[CUBICULUM] Claudia Romana

  • Romana blinzelte zu Calvena hin, als siese losprustete, es sah aber weniger verärgert als vielmehr amüsiert aus. „Schön, wenn ich die Leute zum Lachen bringe. Ich weiß, meine Stimme klingt wie ein Muhen oder ein Grunzen.“ Das war so nicht wahr. Sie hatte eine sehr schöne Stimme, wollte es aber nicht einsehen.


    „Armes Ding.“, echote Romana. „So könnte man es sagen. Und nein, ich habe sie noch nicht so lange... weißt du, sie hat nicht immer ein leichtes Leben gehabt.“ Eigentlich konnte man dies von allen Sklaven sagen – doch es traf besonders im Fall von Parthenope zu, die ihre Jungfräulichkeit schon mit 9 Jahren gewaltsam verloren hatte. Doch sie wollte nicht Sachen ausplaudern, die andere Leute ihr im Vertrauen verraten hatten – auch wenn diese Sklaven waren.


    „Schön, dass du den Wein magst!“, kam es von der schon sich am Bett ausstreckenden Claudierin. „Verpflichtungen, ja. Einschränkungen, sicherlich, doch wer hat das nicht? Ich habe weniger Einschränkungen als sehr viele verheiratete Frauen.“, lächelte sie, und stützte sich auf. Leichtfüßig schwang sie sich wieder aus ihrem Bett hervor und blickte Calvena fragend an. „Meine Entscheidung bereut? Nein, wieso? Ich fühle mich hier glücklich.“, beteuerte sie ihr. Doch Calvena hackte nach, und Romana nickte kurz. „Ich verstehe, was du meinst.“ Sie nickte freundlich zu Sabina hin. „Ich würde dir gerne sagen, was ich als Antwort darauf habe, aber nicht jetzt.“ Sie hoffte, Calvena verstand, dass sie vor Sabina nicht so direkt, wie sie es gerne hätte, über Sexualität und das Kinderkriegen reden wollte. Und darum ging Calvena ihr wohl.


    Ja, wenn sie daran dachte, dass Calvena wohl bald heiraten würde, war das schon bedenklich. Denn im Gegensatz zu ihr sah Romana nicht das Leben im Haus der Vestalinnen, sondern vielmehr die Ehe als ein Gefängnis, auch wenn es noch so luxuriös sein mochte. Da war ihr das Leben in der Schwesternschaft bedeutsam lieber... auch wenn in ihr hie und da die Lust aufkam, das zu erleben, wovon andere Frauen immer schwärmten. Doch was waren 30 wundervolle Jahre als Vestalin gegen 30 Minuten Lust?

  • „Ach, Romana“, lächelte sie ihrer Freundin zu. „Du kannst durchaus singen. Ich fand es nur lustig, das wir das gemeinsam haben!“ erklärte sie ihren amüsierten Ausbruch. Winkte dann aber, als sie den skeptischen Blick ihrer Freundin auffing. Anscheinend wollte diese es ihr nicht glauben.


    Nachdenklich nickte sie, als Romana ihr erzählte, dass Parthenope es nicht immer einfach gehabt hatte. Auch Elissa, ihre eigene Leibsklavin, hatte es nicht leicht gehabt in ihrem Leben. Diese war als Kind verschleppt worden. Sie sah in der Keltin vielmehr eine Freundin, als eine Sklavin. „Ich weiß was du meinst. Die wenigsten Sklaven sind es freiwillig. Es gibt auch genügend Menschen, die andere Menschen dann aus reiner Freude quälen“, sie seufzte und verscheuchte dann die düsteren Gedanken. Auch weil Sabina da war und sie musste sich an diesem Tag keine Schauergeschichten anhören.


    Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sah, wie Romana dort ausgestreckt auf ihrem Bett lag. Vorsichtig setzte sie sich nun auf den Rand des Bettes und klopfte neben sich, damit auch Sabina es sich gemütlich machte. „Der Wein ist wirklich köstlich. Ich werde ihn Avarus empfehlen, damit er den Weinkeller nach den Fontinalien nun wieder aufstocken kann“, grinste sie. Die Gäste waren teilweise wie die Heuschrecken über die Casa Germanica hergefallen.
    Aufmerksam hörte sie den Ausführungen ihrer Freundin zu und nickte immer wieder verstehend. „Du hast Recht was die Einschränkungen als verheiratete Frau geht“, sie schenkte der Claudia ein Lächeln. „Aber ehrlich gesagt, ich könnte dieses Leben nicht führen. Außerdem hätte ich dann wohl nie Valerian kennen gelernt“, sagte sie mit einem Schulterzucken. Gegen nicht auf der Welt würde sie seine Liebe gegen die Einsamkeit des Vesta Tempels eintauschen. Sie folgte dem Blick zu Sabina und nickte verstehend. „Dann ein anderes Mal“, sagte sie schlicht.


