Seit über einer Stunde saß Celsus bereits an seinem Tisch in dem gemütlichen kleinen Gasthaus und stocherte gedankenverloren in den Oliven auf seinem Teller herum.
Eigentlich hatte er überhaupt keinen Hunger, aber das Essen war ein weiteres willkommenes Mittel, um den nahenden Aufbruch zur Villa Tiberia noch ein wenig hinauszuzögern.
Celsus hob den Blick und ließ ihn kurz über die anwesenden Gäste schweifen. Die junge dunkelhaarige Bedienung, die ihm jetzt bereits zum zweiten Mal ein einladendes Lächeln schenkte, hätte normalerweise sicherlich sein Interesse geweckt, aber im Moment trug auch sie nicht zur Verbesserung seiner Laune bei.
Celsus seufzte und trank noch einen Schluck Wasser. Am liebsten hätte er sich einen großen Krug Wein bestellt und sich anschließend betrunken, so wie er es seit dem Tod seiner Mutter an jedem Abend gemacht hatte. Heute fiel dieser Rettungsanker jedoch flach, da er sich nun nicht länger davor würde drücken können, dem Oberhaupt seiner neuen Familie entgegenzutreten, und das konnte er wohl kaum mit einer Weinfahne tun. Aus dem selbem Grund hatte er auch früher am Tag bereits einige Stunden in den Thermen verbracht, sich pflegen und massieren und mittels eines vernünftigen Haarschnitts und einer gründlichen Rasur in einen ansehnlichen und respektablen Zustand versetzen lassen.
Im Grunde konnte er immer noch nicht ganz begreifen, dass sich sein künftiges Leben nun wieder in Rom abspielen würde. Seit dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren war Celsus nicht mehr in der Hauptstadt gewesen, und im Grunde hatte sie ihm auch in keinster Weise gefehlt.
Natürlich gab es in Syracusae nicht annähernd soviele Möglichkeiten wie in Rom, aber dennoch bot seine Heimatstadt genügend Annehmlichkeiten für einen einen wohlhabenden jungen Mann seines Standes und aus eigenem Antrieb hätte er sie vermutlich nie verlassen.
Schade nur, dass seine Mutter ganz andere Pläne mit ihm gehabt hatte. Seit dem frühen Tod ihres Mannes hatte Caesonina davon geträumt, dass ihr einziger Sohn irgendwann einmal dessen vielversprechende politische Karriere fortsetzen und noch bei weitem übertrumpfen würde, dabei hatte Celsus zu keinem Zeitpunkt irgendein gesteigertes Interesse an Politik erkennen und all ihre diesbezüglichen Ermahnungen und Bitten ins Leere laufen lassen.
Als es ihr aufgrund ihrer schweren Krankheit mit der Zeit immer schlechter ging, hatte sie schließlich zu einem letzten verzweifelten Mittel gegriffen und ohne sein Wissen an ihre persönliche Lichtgestalt, den hochedlen Tiberius Durus, einen Brief geschrieben und ihn um seine Hilfe gebeten. Hätte Celsus auch nur eine Ahnung von diesem Plan gehabt, dann hätte er alles daran gesetzt, diesen Brief rechtzeitig verschwinden zu lassen, aber leider war er erst durch die entsprechende Antwort aus Rom darauf aufmerksam geworden, und da war es bereits zu spät gewesen, noch irgendetwas zu unternehmen.
Was hatte sie Durus denn nur über ihren Sohn erzählt? Die Wahrheit konnte es kaum gewesen sein, denn dann hätte sich der angehende Konsul sicher nicht zu diesem Schritt entschlossen....
Caesonina war durch Durus' Angebot, sich um ihren Sohn zu kümmern und diesen zu adoptieren, derartig beglückt gewesen, dass es für eine Weile sogar so ausgesehen hatte, als würde sie sich noch einmal von ihrer Krankheit erholen. Leider hatte sich das jedoch als Trugschluss herausgestellt und sie war zwei Tage nach Ankunft des Briefes gestorben, allerdings nicht ohne ihrem Sohn auf dem Sterbebett das feierliche Versprechen abzunehmen, in Rom sein Bestes zu geben.
Celsus stöhnte leise auf und vergrub den Kopf in beiden Händen. Wenn er an das nahende Treffen mit seinem baldigen neuen "Vater" dachte, fühlte er sich wie eine Maus in der Falle und auch Caesoninas begeisterte Zukunftspläne hatten ihn nicht wirklich mitreissen können. Trotzdem fühlte er sich an den Eid in Gegenwart seiner sterbenden Mutter gebunden, und ganz egal, wie seine Zukunft in Rom auch aussehen mochte, hatte sich der junge Tiberia vorgenommen sein Bestes zu geben, auch wenn das vielleicht nicht viel sein mochte.
Er fuhr sich mit der Hand durch die jetzt deutlich gestutzten dunklen Locken und stand auf, ohne sein Essen angerührt zu haben. Dann warf er eine Münze auf den Tisch, verließ die Taverne und machte sich auf den Weg zur Villa Tiberia. Früher oder später musste er ohnehin aufbrechen, da konnte er es genauso gut auch jetzt hinter sich bringen.