Der Tiberhafen

  • Es gab Menschen, und es gab Menschen.
    In den langen Feldzügen, in denen sein Vater sich immer wieder anderen Anführern verschrieben hatte, weil ihr vorheriger aus irgendwelchen Gründen den Kampf gegen Modorok nichtmehr fortsetzen wollte, oder schlicht an den unmöglichsten Dingen gestorben war, hatte Vala schon als kleiner Junge feststellen dürfen, dass es starke und schwache Menschen gab. Das war eine der maßgebensten Erfahrungen in seinem Leben gewesen: zu erkennen, dass man Menschen manipulieren konnte wie es einem beliebte, wenn man es nur richtig anstellte. Menschen waren nur so lange schwach, wie es keinen Schwächeren gab, und Starke Menschen nur so lange stark, und so weiter und sofort. Es hatte ihn einige blaue Augen, viele Wunden und viel Blut gekostet zu erkennen, dass es dabei nicht einfach um ein simples Schwarz/Weiss-Muster ging. Es ging um ein komplexes System an Zwischenmenschlichkeit, das man nur meistern konnte, wenn man die verschiedenen Zwischenstufen beachtete, und genau daran maß sich Stärke: wer es schaffte, das Netzwerk an Stärken und Schwächen zu meistern und für sich einzunehmen, der besaß wahre Macht.
    Genau aus diesem Grund war das römische Kaisertum, und der römische Staat an sich, allem überlegen, was es zur selben Zeit bei anderen Völkern zu beobachten gab: es hatte den Zenit der Macht mit dem Kaisertum erreicht. Rom war das perfekte Netzwerk, und das in Gesetze und sakrales Brauchtum gefestigte Kaisertum war DER Starke schlechthin.


    Das, was sich in diesem Moment vor Vala auftat war ein Abgrund an Schwäche. Der nach unten gerichtete Blick, diese offen zur Schau gestellte Unsicherheit, und das fatale Bestreben sich zu einer Reaktion zu zwingen, die vollkommen dem entgegengesetzt war, was man eigentlich fühlte. Ja, die junge Römerin war schwach. Was Vala zu einer Reaktion verleitete, die er seiner Mutter verdankte: Mitleid, Mitgefühl, Mit... Mitleben.
    Vala fand Schwäche nicht per se verachtenswert. Er war keiner dieser Fundamentalisten, die sich in einem "Survival of the fittest" dem überlegen sahen, was in ihren Augen Schwäche war. Schwäche war für Vala das Resultat aus einer vergleichenden Konfrontation. Kein permanenter Zustand, der in Blei gegossen das Hier-und-Jetzt mit dem Wird-noch verwob. In diesem Moment war Vala absolut im Vorteil.. er hatte das Gefühl, die junge Frau an die Wand klatschen zu können wie ein Puppenspieler eine seiner Marionetten. Für viele wäre dies die perfekte Einladung, genau das zu tun: Macht ausüben. Egal wie flüchtig sie war.
    Vala dachte etwas langfristiger: wenn man keine Macht besaß, bedeutete das noch lange nicht, dass man es auch nie tun würde. Wenn er sie wirklich genommen hätte, wie er es noch wenige Augenblicke zuvor im Eifer des Rauschs in Erwägung gezogen hätte, oder sie jetzt einfach nur ihrer selbst überlassen.. wer sagte ihm, dass sie nicht in einem Jahr Frau eines wichtigen Senators werden würde, und sich darüber bitter an ihm rächen würde? Und auch wenn man die Rachemöglichkeit außer Acht ließ: es war eine der grundlegensten und wichtigsten Lektionen des Griechen gewesen, die ihm sagte, dass Vernunft und Selbstbeherrschung der wahre Schlüssel zur Macht seien. Was nützt es einem, einen Hund zu treten und ihn zu ersäufen, nur weil man es kann, wenn man ihn gleichsam für die Jagd benutzen kann, die einen lange nährt?


    Beschwert von diesen Gedanken ließ Vala sich auf den Sims eines der steinernen Brückengeländer sinken, die in die Straße des Ufers übergingen, und sah die junge Römerin müde an. Wie oft würde er sich noch täuschen? Zweifeln, um letztendlich bis zur Wahrheit doch noch viele Schritte tun zu müssen? Er wusste es nicht... allerdings nahm sein Eifer ihm die Möglichkeit, einfach aufzugeben.


    "Was mach ich bloß mit dir...?", fragte Vala daher mehr sich selbst als die Frau, die immernoch betreten vor ihm stand. War dies nicht eine einzige Farce, in die er sich letztendlich ohne jedes Zutun der Frau hereingesteigert hatte? Auf einmal kam ihm sein Verhalten unglaublich lächerlich vor.. wie ein Hahn hatte er reagiert, der seinen Stolz von einer Henne verletzt sah. Er raffte sich wieder auf, zu seinem ursprünglichen Plan zurückkehrend. Der Wille, sich weiter mit dieser Frau zu beschäftigen hatte ihn zwar nicht zurück, aber dafür die Möglichkeit, diesen Ausbruch doch noch zu einem guten Ende zu treiben.
    "Zeig mir den Weg, Axilla.", er zwang sich zu einem auffordernden Lächeln, und winkte knapp mit der Hand, um hir zu deuten, dass er tatsächlich vor hatte, sie zuhause abzuliefern.

