cubiculum Celerina | Der Abgrund

  • Ich hatte dieses Hin und Her so dermaßen satt! Ich musste dringend an die frische Luft, sonst würde ich noch daran ersticken. Mit verbissener Miene zog ich durch das nachtschlafende Haus, vorbei an der Küche und diversen anderen Örtlichkeiten, bis ich die an den Garten grenzende exedra erreicht hatte. Mich zog es ins Peristyl, dem überdachten Säulengang. Hier draußen gurgelte und plätscherte es, das waren die einzigen Geräusche, die zu existieren schienen. Hin und wieder durchzuckte ein Blitz den nachtschwarzen Himmeln, offenbarte gezackte Blätter und dichtes Gestrüpp. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Innerlich war ich so aufgewühlt, dass ich beinahe zu platzen drohte. Wie gern hätte ich irgendetwas zerschlagen, doch hinterher würde es mir nur wieder leid tun.


    Also verließ ich die Überdachung und gin geradewegs in den Regen hinein. Im Nu waren meine Haare und der Stoff durchnässt, Wasser rann mir übers Gesicht. Es tat so gut, diese kalte Dusche zu spüren. Inmitten des Gartens blieb ich stehen und wandte das Gesicht gen Wolkenhimmel. Die Hände hatte ich auf Hüfthöhe erhoben, die Handflächen nach oben gekehrt. Als Knabe hatte ich so versucht, die Regentropfen mit dem Mund aufzufangen, jetzt tat ich es wieder.


    Ich stand sicherlich zehn Minuten solchermaßen im Regen. Kälte spürte ich nicht, auch dass ich vor kurzem so krank gewesen war, war mich in jenem Moment gleich. Ich genoss schlichtweg das kalte Fließen des Wassers, diese unbändige Kraft der Natur, die da aus vollen Rohren schoss, nur untermalt von den Blitzen, die Iuppiter schleuderte. Dann hatte ich genug. Ich war inzwischen wenigstens soweit abgekühlt, dass ich wieder klarer denken konnte. Und ich wusste, was mir helfen würde. Ich ging zurück ins Haus und zielstrebig auf Celerinas Gemächer zu. Dass es mitten in der Nacht war, kümmerte mich herzlich wenig, als ich die Tür öffnete und in ihr Zimmer ging. Ich wusste nicht, ob sie schlief oder oberhaupt da war, immerhin hatte Charis etwas von nächtlichen Ausflügen erzählt. Ich ging trotzdem geradewegs auf ihr Bett zu. Meine Augen hatten sich sehr schnell an die Dunkelheit gewöhnt, und ich erkannte jetzt, dass sie tatsächlich dort lag. Ob sie schlief oder wach war, wusste ich nicht - es war mir in diesem Moment aber gleichgültig. Ich war ein wenig grob, das war mir durchaus bewusst, aber ich hatte eine hundsmiserable Laune - und Celerina hatte sich ohnehin beschwert, dass ich sie nicht öfter aufsuchte. Vermutlich bot ich ihr so nur einen weiteren Grund zur Unzufriedenheit.


    Es klatschte - meine durchnässte tunica fiel auf den Boden. Dann zog ich Celerina schlichtweg die Decke fort und schob ihr Schlafgewand aus dem Weg, um sie zu nehmen, schlafend oder wach. Für mich zählte jetzt nurmehr das Ziel, das diese Begegnung haben würde. Ich schwieg, abgesehen von gelegentlichem Schnaufen. Es war wie Raserei. Ich war über ihr, und ich griff fest zu, denn ich wollte selbst den Schmerz spüren. Ohne Zweifel hatte ich sie inzwischen geweckt.

