bibliotheca | Freunde der Literatur - oder: Unliebsame Begegnungen

  • Die Bibliothek der Villa Flavia hatte sich wirklich mit Ihresgleichen messen können! Unzählige Schriftrollen, Abschriften der großen Meister der Literatur, wichtige Traktate der Wissenschaften, teils von unschätzbarem Wert, aber auch Triviales, wie die Abenteuer des Sklaven Gaius, der besonders unter den Flavieren eine große Anhängerschaft hatte, sowie Schmachtfetzen von denen in einigen Jahren kein Hahn mehr krähte, waren darin vereint.
    Oft hatte ich dort lange Abende verbracht, beim stöbern und entdecken interessanten Lesefutters. Ab und an hatte ich dabei Gesellschaft gehabt. Einige Mitglieder meiner Familie teilten die gleiche Leidenschaft mit mir. Oft kam es jedoch auch vor, daß ich die Abende mit Margo, dem alten kauzigen Bibliothekar verbrachte. Anfangs hatten wir so unsere Schwierigkeiten miteinander. Hatte der alte Mann doch geglaubt, ich würde ihm die Bibliothek durcheinander bringen. Bis ich ihn eines Besseren belehren konnte. So lernten wir uns mit der Zeit einander schätzen. Von da an gingen wir gelegentlich gemeinsam auf die Suche nach verlorengegangen Schriften oder machten uns auf die Reise in das Land der Phantasie, der Tragödie und der Komödie. Wir waren an einem Punkt angekommen, an dem wir uns "Freunde" nennen konnten, trotz unseres Standesunterschiedes, war doch der Bibliothekar nur ein weiterer Sklave in den Diensten der Flavier.


    Nach meinem Umzug in die Villa Aurelia vermisste ich diese Abende zusehends. Ich dachte an die nahenden langen Winterabende, die nur durch ein gutes Buch und ein Becher Wein einigermaßen erträglich wurden. Doch wie in jeder anderen herrschaftlichen Villa Roms, gab es auch in dieser eine Bibliothek.
    Eines Abends, von Langeweile und Neugier getrieben, verließ ich mein cubiculum. Im Nachtgewand und nur mit einem Öllämpchen bewaffnet, huschte ich durch die Gänge der Villa. Bei Tage mochte es in diesen Korridoren sehr geschäftig zugehen, doch am späten Abend hatte sich bereits der Schleier der Nacht über das gesamte Anwesen gelegt. Ich bemühte mich, keinen unnötigen Lärm zu veranstalten. Vorsichtig betätigte ich die Türklinke, stieß die Tür langsam auf und trat ein ins Reich des geschriebenen Wortes. Ahh, bereits der Duft der Papyri hieß mich willkommen!
    Es brauchte seine Zeit, bis ich mich zurecht fand. Doch bald wurde ich fündig. In einer verborgenen Nische machte ich es mir gemütlich und begann im Schein meines Lämpchens zu lesen. Ich hatte eine ganz amüsante Schrift entdeckt. Eine Komödie von Plautus, die ich noch nicht gelesen hatte. Still in mich hinein kichernd saß ich nun dort und vergaß über das Lesen hinaus die Zeit, noch fiel mir auf, daß ich irgendwann nicht mehr allein war.


    Sim-Off:

    Reserviert! =)

  • Leise lief Siv durch die Gänge der Villa. Sie fühlte sich seltsam unruhig, ohne so recht zu wissen warum, und so war sie, obwohl sie schon ins Bett gegangen war, noch einmal aufgestanden. Sie hielt nicht viel davon, sich endlos hin und her zu drehen, wenn sie nicht einschlafen konnte – es half ihr ja nicht dabei, schneller Schlaf zu finden. In den Garten zu gehen, was sie sonst immer tat in solchen Fällen, kam aber eher nicht in Frage, nicht so kalt, wie es nachts inzwischen war. Nicht dass sie das normalerweise störte, aber seit ihre Schwangerschaft in die Phase getreten war, in der sie einfach nicht mehr zu leugnen war, war Siv deutlich vorsichtiger geworden. Es war ein Unterschied, ob ihr übel war – was an den verschiedensten Gründen hätte liegen können, selbst wenn sie wusste, was die Ursache war – oder ob ihr Bauch sich immer mehr wölbte, in dem es noch dazu immer häufiger zu… flattern schien. Siv war sich nicht sicher, und weil sie es nicht war, hatte sie kein Sterbenswörtchen davon gesagt, nicht einmal zu Corvinus – aber nachdem die Übelkeit, die sie zunächst wieder befürchtet hatte, ausgeblieben war, argwöhnte sie immer mehr, dass es das Kind war, das sie zu spüren begann.


    Nachdem der Garten also als Option ausschied, beschloss Siv, in die Bibliothek zu gehen. Mit dem Lesen hatte sie inzwischen keine Probleme mehr, mit dem Schreiben im Grunde auch nicht, auch wenn sie weit davon entfernt war, tatsächlich schön zu schreiben – aber diesen Ehrgeiz hatte sie auch nicht, solange sich nicht allzu viele Fehler einschlichen. Generell hatte sie aber von Anfang an weit mehr Mühe ins Lesen lernen investiert. Die Welten, die sich ihr dadurch auftaten, faszinierten sie ungemein. Geschichten hatte sie schon immer geliebt, aber sie hatte es nur gekannt, dass jemand Geschichten erzählte. Dass man sie aufschreiben könnte, dass sich so jemand anderes – sie, in dem Fall – selbst die Geschichte aussuchen und sie in ganz eigenem Tempo sich sozusagen selbst erzählen konnte, das war ihr neu gewesen, und sie liebte diese Freiheit. Darüber hinaus hatte sie hier eine völlig andere Auswahl. Sicher wünschte sie sich von Zeit zu Zeit, sie könnte eine der Legenden hören, die sie von früher kannte, aber diese wusste sie ja im Grunde. Was sie hier hatte, waren andere Geschichten. Nicht einfach nur neu für sie – anders. Sie hatten einen anderen Klang, einen anderen… Geschmack als die, die sie bisher gekannt hatte. Siv konnte es nicht wirklich beschreiben, dafür fehlten ihr sowohl in der germanischen als auch in der lateinischen Sprache die Worte, aber sie spürte es. Und so öffnete sie kurze Zeit später die Tür zur Bibliothek und trat ein, leuchtete sich den Weg – und blieb dann wie erstarrt stehen, als sie um ein Regal bog und in einer Ecke niemand anderen als die Flavia sitzen sah.

