Atrium | Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

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    Die ausgestreckte helfende Hand des Sklaven nahm Ofella an, als sie der Sänfte entstieg. Alsdann ließ sie sie fahren, bereit, die Stufen zur Tür hin selbst zu erklimmen. Ein Sklave war vorausgeeilt und hatte sich darum bemüht, dass die Tür bereits geöffnet wurde. Auch hatte er das Eintreffen der Herrin angekündigt, so dass der Türhüter gleichermaßen erschrocken wie entsetzt wirkte. Sharif hatte seine Gefühle noch nie gut überspielen können, so empfand es zumindest Ofella. Wortlos trat sie ein, keinen Gruß hatte sie übrig. Drinnen angelangt, hielt sie inne. Ein Sklave kam auf sie zu, verbeugte sich und wollte ihr den Mantel abnehmen.


    "Lass das! Ich habe nicht vor, mich hier lange aufzuhalten. Außerdem ist es eiseskalt. Spart mein Mann etwa wieder, der alte Knauser? Nun, es ist gleich. Ich wünsche ihn zu sprechen, sofort. Richte ihm aus, dass ich anwesend bin und mit ihm über unsere Ehe und unseren Sohn zu sprechen wünsche. Richte ihm gleichsam aus, dass ich über die Maßen verärgert bin über sein mangelndes Interesse an meiner Gesundheit. Und finde heraus, wo sich mein Sohn gegenwärtig aufhält. Wird's bald?"


    Und der Sklave eilte, um zu tun, was ihm aufgetragen ward.

  • Menecrates hegte gemischte Gefühle, als er die Nachricht von der unangekündigten Ankunft seiner Frau erhalten hatte. Mit einer positiven Überraschung rechnete er nicht, anderseits wollte er auch nicht voreingenommen sein. Um eine neutrale Einstellung bemüht, sann er darüber nach, wie er sich nun verhalten sollte. Wie ein Hündchen angedackelt zu kommen, schloss er als inakzeptabel aus. Er fand, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, wäre schon ein ausreichend positives Signal.


    "Richte meiner Frau aus, sie könne mich im Arbeitszimmer aufsuchen, ich würde Zeit für sie haben", sagte er dem Sklaven, der daraufhin den Raum verließ und die Nachricht überbrachte.

  • Der Sklave erreichte das Atrium, hielt sich eine Weile darin auf und bemitleidete sich auf dem Rückweg zum Arbeitszimmer des Hausherren selbst, da sich folgendes zugetragen hatte:


    Ofella, welche angespannt gewartet und schon beinahe damit gerechnet hatte, dass ihr Ehemann sie schlichtweg nicht empfangen würde, sah den Sklaven nahen. Der ungute Ausdruck auf dessen Gesicht hatte sie bereits neuerlich verärgert. Die Nachricht, die der Mann aber überbrachte, war akzeptabel. Schließlich musste man auch auf dem Schlachtfeld der ehe ab und an seine weiße Fahne hissen und sich mittig treffen. Das war Ofella nicht unbekannt. So schürzte sie die Lippen und wies den Sklaven ungeduldig an, zu tun, was er nun tat.


    Der Sklave hob die Hand und klopfte an das Arbeitszimmer des Hausherren an. "D-deine Frau, Herr", stammelte er durch den Spalt der Tür, durch den er seinen Kopf gesteckt hatte. Es blieb ihm gerade noch genug Zeit, seinen Kopf zurückzuziehen, ehe Ofella mit ihrer Hüfte das Türblatt zur Seite drückte und an dem Sklaven vorüber rauschte. Ofella gab sich nun wirklich Mühe, nicht gar zu vorwurfsvoll zu klingen. Das tat sie wahrhaftig. Das Resultat allerdings war kaum ein nennenswerter Unterschied zu ihrer sonstigen Gemütslage. "Herius. Welch Freude." Ofella hab einen Mundwinkel an und gab somit den Anschein, ihren Ehemann zumindest mehr wertzuschätzen als einen ganz und gar leeren Raum. "Überrascht? Ich dachte mir, ich schaue mal vorbei." Im Plauderton fuhr sie fort, als ob Baiae direkt neben Rm lag. Sie ging auf den Schreibtisch zu und fuhr mit einem Finger lässig über die polierte Platte. "Mir geht es ganz gut, danke, auch wenn du nicht einen einzigen Brief geschickt hast, seit meinem letzten Besuch. Wie ich sehe, bist du auch gesund. Nun, das führt mich zum Grund meines Besuchs. Ich habe dir ein Angebot zu machen: Ich möchte, dass du mich aus deiner patria potestas entlässt." Ofella stand nun direkt vor ihrem Ehemann, nur der Schreibtisch trennte sie beide - räumlich gesehen. Denn außer dem Holzmöbel trennten sie inzwischen Welten. "Was hältst du davon?"