  • Ich war früh zu Bett gegangen. Für die cena hatte ich mich entschuldigen lassen. Mir war der Appetit gründlich vergangen. Wenige Stunden vorher hatte ich mich mit Marcus zum ersten Mal gestritten. Ich wollte ihn nicht sehen. Heute nicht mehr. Und morgen? Da war ich mir noch nicht sicher.
    Es hatte lange gedauert, bis ich eingeschlafen war. Dieses Gewitter, das draußen gewütet hatte, ließ mich immer wieder aufwachen. Ich hatte noch nie Gewitter gemocht. Schon als Kind nicht. Diese elementare Kraft hatte immer etwas Bedrohliches für mich gehabt. Auch wenn ich wußte, daß ich im Inneren der Villa sicher war. Irgendwann hatte es nachgelassen. Nun prasselte nur noch der Regen gegen die Fenster. Endlich glitt ich langsam tiefer in meinen traumlosen Schlaf. Es war ein fester Schlaf. Selbst als die Tür zu meinem cubiculum geöffnet wurde, bemerkte ich dies nicht.
    Die nasse wütende Gestalt, die sich gierig meinem Bett näherte, nur mit einem bestimmten Gedanken behaftet, die durchnässte Tunika, die zu Boden ging, all dies blieb unbemerkt. Vorerst noch. Doch als meine Decke hinfort gezerrt wurde und mir kalt wurde, erwachte ich langsam. Noch waren meine Augen geschlossen. Zuerst glaubte ich, meine Träume würden mich wieder heimsuchen. Solche Träume, die ich schon lange nicht mir geträumt hatte. Die Träume, die ich überwunden geglaubt hatte.
    Gorgus, der elende Pirat war wieder zurückgekehrt und wollte sich nun nehmen, was er sich geraubt hatte. Er stürzte sich auf mich und packte mich, gefühlstot, brutal, darauf aus, Schmerzen zu bereiten. Jetzt war ich wach, versuchte mich wieder zu wehren, schrie um mein Leben, so wie damals. Nein, das war kein Traum.
    "Nein, laß mich! Laß mich! Bitte laß mich. Bitteeee!",schrie ich verzweifelt, jammernd, wimmernd. Doch ich mußte schnell feststellen, daß es damals, wie auch heute wenig Sinn machte, sich zu wehren oder zu schreien. Nein, Gorgus hatte kein Mitleid für mich empfunden. Damals nicht, genauso wenig wie heute. Er nahm sich keuchend, Stoß um Stoß, was ihm gehörte.

  • Ich zuckte zusammen, als Celerina plötzlich panisch schrie. Sicher träumte sie. Ich konnte nicht sagen, warum, aber ich schlug die Möglichkeit bewusst aus, etwas zu sagen, ihr zu erklären, dass ich sie in diesem Moment genau so haben wollte. Dass ich sie brauchte. Ich verstand nicht, warum sie sich so hartnäckig wehrte. Am Nachmittag hatte sie sich noch beklagt, ich käme zu selten zu ihr. Gut, ich war etwas rabiat. Das lag aber nicht an ihr, sondern an meinem Innersten. Einem Außenstehenden hätte ich es wohl niemals erklären können. In gewisser Weise hatte ich Gefallen daran, was ich tat. Ich war nicht brutal, und ich war auch nicht gewaltsam. Aber ich hielt Celerina fest, und die Gegenwehr machte es noch ein wenig spannender. Wobei spannend das falsche Wort war.