  • Der Text hatte mich vollkommen gefangengenommen. Es war stets ein atemberaubendes Gefühl, ein Buch zu entdecken, dessen Inhalt sich mir noch nicht offenbart hatte. Im Grunde fehlte nun nur noch ein Becher mit gutem Falerner und ein wenig Obst, an dem man gelegentlich naschen konnte. Aber es war schon spät! Um diese Zeit noch einen Sklaven zu finden, der schnell hinunter in den Keller lief, um den Wein zu holen und aus der Küche ein wenig Obst mitbrachte, grenzte nahezu an ein Wunder. Und zum selber laufen hatte ich nun wirklich keine Lust!
    "Achja", seufzte ich leise aber zufrieden, denn trotz der fehlenden Gaumengenüsse, fühlte ich mich wohl. Doch plötzlich war mir, als sei ein Geräusch an mein Ohr gedrungen. Ich sah auf und horchte. Es war ein leises Geräusch gewesen, kaum hörbar. Ach, sicher nur Einbildung, dachte ich mir und wollte mich wieder Plautus widmen. Doch wie aus dem Nichts kommend stand da eine Gestalt im Gang. Vor Schreck stieß ich einen spitzen Schrei aus und fuhr vor Entsetzen auf, als hätte ich soeben eine Maus entdeckt, die auf dem Boden umher rannte. Die Schriftrolle war mir aus der Hand geglitten und zu Boden gefallen.
    "Was.. Wer bist du?" Angsterfüllt griff ich nach meiner Öllampe, damit die dunkle Gestalt aus der Dunkelheit entlarvt wurde. Als ich genauer hinschaute, wurde mir bewußt, wer dort im Gang stand und mich anstarrte.
    "Du???" Diese Sklavin war es, auf deren Anwesenheit ich gut und gerne verzichten konnte. Die mir schon bei unserer ersten Begegnung negativ aufgefallen war. Sie war anmaßend gewesen. Und jetzt war sie auch noch schwanger, denn ich hatte sie erst kürzlich beobachtet und festgestellt, daß sie in andern Umständen war und ihren Bauch auf solch unverschämt provokante Weise vor sich her schob, als wolle sie mir aufzeigen, was mir noch nicht gelungen war. Sie war wohl die allerletzte, der ich an einem Abend wie diesem begegnen wollte. Eine Begegnung der unliebsamen Art, sozusagen! Diese Sklavin hätte ich nicht einmal in den Keller geschickt, um mir den Wein zu besorgen, den ich jetzt gerne getrunken hätte!
    "Was suchst du hier? Du willst doch nicht etwa stehlen?" schnauzte ich sie forsch an, noch ehe sie mir eine ihrer Unverschämtheiten entgegen schleudern konnte. Natürlich war es vollkommen absurd zu glauben, diese kleine Barbarin könne lesen. Marcus hatte sie im Garten eingesetzt. Wozu sollte eine Sklavin, die im Garten arbeitete lesen können?

  • Als ein Schrei die Stille in der Bibliothek zerriss, zuckte Siv unwillkürlich erschrocken zusammen – nur um sich gleich darauf zu fragen, was um alles in der Welt die Flavia wohl hatte, dass sie aufkreischte. Ihr fiel es nicht auf in diesem Moment, wie unfair sie eigentlich war, denn bei jedem anderen hätte sie den Gedanken zugelassen, dass sie einfach sehr leise gewesen war und man durchaus erschrecken konnte, wenn jemand so plötzlich auftauchte. Aber sie war der Flavia gegenüber einfach nicht positiv eingestellt, noch nicht einmal neutral – was wohl auch nicht verwunderlich war. Nach der einen Begegnung damals im Garten – der einzigen, bei der sie wirklich mehr miteinander zu tun gehabt hatten –, war Siv auf die Flavia schlecht zu sprechen, noch schlechter als sie es ohnehin gewesen wäre aufgrund der Tatsache, dass sie Corvinus’ Frau war. Immerhin hatte sie es bisher erfolgreich vermeiden können, ihr über den Weg zu laufen, aber dass ihr das nicht auf Dauer gelingen würde, war ihr irgendwie klar gewesen. Nur hatte sie doch gehofft, sie würde nicht mit ihr alleine sein, ohne jede Gesellschaft, und das noch dazu mitten in der Nacht, wo die Chance, dass jemand kam und sie erlösen würde, recht gering war.