    „Willst du uns dann dein zu Hause zeigen?“ fragte sie nun Romana auch um das Thema zu wechseln. „Sabina ist sicherlich schon schrecklich Neugierig“, lachte sie.

  • „So, kann ich das?“, kam die ein wenig zweifelnde Antwort von Romana. „Na ja... wir könnten es ja mal ausprobieren, zusammen. Was denkst du?“, fragte sie. „Es gibt da bei den Sklavinnen im Atrium Vestae eine wirklich gute Harfenspielerin, die kann ich mir sicherlich ausborgen.“ Sie würde das eigentlich als ganz reizvoll empfinden, vor allem, wenn Calvena ihre Stimme mochte. Ein Sopran (so schätzte sie Calvena ein) und ein Alt (das war sie selber) waren ein reizvolles Duo, konnten es zumindest sein.


    Was Parthenope anging, nickte Romana nur langsam, bevor sie zu grinsen anfing. „Die wenigsten Menschen sind freiwillig... ach so, du meinst die Scheinsklaven. Richtige Sklaven sind das aber auch nicht“, war sie sich sicher. „Richtige Sklaven sind unfreiwillig unfrei – Bona Dea, das klingt wie ein Kalauer“, seufzte sie. „Aber du hast Recht. Unnötig zu quälen, sei es Freier, Sklave oder Tier, ist nicht menschlich. Es ist etwas, was man nicht tun sollte“, war sie sich sicher. Aber natürlich war es nicht angebracht, vor einem Kind über so etwas zu reden.


    Sie lachte, als Calvena den Wein weiter lobte. Perlend und herzlich, aber nicht spöttisch, erfüllte es das Zimmer. „Calvena, du machst mir Spaß! Wie sollst du denn den Wein empfehlen? Ich habe dir ja noch nicht gesagt, was für einer es ist. Roter Caecuber aus Sizilien. Durchaus seinen Preis wert.“ Sie sprach mit der Leichtigkeit über den Preis, mit dem man von etwas sprach, was einem zur Verfügung gestellt wurde, und wozu man das Recht hatte, nicht, was man selber bezahlt hatte.


    Sie musste wieder schmunzeln, als Calvena auf die Beschränkungen der Ehe zu sprechen kam. „Nun, ich bin Vestalin, und trotzdem habe auch ich Valerian kennen gelernt.“ Sie wurde schlagartig ernst. „Und... du weißt, was wir gesagt haben? Wir sollten uns einmal treffen, nur wir drei, und uns aussprechen. Bei den Fontinalien hatten wir ja keine Gelegenheit.“ Weil Calvena und Valerian herumgeschmust hatten ohne Unterlass, und Romana das elende Malheur am Klo widerfahren war.


    „Oh, sicher! Ich führe euch gerne durchs Atrium Vestae. Wohin sollen wir gehen? Das Bad? Das Lararium? In den Speisesaal? Oder wohin?“, fragte sie nach.

  • Romana ließ sich nicht so schnell davon überzeugen, dass sie durchaus eine schöne Stimme hatte. „Du kannst singen“, versicherte sie ihr noch einmal. Der Vorschlag den die Claudia machte, gefiel ihr. „Vielleicht leiht uns die Sklavin ja auch direkt ihr Instrument, spielen kann ich für uns. Also nur wenn es dir unangenehm ist, wenn noch jemand zuhört!“ meinte sie nachdenklich. Nicht alle fühlten sich wirklich wohl dabei, wenn ihnen jemand zuhörte. Vor allem wenn man erst einmal nur übte.


    Noch kurz dachten sie Beide über Sklaven nach und deren Schicksal. Sie konnten sich glücklich schätzen, nicht solch ein leben zu führen. Kurz schauderte sie, im Grunde hatte sie verdammt Glück gehabt, sie hätte auch als Sklavin enden können. Aber auch aus anderen Gründen sah sie in Sklaven nicht nur Wertgegenstände, sondern Menschen und im Falle von Elissa und Simplex Freunde. Sie war in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der es egal war, ob jemand einmal ein Sklave gewesen war oder nicht. Sie alle waren Frei gewesen und hatten nur wenige Verpflichtungen gehabt. Kurz verspürte sie wider einen kleinen Stich der Trauer, sie vermisste ihre Ziehfamilie, diese hatte sie geprägt. Oftmals waren Gaukler als Diebe verschrien, doch das hatte nie gezählt, wichtig war, dass sie zusammen gehalten hatten. Nachdenklich wickelte sie sich eine Haarsträhne um den Finger und befreite sich dann von diesen traurigen Gedanken.
    Sie ließen das Thema menschliche Grausamkeit erst einmal fallen, Sabina würde schon noch früh genug merken, wie die Welt manchmal wirklich war. Aber noch wollte sie ihrer Cousine die kindlichen Illusionen lassen.


