhig zu atmen, aber es ging nicht. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, als müsse sie die Sache vor sich selbst leugnen. Als müsse sie sich selbst maßregeln, nicht so zu weinen. Aber das gelang nur unzufriedenstellend.
    Serrana redete von ihrem Mann. Ihrem perfekten Germanicus in ihrem perfekten Leben. Der in seiner perfekten Lage ja auch sah, was Archias angerichtet hatte mit seinem Sprung. Axilla drehte kurz den Kopf zu Serrana und blitzte sie verletzt an, enthielt sich aber eines Kommentars. Es hatte ja ohnehin keinen Sinn! Was sollte sie auch sagen? Sedulus hatte ja recht. Es war rücksichtslos von ihm. Es war schrecklich. Ein Glück, dass weder Kaiser noch Quarto in Rom weilten und es daher nicht so mitbekamen und sich dem Spott, der sicher folgen würde, stellen mussten. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
    “Doch, er hat mir einen Brief hinterlassen“, meinte sie immernoch zornig und die Tränen nur schwer unter Kontrolle haltend. Immer wieder musste sie doch schniefen, auch wenn sie sich bemühte, es nicht zu tun. “Er hat wirres Zeug geschrieben, dass er mich liebt und jemand ihm alles kaputt machen würde. Irgendwas von einer Sandburg.“ Axilla wusste es auch gar nicht mehr so genau, und den Brief hatte sie auch nicht mehr. Der war wohl im Chaos des Tages verloren gegangen. Und sie winkte auch einfach ab. “Egal...“ sagte sie nur und versuchte damit, sich selbst zu überzeugen, auch wenn ihr das nicht gelang. Es war ihr eben nicht egal. Aber wenn sie noch weiter darüber nachdachte, bekam sie Kopfschmerzen.

  • Serrana zuckte leicht zusammen, als Axilla sie plötzlich so anfunkelte. Was hatte sie denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Sie hatte ihr im Grunde doch nur zugestimmt, oder etwa nicht? Zögernd machte sie einen Schritt auf ihre Cousine zu und hielt dieser wortlos eines der beiden Tücher hin, die sie seit Beginn ihrer Weinattacken am heutigen Tage mit sich herumtrug. Dieses war noch sauber, zumindest fast, denn ausser ein paar Tränen hatte es nichts abbekommen, und Axilla schien es mindestens ebenso nötig zu haben wie sie selbst.
    Als Axilla von dem Brief sprach, den sie von Archias erhalten hatte erhellte sich Serranas Gesichts kurz, nur um dann wieder einen Ausdruck völlliger Verwirrung und Ratlosigkeit anzunehmen. Eine Sandburg? Und Menschen, die etwas kaputt machten? Ob das die Lösung sein konnte? Dass Aelius Archias, aus welchem Grund auch immer, schlichtweg nicht zurechnungsfähig gewesen war, als er von diesem Felsen gesprungen war? Bei den ihren wenigen Zusammentreffen hatte sie, Serrana, keine besonderen Auffälligkeiten an ihm beobachten können, aber das musste ja nichts bedeuten. Schließlich wäre er nicht das erste Mitglied einer kaiserlichen Familie gewesen, das Probleme mit seinem Gemütszustand hatte.


    "Das....das hört sich irgendwie...ziemlich seltsam an. Als hätte er selbst nicht gewusst, was er da schreibt." sagte sie schließlich und runzelte die Stirn. "Meinst du, man könnte etwas finden, was man den Leuten erzählen kann? Damit sie dich in Ruhe lassen, meine ich." Man muss den Wölfen etwas zu fressen hinwerfen, das so verführerisch ist, dass es sie von deiner Vorratskammer und deinen Schafen ablenkt. So oder so ähnlich lautete doch eine von Großmutters vielzitierten Weisheiten, deren tieferen Sinn Serrana erst heute wirklich verstand.

