Vom Winde verweht....

  • Was für ein herrlicher Tag. Bereits seit einer ganzen Weile war Laevina in Begleitung ihrer getreuen Leibsklavin Quadrata auf den Trajansmärkten unterwegs, und hatte schon das eine oder andere Schnäppchen gemacht. Sie musste einfach mal wieder stolz auf sich und ihr gewinnendes Wesen sein, das sich offenbar auch auf die Gemüter der anwesenden Händler positiv auswirkte. Bislang hatte es noch kein einziger geschafft, ihr seine Waren auch nur ansatzweise für den ursprünglich geforderten Preis anzudrehen. Laevina lächelte vergnügt bei dem Gedanken daran, wie früher oder später jeder Verkäufer entnervt das Handtuch warf und ihr den gewünschten Gegenstand zu einem Sonderpreis überließ. Es war eben alles nur eine Frage der Ausdauer und freundlichen aber bestimmten Überredungskunst....


    Auf ihr letztes Schnäppchen war Laevina ganz besonders stolz: ein wunderschöner silbergrauer Schal aus einem sehr luftigen und durchscheinenden Stoff, der hervorragend zu ihrem Haar passte. Aber jetzt, wo der angenehme Teil des Einkaufs erledigt war, konnte sie sich auch endlich den praktischeren Dingen des Lebens zuwenden. Sie gab Quadrata einen wortlosen Wink, und diese verschwand sofort in der Menge der umherlaufenden Menschen, um sich auf die Suche nach eventuell wichtigen oder interessanten Persönlichkeiten zu machen, die gerade auf den Trajansmärkten unterwegs waren.


    [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/Marple.jpg]
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    Quadrata, Serva


    Laevina sah ihrer sich entfernenden Sklavin zufrieden hinterher, und freute sich wieder einmal daran, dass die Kommunikation zwischen ihnen beiden bereits seit fast 50 Jahren so reibungslos funktionierte. Ohne Quadrata und deren hervorragende Augen und Ohren hätte sie sich das eine oder andere Mal schon deutlich mehr anstrengen müssen...


    Sie wollte sich gerade wieder einem der Stände zuwenden, als ihr ein plötzlicher Windstoß den luftigen Schal aus den Händen riss und davon trug. Laevina stieß leise einen höchst gotteslästerlichen Fluch aus und versuchte, den davonfliegenden Schal aufzuhalten, aber sie war nicht schnell genug. Die römische Öffentlichkeit war ja mittlerweile an das Bild der gebrechlichen Frau mit dem Gehstock gewöhnt, da konnte sie ja kaum auf einmal loswetzen wie ein Wiesel...Und Quadrata war längst ausser Hörweite, sonst hätte sie die losscheuchen können...
    So ein elender Mist....Laevina beeilte sich, in einigermaßen glaubwürdigem Tempo voranzukommen und den silbergrauen Schleier in der Luft zumindest im Auge zu behalten....



    Sim-Off:

    Bin gespannt, ob jemand der alten hilflosen Dame zur Hilfe eilen wird :)

  • Sim-Off:

    Wie könnte man einer solch reizenden Damen diesen Gefallen verweigern? ;)


    Piso war gut drauf, sehr gut drauf. Er hatte heute am Morgen eine hübsche lustige Melodie erfunden 8), selber, ganz ohne Hilfe, und sie vermittelts des griechischen Notensystemes auf Pergament gebracht. Sie ständig vor sich hinsummend schritt er durch die Märkte. Wozu eigentlich, wusste er selber nicht. Er liebte die Märkte einfach, es gab jeden Tag was Neues zu sehen. Vielleicht würde er heute einen ganz großartigen Gegenstand erwerben, etwas Ästhetisches, was süße Klänge zu verströmen imstande war (ie. Vorzugsweise, was Lärm machte und die Leute von in der ganzen Villa vergällen könnte). Er bog ab, an diversen Kleidungsständen vorbei, um zum exotischeren Teil des Marktes zu gelangen, hatte er doch hier schon diverse ganz abstruse Sachen bekommen. Die Menschenmenge schien sich vor ihm zu teilen. Gleich müsste er seinen Lieblingsmarktteil sehen können!
    Doch er sah, wie er es auf einmal gewahr wurde, gar nichts mehr. Ihm war etwas ins Gesicht geweht worden, ohne Vorwarnung. Er rief einen Fluch vor lauter Überraschung, durch den vor sienen Mund zusammengepressten Stoff klang es wie ein Muhen. Pisos Arme fuhren in einem Satz nach oben und versuchten den Schal von seinem Kopf zu entwirren, während er selbst unwillkürlich nach links torkelte. Fast schon hatte er den Schal vom Gesicht gerissen, da stieß er mit seinem Kopf an etwas hartes an – den Holzständer eines Marktstandes. Ein weiteres Muhen erschallte über das Forum, bevor Piso es schaffte, sich den vermaledeiten Schal vom Gesicht zu reißen.
    „Verdammt.“, hörte man endlich, nun aber bedeutend leiser. „Was für ein Elend... wem gehört dieser Schal?“, rief er und winkte mit ihm, etwas verärgert, in der Luft herum. Mit der rechten Hand. Mit der linken fasste er sich an seinen Kopf, an eine Stelle, wo womöglich bald eine Beule zu sehen sein würde. Sein Schädel brummte ordentlich, das Holz war stark gewesen. Der Händler grinste ihm nur blöd zu. Standhaft ignorierte der Flavier den Blick des Idioten. Er wollte unbedingt rausfinden, wer ihm das Leid mit dem Schal zugefügt hatte.

  • Das Gewühl auf dem Markt schien immer schlimmer zu werden, und Laevina hatte zunehmend Probleme damit, ihren davonflatternden Schal nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Ärgerlich rammte sie einem dicken verschwitzten Bürger, der gerade mit leuchtenden Äuglein eine Amphore Wein begutachtete ihren Gehstock in die Zehen, und schnaubte nur verächtlich, als dieser vor Schmerz aufbrüllte und zur Seite sprang. Was baute sich dieser Tölpel mit seinen Hühneraugen auch ausgerechnet hier auf und versperrte ihr den Weg....