  • Einst stellte die Extravaganz seiner Frau einen großen Reiz für den Claudier dar. Längst war ihm jedoch klar geworden, dass es mehr ein Hauch von Gefährlichkeit war, der seiner Gattin anhaftete und sie ausmachte. Sicher, auch dies war eine bemerkenswerte Herausforderung und sicherlich auch reizvoll, wenn… ja wenn sie denn wenigstens zeitweilig von Herzlichkeit begleitet werden würde. Claudius seufzte. Wenigstens war Ofella immer für Überraschungen gut - gute wie auch schlechte. Wo er allerdings die aktuelle einordnen musste, wusste Menecrates noch nicht. Er würde es herausfinden müssen. Im Augenblick verstand er noch nicht einmal das Anliegen.


    "Die Überraschung ist dir gelungen. Willkommen in Rom", entgegnete Menecrates und erhob sich, um auf Augenhöhe kommunizieren zu können. "Die Reise war gut, nehme ich an." Wäre sie es nicht gewesen, hätte sich Ofella sicherlich sogleich bei ihm darüber beklagt.


    Oberflächliches Gerede brachte ihn jedoch auch nicht weiter, sie hatte ein Anliegen. Also kam er darauf zu sprechen. "Worin soll das Angebot für mich bestehen? Ein Angebot suggeriert einen bestimmten Vorteil und den kann ich nicht erkennen. Zumal ich nicht einmal den Sinn dieser Überraschungsmeldung begreife. Wir haben uns damals auf eine Manusehe geeinigt, dein Vater und ich. Die Patria Potestas ging damit von ihm auf mich über. Ich sehe keinen Grund, warum das nun anders sein soll. Unsere Eheform hatte dich nie in irgendeiner Form behindert." Und auch nie von irgendetwas zurückgehalten, fügte er an. "Meine Gewaltfreiheit ausgenutzt habe ich ebenso wenig." Er zuckte ratlos mit der Schulter.

  • Ofella lächelte kurz süffisant ob der gelungenen Überraschung. Wenn jemandem so etwas gelang, dann selbstverständlich ihr! Und ihr Ehemann hatte augenscheinlich nicht damit rechnet, dass die ins Exil verbannte Ehefrau jemals wieder einen Fuß aus der baiae'schen Landvilla hinaus setzen würde. Ha! Ofella überging die Frage nach der Reise, schließlich hatte Menecrates sie in eben jenem Augenblick selbst beantwortet, in dem er sie gestellt hatte.


    Viel wichtiger war da doch die Reaktion auf ihren Vorschlag, den sie mit genugtuerischer Absicht nicht vollkommen ausgeführt hatte. Ofella schnalzte mit der Zunge und rollte mit den Augen, als die Rede von ihrem Vater war. "Ich bitte dich, Herius. Mein Vater ist seit über zwanzig Jahren tot!" Natürlich war ihr dabei bewusst, dass dieser Umstand kaum etwas an einer einstmals getroffenen Absprache änderte. Dennoch schüttelte sie unwillig ihre unaufgesteckte Lockenpracht, die lediglich von zwei güldenen Kämmchen an den Seiten im Zaum gehalten wurde. Ihr Blick fiel auf den freien Stuhl und kurz erwägte sie, sich zu setzen, verwarf den Gedanken jedoch erst einmal. Setzen konnte sie sich später immer noch. "Ich bin nicht so naiv, dir im Gegenzug nichts zu bieten. Du bist ein Senator. Im Senat sieht man unverheiratete Senatoren deines Alters nicht gern. Du bist beschäftigt. Ich selbst hingegen verbringe den Großteil des Jahres abgekapselt und allein im baiae'schen Exil", fasste sie zusammen und machte eine unterstreichende Geste mit der Hand. "Unsere Ehe mag cum manu geschlossen worden sein, doch ich habe dennoch das Recht, mich scheiden zu lassen." Ofellas Augen hatten sich kurz verengt, als sie das sagte. Es gab immerhin auch andere Möglichkeiten, eine Scheidung zu erwirken. Sie ließ ihrem Gemahl keine Möglichkeit zu reagieren, sondern sprach gleich weiter. "Was ich dir biete, ist, diese Scheinehe, denn mehr ist es nicht, wenn wir einmal ehrlich sind, weiterhin fortzuführen. Ich werde die Idylle aufrecht erhalten und den Schein wahren, wie es sich für eine Matrone und liebende Mutter gehört. Nur verlange ich dafür meine Freiheit zurück. Und ehe du wieder anführst, du hättest die Ehegewalt noch nie missbraucht - das weiß ich. Aber es geht mir ums Prinzip." Und damit setzte sich Ofella.