  • Einen Augenblick lang starrte Axilla das Taschentuch nur an. Sie wollte von Serrana nichts annehmen. Und erst recht wollte sie kein Taschentuch annehmen. Das würde heißen, dass sie zugab, dass sie weinte. Sie wollte nicht weinen. Trotzig wischte sie ihre Tränen noch einmal mit dem Handrücken weg, ehe sie sich dann doch mit einem zornigen Luftholen das Taschentuch nahm. Es nützte ja nichts. Sie weinte. Und mit dem Taschentuch ging es einfacher. Es war kindisch, es nicht zu nehmen – auch wenn ihre Bewegung, mit der sie es genommen hatte, nicht weniger kindisch gewesen war. Sie wischte sich über die Augen und putzte auch einmal die Nase, ehe sie das Tuch einsteckte. Wenn es gewaschen wäre, würde Serrana es zurückbekommen. Wenns ie es nicht vergaß.
    Ihre Frage brachte Axillas Wut erneut zum hochschießen. Woher sollte sie denn JETZT wissen, was man den Leuten da am besten erzählte? Sie holte Luft, verkrampfte dann aber nur in einer hilflosen Geste die Hände. “Was soll man ihnen schon erzählen können? Er hat sich vom Tarpejischen Felsen gestürzt!“ Resignierend warf sie einmal die Hände nach oben, um die Hoffnungslosigkeit dieser Situation noch zu unterstreichen. Die Leute würden darüber reden. Was sollte sie sagen? 'Mein Mann war verrückt'? Das war auch nicht besser. “Ich weiß es nicht... Kann man da irgendwas sagen? Etwas schlimmeres hätte er kaum machen können... So kann ich doch nirgends mehr hin...“ Selbstmitleid war vielleicht nicht die beste Lösung für diese Situation, aber ein wenig schwelgte Axilla dennoch darin. Axilla lief ein wenig auf und ab, nicht hektisch oder wütend, sondern nur, um etwas Bewegung zu haben und so das Gefühlschaos in geregelte Bahnen zu bekommen und sich selbst zu beruhigen. Sie atmete abschließend einmal ganz tief durch und hielt sich in Denkerpose die Hand an die Stirn, schüttelte schließlich den Kopf. Es nützte alles nichts. “Ach, sollen sie reden. Wir sind Iunii. Wir haben anderes durchgestanden. Das hier wird vorbeigehen...“ Irgendwie. Auch wenn Axilla keine Ahnung hatte, wie. Und vor allem keine Ahnung hatte, wie SIE das machen sollte.

  • Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm Axilla ihr schließlich doch noch das Taschentuch von ihr an, und Serrana starrte ein wenig verlegen auf ihre Hände, während ihre Cousine sich die Tränen abwischte. Axilla hatte natürlich Recht, es würde verdammt schwierig werden, eine halbwegs glaubwürdige Begründung für diesen abstrusen Selbstmord ihres Mannes zu finden, ohne damit noch mehr Staub aufzuwirbeln, als es ohnehin schon gab.


    "Ja, diesen Ort wird niemand begreifen können." nickte sie schließlich und rieb sich kurz die Schläfen, in der Hoffnung, sich dadurch besser konzentrieren zu können. "Eine unheilbare Krankheit hätte ja ein ehrenhafter Grund sein können, ähm..also nichts, was seinen Geist angeht, meine ich..." unterbrach sie sich selbst schnell, bevor Axilla sie wieder einmal missverstehen und an die Decke gehen konnte. "Wenn doch das mit dem Felsen nicht bekannt geworden wäre..." Serrana hatte ohnehin leise gesprochen, doch ein Blick auf Axilla brachte sie dazu, endgültig zu verstummen und sich auf die Lippe zu beissen. "Du hast Recht, es ist schlimm, und es bringt nichts darüber nachzudenken, wie man es vielleicht verschleiern könnte." sagte sie dann und zwang sich, nicht länger auf ihre Hände zu starren, sondern ihre Cousine direkt anzusehen. "Es wird sicher eine Weile Gerede geben, aber zur Zeit haben die Leute ohnehin fast nur den Frevel bei den Nemoralia und den Zorn der Götter im Kopf. Dann ist der wenigstens für eine Sache gut." Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da erschrak Serrana schon wieder über sich selbst. Die Unsterblichen zürnten der ganzen Stadt, und sie setzte einen Familienskandal auf die selbe Stufe, welche Anmaßung...Doch bevor ihr ohnehin schon mehr als angeschlagenes Gewissen noch schlechter werden konnte, als es ohnehin schon war, da weckte eine völlig unerwartete Bemerkung von Axilla Serranas Aufmerksamkeit. Hatte sie da gerade wirklich "wir" gesagt? Serrana starrte ihre Cousine ungläubig an, und so abstrus dies angesichts der Situation vielleicht auch sein mochte, für einen kurzen Moment empfand sie tatsächlich sowas wie Freude.
    "Ja, das sind wir." sagte sie schließlich mit einem zaghaften Lächeln, traute sich aber nach wie vor nicht näher an Axilla heran und hütete sich auch davor, in diesem Fall nochmal nachzufragen. "Und es werden auch wieder bessere Zeiten kommen, für uns alle, meine ich." Trost und vielleicht einen neuen Ehemann für Axilla, Gesundheit für den angeschlagenen Silanus, eine erfolgreiche Ausbildung und Karriere für Seneca, und für sie selbst ein erfolgreich überstandenes Kindbett. Eine schöne Vorstellung, aber vermutlich zu schön, um wirklich wahr werden zu können.