    Und als hätte sie es nicht geahnt, verschwand ihr nagelneuer Schal jetzt endgültig in der Menge der Händler und Kunden. Laevina wurde immer wütender und legte noch ein kleines bisschen an Tempo zu, schließlich hatte sie ja nicht minutenlang mit dem Wurm von Händler gefeilscht, um sich ihre Beute jetzt wieder abjagen zu lassen.


    Aufgeregt sah sie sich in alle Richtungen um und mehr durch Zufall fiel ihr Blick schließlich auf einen Mann, der mit ihrem Schal um den Kopf und wild gestikulierend gegen einen Holzbalken rannte. War der denn wahnsinnnig? Der gute Stoff ging doch kaputt!


    Empört vergaß Laevina für einen Moment lang alle Vorsicht, schoss auf den Mann zu und rief in leicht undamenhaftem Tonfall und mit dem Gehstock in der Luft herumfuchtelnd:


    "He da! Das ist meiner! Finger weg von meinem Schal!"

  • Sinnlos mit dem Schal in der Luft herumfuchtelnd, stand Piso also am Markt, sich als hervorragende Zielscheibe für Spott und Hohn aus ungeschlachtem Plebejermunde anbietend. Womit hatte er sich das bloß verdient? Der objektive, einsichtige Leser mag geneigt sein, zu antworten, allein schon durch seine musikalischen Misserfolge müsste er tausend Jahre im Tartarus schmoren. Doch für einen gestandenen Flavier war dies keine Antwort, und die einzige Frage, die ihn sowieso nur interessierte, war: Wem gehört der Schal? Und dass sein Cursus Iuris nicht umsonst gewesen war, konnte man daran sehen, dass er schon zu berechnen anfing, wieviel Schmerzensgeld er von der unachtsamen Person eintreiben könnte, die ihren Schal auf ihn losgelassen hatte.
    Und, da war sie schon! War das eine schräge Alte. Sie hielt ihn wohl für einen Dieb. Piso verdrehte innerlich die Augen. Öffentliche Verleumdung, ha, die könnte er am Gericht auspressen wie eine Zitrone.
    Er hielt den Schal zu ihr hin. „Den kannst du gern haben, Mütterchen. Ist eh minderwertige Qualität.“, meinte er mit bemitleidendem Grinsen. „Da.“ Er warf ihn lässig der alten Frau zu. „Du kannst froh sein, dass er mir in die Arme... besser gesagt, an den Kopf gekommen ist. Denn ich habe es weder nötig, den Schal zu stehlen, noch, dich wegen Fahrlässigkeit zu verklagen, auch, wenn es mich in den Fingern juckt.“, meinte er nonchalant, mit dem Tonfall eines erfahrenen Juristen (der er, als Grünschnabel in seinem Fach, durchaus nicht war). Mittlerweile müssten wohl auch seine Schuhe für die Alte ersichtlich sein, der Halbmond hatte dort wie eh und je sein Zuhause.

  • Mittlerweile war Laevina auf Hörweite an den Mann herangekommen, der ihr jetzt ihren Schal entgegenstreckte, und sein Kommentar trieb ihren Blutdruck in ungeahnte Dimensionen.


    Mütterchen?....minderwertig?.....verklagen?.....Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Allein der Umstand, dass der junge Mann aufgrund seiner hochwertigen Kleidung und gepflegten Ausdrucksweise ganz offensichtlich zur besseren Gesellschaft gehörte, bewahrte Laevina vor einer unbedachten Reaktion und ihn vor weit schlimmeren Blessuren als der Beule an seinem Kopf.


    Sie hatte ihn fast schon erreicht, als sie die Halbmonde an seinem Schuhwerk sah und sich spontan für eine Kurskorrektur entschied.


    Wie von einem Schwächeanfall leicht taumelnd, legte sie die letzten Meter bis zu ihm zurück, streckte ihre Hände nach dem Schal aus und rief mit leicht zittriger Stimme (die ihr momentan ziemlich leicht fiel, da sie durch die lange Verfolgungsjagd ganz schön aus der Puste war):


    "Oh, den Göttern sei gedankt, du hast meinen Schal gefunden!" Jetzt wurde ihre Tonlage noch etwas zittriger und ihr Gesicht nahm einen überaus betroffenen Ausdruck an.


    "Du musst nämlich wissen, dieser Schal war das letzte Geschenk meines kürzlich verstorbenen Mannes, und es hätte mir das Herz gebrochen, wenn ich ihn nicht wiederbekommen hätte..."

  • Piso wollte sich nach seinen herablassenden Worten, mit dem er diese unäthetische Erscheinung schon abgekanzelt gehabt zu haben geglaubt hatte, schon umwenden und seines Weges gehen, weiter zu seinem exotischen Markt gehen. Doch plötzlich sah er, wie die Dame vor ihm ins Straucheln kam. Er schnellte vor und packte sie unter den Achselhöhlen. Sein Gesicht, noch vorher leicht verärgert, wirkte nun besorgt. „Alles in Ordnung?“, fragte er nun besorgt. Und es wurde ihm einwandfrei verkündet, dass gar nichts in Ordnung war. Ihre Worte berührten ihn, es tat ihm nun sehr Leid, dass er die Alte vorhin so rüde angefahren hatte.
    „Gnädige Dame“, meinte er nun, der Wechsel in seiner Ausdrucksweise war spürbar. „Willst du dich nicht kurz setzen? Hier ist eine Bank!“ Er wies auf eine unbesetzte Bank, die eigentlich ein Händler dazu aufgestellt hatte, damit seine Kunden seine erlesene Steinsammlung in Ruhe betrachten konnte. Die Beule an seinem Kopf schmerzte noch immer, aber diesmal wurde sie tapfer ignoriert. „Wirklich, es tut mir sehr Leid, das zu hören, und ich muss mich entschuldigen für meine Ausdrucksweise.“ Betroffen klang seine Stimme. „Gibt es da irgendetwas, was ich für dich tun kann?“
    Er bemerkte überhaupt nicht, dass das ganze nur Maskerade war, dass die Alte ihre wahren gehässigen Gefühle vor ihm verbarg.
    „Ich bin übrigens Aulus Flavius Piso. Wenn ich irgendwie helfen kann, ich stehe zu Diensten.“, betonte er nochmals nachdrücklich und fühlte der Frau an den Puls. Wie hoch der war! Er fühlte sich einfach nur schrecklich darüber, wie er sich benommen hatte.