    Breit grinste sie ihre Freundin an und zwinkerte ihr zu. „Früher oder später hättest du mir doch verraten was für ein Wein das ist. Und nun kann ich ihn beruhigt Avarus empfehlen, der immer auf der Suche nach einem guten Tropfen ist“, erklärte sie schelmisch lachend. Mit Sicherheit würde sich ihr Großonkel über diese Empfehlung freuen, denn der Weinkeller sah derzeit arg leer aus, nachdem sie die Fontinalien ausgerichtet hatte.


    Schließlich kamen sie auf Valerian zu sprechen. Sie hatte nicht vergessen, dass sie eigentlich Frieden zwischen Romana und ihrem Liebsten stiften wollte. Calvena nickte bestätigend. „Ich hab es nicht vergessen“, versicherte sie ihr. „Nur ist Valerian derzeit nicht in Rom“, erklärte sie ihrer Freundin. Wo genau er war, wusste sie nicht, nur dass er im Auftrag seines Patrons, welcher auch sein Vorgesetzter war, unterwegs war. „Bei den Fontinalien sind wir ja leider nicht dazu gekommen.“ Wahrscheinlich war es im Nachhinein auch besser, nicht das es dann doch noch zu Unmut gekommen wäre und das fest verdorben hätte. „Aber sobald Valerian zurück ist, können wir ja ein Treffen arrangieren.“ Eigentlich wollte sie die wenige Zeit die sie mit ihm hatte nicht teilen, aber es war wohl auch nötig. Nicht das es auf ihrer Hochzeit zum Eklat kam. Wobei sie eigentlich nicht daran glaubte, dass Romana ihr diesen Tag versauen würde. Schließlich waren sie Freundinnen.


    Der Vorschlag ihnen das Atrium Vestae zu zeigen stieß nicht nur bei Romana auf Begeisterung, sondern auch bei Sabina. Sie sah ihre kleine Base an. „Du darfst entscheiden“, erklärte sie dem Mädchen.

  • Während sich die beiden jungen Frauen unterhielten, sah sich Sabina neugierig um und betrachtete die Bilder mit wachsender Begeisterung. Mal entdeckte sie einen kleinen Vogel, dann eine besonders hübsche Blume und dann sogar ein Reh zwischen den Bäumen. Immer wieder gab sie laute des Entzückens von sich.


    „Ich will auch so ein schönes Bild in meinem Zimmer haben“, erklärte sie dann, ehe sie sich zu Romana und Calvena auf das Bett setzte. Das Glas mit dem Himbeersaft war schnell geleert und sie beschloss für sich selbst, dass sie in Zukunft nur noch Himbeersaft haben wollte. Der war lecker. Nur halb hörte sie dem Gespräch zu, vielmehr legte sie den Kopf in den Nacken und schaute sich das Sternenbild an. So etwas wollte sie auch haben.


    „Mhm???“, machte sie und sah Calvena an, als diese meinte, sie dürfe entscheiden, was sie sehen wollte. Ein breites Lächeln zierte das hübsche Mädchengesicht. „Erst das Lararium und dann das Bad und dann alles andere!“ schlug sie vor und sprang sogleich auf die Beine.