  • Axilla übrlegte einen Moment, was sie gesagt hatte. Es musste gut gewesen sein, nur konnte sie sich nicht denken, was daran so gut gewesen war. Aber Vala verabschiedete sich wider erwarten nicht – erst recht nicht giftig, wie sie es erwartet hätte – sondern setzte sich irgendwie fast resignierend hin. Und sein Satz schließlich stürzte Axilla in komplette Verwirrung.
    Was er mit ihr machen sollte? Was wollte er denn mit ihr machen? Vor einem Moment noch hätte sie auf Iuppiters Stein schwören können, das er sie nicht leiden konnte und nur schnell loswerden wollte, und jetzt sollte sie ihm zeigen, wo sie wohnte. Und er war dabei sogar freundlich. Axilla traute der Sache nicht so ganz und machte, was sie immer tat, wenn sie sich unschlüssig war: Sie kaute sich auf der Unterlippe kurz herum.
    “Bist du sicher?“ fragte sie noch einmal überprüfend und sah Vala ein bisschen so an, wie man wohl einen Löwen im Paneion betrachtete, wenn man sich gerade fragte, ob die Gitter seines Käfigs auch stabil genug waren.


    Normalerweise lag Axilla mit ihrer Menschenkenntnis beinahe daneben. Sie sah fast nur die guten Seiten einer Person und vergaß darüber hinaus die schlechten. Das war einer der Gründe, warum sie leicht verzieh und warum sie auch leicht Gesprächspartner fand. Was sie allerdings gut konnte, war, Gefühle ihrer Umgebung aufzunehmen. Sie wusste meistens, wie ihr Gegenüber sich fühlte, sah die kleinen Zeichen und konnte Blicke gut deuten. Daher hätte sie Stein und Bein schwören können, dass Vala wütend gewesen war und sie nicht leiden mochte. Aber das hier jetzt? Das passte nicht.
    Axilla war natürlich alles andere als traurig deswegen. Eigentlich war es ja das, was sie sich gewünscht hatte. Nur, sie verstand es nicht. Es gab viele Dinge, die verstand sie nicht, und sie machte sich keine Gedanken darüber. Ob sich der Mond um die Erde oder die Erde um den Mond kreiste, wie einige der griechischen Philologen versuchten, herauszufinden, war ihr beispielsweise vollkommen gleichgültig. Solange es funktionierte, war es gut.
    Aber das hier gehörte zu den Sachen, die sie gerne begreifen würde. Was Menschen anging, brauchte sie etwas, worauf sie vertrauen konnte. Sie verschenkte ihr Vertrauen zwar freizügig und ohne Bedingungen, aber wenn es einmal erschüttert war, brauchte auch sie einen Grund, es erneut zu vergeben. Wobei es in diesem Fall – das wusste sie selbst – nur ein ganz kleiner Grund sein musste, denn sie wollte Vala sehr gerne vertrauen.

  • Als Antwort erntete sie nur einen Blick, den jemand auflegte, wenn er nicht fassen konnte, dass einer 1 und 1 nicht zusammenrechnen konnte. Hatte er sich missverständlich ausgedrückt? Wahrscheinlich nicht... so sah er die junge Frau eine ganze Weile an, als würde er nicht kapieren, warum sie zögerte. Dass er ihr Vertrauen verletzt haben könnte, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Sowieso: Vertrauen war für Vala eine Sache, die es nach dem Tod seiner Eltern einfach nichtmehr gab. Er hatte zu oft ansehen müssen, wie Menschen einander für eine Tagesmahlzeit ins Messer laufen ließen, die alten Traditionen von Gastrecht und Zusammenleben aufbrachen, nur damit irgendwer einen kleinen strategischen und politischen Vorteil davon hatte, dass dem Gegner zehn Kämpfer weghungerten. Ergo: Vala vertraute niemanden.


    Deshalb konnte er mit dieser Situation so genauso wenig anfangen, als hätte man ihm einen Ford Focus vor die Füße gesetzt, und ihn gefragt welche historischen Entwicklungen dafür gesorgt hatten, dass dieses Gerät in 2000 Jahren tatsächlich als ernstzunehmendes Fortbewegungsmittel gelten würde.


    Er entschloss sich letztendlich, diese Sache nicht durch emotionale Konversation zu lösen, sondern durch schlichte germanische Konsequenz. Er verdrehte die Augen, ging die paar Schritte auf sie zu, packte das junge Ding und legte es sich über die Schultern. Als er dafür gesorgt hatte, dass sie ihm nicht einfach so darunter fiel, ging er einfach ein paar Schritte drauflos in die Stadt hinein.


    "Du kannst es dir aussuchen: entweder, du bleibst da oben solange, bis ich das Heim deiner Familie alleine gefunden habe... oder du erklärst mir den Weg."