  • Uff, das war ja gerade nochmal gut gegangen... Laevina ließ sich von dem jungen Mann auffangen und wiederaufrichten und sah ihn dann mit bescheidener und zutiefst dankbarer Miene an, wobei sie höchst erfreut seine gebildete und höfliche Wortwahl zur Kenntnis nahm.


    "Ja, vielen Dank, es geht mir schon viel besser" sagte sie mit nach wie vor wackliger Stimme und stützte sich schwer auf ihren Gehstock, um die eigenen Worte Lügen zu strafen. Unter Ächzen und Seufzen ließ sie sich auf der von ihm angebotenen Bank nieder und deutete dann verschämt auf den leeren Platz neben sich.


    "Willst du dich nicht einen Moment zu mir setzen, dann muss ich nicht so nach oben sehen, das Sonnenlicht tut meinen alten Augen doch ziemlich weh. Und vielmehr ich muss mich bei dir entschuldigen. Wäre ich nicht so achtlos gewesen, dann hätte ich nicht so ein wichtiges Mitglied unserer römischen Gesellschaft in unnötige Gefahr gebracht."


    Sie sah verzeihungsheischend zu ihm hinauf. "Oh, und vergib mir bitte, dass ich mich bislang noch nicht vorgestellt habe, mein Name ist Germanica Laevina und es ist mir eine große Ehre dich kennenzulernen."

  • Ach, was war das bloß für eine süße und arme alte Frau, dachte sich Piso, der ja im Herzen ein guter Mensch war, selbst wenn diese Information für manche sehr seltsam anmuten könnte. Viel besser schien es ihr, entgegen ihrer Worte, nicht zu gehen, so laut wie ihr Stöhnen und Schnaufen klang, als sie sich hinsetzte. Piso nickte natürlich, als sie ihm den freien Platz anbot, und setzte sich. Er selber war ja ein relativ hoch aufgeschossener Mensch, wenn auch nicht riesenhaft, und er konnte sich vorstellen, dass zu ihm hinaufsehen für so ein liebes Mütterchen eine echte Plagerei war.
    Er lachte jedoch los, als sie ihn ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft nannte. „Ich? Ein wichtiges Mitglied? Ich bin einfacher Beamter in der Kanzlei.“, machte er. Unnötig anzufügen, dass er ein einfacher Beamter war, der ein wichtiger Beamter werden wollte, was ihm aber bislang missgönnt geblieben war.
    „Unnötige Gefahr? Ich bitte dich, ich halte sowas schon noch aus.“, lächelte er, was ein wenig schwer fiel, pochte doch der Schädel so arg!
    Sie stellte sich vor, und Pisos Gehirn begann zu rattern. Germanicus Avarus, der elende Frevler, Germanicus Sedulus, das vulgäre Schosshündchen, so hatte es Furianus formuliert. Und dann Germanica Calvena... wenn das kein schlechter Start war. Doch laevina schien eine nette Person zu sein, was er so sehen konnte.
    „Die Ehre liegt ganz auf meiner Seite, werte Germanica. Ist es möglich, dass du mit den Senatoren Avarus und Sedulus verwandt bist?“, fragte er freundlich. Er wollte erst einmal ausloten, wie sie zu den beiden stand.

  • Was hatte Sedulus noch über die Flavier gesagt? Dass sie nicht allzu gut auf die Gens Germanica zu sprechen waren? Da galt es jetzt natürlich, das weitere Gespräch mit der gebotenen Vorsicht fortzusetzen.


    "Nun, vielleicht magst du heute noch ein Kanzleibeamter sein, aber mit deinem edlen Blut und einem so edlen Charakter, wie du ihn gerade unter Beweis gestellt hast, wirst du es zweifellos noch sehr weit in dieser Stadt bringen" säuselte sie und warf ihm einen bewundernden Blick zu.


    "Und ja, ich gehöre zur Gens Germanica und wohne im Haus des Senators Avarus, aber wirklich eng verwandt sind wir nicht. Er war nur so großzügig, einem Mitglied seiner Familie Zuflucht zu gewähren, als meine Not am größten war..." sie seufzte tief auf und kämpfte scheinbar mit den Tränen (mit etwas Glück würde sie Bälde das eine oder andere Tränchen aus den Augen pressen können, aber solche Mittel wollten ja wohldosiert sein...)


    "Im Grunde bin ich meiner Familie nur ein Klotz am Bein, denn wer freut sich schon über eine arme alte Frau in seinem Haus..... Aber ich hatte einfach keine Wahl, ich musste nach Rom kommen."


    Sie musterte ihn kurz aus den Augenwinkeln, sah, dass er ihr offenbar mittlerweile gewogen war und beschloss allmählich einen Gang zuzulegen.


    "Du musst wissen, mein Mann Lento.." an dieser Stelle schien sie nur mit Mühe ein Schluchzen zu unterdrücken, ..."ist vor wenigen Wochen gestorben....und es war furchtbar schwer für mich, wie du dir sicher vorstellen kannst. Mir ist nur noch meine Enkelin geblieben, und die hat plötzlich beschlossen, mich zurückzulassen und nach Rom zu der Gens ihres Vaters zu ziehen..."


    Laevina betupfte die Augen mit ihrem neuen Schal und sah Piso dann mit scheinbar mühsam erkämpfter Tapferkeit an.