    Die Schriftrolle fiel zu Boden, ohne dass Siv Anstalten machte, sie aufzuheben, während die Flavia nun ihre Öllampe anhob, um sie damit anzuleuchten. Die Germanin war drauf und dran, irgendetwas zu murmeln, sich auf dem Absatz umzudrehen und zu gehen, als Celerina plötzlich ein lautes Du??? ausrief. Siv meinte die zahlreichen Fragezeichen dahinter hören zu können. Und sie meinte den Vorwurf darin hören zu können, genauso wie die Arroganz, diese typisch römische Arroganz… Siv spürte, wie ihr Temperament zu brodeln begann, aber noch hatte sie sich unter Kontrolle, genug um zu wissen, was gut war, was intelligent war, genug um immer noch einfach nur gehen zu wollen. Zumindest letzteres verschwand, als die Flavia weiter sprach. "Was? Ich… Ich und stehlen?" Sie starrte die andere Frau an, und ihre Brauen schoben sich über empört funkelnden blauen Augen zusammen. Ihr Körper straffte sich etwas, wurde noch gerader als ohnehin schon, während ihr Kopf sich eine Nuance hob, und ihre ganze Haltung Stolz ausstrahlte. "Ich stehle nicht", fauchte sie zurück und verbiss sich die Gegenfrage, die ihr im Grunde schon fast auf der Zunge gelegen hatte. Die Flavia auch nur danach zu fragen, was sie hier tat, wäre lächerlich gewesen. Sie war die Frau des Hausherrn, war damit selbst Herrin hier, sie konnte tun und lassen was sie wollte. Im Gegensatz zu ihr, der Sklavin. Siv fragte sich, warum sie ausgerechnet in Gegenwart der Flavia so schnell so klar spürte, was sie war – und wie die Römerin es fertig brachte, ihr innerhalb weniger Augenblicke ihre Stellung so zu verdeutlichen. Wie sie es fertig brachte, dass sie, Siv, sich niedriger fühlte, weniger wert. Ohnmächtige Wut kochte in ihr. "Wie kommst du darauf?"

  • Nun, da sie es gewagt hatte, diesen gemütlichen Abend auf so unflätige Weise zu stören, hatte sie selbstverständlich auch die Konsequenzen dafür zu tragen. In Zukunft würde es sich diese Sklavin zweimal überlegen, ob sie des Nachts in der Villa herumschlich und ihre Nase in Dinge steckte, die sie nichts anging.
    Um sie näher ins Visier nehmen zu können, schritt ich langsam auf sie zu, während sie sich zu äußern begann. Was von ihr kam hatte diesen aufmüpfigen und unbotmäßigen Ton. Alleine dafür hatte man sie züchtigen müssen, selbst dann wenn sie schwanger war.
    Je näher ich ihr kam, desto besser konnte ich auch ihre funkelnden blauen Augen sehen. Wie sehr mußte sie mich hassen! Ich fragte mich, wie Marcus nur solche Barbaren ins Haus holen konnte, die womöglich in der Nacht allen die Kehlen durchschnitten. Alles an ihr wirkte anmaßend, beginnend von ihrem Blick bis hin zu ihrer Haltung. Doch die Krönung des Ganzen war wohl ihr Gefauche. Sie stehle nicht, behauptete sie ganz schamlos und wie ich darauf käme? Das schlug dem Faß den Boden aus!
    Ich stand nun direkt vor ihr, konnte sie noch besser sehen, konnte fast schon ihre Wut spüren, die in ihr brodelte. Unvermittelt fiel mein Blick auf ihre Rundungen. Sie konnte es nicht mehr verleugnen, daß es bald so weit war. Wie widerwärtig! War sie am Ende noch stolz darauf, einem neuen Sklaven das Leben zu schenken? Doch nicht ihr Bauch war mein Ziel. Vielmehr war es das trotzige Gesicht, dessen eine Wange, meine flache Hand unvorbereitet traf. Diese Ohrfeige hatte sie mehr als verdient!
    "Wie ich darauf komme? Was wird eine Barbarin, wie du es bist, um diese Zeit in die Bibliothek führen? He? Oder wolltest du nur Staub wischen?" fragte ich hämisch. Diese kleine Barbarenschlampe wollte ich lehren, wie man sich der Herrschaft gegenüber gebührend verhielt. Marcus war einfach zu nachsichtig, mit seinen Sklaven. Schon vor Monaten, als ich ihr zum ersten Mal begegnet war, hätte man sich ihrer annehmen müssen. Doch nun hatte ich die Gelegenheit, all das nachzuholen. Sie würde sich noch wünschen wollen, niemals in der Villa umhergeschlichen sein, wenn ich mit ihr fertig war.
    "Nun, wenn du schon einmal hier bist, dort drüben liegt eine Schriftrolle am Boden. Heb sie auf!" Ich deutete auf den Platz an dem ich eben noch gesessen hatte, bevor ich sie bemerkt hatte. Dort lag noch immer die Schriftrolle am Boden, die ich vor Schreck hatte fallen lassen. Diesmal war es meine Augen, die funkelten und sie herausfordernd anstarrten.

  • Die Flavia stand auf, kam ihr näher und näher, bis sie schließlich direkt vor ihr stand. Siv rührte sich nicht. Sie fühlte sich weniger wert als Celerina, aber das hieß nicht, dass sie das eingestand, indem sie auch nur einen Fingerbreit zurückwich vor der Römerin. Siv war gar nicht bis ins Letzte bewusst, wie viel Glück sie eigentlich gehabt hatte, bei den Aureliern gelandet zu sein. In anderen römischen Familien – und vermutlich auch hier, hätte sich ihr Verhältnis zu Corvinus nicht in diese Richtung entwickelt – wäre sie mit ihrem Verhalten nicht lange durchgekommen, hätte sie kaum die Gelegenheit bekommen, auf ihre Art und langsam zu lernen, sich anzupassen an ihr neues Leben. Bei jemandem wie Celerina hätte Siv wohl nie gelernt, sich irgendwann so zu verhalten, wie es erwartet wurde. Stattdessen wäre sie wohl irgendwann, nach zahllosen Bestrafungen, auf der untersten Stufe in einem Haushalt gelandet, oder vielleicht sogar sonst wohin gebracht worden, auf irgendein Landgut, wo sie hätte arbeiten müssen – was in der gedachten Situation für sie mit Sicherheit nicht das Schlechteste gewesen wäre. Nein, Siv dachte in der Regel selten darüber nach, und sie tat es schon gar nicht in diesem Moment, der ihr so deutlich aufzeigte, dass sich mit dem Einzug der Flavia auch hier, in der Villa Aurelia, die Dinge ein wenig änderten.