  • Er stand auf. Er kam auf sie zu. Ein Instinkt in Axilla zuckte ganz kurz, sich der Gefährlichkeit der Situation eben erinnernd, und wollte sie flüchten lassen. Aber sie blieb tapfer stehen und blickte Vala nur unsicher entgegen. Und dann packte er sie auch schon, hob sie hoch und warf sie sich über die Schultern. Instinktiv versuchte Axilla, sich aufzurichten, zappelte kurz leicht und versuchte, sich irgendwie mit den Händen abzustützen. Aber Vala ruckte nur ein, zwei Mal mit der Schulter, auf der sie lag, und schon hatte er sie sicher wie einen Getreidesack, denen sie vorhin noch beim Verladenwerden zugesehen hatte.
    Seine Kleidung war noch ganz klamm vom kurzen Bad im Tiber. Auch wenn sie schon am Trocknen war, ebenso wie seine Haare, war sie eben noch nicht ganz durchgetrocknet, und Axilla fühlte die Feuchtigkeit auf ihren Händen und an dem nicht allzu dicken Stoff. “Lass mich runter. Du machst mich ja ganz...“ 'Feucht' hatte sie sagen wollen, aber irgendwie erschien ihr das Wort im Moment sehr anrüchig. Und die einzige Alternative, die ihr einfiel, war 'nass' und die war nicht wirklich besser. Also verschluckte sie den Rest des Satzes und versuchte, die Situation irgendwie zu begreifen.
    Sie verstand es einfach nicht. Eben hatte sie ihn nur an der Hand gehalten, und er war ausgeflippt, und jetzt warf er sie sich über die Schulter und stellte damit ja noch viel mehr wundervoll grausame Nähe her. Er musste sie ja sogar festhalten, damit sie so auf seiner Schulter blieb. Fehlte eigentlich nur noch ein Klaps auf den Po, um jedes Maß an Abstand zwischen ihnen einzureißen.
    Aber etwas anderes beschäftigte Axilla fast noch mehr. Sie merkte, dass sie auf ihn reagierte. Ihr Herz raste im Moment so sehr, dass sie meinte, er musste es sicher fühlen. Zwischen ihrer Brust und seinen Schultern war ja nicht unbedingt viel Abstand. Dementsprechend ging auch ihr Atem schneller. Sie war aufgeregt, sehr aufgeregt. Die ganze Angst von eben manifestierte sich jetzt in einer völlig irrationalen Euphorie und gleichzeitigen Panik, so dass Axilla sich zwischen wehren und geschehen lassen nichtmal so wirklich entscheiden konnte. Und sie zitterte, weil ihr noch immer etwas kalt war. Sie versuchte also, sich an Vala wenigstens so weit abzustützen, dass er wenigstens das nicht merkte.
    Warum auch musste er das einfach so machen? Warum eine körperliche Antwort anstelle einer verbalen? Axilla fühlte sich von sich selbst überrumpelt, weil sie so viel mehr reagierte, als sie es durch egal welche Worte getan hätte. Und das war viel peinlicher für sie, als so über die Schulter getragen zu werden, wo andere das sehen konnten.
    “Bitte, lass mich runter.“ Sie sprach es möglichst ruhig und sachlich, um ihre Aufregung nicht zu verraten, aber sie wusste nicht, wie überzeugend es war. Also setzte sie schnell noch ein “Ich zeig dir ja den Weg“ hinzu.

  • Vala lief einfach weiter. Sie passierten das Forum Boarium und bewegten sich auf das Domus Caligulae zu, während die Römerin scheinbar überlegte, was zu tun war. Sie ernteten einige fragende Blicke, die meisten Frauen schüttelten den Kopf, die meisten Kerle grinsten Vala breit an. Dass sie zitterte bekam Vala nicht mit, er hatte genug damit zu tun, dass sie ihm nicht von den Schultern rutschte und auf die Nase fiel. Er wollte sie wohlbehalten zuhause abliefern, ohne Schrammen oder schlimmeres... andererseits würde es wohl einen seltsamen Eindruck machen, wenn er sie in der momentanen Lage einfach vor der Tür der Casa Iunia ablieferte. Darüber würde er sich später Gedanken machen, sagte er sich, und setzte den Weg unbeirrt fort.


    "Die Chance hast du vertan, Weib.", knurrte Vala vergnügt, der sich soeben umentschieden hatte, und sie einfach die ganze Zeit dort oben lassen würde. So würde er weitere Mätzchen verhindern, und den Weg endlich zu einem Ziel führen. So knurrte er weiter, während er über eine Pfütze am Boden sprang, "Du hattest die Wahl, du hast sie getroffen. Da vorne ist das Domus Caligulae.. wie weiter?"

  • Natürlich bekam Axilla die lachenden und die vorwurfsvollen Blicke mit, die sie beide begleiteten. Man sah es ja auch nicht jeden Tag, dass ein Kerl eine Frau wie ein Stück Gepäck durch die Gegend trug. Sie lief deswegen gleich noch leicht rot an und versuchte, sich aus dieser Lage irgendwie zu befreien, ohne ihm weh zu tun. Sie wand sich auf seiner Schulter, spannte die Bauchmuskeln an, ließ sich schlaff sinken, aber nichts nützte etwas. Nein, eigentlich viel schlimmer, es fing an, ihr irgendwie zu gefallen. Sie fand es fast schon charmant. Wenn seine Sprüche nicht wären.
    “Was heißt hier 'Weib'?“ maulte sie ein wenig empört, aber der weitere Protest wurde bei dem Hüpfer über die Pfütze erstickt. Sie krallte sich instinktiv kurz an ihm fest, um ihn sofort danach pflichtschuldig wieder loszulassen, aus Angst, sie könnte ihm wehgetan haben.
    “Am Domus wo?“ Axilla war noch keine zwei Wochen in der Stadt, und ihr Namensgedächtnis war sowieso eine einzige Katastrophe. Sie versuchte, sich irgendwie zu verdrehen, um zu sehen, was er meinte. Ihr Gedächtnis für Bilder allerdings war hervorragend, und sie erkannte das Gebäude, als sie einen flüchtigen Blick darauf erhascht hatte. “Wir müssen nach rechts in die Straße rein und die dann runter, an der Bibliothek da hinten vorbei und da dann rein. Aber du willst mich doch nicht wirklich über den Platz da tragen? Meine Gens ist alt, aber nicht so alt, als dass ich eine Sabinerin wäre.“ Noch einmal unternahm Axilla einen versuch, sich freizuwinden, ohne Vala weh zu tun.
    “Komm, bitte, lass mich runter. Ich mach was du willst, versprochen.“