    "Ich habe keine Ahnung, warum sie mich verlassen hat. Stell dir nur vor, sie ist erst fünfzehn, und jetzt wohnt sie dort in diesem großen Haus ganz ohne jeglichen männlichen Schutz, wie hätte ich da in Ruhe weiterleben können?" sie stieß einen kleinen erstickten Schluchzer aus.


    "Natürlich hätte ich lieber meine wenigen verbleibenden Jahre in der Nähe der Asche meines Mannes verbracht, aber wer soll sich dann um das arme Mädchen kümmern?" Ein erneutes Tupfen mit dem Schal gefolgt von einem Blick höchster Zerknirschung.


    "Aber warum erzähle ich dir das alles? Du hast sicher weit wichtigere Dinge zu tun, als dir die Probleme einer unwichtigen alten Frau anzuhören...."

  • Es gibt Sachen, die liegen tief in der Seele eines jeden Flaviers. Schmeichelei ist nur eine davon, aber eine Wichtige, impliziert sie doch, dass der Schmeichelnde unter einem steht, zumindest im Momen der Schmeichelei etwas wollte, was man nur selber machen konnte. Und so war Piso komplett eingenommen von der Bauchpinselei der Alten. „Ach, das sagst du nur so!“, lächelte er, aber man konnte sehen, wie sehr es ihn freute. Sie berührte genau die richtigen Stellen in ihm, um ihn komplett einzuweichen.
    Er blcikte das arme Frauchen (für das er sie hielt) mitleidsvoll an. „Ach, ist das ein Elend! Ich hätte mich, in jedem Stadium meines Lebens gefreut über eine gütige Mutterfigur!“, meinte er. „Schon früh...“ Er dachte kurz nach. „...verlor ich meine Mutter.“ Unter welchen Umständen, würde er nicht verraten. Seine Gesichtszüge verdüsterten sich kurz, kaum merklich, bevor er normal weitersprach. „Da kann ich einfach nicht verstehen, dass man sich nicht um eine so nette alte Frau wie dich kümmert!“ Ein weiteres Vorurteil gegen Germanicus Avarus stapelte sich in seinem Kopf auf. Er spürte, mit dem mann würde er nicht alt werden, sollte er jemals in den Senat kommen. Furianus‘ Reden widerhallten in seinem Kopf. Er war aufs deutlichste darauf doktriniert, nur das Schlechteste von Avarus zu vermuten, und dies passte ins Bild.
    Mitleidsvoll hörte er zu, wie sie von ihrem Mann erzählte. „Mein herzliches Beileid!“, rief er. „Das tut mir schrecklich Leid. Und was du mir von deiner Enkelin erzählst, bereitet mir noch mehr Pein. Natürlich höre ich dir gerne zu! Besonders, weil deine Geschichte eine wichtige Analoge darstellt zur Wahrheit. Diese ist, dass die Jugend von heute, ich kann es dir nicht sagen, verroht! Überhaupt verkümmert unsere Gesellschaft. Ich muss dir da glatt was erzählen. Jüngst wurde ich von Raufbolden von Eiern und Gemüse beworfen, als ich eine künstlerische Darbietung machte. Ist das noch zu glauben?“ Er schüttelte heute den Kopf. „Du musst wissen, ich besitze über gewisse künstlerische Gaben, die jedoch niemand zu schätzen weiß. Es ist schlimm, furchtbar!“, jammerte er.
    Er griff sich an den Kopf, wie, um seiner seelischen Pein Ausdruck zu verleihen. Oh, der Schmerz, bei Iuppiter, der Schmerz saß tief!

  • "Aber nein, mein lieber junger Herr, meine Einschätzung deiner Person basiert ausschließlich auf einer sehr langen Lebenserfahrung." entgegnete Laevina mit einem treuherzigen Augenaufschlag, um dann eine leichte Gekränktheit in ihre Stimme zu zaubern.


    "Was hätte eine Frau meines Alters auch davon, sich mit falschen Komplimenten bei jemandem einzuschmeicheln?" fügte sie dann leise hinzu und schaute betrübt zu Boden.


    Als Piso dann den frühen Verlust seiner Mutter beklagte, hob sie automatisch wieder den Blick und erhaschte gerade noch seinen finsteren Gesichtsausdruck, bevor er sich sehr schnell (wie Laevina anerkennend feststellte) wieder unter Kontrolle hatte. Ob es da wohl eine interessante Hintergrundsgeschichte gab? Die konnte man doch sicherlich irgendwie in Erfahrung bringen....


    Dass der junge Mann ihre schlechte Behandlung beklagte, ging ihr natürlich runter wie Öl und sie begleitete seine Ausführungen mit einem schicksalsergebenen Kopfnicken.


    "Ich danke dir sehr für dein Mitgefühl, Flavius Piso, aber leider besitzen nicht alle Bürger dieser Stadt so hochherzige Motive wie du, daher sollten wir auch nicht allzu hohe Erwartungen an sie stellen. Vielleicht wird sich ja auch Serrana eines Tages an all die Dinge, die ich Zeit ihres Lebens für sie getan und all die Opfer die ich ihretwegen gebracht habe, erinnern" Jetzt war es nun wirklich an der Zeit für eine Träne und, siehe da, sie rollte langsam und wunschgemäß an ihrer im zugewandten Wange herab.


    Seiner Bemerkung über die Verrohung der Jugend konnte sie sogar aus vollem Herzen, und ohne darüber nachzudenken, zustimmen.


    "Oh, wie recht du doch hast. Die Sitten und Tugenden der heutigen Jugend sind meiner Meinung nach wirklich in allergrößter Gefahr. Es ist so erschreckend, wie weit es mit unserem Volk schon bergab gegangen ist. Umso mehr erfüllt es mich mit Hoffnung, dass zumindest einige wenige junge Menschen die alten Werte noch zu schätzen wissen." fügte sie hinzu und strahlte ihn anerkennend an.