    Es hätte vermutlich nicht mehr allzu lange gedauert. Wenn Celerina nicht ein kägliches Bitte ausgestoßen hätte. Sie hatte tatsächlich Angst. Ich hielt sofort inne. Mir fiel auf, dass sie regelrecht panisch war. Mein Kopf war auf gleicher Höhe mit ihrem. Ich konnte sie durch die Dunkelheit zwar anstarren, aber kaum sehen. Ihre Arme hatte ich rechts und links festgehalten. Mein Atem ging schwer. Frustration machte sich breit. Wirkte sich aus bis in den entlegendsten Teil meines Körpers, was ihr sicher ebenfalls nicht verborgen blieb. Ich stieß einen frustrierten, halb erstickten Schrei aus, ließ sie los und rollte mich von ihr herunter. Neben ihr liegend, barg ich das Gesicht in den Händen, die Ellbogen gen Decke gereckt. Ich war nass, ich schwitzte etwas - und ich war nicht auf meine Kosten gekommen. Celerina hatte Angst vor mir. Ich war wirklich ein Held, in jeder Hinsicht. Meine Ehe war verkorkst, meine Vergangenheit ein Desaster, mein Liebesleben, nun ja. Sicherlich hätte ich etwas sagen können, ja sogar müssen. Nur war mir nicht danach, und ich hätte auch nicht gewusst, was überhaupt. Noch etwas, das sie mir später vorwerfen konnte.

  • Noch immer war ich im Zweifel, ob ich wachte oder träumte, obwohl es doch immer deutlicher wurde, daß dies kein Traum war. Alles schien so außergewöhnlich real. Und Träume verursachten auch keine Schmerzen. Nein, es konnte kein Traum sein!
    Doch ganz unerwartet und für mich rätselhaft, ließ Gorgus von mir ab. Zwar lag er immer noch auf mir und ich konnte seinen schweren Atem auf meiner Haut spüren, konnte ihn riechen. Dies konnte nur eines bedeuten, so war jedenfalls mein Gedanke. Noch mehr Angst als zuvor überfiel mich. Ich konnte kaum atmen, da sein Körper auf meinen Brustkorb drückte.
    "Bitte.. tu mir nicht weh! Schlag mich nicht, nicht schon wieder! Bitte!“, wimmerte ich ihm leise entgegen. Ich wusste, bei Gorgus hatte dies wenig Sinn, denn er ergötzte sich jedes Mal an seinen Gewalttaten.
    Gorgus? Aber Gorgus war doch tot! Spielten nun meine Sinne vollkommen verrückt? War ich an einem Punkt angelangt, an dem ich durchdrehte? Langsam wurde mir klar, dass es Marcus gewesen sein mußte, der mir das angetan hatte.
    Endlich gab er mich frei und rollte sich neben mich. Trotz daß dies das Werk meines Mannes gewesen war, fühlte ich mich so schmutzig und benutzt. Leise weinte ich vor mich hin, rollte mich zusammen und blieb mit einem Abstand zu ihm auf meinem Bett liegen.
    Was hätte ich denn nur sagen können? Ich konnte nichts sagen. Genauso wenig ich mir vorstellen konnte, was in ihm gerade vorging.
    Das erste, was mir in den Sinn kam, war wegzulaufen. Nach Hause zu meiner Familie, zu Chimerion. Irgendwohin wo ich sicher war, denn hier war ich es nicht mehr. Wir waren bereits nach so kurzer Zeit am Abgrund unserer Ehe angekommen. Er und ich gleichermaßen, wir hatten uns beide zu weit vorgewagt und drohten nun ins bodenlose hinabzustürzen.

  • Keiner weiß mehr wie er aussieht - oder wie er heißt
    Alle sind hier auf der Flucht - die Tränen sind aus Eis


    Es muss doch auch anders gehen - so geht das nicht weiter
    Wo find ich Halt, wo find ich Schutz - der Himmel ist aus Blei hier


    Ich geb keine Antwort mehr - auf die falschen Fragen
    Die Zeit ist rasent schnell verspielt - und das Glück muss man jagen


    (Cassandra Steen)