  • „Na gut. Dann vertraue dir einmal und denke, du hättest spätestens jetzt abgelehnt“, meinte Romana. Die Harfenspielerin, die sie meinte, war Siobhan, eine der wenigen nicht-griechischen Sklavinnen im Atrium Vestae. Eine Skotin aus Dal Riada, zumindest sagte sie das (auch wenn Romana sich überhaupt nicht vorstellen konnte, was das sein sollte). 1900 Jahre später würde man sagen, Dal Riada hätte in der Nähe von Glasgow gelegen, obwohl man dies dann auch nicht genau wissen würde.
    „Du kannst Harfe spielen?“, fragte sie nach. „Das ist ja ein keltisches Instrument... wenn man hier ein Instrument lernt, ist das die Kithara oder die Lyra. Oder die Flöte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sachen kannst du, das ist ja gigantisch.“ Noch einmal musste sie an Calvenas Vergangenheit denken, die noch wilder sein müsste, als sie angenommen hatte. Was ihr dabei komisch vorkam war, wie eine junge Frau so lange unter Banditen und Barbaren – genau das dachte sie von den Gauklern - leben konnte, ohne dabei selber wild zu werden. Im Gegenteil, in allem, was Calvena machte, benahm sie sich wie eine tadellose römische Dame. Das war schon... bemerkenswert. Woher hatte Calvena all ihre gebildete Art und Weise, ihre Manieren, ihren Stil, der Romana, der Patrizierin, die traditionalistisch erzogen worden war, manchmal sogar besser vorkam als der Ihre (der hie und da, zugegebenermaße, katastrophal sein konnte)? Wie konnte sie sich so gut beherrschen, dass so selten die wilde Seite, die sie doch unzweifelhaft sich angeeignet haben musste, zum Vorschein kam? Die Gaukler mussten doch gesittetere Menschen sein, als sie es bisher angenommen hatte.
    Sie musste nun aber wieder lächeln. „Meinst du wirklich, ich hätte dir das mit dem Wein erzählt?“, feixte sie. „Na ja, vermutlich. Jetzt weißt du es. Und ach ja, wenn du dich fragst, woher die Himbeeren sind – das weiß ich nicht, die hat eine Sklavin vom Markt gekauft.“
    Sie blinzelte, als sie ihr mitteilte, Valerian wäre nicht in Rom. „Ah, auf Spezialauftrag?“, vermutete sie. „Nein, sind wir leider nicht.“ Sie versuchte zu verdrängen, was ihr dort Schlechtes widerfahren war.
    „Gut, machen wir das“, meinte Romana befriedigt – und es war gut, dass sie nicht erfuhr, dass Calvena sich insgeheim dachte, sie würde die Hochzeit ruinieren. Die Vestalin wäre ehrlich gekränkt gewesen, denn auch wenn sie Valerian nicht mochte, sie wollte Calvenas Glück, über deren Existenz sie nun wusste, nachdem die beiden sich in der Bibliothek ausgesprochen hatten, nicht zerstören.
    Sabina bekam die Wahl, sich anzusehen, was sie wollte, und entschied sich. Zuerst also das Lararium. Sie nickte. „Dann kommt mit.“ Sie machte ihre Türe auf und ließ die beiden hinausgehen, bevor sie selber ihr Cubiculum verließ und die Türe hinter sich zumachte.


    >>>

  • Sie musste schmunzeln, Romana war immer noch nicht davon überzeugt, singen zu können. „Warum sollte ich dich anlügen?“ fragte sie Romana ernst und sanft lächelnd. „Ich hab bei den Fontinalien auch auf einer Harfe gespielt. War gar nicht so einfach dieses Instrument aufzutreiben. Aber am Ende hat Elissa eine ausfindig gemacht“, erzählte sie ihr. „Es ist gar nicht so schwer“, zumindest empfand sie das so. Ihr fiel es leicht das spielen der Instrumente zu lernen oder Lieder. Eigentlich alles, was mit Musik zu tun hatte. So war es schon immer gewesen, für sie war es nicht wirklich ungewöhnlich, deswegen zuckte sie nur etwas verlegen mit den Schultern, als Romana sie ein wenig dafür bewunderte. „Ich tu mich dafür mit anderen Dingen schwer“, gab sie zu. Hätte sie in diesem Moment geahnt, in welche Richtung die Gedanken ihrer Freundin ging, wäre sie wohl ein wenig aufgebraust. Ihre Ziehfamilie hatte weder aus Barbaren noch Banditen bestanden. Es waren ehrliche Menschen gewesen, die sich aber nicht den Normen und Erwartungen anderer hatten beugen wollen. Höflichkeit und Freundlichkeit hatte ihren Alltag ebenso bestimmt, wie das tägliche Lager bauen oder die unzähligen Auftritte. Es waren eben meistens nur Vorurteile, gegen die sich Gaukler behaupten mussten. Sicher einiges entsprach der Wahrheit, aber Banditen waren sie nicht, im Gegenteil, sie fürchteten sich ebenso vor diesen herumziehenden Banden, wie alle anderen Reisenden. Eben solche verkommenen Subjekte waren es gewesen, die sie überfallen hatte. Feuer und Rauch und Blut und Tod hatten sie gebracht. Zurück geblieben war sie, allein... Doch der Kummer war langsam nun verblasst und sie hatte trotz allem ihr Glück gefunden und in Romana eine wunderbare Freundin.