    Die letzten Ausführungen bedurften dann jedoch wieder ihrer vollen Konzentration. Soso...künstlerische Gaben...
    Natürlich hatte Laevina keine Ahnung, wie ausgeprägt die angesprochenen Gaben wirklich waren, aber der Hinweis auf den Einsatz von Eiern und Gemüse ließ übles vermuten. Da konnte sie ja nur beten und hoffen, dass er nicht in ihrer Gegenwart einen entsprechenden Beweis antreten würde. Andererseits war der Markt zur Zeit wirklich unerfreulich überfüllt und eine kleine Darbietung könnte da eventuell Abhilfe schaffen...


    Aber egal, im Moment brauchte der junge Mann auf jeden Fall ihren ungeteilten Zuspruch.


    "Das ist ja ganz furchtbar tragisch!" rief sie entrüstet aus. "Wo kommen wir denn dahin, wenn jemand, der so offensichtlich von den Musen geküsst worden ist, derartig mit Füßen getreten wird?


    Sie beugte sich vor, als könne sie seine nächste Antwort nur noch mit größter Ungeduld erwarten.


    "In welche künstlerischen Sphären zieht es dich denn? Ist es die Rhetorik, die Poesie oder etwa die Sangeskunst?"

  • „Neinneinnein!“, rief Piso aus, als er spürte, dass er die Alte wohl unwillens beleidigt hatte. „Natürlich, natürlich, werte Germanica, nie würde ich so etwas glauben! Ich vertraue gerne deiner Lebenserfahrung!“, machte er freudig und versichernd. Er war nur zu gerne bereit, der alten Germanicerin zu glauben, wertete dies jedoch sein ohnehin schon luftballonmäßig aufgeblasenes Ego auf.
    Die Geschichte, was seine Mutter anging, hatte Piso jedoch schon so oft nicht erzählt, obwohl es ihn in den Fingern gejuckt hatte, und schon so oft darüber nachgedacht. Seine Emotionen herunterschlucken, was diese Angelegenheit anging, konnte der sonst so gefühlsame Patrizier. Er hatte Übung darin.
    Nun wurde ihm noch einmal Schmeichelei um die Ohren gehauen. Hochherzig, er! Innerlich musste er schmunzeln. Piso, der Hochherzige! Solch ein Titel war die höchste Stufe der Ästhetik, glaubte er und grinste befriedigt. Die Alte hatte ihm nun derart Honig um den Mund geschmiert und derart zielsicher, dass er schon komplett eingenommen war von ihr. Die Träne der Germanicerin rührte ihn irgendwie, denn sie war schon eine verdammt gute Schauspielerin (dass sie dies alles nur spielte, kam Piso, einem sonst gescheiten Menschen, gar nicht in den Sinn). „Brauchst du ein Taschentuch?“, fragte er einfühlsam, ein solches aus seinem Gürtel ziehend und es Laevina unter die Nase haltend.
    Und wie sie ihn dann noch bemitleidete für den Gram, den er erleiden musste am Markt, dass war sowieso das Höchste der Gefühle. Der Stimme der Germanicerin konnte man nicht anhören, dass sie auch nur geringste Zweifel an seinen Fähigkeiten hatte. Piso seufzte theatralisch (es war gar nicht mal gestellt). „Ein Künstler hat es nicht einfach, werte Dame, heutzutage! Die Leute schätzen einfach nicht meine Art von Musik. Es muss am schlechten Geschmack und dem fehlenden Kunstgeist der Leute liegen.“ Er verschwieg, dass man ihn schon mehrere Male angebrüllt hatte, er solle mit seiner Musik aufhören, jüngst eben der Senator Furianus, den Piso bewunderte, aber der leider einen anderen Musikgeschmack als Piso hatte. Einen gesünderen, mochte ein objektiver Zuseher einräumen.
    „Alle diese Kunstarten wertschätze ich... doch am meisten ist es der Gesang, der es mir antut. Ich bin ein großartiger Tenor, doch niemand will was davon hören! Ich trau mich gar nicht mehr, öffentlich zu singen. Immer muss ich an den Mob denken. Und an ihre Rädelsführerin, diese...“
    In Pisos Augen vollzog sich plötzlich etwas, als ob ihm eine geniale Idee jetzt gerade gekommen wäre. Ein Einfall, der seinesgleichen suchte. Er schaute Laevina genau in ihre Augen. „Sag einmal. Sagt dir der Name Germanica Calvena etwas?“

  • Ach, dieses Gespräch lief aber auch wirklich wie am Schnürchen..... Mit einem höflichen und wohlerzogenen Menschen zu sprechen, machte ohnehin vieles leichter, und Laevina merkte plötzlich zu ihrer eigenen Überraschung, dass ihr der junge Flavier ganz symphatisch war. Natürlich hatte er einen immensen Sprung in der Amphore, aber das war ja vermutlich nicht seine eigene Schuld. Bei der unter den Patriziern so fleissig praktizierten Inzucht (was hatte sie da nicht schon für Geschichten gehört...) grenzte es ja schon an ein Wunder, dass er nicht mit drei Augen oder einem Pferdefuß übers Forum laufen musste. Mit dem richtigen mütterlichen Zuspruch konnte bestimmt noch etwas aus ihm werden, es war doch garantiert möglich, ihm ein bisschen gesunden Menschenverstand in die nicht gerade kleinen Hohlräume in seinem Gehirn einzuflössen....
    Und da sie im Moment ohnehin noch nicht allzuviel in Rom zu tun hatte, beschloss Laevina spontan, Pisos Umerziehung zu ihrem ersten persönlichen Projekt im Städtchen zu erklären.


    "Oh, danke, das ist sehr rücksichtsvoll von dir" sagte sie mit einem leisen Schniefen, nahm sein Taschentuch an sich und tupfte damit ihre Augen ab. "Wie nett von dir, dass du so ein Verständnis für mich aufbringst."