    Wie sehr sie sich änderten, das bekam Siv gleich darauf zu spüren. Was es bedeutete, dass die Flavia ausholte, das realisierte sie erst, als deren Hand mit einem klatschenden Geräusch auf ihrer Wange landete. Ihr Kopf flog auf die Seite, und ein brennendes Gefühl breitete sich dort aus, wo sie getroffen worden war. Einen Moment lang starrte Siv die Flavia einfach nur an, fassungslos über das, was gerade geschehen war. Mal abgesehen von Matho hatte sie noch nie, niemals, jemand in diesem Haus so behandelt – und selbst Matho hatte es nicht gewagt, sie so offen zu ohrfeigen. Keiner der Aurelier hatte jemals die Hand gegen sie erhoben. Sicher war allen Sklaven klar, dass die Möglichkeit der körperlichen Züchtigung bestand, aber es war auch klar, dass die Aurelier zu denen gehörten, die eine derartige Form der Bestrafung nicht wirklich billigten, schon gar nicht in nichtigen Situationen – geschweige denn sie bevorzugten. Sivs Wangenmuskeln spannten sich an, als sie die Kiefer aufeinander presste, während sie die Flavia nach wie vor einfach nur anstarrte. Sie ließ sich nicht schlagen. Sie ließ sich nicht unterdrücken. Sie war Sklavin, ja, aber weil sie das Glück gehabt hatte, hier zu landen, hatte sie die Chance bekommen sich auf ihre Art damit zu arrangieren – und sie hatte niemals ihren Stolz nicht verloren. Das war mit ein Grund gewesen, warum sie so ein hervorragendes Ziel für Matho gewesen war – weil sie sich ihm nicht untergeordnet hatte, weil sie sich gewehrt hatte. Und eine Ohrfeige, ein Schlag ins Gesicht… es gab wenig, was demütigender war für Siv. "Ich wollte lesen." Ihre Stimme zitterte vor unterdrückter Empörung, Wut und Demütigung, während eine Hand sich in einer schützenden Geste auf ihren Bauch legte. "Aber vielleicht ist Dreck wegräumen auch nötig." Es gehörte wohl nicht viel dazu sich vorzustellen, was oder besser wen Siv mit Dreck meinte in diesem Augenblick. Ihr Blick wanderte kurz zu der Schriftrolle, die am Boden lag, aber sie rührte sich nicht. Ganz egal, was sie sich damit einhandelte – sie brachte es nicht über sich. Sie konnte einfach nicht der Flavia jetzt zu Diensten sein, nachdem diese sie geohrfeigt hatte, und das noch dazu völlig grundlos in ihren Augen – immerhin war es die Flavia gewesen, die beleidigend geworden war, Siv hatte nur gesagt, dass sie noch nie gestohlen hatte, was auch die Wahrheit war. Brix, Corvinus, ihr Vater und ihre Brüder hatten es ihr alle prophezeit, dass ihr Stolz ihr irgendwann noch einmal das Genick brechen würde, aber auch wenn sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass sie in der unterlegenen Position war, dass es das Beste wäre, nichts zu erwidern, ruhig zu bleiben, zu tun, was die Flavia sagte – Siv konnte es einfach nicht.

  • Erst im Nachhinein wurde mir bewußt, wie sehr ich mich hineingesteigert hatte und wie ich es nun regelrecht auskostete, diese Sklavin zurecht zuweisen. Im Allgemeinen war ich es nicht gewohnt, auf unverschämte Sklaven zu treffen. Meist waren es demütige gehorsame Wesen, die schwanzeinziehend und kuschend alles taten, was man von ihnen verlangte und alles über sich ergehen ließen. Dieses Exemplar allerdings nahm sich Dinge heraus, die schlicht und ergreifend unakzeptabel waren. Vielleicht hätte ich ihr einiges zugebilligt, sich etwas herauszunehmen, wenn sie sich bereits schon einmal bewehrt hatte.
    Nein, die Ohrfeige war durchaus angemessen und sie hatte gesessen. Und damit hatte sie wohl auch am wenigsten gerechnet. Doch sie sollte mich noch besser kennen lernen, sofern sie weiterhin ein solches Verhalten zu Tage legte. Aber vielleicht war das auch gar nicht mehr nötig. Denn die Quittung, die ich ihr damit verpaßt hatte zeigt Wirkung. Ihre Stimme zitterte und, wohl aus Angst, ich könne ihr noch mehr antun, hielt sie schützend ihre Hand über den Bauch.
    "Ach, du kannst lesen?" fragte ich sie ungläubig. Damit hatte ich nun am wenigsten gerechnet. Ich fragte mich, wo oder besser gesagt wie sie das gelernt hatte. Damit hatte sie nun tatsächlich meine Neugier geschürt. Vor allen Dingen interessierte mich, was sie las. Ich ging einfachmal davon aus, daß es nichts Hochtrabendes war, wofür sich eine Sklavin wie sie begeisterte. Da überhörte ich sogar fast ihre spitze Bemerkung, die sie bezüglich des Drecks machte. Natürlich war mir klar, wen oder was sie damit gemeint hatte. Doch meine Neugier obsiegte in diesem Augenblick. Ihr Glück!
    "Nun, und was liest du, wenn du rein zufällig in die Bibliothek hineinspazierst?" Ein gewisser provokanter, leicht lächerlicher Unterton in meiner Stimme war nicht zu überhören, hielt ich es doch immer noch für absurd, die Sklavin beschäftigte sich tatsächlich ernsthaft mit Literatur.
    Unvermeidlich war es aber auch, ihren Bauch zu übersehen, den sie noch immer mit ihren Händen zu schützen suchte. Auch das erregte mein Interesse, nicht nur weil ich mich so darüber echauffiert hatte. Natürlich war ich nicht eifersüchtig auf sie! Weshalb sollte ich auf eine Sklavin so etwas wie Eifersucht empfinden? Doch es beschäftigte mich schon.
    "Es ist bald soweit. Nicht wahr?" fragte ich plötzlich, wenn auch etwas harsch und deutete dabei auf ihren Bauch.