  • "Caligulae... du weißt schon, Gaius Caesar Augustus Germanicus.", zitierte Vala aus seinem Gedächtnis das, was er über Caligula gelesen hat, und warum man ihn letztendlich umbrachte, "Der Kaiser, von dem heute niemand mehr etwas wissen will, weil er dem Senat zu sehr auf die Füße getreten ist, und seine Schwester zur Imperatorix machen wollte."


    Er folgte ihren Anweisungen, hielt sie souverän dort, wo sie war und steuerte sie beide ohne größere Kollisionen durch die Menschenmenge, die sich irgendwie IMMER durch Rom zu schlängeln schien. Nach einer Weile begann er, ein kleines Lied zu summen, der Groll der Vorstunde war vergessen, die Selbstkritik wie weggeblasen, hier gab es Perspektive!
    "Weib, sowas würde ich nicht allzu leicht versprechen... besonders nicht einem Mann gegenüber, den du kaum eine Stunde lang kennst. Sowas kann übel ausgehen...", wies er die junge Dame schließlich zurecht, ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken sie herunter zu lassen. Das Liedchen wurde weitergeträllert, und schneller als sie sich versahen, waren sie auch schon da.


    "So, dieses Haus hier?", fragte Vala, während er die junge Frau wieder auf ihre Füße stellte. Er hatte einfach das Haus ausgesucht, das seiner Meinung nach dem Domus einer alten römischen Gens, so wie sie die ihre bezeichnet hatte. Die Römer hatten es sich noch nicht angewöhnt ihre Häuser konkret mit Namensschildern oder Nummern zu versehen, von daher war man als nicht Ortskundiger schnell auf fremde Hilfe angewiesen. Er blickte daran empor, und erkannte eine schlichte Bürgercasa, wie es viele in Rom gab. Keins der pompösesten Gebäude Roms, aber sicher auch keins der erbärmlichsten.


    "Nun denn... junge Frau.", er zwinkerte sie an, und verneigte sich lächelnd zu einer spierlischen Verbeugung, "Es war mir eine Freude, aber ich muss mich nun empfehlen. Vale bene, schöne Iunia."
    Er wandte sich zum gehen, stockte jedoch ein paar Schritte weiter, als hätte er etwas vergessen, und wandte sich wieder um: "Achso, ich bin übrigens Titus Duccius Vala."
    Mit diesen Worten machte er wieder kehrt, stimmte ein neues Lied an, und verschwand in den Straßen der Stadt Rom.

  • “Ach der“, machte Axilla nur, als ob ihr gerade da, als er es sagte, wieder alles eingefallen wäre. Sicherlich hatte sie die Geschichte schonmal gehört, auch wenn die meisten Römer das gerne stillschweigend vergaßen, aber um ehrlich zu sein, sie hatte sich nicht ein Stückchen daran erinnert.
    Dass er sie nicht runter ließ, hätte sie sich eigentlich denken können. Trotzdem protestierte sie, als er sie so mitten über den Platz trug, und strampelte und trommelte sogar kurz in kindischem Eifer auf seinem Rücken herum. Zwar nicht so fest, wie sie könnte, denn sie wollte ihm ja wirklich nicht weh tun, aber so fest, dass er merkte, dass sie lieber nicht getragen werden würde, zumindest nicht so! Romantisch in seinen Armen, das wäre was anderes – wobei auch das hier auf offener Straße vollkommen unangebracht wäre – aber wie so ein erlegtes Reh über die Schulter gehängt zu werden war nicht wirklich nach ihrem Geschmack. Und auch seine Ablehnung ihres Angebots und seine tadelnden Worte ließen sie einmal tief durchschnaufen. Allerdings verkniff sie sich einen Kommentar.
    Ein gutes hatte die kurzzeitige Wut, weil sie ihren Kopf nicht hatte durchsetzen können und er offenbar auf weibliche Bestechungsversuche nicht reagierte: Die Aufregung ließ nach. Und nachdem auch die Wut nachgelassen hatte und Axilla sich damit abgefunden hatte, nun herumgetragen zu werden und von allen angegrinst zu werden, war es eigentlich ganz schön. Sie winkelte einen Arm an und stützte ihr Kinn so ab, den Ellbogen an seinem Schulterblatt anstützend. Hinter ihnen beiden hatte sich eine Schar Kinder eingefunden, die ihnen ein paar Straßen weit folgten. Axilla grinste zu ihnen hinunter und erwiderte die Grimassen, die sie ihr schnitten.
    Eigentlich war es ja ganz schön, so nah bei ihm zu sein, überlegte sie. Nun, es war entwürdigend, aber andererseits... sie war ihm ganz nahe, ohne dass sie dabei irgendeinen Fehler machte. Er hielt sie, wenn auch nicht gerade schmeichelhaft, so doch sicher und sanft. Weh tat er ihr nicht. Und so nach und nach hatte sie Zeit, Kleinigkeiten an ihm wahrzunehmen. Wenn sie den Kopf so weit drehte, dass sie seinen Kopf sehen konnte, erblickte sie dunkelblonde Locken. Als das Haar nass war, hatte sie es für braun gehalten, aber jetzt sah sie, dass es eigentlich blond war. Und es strubbelte ganz lustig. Er hatte eine kleine Narbe bei seinem Ohr, die sie irgendwie charmant fand. Und er roch gut, wenn man den Restgeruch des Tibers und die Gerüche der Stadt außen vor ließ. Ja, eigentlich war es gar nicht so schrecklich, und sie lächelte.