    Das Thema Musik war natürlich ein heikles Terrain. Ihr schwahnte bereits, dass sie um glaubwürdig zu bleiben, nicht um eine Kostprobe seiner Fähigkeiten herumkommen würde, aber vielleicht war es ja möglich, dieses an einem einsam gelegenen Örtchen hinter sich zu bringen...


    "Nun, das kann ich mir gar nicht vorstellen! Ich würde nur zu gern einmal an deinem Talent teilhaben, aber ich weiß natürlich, dass Männer in deiner Position über wenig Zeit verfügen und diese kaum erübrigen können, um alte Frauen zu unterhalten..." säuselte sie dann und sah ihn mit einer Mischung aus gespieltem Interesse und Tapferkeit an.


    Bislang war alles wie bestellt gelaufen, aber dann brachte sie doch etwas aus dem Konzept. Calvena.....? Bei dem Namen ihrer Großnichte stieg ihr automatisch wieder die Erinnerung an den Streit in deren Cubiculum und somit auch jede Menge Galle hoch. Kaum jemanden war es in den letzten Jahrzehnten gelungen, derart die Finger in Laevinas offene Wunden zu legen, und sie knüllte unwillkürlich Pisos Taschentuch in ihrer Hand zu einer kleinen verformten Masse zusammen. Dieses undankbare kleine Biest....
    Der Ausdrücke "Rädelsführerin" und "Mob" passten schon ganz gut zu ihrer eigenen Einschätzung, aber noch war Laevina vorsichtig.


    "Nun, diese junge Dame lebt ebenfalls in der Casa Germanica, wobei ich nicht behaupten kann, dass wir ein besonders inniges Verhältnis zueinander pflegen. Aber diese Geschichte interessiert mich natürlich, da ich mir immer Sorgen um die Moral innerhalb der Familie mache. Willst du mir nicht ein bisschen mehr darüber erzählen?"

  • „Das ist ja selbstverständlich!“, behauptete Piso und beobachtete mit einer gewissen Befriedigung, wie die alte Germanicerin sein Taschentuch volschnuddelte. Dass sie ihm solch gute Benehmensnoten bescheinigte, war durchaus Balsam für seine Seele. Es war eine Tat, für die er sich auf die Schulter klopfen konnte und sich selber einreden konnte, was für ein guter Mensch er doch wäre. Hätte er gewusst, dass er nun von Laevina gewissermaßen als Projekt auserkoren worden war, wäre ihm seine selbstgefälligen Gedanken im Hals stecken geblieben. So aber fühlte er sich wie der gute Samariter (zumindest würde er sich so fühlen, hätte er schon jemals von ihm gehört).
    Das Gespräch ging jetzt aber nun über auf eine sehr schöne Ebene, die Piso sehr gefiel. Musik! Und nicht nur das, die alte Dame wollte durchaus eine Kostprobe hören. Der Flavier lächelte und nickte eifrig. „Ja, ich mache das gerne! Wenn ich nur meine Lyra hätte!“, sprach er salbungsvoll. „Selbstredend habe ich für eine so nette Dame wie dich Zeit. Soll ich gleich hier beginnen?“, fragte der junge Patrizier, komplett vergessend, dass er sich hier an der Öffentlichkeit befand.
    Und noch etwas wollte er loswerden. Und zwar das, was Calvena anging. „Gut, dass dein Verhältnis zu ihr nicht allzu innig ist! Oh, Götter, sie sollen gedankt sein, dass du dich durch Kontakt zu ihr nicht korrumpieren hast lassen! Ich werde dir die Geschichte erzählen, nicht weil ich eine Petze bin, sondern da auch ich denke, dass Moral und Anstand das Wichtigste in jedem römischen Haushalt sind.“
    Er räuspert sich. „Wo beginne ich? Genau. Einst, an einem Tag – verdammt solle er sein – ging ich über den Markt, wo ich die Gelegenheit hatte, einem Sängerwettstreit bezuwohnen, auf einer Bühne, der Calvena gehörte. Damals, das solltest du wissen, hieß sie noch nicht Calvena. Sondern Aoide.“ Er ließ eine dramatische Pause. „Und sie war Gauklerin, die durch die Lande zog. Du kennst vielleicht diese Art von Landstreicherinnen. Sie huren, stehlen, brandschatzen, meucheln, ziehen das Geld den Leuten aus den Taschen, und bringen sich in sonstige unehrliche Aktivitäten ein, die zu erwähnen ich, vor lauter Schock über ihre schiere Existenz, nicht imstande bin.“ Er rümpfte die Nase ein wenig affektiert. „Und, angestachelt durch sie und ihre Spießgesellen, begannen die Leute, mich mit Sachen zu bewerfen. Wie deplorabel! Ich wurde schwer verletzt, nur meinem treuen Sklaven habe ich mein Leben zu verdanken.“ Dass Calvena ihn eigentlich ganz anständig behandelt hatte und noch versucht hatte, sich mit ihm auszusöhnen (und die Masse überhaupt nicht aufgewiegelt hatte), war schon aus seinem gedächtnis herausgestrichen. So groß war die Schmach gewesen, dass Piso, unbewusst, die Ereignisse in seinem Kopf so herumgebogen hatte, dass sie in sein Wunschschema passten.
    „Ich muss dich warnen. Nimm dich vor ihr in acht. Ich könnte schwören, sie hat noch immer das alte betrügerische Element in ihr. Vielleicht wachst du einmal auf und stellst fest, dass sie dich ausgeraubt hat und du nur noch mehr dein Nachthemd besitzt!“, machte er, untermalt von ein paar dramatsichen Gesten.

  • Ah, da kam es natuerlich, das unvermeidliche Angebot einer gesanglichen Kostprobe... Irgendwie hatte Laevina das Gefuehl, dass eine oeffentliche Demonstration seiner Talente weder Pisos noch ihrem eigenen Ruf in der Stadt besonders foerderlich sein wuerde und ueberlegte, wie sie seinen Eifer in ungefaehrlichere Bahnen lenken konnte.