  • Siv stand da und starrte die Flavia an. Ihre Augen funkelten genauso wie noch zuvor, wenn nicht sogar noch mehr, und sie war immer noch so fassungslos von der Ohrfeige, dass sie nach wie vor nicht so recht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Aber eines stand fest: diese Aktion war etwas, was sie nicht so leicht vergeben würde. Schon gar nicht ohne eine Entschuldigung. Siv war absolut der Meinung, dass sie sich nichts hatte zuschulden kommen lassen – sie war Corvinus’ Leibsklavin und inzwischen Brix’ Assistentin, wenn sie nicht nachts in die Bibliothek gehen durfte, wer, oder besser, welcher Sklave, dann? Nein, Siv war sich in keinster Weise irgendeiner Schuld bewusst. Sie musste sich nicht vorwerfen lassen, dass sie stahl, nicht einmal die Andeutung dessen gefallen lassen. Und es wurde nicht besser – die Flavia ignorierte zwar den Kommentar, den Siv von sich gab, aber was sie selbst sagte und vor allem der Ton, den sie dabei anschlug, ließ Sivs Wut nicht geringer werden. Erst diese Ungläubigkeit, dass Siv lesen konnte – sie war doch nicht dumm, nur weil sie keine Römerin war! Nur weil sie woanders aufgewachsen war und in ihrer Kindheit andere Dinge gelernt hatte, hieß das doch noch lange nicht, dass sie blöd war und nichts Neues lernen konnte! Und dann der Spott bei der Nachfrage, was sie denn las, der genauso wie der Unglauben zuvor in Sivs Ohren nichts anderes bedeutete als: eine Barbarin wie sie konnte doch nie und nimmer lesen. "Nein, ich kann nicht lesen, ich tu nur so – aber ich seh mir gern die Bildchen an, weißt du?" zischte sie, unwillkürlich ins Germanische fallend. "Ich lese, was interessant ist." Der feindselige Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.


    Und dann, urplötzlich, wechselte die Flavia das Thema. Siv konnte ihre Überraschung im ersten Augenblick nicht verbergen, aber sofort überwog das Misstrauen. Was wollte sie nun wissen, warum interessierte sie sich für ihre Schwangerschaft? Die Germanin runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. "Offensichtlich", antwortete sie, fast ebenso harsch wie die Flavia gefragt hatte. Zwei oder drei Monate dürfte es noch dauern bis zur Geburt, schätzte Siv, aber in diesem Moment würde sie sich eher die Zunge abbeißen als der Flavia das freiwillig zu erzählen. Es ging sie nichts an, überhaupt nichts, nicht das Geringste. Siv verdrängte bewusst den Gedanken daran, ob die Flavia womöglich etwas über den Vater wusste, von irgendwem, irgendeinem der anderen Sklaven gehört hatte, dass Corvinus als Vater zumindest in Frage kam. Immerhin, sie war nicht nur seine Sklavin, sie war seine Leibsklavin, und sie hatte von Anfang an, auch als sie noch eine normale Sklavin gewesen war und bei den anderen geschlafen hatte, nicht jede Nacht in ihrem Bett verbracht. Wenn die Flavia das herausgefunden hatte und eins und eins zusammengezählt hatte… Siv wollte gar nicht daran denken, was wäre, wenn sie das wusste, jetzt, in diesem Moment, wo sie allein mit ihr war.

  • Es gab Menschen, die mochte man einfach nicht, ohne dies genau bestimmen zu können. Mir war nicht im geringsten klar, was es von Anfang an bei dieser Sklavin gewesen war. Doch eines war offensichtlich, ich mochte sie nicht uns sie mochte mich nicht. Wobei mich das nicht im geringsten tangierte, ob die Sklaven mich mochten oder nicht. Diese hier brachte auch noch eine ordentliche Portion Impertinenz mit, was ich einfach nicht ignorieren konnte. Doch wer war ich, daß ich mich von diesem Weibstück provozieren ließ?
    Die Sklavin übergoß mich mit einem Schwall bizarr anmutender Worte, deren Bedeutung ebenfalls so fremd wie uninteressant schien. Wahrscheinlich war es eine weitere Unverschämtheit, die andere meiner Familie längst zum Anlaß genommen hätten, dieses Ding mit Hilfe der Peitsche wieder auf den rechten Weg zu bringen. Ich hingegen lächelte ihn nur kühl entgegen.
    "Hör zu Sklavin!" begann ich langsam, damit sie auch jedes meiner Worte begriff. "Wenn ich will, kann ich dir dein zukünftiges Leben und das deines Kindes zur Hölle machen. Vergiß das niemals! Hörst du? Wenn ich mit dir rede, verlange ich eine ordentliche Antwort. Und außerdem ist es wohl Usus, daß du mich Herrin nennst! Das dürfte sicherlich nicht zu viel verlangt sein! Meinst du nicht auch? Also, was liest du?" Das Lächeln war längst verschwunden. Ich bedachte sie nun mit einem festen Blick. An und für sich war es mir völlig gleich, was diese Barbarin las. Hier ging es um das Prinzip!