    Und dann war es vorbei. Er setzte sie ab und fragte, ob sie vor dem richtigen Haus waren. Etwas verwirrt sah Axilla sich um, überrumpelt, dass sie so schnell angekommen waren. “Ähm, ja, richtig, das ist unser Haus. Das in Alexandria ist etwas... pompöser, aber das hier ist auch sehr... nett?“ Was sollte sie zu dem Haus schon sagen? Es war klein, aber fein, und es gehörte der Gens. “Danke, dass du mich hergebracht hast“, fügte sie noch mit einem kleinen Lächeln hinzu.
    Und dann auf einmal verneigte er sich und verabschiedete sich. Und Axilla fühlte sich überrumpelt. Schon wieder. So langsam glaubte sie, er machte das mit Absicht, um sie zu verwirren. Sie überlegte gerade, wieso sie ihn zurückrufen könnte, als er sich nochmal umdrehte und ihr seinen Namen nannte. Jetzt wurde das Lächeln breiter, sehr offen und geradezu verzaubert. “Vala...“ ließ sie seinen Namen über ihre Lippen rollen, als hätte sie gerade ein wundervolles Geschenk erhalten. Und während ihr Hirn gerade die Information verarbeitete, dass ihr sein Gensname etwas sagen müsste, war er auch auf einmal schon verschwunden.
    “Titus Duccius Vala...“ schmachtete sie ihm einmal nochmal hinterher, ehe es 'klick' machte. “Du... Duccius? Vielleicht ist er ja... wobei, kann ja auch nur zufällig der gleiche Name sein. Aber...“ Mit einem aufgeregten Quietschen drehte sich Axilla einmal um die Achse. Sie hatte einen Namen, und sie hatte soeben einen guten Grund gefunden, vielleicht nochmal Kontakt mit ihm aufzunehmen. Vielleicht war er ja wirklich mit Rufus verwandt. Und auch wenn nicht, das war ein sehr plausibler Grund.
    Sie ging zur Porta und klopfte mit einem unauslöschlichen Grinsen im Gesicht an. Der Ianitor öffnete nach wenigen Augenblicken und ließ sie ein.
    “Hast du einen schönen Tag gehabt, Herrin? Du strahlst so.“
    Axilla grinste den freundlichen, alten Mann an und nickte. “Ja, irgendwie... ja, doch, Araros. Einen aufregenden Tag.“
    “Das freut mich für dich, Herrin.“ meinte er noch freundlich und schloss dann die Tür.

  • Wochen später und an der Stelle, an der diese Geschichte begann, war im Tiberhafen wieder das los, was dort immer los war. Und in Rom war Wahlkampf. Also füllten sich die Wände wieder mit Wahlparolen, auch hier im Tiberhafen.


    Die Holzschiffer bitten darum, Flavius Piso zu wählen


    Was nicht weiter verwunderte, war Flavius Piso doch im Holzhandel aktiv und würde als gewählter Amtsträger sicher noch bessere Geschäfte machen, was wiederum den Schiffern zu Gute kam. Aber das brauchte ja nicht jeder zu wissen. Es reichte, wenn der Senat ihn wählte.

  • ...sollte sie sich vor dem Wolf fürchten. Vala hockte, inneren Gedanken nachsinnend, auf einem Stapel Kisten und blickte auf den unbekümmert vor sich hinströmenden Tiber. Ein Stück Süßholz wurde langsam von ihm kleingekaut, und immer wieder suchte der junge Germane das Treiben am Hafen nach verräterischen Bewegungen ab.
    Es war ein heikles Spiel, dass er hier spielte, aber der Nervenkitzel lag ihm so sehr wie einem Fisch das Schwimmen. Auch wenn er sich hier nicht unbedingt durch Heerscharen feindlicher Kämpfer prügelte, diese Schlacht wurde viel subtiler ausgefochten.


    Er spuckte das zerkaute Stück in den Tiber und zog ein neues hervor, während er das Glitzern der flachen Wellen betrachtete, und sich daran zu erinnern versuchte, ob er den Rhenus jemals mit der gleichen Hingabe betrachtet hatte.