  • Serrana war mit ihren lauten Überlegungen nicht gerade hilfreich. Mehr so gar nicht hilfreich. Überhaupt und vollkommen unhilfreich, sozusagen. Was nützte es, festzustellen, dass man es nicht verschleiern konnte, und Wahnsinn als Erklärung nicht wirklich gut war? Einzig der Einwurf mit den Nemoralia brachte Axilla dann doch kurz ins Stocken. Ob das wirklich darüber hinwegtäuschen konnte? Würden die Leute darüber das Gerede über Archias vergessen? Es war eine kleine Hoffnung, aber immerhin besser als nichts.
    Axilla behielt einen leicht zweifelnden Gesichtsausdruck bei, wurde aber insgesamt ruhiger. Vielleicht würde ja wirklich Gras über die Sache wachsen. Vielleicht... ja, ganz vielleicht hinterließ es wenigstens auf diesem Gebiet keine bleibenden Spuren. Wenigstens etwas. Die Bilder in ihrem Kopf würde sie wohl nicht so einfach auslöschen können, aber daran dachte sie jetzt einfach am besten auch gar nicht.


    Und dann sagte Serrana etwas, bei dem Axilla erst jetzt auffiel, dass sie es ja gesagt hatte. Wir. Hatte sie das wirklich gesagt? Es war ihr herausgerutscht, sie hatte es nicht absichtlich gemacht. Dennoch ein komisches Gefühl, ein „wir“ von Serrana zu hören. Kein wirklich schlechtes Gefühl, nur verdammt ungewohnt. Irgendwie befremdlich.
    “Ähm, ja“, schloss Axilla nur lahm und reichlich verwirrt und rieb sich daraufhin die Schläfen. Irgendwie war dieser Tag zu viel für sie. So vieles, was sie nicht begreifen konnte, das sie nicht fassen oder erklären konnte. Da war das „wir“ noch mit das kleinste von allem. Und dennoch beschäftigte sie das im Moment fast am meisten.
    “Ich glaube, ich sollte etwas schlafen...“ Eigentlich war es erst Nachmittag und damit viel zu früh, dennoch fühlte sich Axilla wie erschlagen. Und eine bessere Idee hatte sie auch nicht.

  • Konnte man tatsächlich in ein und dem selben Moment derartig unterschiedlich Dinge empfinden? Ratlosigkeit und Angst, Betroffenheit und Mitleid, Schuldgefühle und Gewissensbisse, Hoffnung und Zuversicht? Offenbar schon, denn Serrana erlebte in diesen Minuten im iunischen Hortus ein wahres Wechselbad der Gefühle, das sie in dieser Form noch nie erlebt hatte, und das dazu führte, dass sie wie angenagelt auf der Stelle stehen blieb und Axilla einfach nur anstarrte, weil sich einfach keine klaren Gedanken mehr einstellen wollten. Nach einigen Sekunden hob sie schließlich die Hand auf ihren Bauch, und diese Berührung schaffte es tatsächlich, sie wieder ein wenig zu erden. Ihre innere und äussere Anspannung ließ endlich nach, was jedoch auch dazu führte, dass der Schock über die Todesnachricht und die endlosen Weinkrämpfe nach dem ersten Ehestreit ihres Lebens endgültig ihren Tribut forderten, und sich Serrana plötzlich nur noch bleischwer und ausgebrannt fühlte.


    "Ja, das solltest du wirklich tun, und vielleicht nimmst du vorher ein langes heisses Bad." nickte sie daher auch recht bereitwillig und machte mit dem Kopf eine kaum wahrnehmbare Bewegung in Richtung Haus. "Die Sklaven werden sicher alles tun, damit es dir gut geht, oder wirst du jetzt sofort in den kaiserlichen Palast zurückkehren?" In Serranas Augen eine durchaus angebrachte Frage, schließlich war dieser in den Monaten seit der Hochzeit Axillas Zuhause gewesen. "Gibt es vielleicht irgendetwas, was ich dir abnehmen kann? Schriftverkehr vielleicht oder Gänge zu irgendwelchen Ämtern?" Besonders große Ahnung hatte sie davon auch nicht, aber notfalls würde sie einfach ihre Großmutter fragen. Wenn sich irgendjemand mit den praktischen Anforderungen von Todesfällen auskannte, dann Germanica Laevina, schließlich hatte die bereits zwei Ehemänner erfolgreich unter die Erde gebracht.

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