    Ich fühlte mich zerrissen, irgendwo zwischen Frustration und Schuld, Versagen und Selbstzweifel auf der Strecke geblieben. Neben mir wimmerte es leise. War ich wirklich so rücksichtslos? Ich hatte bisher stets versucht, einfühlsam zu sein. Irgendwo auf dem Weg hier her muss mir dieses Bestreben abhanden gekommen sein. Celerinas Worte trafen mitten ins Schwarze, doch ich stutze. Sie nicht schon wieder schlagen? Ich hatte sie noch nie geschlagen. Warum also sagte sie das? Ihre Entführung fiel mir ein. Wie ich ausgerechnet darauf kam, wusste ich nicht. Schwerfällig ließ ich die Hände sinken und drehte mich zu ihr hin auf die Seite, um sie anzuschauen. Zwar konnte ich nicht viel mehr erkennen als ihre schützend zusammengerollte Kontur. Doch ich hörte, wie sie weinte. Meine Mundwinkel zuckten. Ganz gleich, wie ich mich fühlen mochte und wie schwer es mir in diesem Moment fallen mochte - sie hatte nicht verdient, dass ich sie nun sich selbst überließ und einfach ging. Schweigend streckte ich die Hand nach ihrer Schulter aus, um sie an mich heran zu ziehen und hinterrücks zu umarmen. Sie würde sich vermutlich wehren, darauf war ich vorbereitet und würde entsprechend gegensteuern. Kurz darauf hatte ich mein Gesicht dicht an ihrem Ohr und meine Arme um sie geschlungen. Mir fiel nichts Sinnigeres ein, als kontinuierlich mit dem Daumen über ihren Unterarm zu streichen. Was ich sagen sollte, wusste ich nicht, also schwieg ich weiterhin. Ich meinte, einen leichten Vanilleduft zu riechen. Celerinas Haar duftete angenehm. Das fiel mir so zum ersten Mal auf. Allmählich wurde mir doch etwas frisch. Die Regennässe hatte sich mit Schweiß vermischt und kühlte den Körper. Ich seufzte langgezogen und versuchte zu erahnen, was in Celerina vorgehen mochte.

  • Meine Tränen wollten nicht versiegen. Leise, aber unablässig weinte ich still vor mich hin. Was hatte ich nur falsch gemacht? War ich zu fordernd gewesen? Zu ungeduldig? Geduld war seit jeher eine meiner Schwächen gewesen, obwohl mir doch das Leben so oft schon die Gelegenheit gegeben hatte, sie zu erlernen. Diese Lektion hatte ich aber nur unzureichend angenommen. Ich hatte sie ausgesessen, doch nie gelernt, das Beste daraus zu machen. Nun hatte ich die Quittung dafür erhalten. Meine Ehe war bereits ein Scherbenhaufen, kurz nachdem sie begonnen hatte. Wie sollte ich das meiner Familie nur erklären? Ganz zu schweigen, der Skandal, wenn gerüchteweise davon etwas nach außen drang. Ich konnte nicht einfach gehen. Marcus besaß die Macht, mich als Schuldige in diesem Drama darzustellen. Niemand würde mir glauben, wenn ich behauptete, mein Ehemann habe mich vergewaltigt. Man würde mich als prüde, oder schlimmer noch als frigide verspotten. Die feinen Damen in den Thermen würden sich über mich das Maul zerreißen. Ich konnte es mir bereits lebhaft vorstellen.
    Nein, gehen konnte ich nicht. Nach außen hin hatte ich die glückliche Ehefrau zu geben. Wie es in mir aussah, durfte niemand erfahren. Schneller als mir lieb gewesen war, musste ich erkennen, ich war wieder gefangen in einem Käfig aus Gold. Nur durch mein zukünftiges Verhalten hatte ich Einfluß darauf, ob dieser Käfig mein Gefängnis oder mein Zuhause werden sollte. Dabei war es doch nur ein wenig Zuneigung gewesen, nach der ich gestrebt hatte.
    Gerade in jenem Moment, in dem ich so verletzbar war, streckte er seine Hand nach meiner Schulter aus. Mein Atem stockte. Die Unsicherheit überfiel mich, ob ich mich dagegen sträuben oder alles über mich ergehen lassen sollte. Ich entschied mich für das letztere um ihm keinen Grund mehr dafür zu liefern, mir noch mehr Gewalt anzutun. Er zog mich zu sich heran und umarmte mich. Bald spürte ich seinen Atem hinter meinem Ohr. Er begann mich zu streicheln. Meine Angst ließ nach. Genau dieses Gefühl der Geborgenheit war es doch, die ich mir gewünscht hatte. War dies die Chance noch einmal von vorne zu beginnen, um zu retten, was zu retten war? Jetzt war sie zum Greifen nahe. Es lag nun an mir, sie zu ergreifen, ihm zu verzeihen und mich meiner Pflichten zu erinnern.
    Besonnen drehte ich mich mit dem Gesicht zu ihm hin, so daß wir uns hätten in die Augen blicken können, wäre es nicht zu dunkel gewesen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ergriff sie, die Chance.
    "Bitte verzeih mir, was ich heute Nachmittag gesagt habe. Das hätte ich nicht tun dürfen. Es war dumm von mir." Mich hatte es einiges an Überwindung gekostet, über meinen Schatten zu springen. Nun lag es nicht nur allein an mir, zu retten, was noch zu retten war.