    Sie musste lachen, als Romana dann ihre Scherze wegen dem Wein machte und wegen den Himbeeren. „Wo kann man denn im Winter Himbeeren her bekommen?“ fragte sie amüsiert. „Die Vestalinnen müssen quälen haben, die für normal sterbliche nicht erreichbar sind. Du hast es wirklich gut!“ Bewunderung schwang in ihrer Stimme mit. Nur kurz kamen sie wieder auf das Thema Fontinalien zu sprechen und sie drückte ihrer Freundin aufmunternd die Hand. „Es hat mich gefreut, dass du da warst!“ lächelte sie und bekam nichts von deren düsteren Gedanken mit.


    Schließlich erhob sie sich und folgte Romana, Sabina nahm sie dabei wieder an die Hand.

  • Die Nacht war sehr kalt, wohl die kälteste von all jenen, die es in diesem Jahr geben würde. Gegen Abend hin war die Temperatur so tief gesunken, dass sich alle Vestalinnen in ihre gut geheizten Zimmer verkrochen hatten. Auch Romana. Obwohl sie gerne von sich sagte, dass ihr Kälte wenig ausmachte, hatte auch sie sich der Temperatur entsprechend hergerichtet. Sie war in ein langes, enges Nachtkleid geschlüpft, welches recht gut ihre eigenen Körperwärme einfing, und hatte sich in eine extradicke Decke eingemummelt, während die Fußbodenheizung unter ihr einheizte. So war die Temperatur wieder erträglich, und Romana spürte die Wärme angenehm in sie hineinkriechen, als sie entschlummerte, und ins Reich der Träume glitt.


    Das Reich der Träume betrat sie. Angetan in der Tracht einer römischen Matrone. Inklusive aufgestecktem Haar. Schmuck an meinen Armristen. Ich fühle die Schminke in meinem Gesicht, klebrig, jedoch nicht unangenehm. Wo war sie? Ich kenne den Ort nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen. Nichts war so, wie es gewesen war. Alles war anders. Wieso hieß dieser Ort Villa Atilia? So heißt diese Villa. Die Atilia. Eine patrizische gens. Wie kommt es, dass ich hier bin...? Ihr Mann. Da drüben. Wie hieß er? Ich kenne den Namen doch. Sie waren verheiratet. Aber sie konnte nicht verheiratet sein, sie könnte nie heiraten, sie war glücklich verheiratet. Und das bin ich schon seit einem halben Jahr, mein Vater hat dies arrangiert. Das konnte nicht sein, hatte sie das auch gewollt? Doch, ja... Sie hatte zugestimmt, weil mein jetziger Gatte mir so sympathisch war, ein Mann mit Manieren und Niveau. Wieso fühlte sie sich so schwer an – vom einen Moment auf den anderen? Sie blickte an sich herunter. Ich bin dick... ich bin schwanger. Von meinem Mann... von ihm... er heißt... Romana riss ihre Augen auf.


    Und starrte an die Decke ihres Zimmers, an den Sternenhimmel, den ihr der Gallier auf die Decke gemalt hatte. Es war ihr heiß. Sie strampelte die Decke ab, was sich ob des unpraktischen Schnitts ihres Nachtkleids als sehr schwierig erwies, und suchte wieder zu schlafen. Doch es gelang ihr nicht mehr. Nach so einem Traum konnte man nicht mehr schlafen. Mehrere Male griff sie sich an ihren Bauch, der flach wie ein Brett war – sie hatte frühere Gewichtsprobleme seltsamerweise in den Griff bekommen, obwohl sie nicht weniger aß als früher. Vielleicht tat die Arbeit im Atrium Vestae das Ihre.


    Ewig lag sie da. Die Morgenröte brach ein. Die Sonne war daran, am Horizont aufzugehen, um einen klaren, kalten Tag einzuläuten. Erst jetzt schlief sie ein – um doch noch eine Stunde Schlaf für diese Nacht zu bekommen.


    Was sie noch nicht wusste, war dass dies nicht der letzte Traum dieser Art sein sollte, den sie haben würde.

  • Es war wärmer geworden. Es war der Schirokko, der Marin, der Südwind, der ein wenig von der Kälte vertrieben hatte. Aus Afrika kommend, wenn auch nur schwach, hatte er das Frühjahr eingeläutet. Die Abende waren wärmer geworden, spürbar wärmer. Es hellte auf, die Tage wurden länger, die Nächte kürzer. Und doch kam sie, und wie die Dunkelheit kam, so hellten sich Lichter in der Stadt auf, nur um bald wieder zu erlöschen, ein Zeichen, dass sich die Einwohner der betreffenden Wohnstätten zur Ruhe begeben hatten. Auf den Straßen hörte man das Rufen der Fuhrleute, das Wiehern der Pferde, das Knarren der Räder, wenn auch nur gedämpft – zumindest in den Häusern, deren Wände gut isoliert waren.