  • Axilla hatte die Nachricht sicher fünf Mal gelesen, ehe sie sie verstanden hatte. Allein, dass sie die Nachricht bekommen hatte bei der etwas eigenwilligen Schreibweise ihres Namens, war schon erstaunlich. Wie konnte man den guten Namen der Iunii nur so falsch schreiben? Nunja, schließlich hatte sie doch soviel verstanden, dass sie zum Tiberhafen gehen sollte, weil dort Wolle für sie lagerte. Zumindest glaubte sie, dass das in der Nachricht gestanden hatte.
    Also war sie nun am Hafen, hatte ihren Levi aus Alexandria als Begleitschutz dabei. Immerhin musste vielleicht jemand auch gleich die Wolle tragen, wobei Axilla je nach Menge wohl eher ein paar Tagelöhner hier vom Hafen dafür anstellen würde. Aber ganz allein traute sie sich nicht mehr in solche Gegenden wie den Aventin. Auf der anderen Seite wollte sie auch nicht diesen Leibwächterschwarm, den Archias am liebsten an ihrer Seite gesehen hätte, um sich haben. Nein, da reichte ihr der 14 Jahre alte Levi. Der konnte auch geschickt mit einem Messer umgehen, und sie vertraute ihm.


    Hier am Hafen war wie immer das rege Treiben, das einen solchen Umschlagplatz ausmachte. Axilla sah nochmal auf die Wachstafel. Wo war wohl dieses Lagerhaus?
    “Entschuldigung?“ Der erste Hafenarbeiter ging grunzend an ihr Vorbei, ohne auf sie weiter zu achten. Sie versuchte ihr Glück beim nächsten. “Entschuldige? Weißt du, wo Das Lagerhaus von Torquantinimus.... ist....?“ Der ging auch einfach weiter. Axilla knurrte einmal wütend und ballte die Fäuste. Woher sollte sie denn wissen, wem hier welches Lagerhaus gehörte? Sie drehte sich leicht im Kreis und sah dabei wohl recht verloren aus. “Also gut, Levi. Du fragst mal da hinten nach, und ich frage mich hier durch.“
    “Domina, ich sollte dich nicht allein lassen...“
    Axilla atmete einmal kurz durch und sah sich die Leute hier an. Solange sie hier mitten am Hafen unter Menschen blieb, sollte ihr nichts passieren. Und sie hatte nicht vor, in irgendwelche Gassen zu gehen. “Schon in Ordnung. Ich bleib hier am Platz, und du kommst gleich wieder her. Aber ich will nicht ewig viel bezahlen für falsch gelieferte Wolle.“
    Levi schaute nochmal unsicher, machte sich dann aber brav auf und ging in die Richtung einiger Lagerhäuser, während Axilla weiterhin ihr Glück bei den vorbeilaufenden Hafenarbeitern versuchte.

  • Während Vala auf dem Stapel Kisten hockte, und sich Gedanken darüber machte, wie er möglichst viele Senatoren für DAS Projekt begeistern könne, fiel sie ihm auf. Sie war allein. Tatsächlich. Instinktiv fragte Vala sich, ob der Aelier einfach nur einfältig war, oder ob sein kleiner Überfall tatsächlich nur als das wahrgenommen wurde. Und wenn dem schon so sei, wieso ließ er seine Frau dann weiterhin alleine am Hafen rumlaufen? Nun, es war helligter Tag.. oder so gut wie.. und der Hafen war voll mit vor Kraft strotzenden Seemännern die sich für ein Schäferstündchen mit einer schönen Frau wohl in zehn Schlägereien stürzen würden. Und dennoch... Vala roch eine Falle. Automatisch suchte er sämtliche Lagerhäuser ab, die dunklen Gassen die sich zwischen ihnen schlängelten dürften wohl genug Schläger verstecken, um ihm auch den letzten Tropfen Blut aus dem Leib zu prügeln.
    Und dann fiel ihm wieder ein, was die Iunia ihm gesagt hatte. Sie würde ihn gerne wieder sehen... war sie dazu überhaupt in der Lage? Ihm eine Falle zu stellen? Und war ihr Mann überhaupt dazu in der Lage? Bisher hatte Vala sich kein Bild von dem Aelier machen können, was ihn irgendwie Gefahr verheißen hätte.


    Er pfiff, als sie nahe genug an ihm dran war und wieder einem Mann eine Frage stellte.
    "Iunia Axilla.", grinste Vala sie an, immernoch auf dem Stapel Kisten hockend, "Du kommst spät..."