  • Die Macht war ein seltsames Ding. Manches Mal verfluchte man sie, dann wieder genoss man sie. Ich schämte mich nicht dafür, dass ich sie eben genossen hatte, wenngleich die Aktion mir nicht die erstrebte Erleichterung verschafft hatte. Nun gut, ich war grob zu Celerina gewesen. Das war unnötig gewesen, und das tat mir nun leid. Sie hatte eine solche Behandlung nicht verdient, nur weil ich nicht mit mir klar kam. Ich dachte jedoch auch noch über etwas anderes nach. Was, wenn dieser Pirat sie nicht nur geschlagen, sondern auch anderweitig misshandelt hatte? Tiefe Furchen standen mir auf der Stirn. Celerina hatte gesagt, dass sie nicht schwanger sei. Aber konnte ich mir dessen wirklich sicher sein? Zweifel schlichen sich ein. Beharrte sie vielleicht nur deswegen auf häufigeren Besuchen meinerseits, weil sie einen Bastard trug? Diese Vermutung war ebenso schlimm wie der Gedanke daran, dass ein nichtiger Pirat eine Römerin genötigt hatte. Noch dazu jene, die nun meine Frau war. Ich knirschte, um die Beherrschung nicht zu verlieren, mit den Zähnen.


    Dann drehte sich Celerina zu mir und unterbrach so meine Überlegungen. Es raschelte, und ich spürte ihren Atem an meinem Gesicht. Nein, dachte ich, so unverfroren würde sie doch nicht sein, und mir ein fremdes Kind als mein eigenes verkaufen wollen? Plötzlich sagte Celerina etwas. Ich zog erstaunt die Brauen hoch, als ich es hörte. Sie entschuldigte sich? “Nein“, sagte ich reserviert. “Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte nicht... Ich sollte nicht meine schlechte Laune an dir auslassen. Es ist einfach alles ein wenig viel derzeit. Ich wollte dich nicht an diesen Piraten erinnern. Es tut mir leid, Celerina.“ Auf die Frustration folgte nun Resignation. Meine Gedanken wollten zurück zu Siv gleiten, doch ich zwang mich stattdessen, über meine Ehe nachzusinnen. “Ich fürchte, diese Ehe ist nicht das, was wir beide uns vorgestellt haben“, bemerkte ich. Wir würden dennoch das Beste daraus machen müssen, auch wenn ich dabei den weitaus schwierigeren Part haben würde.