    Auch im Atrium Vestae war zur Abendruhe gemahnt worden. Die claudische Vestalinnenschülerin, die mit jedem Tag ihre Erhebung zu einer voll qualifizierten Vestalin näher rücken sah, begab sich auch zur Ruhe. Ihr letzter Traum, der schon eine Woche oder so her war, den hatte sie nicht vergessen. Sie hatte niemandem davon erzählt, sie hatte es als seltsame Kuriosität abgetan.


    Dass der Tag lang und schaffensreich gewesen war, bemerkte man gut daran, dass Romana, nicht mehr Mädchen, aber noch nicht ganz junge Frau – als solche würde sie sich erst bezeichnen, wenn ihre Lehrzeit vorbei war – sofort einschlief, nachdem sie in ein schon viel leichteres Schlafgewand und unter die Decke geschüpft war.


    Sie glitt ab, mental. Klischeehaft würde man sagen, ins Reich der Träume. Doch so ein Ausdruck war kitschig, und Romana war keine Freundin der überkitschten Beliebigkeit. So konnte man nur sagen – sie träumte. Wieder.


    Sie saß in einer Sänfte, und lugte durch das Fenster hinaus. Straßen. Das Getrappel von Sklaven. In ihrem Magen rumorte es. Nein, es war nicht ihr Magen, es ist mein Bauch, etwas bewegt sich drinnen. Ich kann es spüren. Auch er kann es spüren. Man sah es daran, dass er – er sitzt neben mir, in der Sänfte – seine Hand auf ihren Bauch legte und lächelte. Wenn es ein Junge wird, benennen wir ihn nach uns. Gaius Atilius Romanus. Ich bin mir sicher, es wird ein Junge. Sie wollte etwas sagen, aber sie brachte nichts heraus – sie lächelte nur zurück, als ob es das Normalste wäre, mit einem Wildfremden in einer Sänfte zu hocken, hochschwanger, wie es aussah, und sein Kind zu tragen. Doch es ist normal. Wir sind verheiratet. Auf einmal – ein Schmerz. Wie eine Explosion. Es kommt. Es kommt...


    Sie fuhr hoch und keuchte. Fast hätte sie einen spitzen Schrei gelassen, der das ganze Atrium aufgeweckt hätte. Sie saß wieder in ihrem Bett. Nicht mehr in der Sänfte. Alles war normal, aber Romana war eingeschüchtert. „Was zum Henker ist... das...“, murmelte sie verständnislos und blickte sich um. Niemand war da, kein Atilius, kein Bauch, kein Kind, keine Sänfte. Nur sie, in ihrem Zimmer.


    Mit einem Stöhnen ließ sie sich zurückfallen in ihr Bett. Doch innerlich reifte ein Wunsch in ihr. Sie wollte... saure Gurken mit Marmelade.


    Ob des obskuren Gedankens hielt sie inne, schüttelte ihr lockenbehängtes Haupt ungläubig und schlug sich mit ihrer rechten Hand an den Kopf, wie zur Selbstgeißelung. Ihr entfuhr ein undefinierbarer Laut. Romi, du wirst verrückt, schimpfte sie sich innerlich aus, drehte sich auf die rechte Seite, und schaffte es irgendwann, einzuschlafen – traumlos dieses Mal.

  • Es war ein Brief gekommen, ein Brief für Claudia Romana. Die wachhabende Vestalin hatte ihn entgegen genommen, einer Sklavin mitgegeben, und die hatte den Brief zu Romana gebracht. Die Claudia hatte den Brief entgegen genommen mit einer gewissen Verwunderung. Warum sollte Calvena schreiben? War etwas geschehen?


    Sie entrollte den Brief geschwind und las die Zeilen. Sie las gründlich, langsam, um alles sorgfältig aufzunehmen. Calvena... WAS? GERMANIEN?


    Romanas Kinnlade fiel herunter. Nun ja, dies sollte qualifiziert werden – einer Dame fiel per definitione nicht die Kinnlade runter. Aber dennoch, sie starrte den Brief an, mit offenem Mund, und las hastig weiter. Es war Quintilius. Er wurde nach Germanien versetzt. Er wurde dort stationiert. Degradiert.