    "Nun, mein lieber junger Freund, natuerlich wuerde ich am liebsten jetzt sofort eine Kostprobe deines Koennens hoeren, aber ich finde der Ort der Darbietung sollte auch einen passenden und niveauvollen Rahmen bieten, und das ist unter all diesem gemeinen Volk hier auf dem Markt ja schwerlich moeglich. Eine etwas dezentere und stilvollere Kulisse wuerde den Kunstgenuss sicherlich noch zusaetzlich erhoehen." (menschenleer war natuerlich auch ein nicht unherhelbliches Kriterium, aber das muste sie Piso ja nicht auf die Nase binden.


    Bei seinen Ausfuehrungen ueber Calvena zog sie dann hoerbar den Atem ein. Sie hatte ja schon selbst einige ueble Vermutungen gehabt, aber das schlug ja dem Fass den Boden aus. Eine Landstreicherin mit mehr als suspekter Vorgeschichte....Was das fuer ein Bild auf die Gens Germanica werfen wuerde, wenn es jemals herauskaeme, wagte sich Laevina gar nicht vorzustellen. Sobald sie zuhause war, wuerde sie ein ernstes Woertchen mit ihrer momentan nicht gerade heissgeliebten Grossnichte sprechen....Unfassbar, da war sie jahrelang mit diesem betruegerischen Pack durch die Lande gezogen und regte sich dann tatsaechlich auf, weil sie selbst es gewagt hatte, ungefragt ihr Zimmer zu betreten..


    Laevina sah Piso in die Augen und dieses Mal war die Betroffenheit in ihren Augen echt. "Es schockiert mich zutiefst das zu hoeren, und ich moechte mich in aller Form fuer das indiskutable Verhalten meiner Nichte entschuldigen. Und darueber hinaus..." jetzt hoffte Laevina instaendig, dass Piso ihr mittlerweile tatsaechlich schon ein wenig gewogen war, "moechte ich dich bitten, nein anflehen, diese entsetzliche Geschichte fuer dich zu behalten, denn sie koennte furchtbare Folgen fuer die unschuldigen Mitglieder unserer Familie haben."

  • Da war irgendetwas. Ganz fern klang es in seinen Ohren. In sienem inneren Auge. Das wütende Gesicht des Furianus und seine Stimme, wie sie ihn anbellte, dass er nicht mehr in der Öffentlichkeit singen würde. Schlagartig kam es ihm wieder. Und, nun ja, auf einmal fühlte er die Motivation, die er selber hatte, der Frau etwas vorzusingen, in sich absacken. Vielleicht doch nicht eine so gute Idee, kam es ihm unweigerlich.
    „Nun ja, du hast komplett recht. Komplett recht, werte Germanica. Ungestört lässt es sich einfacher musizieren.“, meinte er im Brustton der Überzeugung und nickte gewichtig. Vielleicht, ja, vielleicht war es ganz gut, dass sie ihn doch nicht zum öffentlichen Singen aufgefordert hatte.
    Als er Laevina seine Leidensgeschichte vorjammerte, sah er ganz deutlich, wie es der Germanicerin die Sprache verschlug. Natürlich, das war klar. Wie würde er reagieren, wüsste er, dass eine Flavierin solche schrecklichen Taten beging, wie es Calvena getan hatte, und im Verborgenen vielleicht noch immer tat?
    „Ich bitte dich, werte Dame.“, versuchte Piso zu beschwichtigen. „Es ist ja nicht deine Schuld, dass ich so fürchterlich behandelt wurde.“ Er fand es aber trotzdem fürchterlich nett von der Germanica, dass sie sich entschuldigte für Calvena. Es machte sie ihm gleich noch einmal sympathischer.
    Als sie ihn dann noch bat, die Geschichte nicht herumzuerzählen, winkte er lächelnd ab. „Ich bitte dich. Ich habe es bis jetzt nicht herum erzählt, also werde ich es in Zukunft nicht erzählen.“ Vor allem hatte er es nicht herumerzählt, um einen Trumpf gegen die Germanicer in der Tasche zu haben, und auch, weil es Verus ins Grab gebracht hätte. Und er war auch wohl ein wenig zu faul gewesen, das in der Stadt zu verbreiten.
    So lächelte er nur gütig. „Ich habe nicht vor, mit solch unhehren Tricks zu agieren, nur um vielleicht einmal die Germanicer ein paar Tage lang in Disreputation zu bringen.“, versprach er Laevina.

  • Laevina seufzte erleichtert auf. Mit etwas Glueck war das schlimmste Unheil erstmal abgewendet, allerdings wuerde sie so schnell wie moeglich herausfinden muessen, wer noch alles ueber Calvenas dunkle Vergangenheit informiert war... Niemals haette sie vermutet, dass in Rom derartige Aufgaben auf sie zukommen wuerden, aber immerhin war es doch deutlich aufregender, als in der schnarchigen Campania die Sklaven von A nach B zu scheuchen und ihre brillianten Talente ansonsten brachliegen zu lassen.
    Jetzt galt es aber zunaechst, noch ein paar notwendige Recherchen ueber ihren Gespraechspartner anzustellen.


    "Vielen Dank, werter Piso, du glaubst gar nicht, wie dankbar ich dir fuer deine Diskretion bin. Heutzutage ist auf so wenig Verlass, wie schoen, dass es auch noch vertrauenswuerdige Personen gibt..


    ""Ein junger Mann von solcher guter Herkunft und mit derartig vielversprechenden Anlagen hat doch sicher eine Menge Verehrerinnen. Oder bist du etwa gar schon verheiratet?" fragte sie diesmal mit ungespielter Neugier. Ich hoffe, du findest meine Frage nicht zu indiskret, aber in meinem Alter freut man sich doch immer sehr, wenn zwei junge Menschen zueinander finden" fuhr sie dann salbungsvoll fort.