  • Der kleine Hoffnungsschimmer, den ich hegte, währte nur sehr kurz. Marcus entschuldigte sich bei mir für sein Verhalten. Darüber war ich natürlich sehr erleichtert, doch als er die Piraten erwähnte, fuhr ich zusammen, wie ein Dieb, den man beim Stehlen ertappt hatte. In der Tat, ich fühlte mich ertappt, denn wenn Marcus nun eins und eins zusammenzählte, konnte er sich durchaus ausmalen, was wirklich mit mir geschehen war, während der Entführung. Ich hatte ihm damals nur die halbe Wahrheit erzählt. Das unerträgliche unvorstellbare hatte ich ihm verschwiegen, weil ich mich so sehr deswegen geschämt hatte und weil ich glaubte, dies könne er zum Anlaß nehmen, mich zu verschmähen. Doch durch mein panisches Verhalten hatte ich mich verraten. Womöglich glaubte er sogar, ich trüge immer noch das Kind dieses Verbrechers in mir. Dieser Glaube verstärkte sich noch um ein Vielfaches als er vom Scheitern unserer Ehe sprach. Als nächstes, glaubte ich nun zu wissen, würde er mir vorschlagen, daß wir uns trennen sollten. All meine Ängste drehten sich nun darum. Ich konnte das nicht zulassen. Ich würde zum Gespött der ganzen Stadt werden.
    Doch wenn ich ihm zeigte, daß ich es ehrlich meinte und bemüht war, den Schein einer funktionierenden Ehe nach außen zu wahren, dann konnte er mich doch nicht einfach abservieren. Um es nicht noch schlimmer zu machen, beschloß ich, ihm reinen Wein einzuschenken und alles, was ich bislang im Verborgenen gehalten hatte, zu beichten. Daß ich mich dabei höchst unbehaglich dabei fühlte, spielte nur eine untergeordnete Rolle. Ich würde mich noch weitaus unwohler fühlen, wenn ich mich nirgends mehr blicken lassen konnte!
    "Ich muß dir etwas gestehen Marcus. Ich habe dir nicht die ganze Wahrheit über meine Entführung erzählt. Da gibt es etwas, worüber ich nicht gerne spreche. Eigentlich hatte ich geglaubt, es bereits überwunden zu haben. Doch es hat mich soeben wieder eingeholt." Ich sprach ruhig und gefasst und wollte auf gar keinen Fall in Tränen ausbrechen, wenn ich mich ihm gleich offenbaren würde. Ob ich damit das richtige tat? Wer konnte das schon sagen. Jedoch würde ich mich ungleich besser fühlen, wenn mir eine Last von meinen Schultern genommen wurde. Welche andere Last ich mir damit aufbürden würde, war mir noch bewußt.

  • Sämtliche Alarmglocken begannen zu läuten, als Celerina weitersprach. Wollte ich wirklich wissen, was der Pirat mit ihr angestellt hatte? Mir schwante, dass das von ihr angestrebte, häufigere Beisammensein danach mit diesem Wissen noch viel schwieriger für uns beide sein würde als ohnehin schon. Ich würde sie immer besonders behandeln müssen. Das wäre eine Belastung, von der ich nicht wusste, ob ich sie langfristig geduldig aushalten würde. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich ihr kommenden Geständnis abtun und damit verhindern oder mir anhören sollte. Schweigen breitete sich aus. Ich sah mich genötigt, etwas zu sagen. "Es ist gut, so", sagte ich und war mir selbst nicht sicher, was genau ich damit meinte - dass sie es mir verheimlicht hatte, dass sie nun reden wollte oder dass sie einfach nichts sagen sollte. Ein halbherziger Versuch, den Tag nicht noch schlimmer zu mache, als er ohnehin bereits war. Meine Reaktion auf Siv sollte mich auch noch teuer zu stehen kommen, das ahnte ich bereits jetzt. "Lass uns jetzt nicht darüber sprechen."


    Ob ich gehen sollte? Sie allein lassen sollte? Sicher war ich mir da nicht. Aber sie war so aufgewühlt, dass ich vermutlich nur störte - was nach meiner gedankenlosen Aktion mehr als verständlich war. Ich blinzelte angestrengt und überlegte. Eine schwierige Situation. Wer hätte das gedacht? Ich hievte mich von einer in die nächste hinein. Bei Iuppiter, das war schon beinahe sadistisch zu nennen. Am liebsten hätte ich trocken über mich selbst gelacht.