  • Axilla hatte nun bestimmt schon 4 Männer gefragt, wo sie dieses verflixte Lagerhaus finden würde. Die, die nicht einfach an ihr vorbeistapften, schüttelten nur den Kopf, als wüssten sie nicht, wovon sie sprach. Es war zum Mäuse melken! Gerade wandte sich Axilla an einen weiteren Hafenarbeiter, als sie einen Pfiff hörte. Es war reiner Instinkt, dass sie sich umsah, woher der gekommen war, denn er war recht nahe gewesen. Sie glaubte zwar nicht, dass er ihr galt, aber die instinktive Neugier war nunmal bei so einer Aktion wie bei jedem Menschen geweckt. Und als sie sich kurz umgesehen hatte, sah sie auch den Ursprung des Lautes.
    Eine Sekunde versteinerte sie überrascht in ihrer Bewegung, ehe sich ein ehrliches und freudiges Lächeln in ihre Züge schlich. “Vala? Was...?“ Verwirrt trat sie auf ihn zu, als sie seine Worte hörte. Sie war spät? Wie konnte sie denn spät sein, wenn sie gar nicht gewusst hatte, dass er hier war? Als die Erkenntnis eine Sekunde später schlagartig einsetzte, war es wohl zu spät, so zu tun, als hätte sie es von Anfang an gewusst. Dafür stand ihr die Überraschung zu offensichtlich ins Gesicht geschrieben. Aber Axilla hatte ja auch keinen Grund, diese zu verbergen.
    Ihr Lächeln wurde verlegener, als sie bis direkt zu ihm heran kam. Sie kam sich gerade unglaublich naiv, um nicht zu sagen blöde, vor. Wenn sie so die Nachricht rekapitulierte, hätte es ihr vielleicht auffallen müssen. Zumindest bei dem Namen in der Unterschrift. Aber die Freude, ihn zu sehen, überwog das Bedürfnis, im Boden zu versinken angesichts der Tatsache, so offensichtlich überrumpelt worden zu sein. “Wir müssen uns dringend über die Schreibweise meines Namens unterhalten“, meinte sie schließlich noch immer etwas aufgeregt, aber verschmitzt.

  • "Oh mann...", seufzte Vala, und ließ theatralisch den Kopf hängen, "...da gibt man sich die größte Mühe, dich nicht in Probleme zu bringen, und du verstehst es nicht einmal. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal direkt an den Aelier schreiben: Mordversuch hat beim ersten Mal nicht geklappt, bitte schick deine Frau an dem und dem Zeitpunkt in die und die Ecke beim Hafen. Achja, es wäre nett, wenn du davon absehen könntest irgendwelche Gegenmaßnahmen zu treffen."


    Mit einem Satz stieß er sich von den Kisten ab, landete kaum zwei Schritte vor ihr, richtete sich wieder kerzengerade vor ihr auf und strich sich die herumwirbelnden Haare mit einem wölfischen Grinsen auf dem Gesicht. Eine höfische Verbeugung mit einem geschwundenen Handbewegung deutete den Tiber hinauf in die Stadt hinein: "Aber da du ja jetzt da bist, können wir ja auch los. Bereit?"

  • Sein Vorwurf, wenn auch gespielt, kratzte ein wenig an Axillas Ego. Woher sollte sie das denn auch ahnen, dass er sie sehen wollte! Immerhin hatten sie sich nun eine ganze Weile nicht gesehen. Das letzte mal... das musste vor ihrer Hochzeit gewesen sein, als er... just in diesem Moment fiel ihr die kleine Holzfigur ein, die sie ihm eigentlich schon längst hatte zurückgeben wollen, es aber nicht getan hatte. Sie redete sich ein, dass sie es einfach nur vergessen hatte, und versuchte, nicht zu ertappt auszusehen. Da war der leichte Anflug von Ärger schon gleich wieder vergessen.
    Sowieso, sie konnte ihm nicht wirklich ernstlich böse sein. Wenngleich es ihr etwas peinlich war, dass er das so offen am Hafen sagte. “Oh, wenn Archias wüsste, dass ich nur Levi hierhin mitgenommen habe, würde er sich aufregen. Wenn es nach ihm ginge, würde ich mit 5 Leibwächtern, die er bezahlt hat, durch die Gegend rennen.“ Axilla zuckte nur leichtfertig die Schultern. Sie hatte wirklich nicht das Bedürfnis, sich noch mehr einsperren zu lassen. Im Palast fühlte sie sich manchmal schon so genug eingeengt, da musste sie nicht auch noch in ihrem täglichen Leben 5 Fremde um sich herum haben. Wenn es iunische Sklaven gewesen wären, die ihr gehört hätten und um deren Treue sie wusste, wäre es vielleicht etwas anderes gewesen. Aber so? Das war wie Überwachung, und Axilla mochte das nicht.
    Apropos Levi, wo steckte der? Kurz sah Axilla sich um, entdeckte ihn aber nicht. Sie sah gerade wieder zurück, als Vala sich mit einer leichten Geste die wilden Haare zurück strich und sie anlächelte. Er verbeugte sich vor ihr, und Axilla fühlte sich einen Moment ganz aufgeregt deswegen. Sie musste grinsen und wusste nicht einmal genau, warum.
    “Bereit wofür?“ Axilla gesellte sich schon zu Vala und lächelte ihn immernoch an. Sie konnte es einfach nicht ausstellen. “Ich bin für alles zu haben“, meinte sie noch und freute sich schon auf die Abwechslung von ihrem mittlerweile so unspektakulär gewordenen Alltag. Sie brauchte dringend mehr Beschäftigung.