    Romana wurde fast schwarz vor den Augen. Noch nie war sie der Ohnmacht so anhe gewesen wie jezt. Mühevoll aber bewahrte sie die Kontenanz und las weiter. Es ging also vom PU aus... PU? Ach, Praefectus Urbi. Romana wurde weiß. Der Praefectus Urbi. Die Sau, die sie in den Bäder verteidigt hatte. Dieser Dreckskerl. Romanas Linke ballte sich zur Faust. Sie biss ihre Lippen zusammen voller Ärger und las weiter. Nicht möglich, sich zu verabschieden. So schnell war das gegangen. Er hatte ihnen nicht einmal die nötige Zeit gelassen, nicht einmal die Zeit dafür, sich von ihr zu verabschieden.


    Man hätte es sich nie gedacht, aber Romana realisierte eines – dies hier war nicht die Schuld von Calvena. Es war auch nicht die Schuld vom Quintilius. Nein, es war einzig und alleine die Schuld von Vescularius Salinator. Diesem Schuft.


    Den Rest des Briefes überflog sie nur noch, bevor sie ihn sinken ließ und voll ohnmächtiger Wut mit ihrer linken Hand, zur Faust geballt, auf ihren Nachtkasten haute. Es gab jemanden, der jetzt etwas erleben konnte.


    Romana schluckte. Sie schluckte ihren Ärger hinunter. Nur ruhig Blut, suggerierte sie sich selber. Du musst jetzt tapfer sein. Kontrolliert. Gelassen. Sie atmete ein paar Male tief ein und aus. Dann spreizte sie die Finger der rechten Hand. Mit einem Klappern fiel die Schriftrolle zu Boden.


    “Parthenope!“ Ihr Ruf nach ihrer Sklavin klang ungewohnt harsch und befehlshaberisch durch das Zimmer, hinaus auf den Flur. Die Epriotin kam hineingestürzt. “Herrin?“ “Die Stola und die Palla, aber schnell. Und auch das Inful und das Suffibulum, ich will nichts auslassen. Ich werde einen Ausflug machen, mit Mancinus. Es ist wichtig.“ “Zu Befehl, Herrin!“, keuchte Partenope und kleidete Romana an, während jene stand und grübelte. Das musste doch zu bereinigen sein. Musste einfach. Und wenn sie dafür bis zum Kaiser nach Misenum gehen müsste.


    Aber vorher musste sie noch zu den Quintiliern. Sie musste nachschauen gehen, ob noch jemand dort war. Ob es nicht schon zu spät für einen Abschied war.

  • Romana hatte vor ihrem Arbeitstisch gesessen und auf Wachstafeln gekritzelt wie eine Wilde. Mehrere Male hatte sie Textstellen durchgestrichen. Einige Male hatte sie etwas eingefügt. Zwei, drei Mal hatte sie schon aufgeben wollen: aber eine Claudier, die aufgab, weil ihr die Knie schlotterten und sie sich in die Tunica gemacht hatte, die musste erst noch geboren werden! Es wäre ja gelacht! Das Endergebnis war aber nun Folgendes.


    Claudia Romana Imperatori Caesari Augusto patri suo salutem plurimum dicit.


    Mein geliebter Vater, ich schreibe dir mit brennender Sorge und wachsender Unruhe über die Umtriebe deines Statthalters in Rom, den Praefectus Urbi, Vescularius Salinator. Der Praefectus Urbi ist ein Mann, über den sehr viele Leute in Rom unzufrieden sind, was kein Wunder ist angesichts insbesondere kürzlicher Entscheidungen, die einen Hauch von Willkür oder auch mehr als einen Hauch davon hatten. Ein besonders besorgnis erregendes Beispiel davon ist der Prätorianercenturio Quintilius Valerian. Vescularius hat sich erdreistet, den Pax Deorum zu bedrohen, als er bei dessen Heirat ins Opfer hineinplatzte und es dergestalt störte. Daraufhin wurde er von Quintilius, dessen Frau offensichtlich des Stadtpräfekten sexuelles Interesse geweckt hatte, gemahnt. Kurz daraufhin wurde er durch einen vom Stadtpräfekten unterzeichneten Befehl ohne ersichtlichen Grund nach Germanien geschickt; es bleibt mir nicht anderes übrig, als anzunehmen, dass dies auf jenes Ereignis zurückzuführen ist.


    Glaube mir, Vater, ich habe es im Guten versucht. Ich bin zu ihm hingegangen und habe gehofft, er würde mir, deiner Tochter, Gehör schenken. Doch nicht nur sprach er mich anzüglich an und machte dumme Witze über meinen Status als Vestalin, er lachte mich offen heraus aus. Dieser Mangel an Respekt vor einer Tochter des Kaisers, einer Vestalin, finde ich erschütternd, und wollte deshalb dir davon berichten.