  • Ich war bereit! Bereit alles zu gestehen, nun ja fast alles! Gewisse Umstände, besonders die, die mich manche Nacht aus meinem cubiculium trieben, wollte ich selbstverständlich außen vor lassen. Denn das war eine andere Geschichte und hatte weder mit meiner Entführung noch mit dem voranschreitenden Scheitern unserer Ehe etwas zu tun.
    Meine Intention war es, ich wollte Marcus daran teilhaben lassen, wie es mir ergangen war in den bangen Wochen meiner Entführung. Damit er verstehen konnte und vielleicht Verständnis hatte. Selbst die Konsequenz daraus, nämlich der Keim der dadurch in mir aufgegangen war und den ich erfolgreich hatte entfernen lassen, hätte ich im beichten wollen.
    Marcus jedoch schmetterte meinen Versuch einfach ab. Wobei ich ihm dabei gar keine Vorwürfe machen konnte, denn ich kannte ja nicht seine Absichten. War es der Versuch mich zu schützen, oder sich selbst oder war es einfach schnödes Desinteresse? Das letztere wahrscheinlich nicht. Ich fühlte mich allerdings dabei nicht sonderlich gut. Wieder einmal abgespeist worden zu sein, war nicht besonders förderlich für meinen Gefühlszustand.
    "Aber...", versuchte ich noch gegenzulenken. Doch ich beließ es schließlich dabei und schwieg dann. Ich hätte mich nicht gewundert, wäre er nun wieder gegangen, um mich allein zu lassen, wo ich doch genau jetzt jemanden gebraucht hätte.

  • Täuschte ich mich, oder war sie tatsächlich enttäuscht, dass ich ihr diese Fluchtmöglichkeit geliefert hatte? Sie verwirrte mich. Ganz sicher lag das nicht nur daran, dass sie eine Frau war, obgleich man(n) Frauen oftmals einfach nicht verstand, selbst wenn man das versuchte. Ich seufzte tief und fühlte mich ratlos. Ich wusste nicht einmal, ob ich ihr in diesem Moment helfen wollte, selbst wenn ich es konnte. Denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun, auch wenn ich mir das nicht eingestehen wollte. Dennoch drückte meine Situation mir aufs Gemüt. Mehr, als ich je angenommen hatte.


    So lagen wir beide also da. Gemeinsam und doch allein. Ich dachte an Siv. Mit ihr hatte ich es mir vermutlich auch verscherzt. Auf Wut und Frustration folgte nun das schlechte Gewissen, ordentlich gewürzt mit einem Schuss Selbstmitleid. Was sollte ich denn nun tun? Verunsichert und unentschlossen ließich Celerina erst einmal los und setzte mich auf. Vielleicht kam mir ja noch ein Einfall, auch wenn ich nicht daran glaubte. "Ich... Denke, ich werde dich jetzt wieder schlafen lassen", murmelte ich und hoffte insgeheim darauf, dass sie mir zu verstehen gab, ob das gut oder schlecht wäre. Denn in dieser Situation konnte wohl alles günstig oder weniger günstig sein.