  • Menecrates spürte Bewegungsdrang in sich aufkommen und begann eine Wanderung durch das räumlich begrenzte Zimmer. Auf diese Weise konnte er die Gedanken besser ordnen. Er grübelte dabei weniger über Ofellas Gründe für ihr Anliegen nach, denn ihm war in Bezug auf sie noch nie eine Erleuchtung gekommen - also warum ausgerechnet jetzt nach der jahrelangen Trennung. Vielmehr dachte er über ihre möglichen Ziele nach. Als ihm jedoch nach fünf Durchschreitungen des Arbeitszimmers noch immer nicht der zündende Einfall kam, stoppte er vor ihr. Er betrachtete sie wie eine seltene Pflanze, schüttelte dann den Kopf und wandte sich wieder ab, um erneut Abstand zu erlangen.


    "Die Tage, an denen du mit deinen Wünschen bei mir auf offene Ohren gestoßen bist, sind längst vorbei, Ofella", begann er schließlich, drehte sich seiner Gattin zu und fasste sie ins Auge. "Du hättest Rom, unserem Sohn und mir nicht den Rücken kehren dürfen. Die eigene Gesundheit derart lange über die Pflichten einer Mutter zu stellen, ist verwerflich, ist unrühmlich und verachtenswert. Zukünftig müssen sich deine Wünsche mit meinen decken, wenn ich sie erfüllen soll, und eines ist klar, Ofella: ICH habe kein Interesse an deinen soeben geäußerten Wünschen - weder an einer Scheidung noch an einer Entlassung aus der Patria Potestas."


    Menecrates steuerte auf seinen Bürostuhl zu, während er einmal tief durchatmete.
    "Das Wort 'verlangen' stößt seit jeher bei mir auf harte Gegenwehr. Du warst schon einmal geschickter in deinem Vorgehen. Und im Übrigen, frei bist du auch vor der Ehe nicht gewesen - der Gewaltinhaber war nur ein anderer. Die Freiheit zurückzuverlangen, ist demnach - wenn man es wörtlich nimmt - unmöglich."

  • Dieses Auf-und-ab-gehen war schon immer etwas gewesen, was Ofella nicht ausstehen konnte. Es machte sie selbst nervös, und allein dieser Umstand regte sie auf. Doch statt etwas zu sagen, schürzte sie nur die Lippen. Dass er sodann direkt vor ihr stehen blieb, den Kopf schüttelte und wieder fort strebte, fand sie unmöglich. Doch noch viel ungeheuerlicher war das, was er anschließend von sich gab. Ofellas Brauen rückten in Überraschung hinauf. "Du tust gerade so, als wäre dir meine Absenz aus Rom nicht zupass gekommen", bemerkte sie und schnaubte. "Du bist doch froh, wenn ich dir und deinen wichtigen Geschäften nicht im Weg bin! Das kannst du mich nicht im Ernst glauben machen wollen. Und mir vorzuwerfen, ich sei eine schlechte Mutter, ist vollkommen irrational, Herius! Ich war immer für meinen kleinen Lucius da, wenn er mich gebraucht hat!" Ofella hatte die Augen verengt und funkelte ihren Eheman an.


    "Es ist mir vollkommen gleich, was bei dir auf Gegenwehr stößt. Ich bleibe bei dieser Forderung, ganz gleich, wie unmöglich sie in deinen Augen sein mag, oder wie unsinnig. Denn wie dir sicherlich bewusst ist, gibt es ganz andere Möglichkeiten, diese Ehe zu korrumpieren." Ofella hob vielsagend die Brauen und lehnte sich auf ihrem Stuhl ein wenig zurück. Und diese Möglichkeit würde auch die Familie nach unten ziehen. "Die Claudier stehen dieser Tage nicht unbedingt auf der Liste der ersten Zehn. Es wäre doch sehr tragisch, wenn sie noch weiter im Ansehen sinken würden, nicht wahr? Ich verlange nun wirklich nicht viel. Gib mir meine Freiheit, und ich gebe dir als Gegenleistung die Gewissheit, dass es nicht mein Verschulden sein wird, wenn die Stadt schlecht über die Claudier redet. Ich bleibe deine Frau und alles wird so sein wie zuvor, nun ja, fast, möchte ich meinen." Ofella meinte durchaus ernst, was sie da sagte. Sie hatte den Claudiern an sich nie wirklich nahe gestanden, zumal die Ehe seinerzeit auch arrangiert worden war. Es würde ihr nicht schwer fallen, sie in Verruf zu bringen. "Du kannst Bedenkzeit haben, wenn das dein Wunsch ist. Ich brauche deine Antwort nicht sofort. Du solltest gut überlegen."