    Auch mit der Frage nach ihrer Schwangerschaft ließ sie mich einfach abblitzen, als wäre ich ein dahergelaufenes Nichts. Eines wurde mir immer klarer. Sie mußte sich ihrer Sache völlig sicher sein, wenn sie mir gegenüber mit solchen vorlauten Tönen entgegentrat. Womöglich hatte sie sogar bei Marcus ein Stein im Brett, was mich noch mehr verunsicherte. Dieser Mann wurde mir von Tag zu Tag fremder!
    "Nun, im Grunde ist es mir vollkommen gleich, wann dein Balk zu Welt kommt." Das war es durchaus nicht, doch dies mußte die Sklavin ja nicht wissen. "Die Hauptsache wird sein, es wird dereinst ein besserer Sklave, als seine Mutter werden!" meinte ich noch ruhig.
    "Ach, wie war doch gleich noch dein Name?" Den hatte ich vollkommen vergessen, wenn ich ihn denn je erfahren hatte.

  • Sim-Off:

    Sorry, ganz übersehen :(


    Es gab Menschen, die mochte man nicht, ohne dies genau bestimmen zu können. Und es gab Menschen, die mochte man nicht, und man konnte bestimmen, warum das so war. In Sivs war Fall war es, was die Flavia betraf, letzteres. Sie konnte sehr genau sagen, warum sie sie nicht mochte, und es lag nicht einfach nur daran, dass sie einen denkbar schlechten Start gehabt hatten, sobald Siv erfahren hatte, dass Corvinus gedachte sie zu ehelichen. Es lag auch nicht einfach nur daran, dass Sivs Gemütsverfassung zu jenem Zeitpunkt denkbar elend gewesen war. Beides hätte, auf längere Sicht, die Chance gehabt keine Rolle mehr zu spielen – Sivs Lage hatte sich wieder geändert, deutlich zum Besseren, und mit der Tatsache, dass Corvinus heiraten würde, musste, hatte sie sich abgefunden. Wie die Flavia sie allerdings behandelte, wie sie sie von Anfang an behandelt hatte, so als ob sie nicht mehr als Dreck sei – wie sie sich gab, so als ob sie der Archetyp eines Römers oder einer Römerin war, so wie Siv dieses Volk früher immer gesehen hatte… Das war es, was Siv nicht leiden konnte. Sie hatte es noch nie leiden können, wenn man ihr gegenüber herablassend war, und Herablassung war etwas, was die Flavia perfektioniert zu haben schien. Siv war niemand, der so etwas so leicht vergab. Genauso wenig wie eine Ohrfeige. Nein, Siv hatte mehr als genug Gründe, die Flavia nicht zu mögen, und sie vom Gegenteil zu überzeugen, würde einiges bedürfen. Es interessierte sie nicht, dass sie nicht in der Position derjenigen war, die überzeugt werden musste, nicht so wie die Dinge lagen, nicht sie als Sklavin und die andere als Herrin. Es interessierte Siv nicht. Was sie zurückhielt, war einzig das Wissen, dass Corvinus wohl ein Problem haben würde, wenn sie es mit der Flavia zu weit trieb – und das war auch der Grund, warum sie ihr bisher so penibel aus dem Weg gegangen war.


    Das kühle Lächeln erwiderte Siv nicht. Ihr war nicht Lächeln, also lächelte sie nicht, so einfach war das – und diese Maskerade, die die Römer so gut beherrschten, nicht nur die Flavia, sondern auch Corvinus und viele andere, gehörte zu den Dingen, die Siv bisher nicht gelernt hatte und auch nicht wirklich nicht lernen wollte. Ihre Augen blitzten nur auf, als die Flavia davon sprach, dass sie ihr und ihrem Kind das Leben zur Hölle machen könnte. Sie war sich sicher, dass sie das nicht konnte, dass Corvinus das nicht zulassen würde, aber dennoch war es Wut, die in ihren Augen schimmerte, Wut darüber, dass die andere Frau es wagte, ihr Kind zu bedrohen. Ihr Kind. Niemals würde sie zulassen, dass jemand Hand an ihr Kind legte, eher würde sie sich zerreißen lassen, wie die Wölfin, die ihr Junges verteidigte. Ohne hinzusehen, streckte Siv die Hand aus und zog eine Schriftrolle aus einem Regal, die sie der Flavia hinhielt. Es war ihr gleichgültig, ob es eine war, die sie schon gelesen hatte oder nicht. Sie konnte inzwischen alles hier lesen, manches schneller, manches weniger schnell, was nicht nur am Schwierigkeitsgrad lag, sondern auch daran, wie interessant Siv den Text fand, aber sie konnte es lesen, das war es, was zählte. "Herrin", sagte sie betont, ähnlich dem Tonfall, in dem Römer das Wort Sklave aussprechen mochten.