    Ich bitte dich, liebster Vater, mache das Unrecht, welches Quintilius Valerian geschehen ist, rückgängig – veranlasse, dass er zurück nach Rom stationiert wird! Nur so kann der Gerechtigkeit genüge getan werden. Zudem habe ich noch eine Bitte – kehre nach Rom zurück. Dein Statthalter mag dir sicher ein treuer und guter Freund sein, doch er verwaltet Rom nicht gut. Ob deiner Abwesenheit sind die Leute traurig, ein Zustand, der nicht dadurch verbessert wird, dass der Stadtpräfekt notwendigerweise nicht an die Führungskräfte, die du, der du aufgrund deines Amtes von den Göttern begünstigt wirst, hinzureicht. Ich bitte dich, komme nach Rom und gebe den Menschen mit dir einen Führer, der der ewigen Stadt und des Reiches jenseits aller Zweifel würdig ist.


    Mögen die Götter stets deine Hand über dich halten, sowie meine innigste Liebe dich stets überall hin begleiten wird.


    So – das würde jetzt nach Rom geschickt werden. Sie war schon gespannt, was da heraus kommen würde.

  • Parthenope kam, wenn sie gerufen wurde von ihrer Herrin. Natürlich tat sie das. Ihre Herrin verstand, mit ihren offensichtlichen Schwächen zu leben und dafür ihre verborgenen Vorzüge zu schätzen. Ihre Herrin wusste, dass sie sich auf sie verlassen konnte, wenn es hart auf hart kam. Und dieses Vertrauen wollte Parthenope durch Faulheit nicht erschüttern.


    Und so wurde sie auch dieses Mal gerufen, ganz am Morgen, als sie noch im Bett lag – eine andere Sklavin richtete es aus. Parthenope wäre fast nackt zum Cubiculum ihrer Herrin hinübergestolpert, hätte sie nicht noch im letzten Augenblick sich daran erinnert, etwas anzuziehen. Angekleidet in einer schlichten Tunika klopfte sie also nun an und trat ein.


    “Salve, Herrin“, grüßte die junge Griechin und machte einen Knicks, bevor sie zu Romana aufschaute.

  • Romana, die, schon angezogen, leger auf ihrem Bett lag, blickte auf, als Parthenope eintrat. “Ah. Salve, Parthenope. Setz dich.“ Sie musterte die Griechin eingehend, bevor sie fortfuhr. “Ich bin zufrieden mit dir, das muss ich dir sagen. Du kannst gut schreiben, auf latein wie auch auf griechisch. Beide Sprachen sprichst du perfekt, du verstehst zudem illyrisch. Und das beste ist, du beherrschst die tironische Kurzschrift – ich habe gut daran getan, dich bei der Leibsklavin der Papiria Occia lernen zu lassen. Deine Fortschritte sind enorm. Du bist nicht dumm, auch wenn man es manchmal meinen mag“, fügte Romana ungnädig hinzu. “Also. Du wirst hiermit meine Scriba Personalis. Das bedeutet, dass du immer bei mir sein wirst, aufschreiben wirst, was gesagt wird, wenn ich es dir befehle, und für mich meine Briefe schreiben wirst. Zudem wirst du mir bei Opfern als Opferhelferin fungieren, und zudem als meine Nomenclatrix. Und sonst bei allen Aufgaben, zu denen ich dich sonst heranziehen werde, zum Beispiel als Vilica meiner Getreidelatifundie. Und natürlich wirst du des Öfteren als Laufbotin und Nachrichtenüberbringerin dienen. Du siehst, ich bin eine wichtige Frau; ich bin Vestalin, und brauche eine Assistentin. Im Gegenzug dafür wirst du besseres Essen, eine bessere Unterkunft und ein wenig Freizeit im vernünftigen Maß bekommen. Ich will dafür nur eines – dass du dich mehr zusammenreißt! Ich kann keine Träumerin gebrauchen, nicht, wenn es um die Arbeit geht. Wenn du das verstanden hast, kannst du dich zurückziehen.“

  • Parthenope nickte devot. “Ja, Herrin.“ Scriba Personalis einer Vestalin... das war nicht der schlechteste Posten der Welt. Natürlich würde sich Parthenope dafür etwas ins Zeug legen müssen. Aber sie hoffte, dass sie ihre Herrin auch dahingehend nicht enttäuschen würde. Denn sobald dies getan war, würde ihr ganzes Leben zur Hölle werden.


    “Danke, Herrin.“ Sie knickste noch einmal. “Vale.“ Mit diesem Wort verließ sie geduckt wieder das Cubiculum.

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