  • "Du weißt nicht viel über mich, Ofella", merkte Claudius müde an, als seine Gattin die Vermutung äußerte, er wäre über ihre Abwesenheit jemals erfreut gewesen. Dann hörte er sich den Rest ihrer Erklärung an.
    Als sie geendet hatte, setzte er sich schwerfällig hin, fuhr sich mit der Hand über das frisch rasierte Kinn und blickte seine einst geliebte Frau an. Er fühlte sich müde, seinen Lebensabend hatte er sich anders vorgestellt. Sicherlich war er im Umgang mit Frauen nicht immer der Geschickteste, aber dafür war auf ihn Verlass.


    Die entstandene Stille drückte auf sein Gemüt. Kälte umfing ihn und legte sich wie eine Eisenklammer auf seinen Brustkorb. Und dennoch: Zeit zum Überdenken der Situation brauchte er nicht, nicht einmal welche, um sich zu fassen. Er hatte vieles verloren, sein Rückgrad jedoch wollte er nicht auch noch hingeben.
    "Wir scheinen die Götter erzürnt zu haben, weil sie uns fortwährend mit unaufrichtigen Frauenzimmern strafen", entgegnete er zunächst und schweifte gedanklich von Ofella zu Agrippina und Nero. Sein Blick wanderte zum Fenster, bevor er sich zusammenriss und seine Entscheidung kundgab.


    "Wenn du unbedingt darauf versessen bist, deinen schlechten Charakter in die Öffentlichkeit zu tragen, dann nur zu. Die Götter werden dies nicht ungestraft lassen. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen."


    In Gedanken plante Menecrates bereits eine Opferung. Er würde sich mit seinen Kindern besprechen müssen.

  • Ofella wusste vermutlich mehr, als Menecrates jemals anderen über sich offenbart hatte. Er schien das in diesem Moment jedoch gern zu verdrängen. Ofella hob amüsiert die Augenbrauen und schwieg dazu. "...und mit Männern, die ihre Grenzen nicht sehen", pflichtete sie ihrem Gemahl bei und wiegte den Kopf hin und her. Sie war dieses Spielchen langsam leid. Immerhin war es keine Erpressung, die sie hier veranstaltete, sondern eine Art Handel, eine Übereinkunft. Sie wollte nichts weiter als die Änderung der Ehe in eine Ehe ohne Ehegewalt seitens ihres Mannes. Die Vorteile, die bei einer Aufrechterhaltung dieser Scheinehe auf der Hand lagen, sah er nicht. Verblendeter alter Mann! Sie nahm es ihrem Vater immer noch übel, dass er sie damals diesem Claudier übereignet hatte.


    "Mir scheint, du bist darauf versessen. Du berufst dich auf die Götter... Ha, als ob sie jemals dich gerecht behandelt haben für deine Kaltherzigkeit und Ignoranz meinen Wünschen gegebnüber. Und du tust es schon wieder. Nur werde ich mich dieses Mal nicht umherschubsen lassen wie eine Sklavin. Du wirst mich noch kennenlernen, Herius. Und dann wird dir leid tun, dass du meinen Wunsch wieder einmal ignoriert hast." Ofella reckte das Kinn in die Höhe und erhob sich. Eine ganze Weile sah sie Menecrates an. Vollkommen unverständlich, dass sie diesen ignoranten Kerl einmal geschätzt und respektiert hatte. Nun war er nur mehr ein Togamännchen für sie, noch dazu ein wenig ambitioniertes. Sie sog tief die Luft ein. "Du solltest dir deine Entscheidung noch einmal überlegen, auch im Sinne der Kinder", erinnerte sie ihn für ihre Verhältnisse recht nüchtern und ernsthaft. Sie mochte eigentlich nicht den Ruf ihres Sohnes schädigen, ihres kleinen Lieblings. Doch wenn es nötig sein würde, musste sie das tun. "Ich werde in der Via Campana wohnen, in Lucius Vinius Milos Gästehaus. Falls du es dir anders überlegst, lass es mich wissen", sagte sie. Dann wandte sie sich um und verließ Arbeitsraum und Gebäude, ohne noch eine Erwiderung seitens ihres Mannes wahrzunehmen.

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