    Als die Sprache dann wieder auf ihr Kind kam, presste Siv die Zähne aufeinander, so fest, dass sie beinahe knirschten. Ein Sklave. Ihr Kind, ein Sklave. Sie mochte nicht daran denken, sie dachte auch einfach die meiste Zeit nicht daran, hatte Corvinus sich doch bis heute nicht klar zu diesem Thema geäußert. Sie konnte nicht daran denken, denn allein der Gedanke, dass ihr Kind ein Sklave sein würde, verschaffte ihr schlaflose Nächte. Es war ihr gleichgültig, als was ihr Kind geboren war – es zählte, was es später sein würde. Sie machte sich keine Gedanken darüber, dass es, wenn es als Sklave geboren war, in Rom, im römischen Reich, keinerlei Chancen auf einen nennenswerten Aufstieg haben würde. Das war es nicht, was in Sivs Augen zählte. Freiheit an sich war es, die Freiheit zu tun und zu lassen, was ihr Sohn, ihre Tochter wollte, das war es, was sie für ihr Kind wollte, und es würde ihr schon reichen, Corvinus’ Zusicherung zu haben, dass es so kommen würde, auch wenn er es erst irgendwann nach der Geburt tun würde. Sie vertraute ihm. Allein dass sie diese Zusicherung noch nicht hatte, dass er sich jedes Mal aus dem Thema herausgewunden hatte, bereitete ihr Magenschmerzen, aber selbst damit konnte Siv, noch, fertig werden – weil sie ihm vertraute. Es war ihr gemeinsames Kind. Er würde nicht wollen, dass es in Sklaverei lebte, noch dazu in seiner Sklaverei, davon war sie überzeugt. Aber sie antwortete nicht auf die Worte der Flavia, weil sie es mit jedem Wort nur schlimmer gemacht hätte. Sie konnte ihr nicht sagen, dass sie nicht davon ausging, dass ihr Kind kein Sklave sein würde. Und sie wollte ihr nicht zeigen, wie sehr es sie schmerzen würde, wenn es doch so kam. Und dann hob sie den Kopf, einmal mehr mit diesem germanischen Stolz, der ihr bis heute nicht genommen worden war. Kurz erinnerte sie sich daran, wie sie früher auf diese Frage reagiert hatte, in den Monaten nach ihrer Gefangennahme. Wie sie mit dem Gedanken gespielt hatte, Hel zu sagen. Die Göttin der Unterwelt, ihre Schutzgöttin, die das gesamte römische Reich zerschlagen könnte, wenn sie wollte… Sie hatte es nie getan, niemals. Ihr Respekt war zu groß gewesen. Fast, nur fast, war Siv versucht zu lächeln. Ihr Respekt wäre auch heute noch zu groß, um das zu tun, aber heute würde sie gar nicht mehr auf so eine Idee kommen. Sie war stolz auf ihren Namen, den ihr Vater ihr gegeben hatte. Es gab keinen Grund, ihn nicht zu nennen, und sie hoffte, ihr Kind würde eines Tages genauso denken. "Ich bin Siv. Von den Chatten." Sie wusste gar nicht, warum sie nun, in diesem Augenblick, den Namen ihres Stammes nannte, aber es schien ihr einfach richtig zu sein.

  • Wenigstens war sie nicht dumm genug, mir weiterhin Paroli zu bieten. Meine Ansprache schien die erwartete Wirkung gehabt zu haben. Die Angst um ihr ungeborenes Kind obsiegte. Natürlich! Ich hätte an ihrer Statt nicht anders gehandelt. Diese Sklavin war wie ein wildes Pferd, das man bändigen mußte, um es zu benutzen.


    Meine Augen folgten ihrer Hand, die scheinbar wahllos eine der Schriftrollen aus dem Regal zog und es mir vor die Nase hielt. Ich ergriff sie, um nachzuschauen, was sie da aus dem umfangreichen Schatz der aurelischen Bibliothek gefischt hatte. Mir fiel es noch immer schwer zu glauben, sie könne tatsächlich all diese Schriften lesen.
    Aesops Fabeln hatte sie erwischt, dessen Texte mich an meine Kindheit erinnerten, die ich damals in Hispania gelesen hatte. Schließlich preßte sie noch ein Herrin hervor. Auch wenn ihr dies unscheinbare Wörtchen nicht sehr in gebührender Demut über die Lippen kommen wollte. Doch dies war zumindest ein Anfang.
    "So ist´s gut!", lobte ich ihre Einsicht. Sichtlich stolz über meinen Triumph lächelte ich ihr gutmütig zu. Sklaven, die wußten, wo ihr Platz war, hatten von mir nichts zu befürchten.
    "Aesop liest du also! Aha. Gib mir eine Kostprobe deines Könnens!", verlangte ich von ihr und wartete schon gespannt darauf, was mich erwartete.


    Was in ihr nun vorgehen mochte? Eigentlich konnte mir das ja gleich sein. Aber wenn dies die Weise war, wie man sie zur Raison bringen konnte, dann war es eben so. Sie war nur eine Sklavin und das Balg, das in ihr heranwuchs würde das auch sein. Ihr schien es nicht im Mindesten zu gefallen, als sie aus meinen Worten entnahm, welche Macht ich über sie und auch über ihr Kind hatte, auch wenn sie nicht meine persönliche Sklavin war.
    Vielleicht konnte dereinst ihr Kind der Spielgefährte unseres Kindes werden, wenn es denn erst einmal gezeugt war. So schwer konnte das doch nicht sein! Doch im Augenblick schien dies für mich unerreichbar. Ich sah nur wieder den schwangeren Bauch der Sklavin. Und da war es auch wieder, dieses widerliche Gefühl. Diese Sklavin hatte, was ich nicht hatte und wonach ich mich so sehr sehnte. Bald schon würde sie ein Kind haben, von irgendeinem anderen Sklaven oder vielleicht kannte sie sogar gar nicht den Vater, aber sie hatte dann ein Kind. Mein triumphierendes Lächeln wurde im Keim erstickt. Zurück blieb dieses Gefühl von Neid. Neid auf eine Sklavin.
    Währenddessen bemerkte ich eine Veränderung am Wesen der Germanin. Wirkte sie eben noch verkrampft, erwuchs nun so etwas wie Stolz in ihr, der seine Blüte in der Nennung ihres Namens und des Volkes hatte, von dem sie stammte. Selbstredend konnte ich nicht viel mit dem Begriff Chatten anfangen. Womöglich hatte ich ihn auch schon einige Male gehört. Doch was die Stärken oder die Schwächen dieses Volkes ausmachten, konnte ich nicht sagen. Für mich waren das alles samt Germanen und die wiederum waren, ganz der öffentlichen Meinung entsprechend, Barbaren.
    "Siv, so heißt du also. Aha." Den Namen mußte ich mir gut merken, damit ich mich später bei Marcus noch über sie beklagen konnte, was ich zweifelsfrei tun würde, es sei denn, sie konnte mich durch irgendetwas so verblüffen und zum guten stimmen, daß ich davon absehen konnte. Im Augenblick jedoch sah ich dafür keine Veranlassung.
    "Hat dieser Name irgendeine relevante Bedeutung? Und dieser Barbarenstamm, von dem du kommst. Sollte man den kennen?" Natürlich war ich mir bewußt, mit diesen Fragen meine Unwissenheit preiszugeben. Aber mal ganz ehrlich, war es denn sooo wichtig zu wissen, wer diese Chatten waren? Ganz bestimmt käme ich nicht in die Verlegenheit, in den nächsten Monaten oder gar Jahren nach Germanien zu reisen. Meine Zeit in Gallien war da schon ausreichend gewesen und mein Bedarf an Barbaren gedeckt.