  • Nein, mich wunderte nichts mehr. Er tat genau das, was ich von ihm erwartet hatte. Als ob ich seine Gedanken lesen konnte. Dabei waren wir doch erst kurz verheiratet und hatten uns davor kaum gekannt.
    Und Ich? Hätte ich ihn zurückhalten sollen? Ihn anzuflehen, bei mir zu bleiben? Einfach nur neben mir zu liegen und mir die Sicherheit zu geben, nicht mehr allein zu sein. Damit hätte er mir, wenn auch nicht Liebe, aber doch wenigstens seine Zuneigung beweisen können. Doch dazu war er, warum auch immer, nicht fähig. Ihm fehlte wohl auch das Verständnis dazu. Marcus war so kalt und sein Herz schien aus Stein zu sein.
    Es gab nur einen Menschen, der genau wusste, was mir nun gut tat. Der mich sofort in seinen Arm genommen hätte und mich schweigend gehalten hätte, bis zum Morgengrauen.
    "Ja, geh nur!", meinte ich nach einigem zögern und unterdrückte dabei meine Tränen.
    Warum straften mich die Götter nur so? Was hatte ich unrechtes getan? Ich wünschte mir ein anderes Leben, an dem mein Geliebter und ich eins hätten werden können.

  • Wir würden wohl niemals mehr füreinander sein als zwei Eheleute, die sich irgendwie arrangieren mussten. Ich hatte also doch recht gehabt mit der Vermutung, dass es besser wäre, Celerina allein zu lassen. Sie schickte mich quasi fort. Welchen grund hätte ich gehabt, an dem Wahrheitsgehalt dieser Aufforderung zu zweifeln? Im Grunde war ich auch froh, dass ich gehen konnte, ohne mich dafür noch zusätzlich schlecht zu fühlen. Es konnte ja niemand - mich eingeschlossen - ahnen, dass Frauen manchmal das Gegenteil von dem sagten und taten, was sie dachten!


    Ich nickte also, was sie nicht sehen konnte, und rutschte hinunter vom Bett. Meine nasse tunica ließ ich liegen, wo sie war, es wäre ohnehin zu kalt und nass, sie wieder überzustreifen. Den Sklaven würde es am nächsten Morgen wohl Gesprächsstoff über die Menge meiner Schweißproduktion oder Spekulationsmöglichkeiten bezüglich des Regens liefern, doch daran dachte ich gar nicht. "Wir sehen uns beim Frühstück", sagte ich zu Celerina. Und nackt, wie ich war, verließ ich ihr Schlafgemach wieder, in gänzlich umgekehrter Verfassung, als ich es zuvor betreten hatte. Ob ich jemals wieder bei ihr liegen konnte, ohne mich an diese grauenvolle Nacht zu erinnern? In gewisser Weise versagte ich bei ihr, was meine ehelichen Pflichten anbelangte. Nein, nicht in gewisser Weise. Ich tat es. Punkt.


    Kopflos stand ich noch eine ganze Weile im Flur herum, ohne zu wissen, wohin ich mich wenden sollte. Letztendlich würde ich auch diese Empfindungen tief in mir vergraben müssen, denn anvertrauen konnte ich mich niemandem, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Zumindest dachte ich das, auch wenn beispielsweise Prisca das ganz anders gesehen hätte.

  • Ein stummer Schrei! Hätte ich es doch nur laut herausschreien können! Doch da war ich machtlos.
    Er ging und ließ mich allein. Mir war jetzt klar, daß es niemals mehr etwas geben würde zwischen uns, als diese jämmerliche Farce, die unsere Ehe darstellte.
    Ich erwiderte nichts. Eigentlich wollte ich ihn weder morgen, noch sonst irgendwann wiedersehen. Was hätte ich dafür gegeben, ausbrechen zu können! Frei sein...


    Die ganze Nacht lag ich mehr oder minder wach. Ich hätte Trost bei Chimerion finden können, doch so aufgewühlt hätte ich ihm nicht unter die Augen treten können.
    Erst in den frühen Morgenstunden fand ich ein wenig Schlaf, so daß ich das Frühstück zwangsläufig verpasste.
    Nach dem Aufwachen und als mich Charis zu recht machte, verfolgte ich nur noch einen Gedanken. Was konnte ich noch tun? Was war die letzte Option, um nicht elend zugrunde zu gehen? Ich fand eine Antwort, die mir noch eine letzte Chance bot und die mir letztlich die Antwort auf meine Frage beantworten würde.

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