  • Piso machte auf die Dankesworte der Germanicerin hin im Sitzen nur eine leichte Verbeugung, die aussah, als ob er sich anch einer erfolgreichen Darbietung eines Musikstückes leicht verbeugen würde. Er musste es schon oft zuhause vorm Spiegel geübt haben.
    „Ich schweige wie ein Grab.“, versicherte er und grinste ob des Lobes. Damit war das Thema für ihn abgeschlossen.
    Bei den nächsten Worten der Plebejerin jedoch verging ihm das Grinsen. Es wurde ihm regelrecht aus dem Gesicht gefegt. „Ich...“, begann er, doch stockte dann. In seinem Gesicht breitete sich Traurigkeit aus. „Eine Menge Verehrerinnen?“, echote er und seufzte. „Ich weiß nicht, ich schere mich nicht... was macht es denn Sinn, jetzt noch auf Frauen zu schauen?“ Das Gesicht von Decima Serrana erschien vor ihm. Serrana, die ihn verlassen hatte, im Stich gelassen hatte, ihm das Herz zerbrochen hatte. Serrana, die er noch immer liebte, und die er niemals bekommen könnte. Er schluckte. „Ich... habe eine unglückliche Hand mit Frauen.“, umschrieb er siene Gefühle. Denn er hatte sie auch jetzt. Jetzt, wo Serrana weg war, bekam er nur die, die er nicht wollte, und di, die er wollte, bekam er nicht.
    Vielleicht war es gut gewesen, dass sie gegangen war. Piso hätte sich gegen seine Familie durchsetzen müssen, eine Plebejerin zu heiraten. Was ihm nie gelungen wäre.
    Abermals seufzte er. „In meinem Falle haben zwei junge Menschen nicht zueinander gefunden.“, meinte er lapidar und hoffte, sie würde nicht weiter bohren. Obwohl, die Hoffnung wäre vermutlich eh vergebens, so wie Laevina neugierig war. Es war ihm durchaus nicht unangenehm, dass er das Objekt von Interesse war, aber die Liebe war bei ihm einfach eine Schwachstelle...

  • Oha, da hatte sie aber ganz offensichtlich ein heikles Thema angeschnitten. Pisos bislang wahrlich nicht unerhebliches Ego schien mit einem Mal zu verpuffen, wie Luft aus einer erst aufgeblasenen und dann angestochenen Schweineblase, und er sank offenbar zerknirscht neben ihr auf der Bank zusammen. Ganz offensichtlich liebeskrank...dachte Laevina, verkniff es sich aber ihre Missbilligung angesichts dieser offen zur Schau gestellten Schwaeche zu zeigen. Was da wohl schiefgelaufen war? Schliesslich sah der kleine Flavier ja ganz gut aus, kam aus guter Familie und war sicher alles andere als unvermoegend. Vielleicht hatte er seiner Angebeteten ja ein Staendchen gebracht und sie damit in den Hoersturz und aus seinen Armen getrieben....


    Laevina seufzte innerlich, denn ganz offensichtlich waren jetzt wieder ein paar mentale Streicheleinheiten gefragt.


    "Mein armer junger Freund, das tut mir furchtbar Leid, das muss fuer einen so sensiblen Menschen natuerlich grausam sein. Aber oft erwachsen ja aus grossem Gram auch erhabene Dinge, und ich bin mir sicher, dass Fortuna auch fuer dich noch den passenden Trost bereithalten wird..." mit diesen Worten klopfte sie im aufmunternd auf den Arm und bemuehte sich um einen gleichermassen mitfuehlenden und optimistischen Blick.

  • Wieso war das Gespräch bloß auf dieses unselige Thema gekommen? Piso spürte die Aterien um sein Herz sich verkrampfen. Immer fester drückten sie zusammen, sodass dem armen Patrizier fast die Augen übergingen. Nur ruhig atmen! An etwas Schönes denken... etwas Schönes... in sein Gedächtnis schlich sich eine entfernte Erinnerung, die Piso vergessen glaubte, aber nun wieder sich ganz deutlich in seinem Hirn abzeichnete. Er, als fünfjähriger Pimpf, auf dem Schosse seiner Mutter liegend, sie anstrahlend. Nur, wieso konnte er sich nicht mehr an das Gesicht siener Mutter erinnern? Er kniff kurz seine Augen zusammen und versuchte es sich ins Gedächtnis zu rufen. Es ging nicht. Es ging einfach nicht. Piso öffnete seine Augen wieder und erblickte vor sich das Gesicht der Germanica Laevina, die ihn sorgenvoll anblickte. Die Alte hatte sofort einige schöne Worte bereit, die die innere Aufwallung des Flaviers zum Verstummen brachte.
    „Erhabene Dinge sollen erwachsen daraus?“, machte er ihr nach. „Wie denn? Denkst du wirklich, Fortuna hätte noch die eine oder andere glückliche Wendung für mich? Ach, wüsste ich dies nur! Könnte ich doch den Faden sehen, die die Parzen für mich gesponnen haben.“ Ach herrje, Piso glitt wieder ins Lyrische ab. Triefend schlimm war das, und gab schon einmal einen netten Vorgeschmack auf seine Sangeskunst. „Wäre ich doch nur Seher, könnte ich doch nur sie erahnen, die Abgründe des Schicksal! Verfügte ich über die Gaben, die mit der disciplina etrusca einhergingen, mit den Fähigkeiten eines Orakels, mit der Heiligkeit der Sibylle von Cumae! Glichen meine Kapazitäten denen des Orakels von Delphi, so sagte ich mir die Zukunft voraus! Doch da sie das nicht tun, lass ich es sein.“, schloss er formvollendet ab und blickte Laevina schon um einiges glücklicher als vorher an. „Augur oder Haruspex sollte man sein. Tja. Vielleicht ist es aber auch ganz gut, die Zukunft nicht zu wissen.“, sah er doch noch im letzten Augenblick ein.
    Gleichzeitig dachte er darüber nach, ob vielleicht Laevinas Worte einen Kern Wahrheit beinhalteten. Vielleicht sollte er sich eine Neue suchen. Eine, die ihn vergessen machen konnte. Eine, die ihm eine Zukunft bieten konnte.

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