  • Siv konnte nicht anders, als die Flavia anzustarren. Das Wort Ironie schien ihr fremd zu sein, ebenso wie der Tonfall, der Ironie ausdrückte – anders konnte sie sich nicht erklären, dass sie das Wort Herrin, so wie sie es ausgesprochen hatte, tatsächlich ernst nahm. Und dann forderte sie sie auch noch auf, ihr vorzulesen. Siv biss die Zähne aufeinander, als es ihr langsam zu viel zu werden begann. Sie wollte keinen Ärger, weder für sich noch für Corvinus, und irgendjemand würde Ärger bekommen, wenn sie die Beherrschung verlor. Aber wie Celerina sich ihr gegenüber verhielt, brachte sie hart an die Grenze dessen, was sie ertrug. Wie konnte die Römerin jetzt so tun, als sei nichts gewesen? Als würde sie, Siv, einfach darüber hinwegsehen, dass sie sie geohrfeigt hatte, einfach so tun, als sei nichts geschehen? Sie kämpfte mit sich, und war fast dankbar für die Zwischenfrage nach ihrem Namen. Es lenkte ab. Es enthob sie einer Entscheidung, wenigstens für den Moment. Sie wollte nicht vorlesen, wollte sich nicht lächerlich machen vor der Flavia. Es genügte schon, dass die andere die Oberhand hatte, immer haben würde. Sie bemerkte, wie Celerinas triumphierendes Lächeln erlosch, wie etwas anderes auf ihre Züge, in ihre Augen zu treten schien, etwas, was Siv nicht so wirklich einordnen konnte. Sie erkannte nicht, dass es Neid war – aber sie erkannte genug, dass es ein merkwürdiges Gefühl in ihr auslöste, etwas, dass nicht dazu führte, dass sie sich wirklich wohler fühlte im Augenblick. Siv war Neid nahezu fremd. Sie war ein Mensch, der im Großen und Ganzen zufrieden war mit ihrem Leben, jemand, der immer irgendwie einen Weg fand, zufrieden zu sein, der dazu tendierte, das Gute zu sehen, in jeder Situation – und wenn sie es mal nicht schaffte, dann wurde sie in aller Regel nicht neidisch, höchstens wütend. Nur in einer einzigen Situation hatte sie bisher so etwas wie Neid empfunden – Neid auf Celerina, weil diese das war, was Corvinus brauchte von einer Frau. Und da war es Siv nicht um den Reichtum gegangen, den sie hatte, nicht um die Kleider, nicht um den Status als Römerin oder gar Patrizierin, auch nicht darum, dass sie bei offiziellen Anlässen als seine Frau auftreten konnte. Es ging ihr einzig und allein um die Tatsache, dass sie jemand war, mit dem Corvinus zusammen sein konnte, ohne sich Gedanken machen zu müssen, was andere dachten. Und da das das einzige war, was Siv auch wollte, da sie, abgesehen davon, nicht das geringste Bedürfnis hatte, mit der Flavia zu tauschen, ihr Leben zu leben, war auch dieser Anflug von Neid nicht rein, sondern deutlich gefärbt, war mehr Sehnsucht nach Corvinus denn alles etwas anderes. Und vielleicht war ihr gerade deswegen, weil sie es nicht wirklich kannte, nicht wirklich nachempfinden konnte, das Gefühl des Neids so unheimlich.


    Siv verzog ihre Lippen zu einem halb spöttischen, halb bitteren Lächeln auf die Frage Celerinas hin. "Nein", antwortete sie. Nein. Weder ihr Name noch ihr Stamm hatten irgendeine Bedeutung für eine Römerin. Wie auch. "Keine Bedeutung, nichts zu kennen. Nicht für dich."





    SKLAVE - MARCUS AURELIUS CORVINUS

  • Ich wartete darauf, auf daß sie endlich begann, mir ihr Können zu demonstrieren. Doch leider wartete ich vergeblich, was meinen Zorn ins unermeßliche steigen ließ. Unter anderen Umständen hätte sie mich nun kennengelernt. Kein Sklave hatte es je gewagt, meine Befehle zu mißachten. Doch ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß sie ja nicht ewig schwanger sein würde.
    Eines schönen Tages, sobald sie mir wieder über den Weg lief oder ich auch nur ein Fitzelchen ihrer Unverschämtheiten zu Ohren bekäme, würde ich mir sie vorknöpfen. Sie würde schon noch lernen, welche Konsequenzen es hatte, eine Flavia vor den Kopf zu stoßen. Außerdem nahm ich mir fest vor, Marcus von den Ausschweifungen seiner Sklavin zu berichten. Sollte er sich vorerst mit ihr herumschlagen!
    Doch das Maß war endgültig voll, als sie die Unverfrorenheit besaß, sich meiner letzten Frage zu entziehen. Die Antwort, die sie mir darauf gab, war ein Affront, ein Schlag ins Gesicht. Und das von einer Sklavin!
    "Verschwinde! Raus mit dir! Und laß dich hier nie wieder blicken! Du tust gut daran, wenn du mir nie wieder unter die Augen trittst, Sklavin!" Mein Teint hatte sich puterrot gefärbt und meine Stirnader war deutlich hervorgetreten. Ich platzte schier vor Wut.

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