  • "FÜNF LEibwächter?", staunte Vala ehrlich, und sah Axilla kritisch an, "Das ist ja... das ist ja... also, entweder das ist ein Kompliment für dich, weil du ihm soviel wert bist, oder eins an mich, dass er denkt, es würde ganze fünf Leibwächter brauchen, um mich abhalten zu können dich ins Elysium zu schicken... ... ... na, bleiben wir lieber bei ersterem."
    Sprach er, und glaubte an zweiteres. Fünf Leibwächter. Ein wenig stolz war Vala schon auf sich. Ach, was heißt ein wenig stolz? Der Aelier hatte so die Hosen voll, dass er die Luft um seine Ehefrau mit Leibwächtern PFLASTERTE.
    Der Punkt ging eindeutig an ihn. Mal wieder. Der Aelier würde sich einiges einfallen lassen müssen, um das wieder wett zu machen... wenn er es überhaupt darauf anlegte, aus der Schlacht einen Krieg zu machen. Wenn.


    "Werte Iunia.", sprach Vala mit der steten Förmlichkeit, mit der er die Menschem auf Armlänge auf Distanz hielt, "Wenn du so etwas sagst, könnte Mann auf falsche Gedanken kommen..."
    Das war einer jener Momente, in denen ein Flirt nicht mehr zu verbergen war. Aber genau das war die Arena, in der Vala sich bestens auskannte, und so wandte er den Kopf, als wäre ihm just etwas eingefallen, sah der Frau in die Augen, wanderte mit seinem Blick dann schließlich bewusst langsam ihren Körper hinab, jede vom Stoff angedeutete Kontur taxierend, um schließlich fast noch langsamer wieder hinauf zu gleiten, und ihr wieder tief in die Augen zu sehen: "Andererseits stellt sich jetzt die Frage, wie falsch so ein Gedanke schon sein kann?"

  • “In erster Linie ist es lästig. Ich meine... würdest du dich von fünf Kerlen beschützen lassen wollen, von denen du vielleicht grade mal den Namen weißt und die dafür bezahlt werden? Wer sagt denn, dass die nicht jemand anderes bezahlt, um eben mal kurz was anderes zu machen?“ Diese Leibwächter, so schmeichelhaft sie auch immer gemeint sein mochten, war etwas, das Axilla wirklich nicht ausstehen konnte. Das war, als würde Archias sie überwachen lassen, weil er ihr nicht traute. Aber verdammtnocheins, dann sollte er sie selber beschützen und lernen, wie man das tat. Nicht sich auf seine Unfähigkeit auf diesem Gebiet herausreden und jemanden bezahlen. Das war... das war einfach nicht richtig. Es fühlte sich nicht richtig an. Zwar war Axilla nicht so dämlich, nach Leanders Tod so unbekümmert wie zuvor weiterzuleben, allerdings hieß das nicht, dass sie sich in ihrer Freiheit einschränken ließ.


    Dass Vala sie nach wie vor nur mit ihrem Gensnamen ansprach, störte Axilla ein wenig. Sie war schon lange dazu übergegangen, ihn nur beim Cognomen zu nennen, wie es Freunde taten, und er hätte gleiches Recht bei ihr auch gerne in Anspruch nehmen können. Ja, im Grunde wollte sie ja, dass sie beiden vertrauter miteinander redeten. Aber er blieb irgendwie immer sachlich und auf Abstand. Sie wollte gerade eben dies einwenden und ihn bitten, sie doch endlich beim Cognomen zu nennen, als er dann auf ihre etwas zweideutig gewählten Worte zu sprechen kam. Und anfing, sie zu mustern. Ganz langsam.
    Als er wieder bei ihren Augen angekommen war, merkte Axilla, dass sie ein wenig rot wurde. Und dass ihr keine freche Erwiderung einfallen wollte, die originell und spritzig klang.
    Und dass sie ihm einfach nur in die Augen schaute...


    Sie blinzelte kurz und wandte sich mit einem ertappten Lächeln dem Weg zu. “Wenn du so weiter redest, könnte ich noch auf den Gedanken kommen, du willst mich verführen. Obwohl du weißt, dass ich eine verheiratete Frau bin.“ Es dauerte einen kurzen Moment, in dem sie sich sammelte, ehe sie wieder zu ihm sah. Das war nur ein Scherz und eine Neckerei, er wollte sie nur aufziehen für ihre Worte.
    Daher wechselte sie auch sofort das Thema, wie sie es eigentlich immer tat, wenn sie über das momentane Thema gar nicht nachdenken wollte. “Und was machst du derzeit? Studierst du noch bei diesem Griechen?“ Das Thema lag nahe, immerhin hatten sie sich nur dank dieses Griechen kennengelernt, eben hier am Hafen.

  • "Ich würde es nicht...", sprach Vala, und schmunzelte dann mit viel Schalk in den Augen, "...weil ich es nicht bräuchte."


    'Wer könnte es ihnen verdenken?' lag ihm schon auf der Zunge, aber das wäre vielleicht schon zuviel gewesen. Vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich nicht. Die Römerin schien seine Komplimente aufzusaugen wie trockenes Moos wenige Tropfen Regenwasser. Was bläute ihm der Grieche noch immer ein? Das richtige Maß, egal wessen Elements, bestimmte über Sieg oder Niederlage.
    Das ganze war natürlich enorm philosophisch, und Valas Geist war nicht so fortgeschritten, dass er komplexe philosophische Phrasen sofort verstand. Bei diesem Punkt hatte er sich so lange blöd angestellt, bis Linos schließlich zu einem Bild aus der Welt griff, die Vala nur allzu vertraut war: hatte man einen Fisch am Haken, und griff zu schnell hart in die Rute, so ging man das große Risiko ein, dass der Fisch sich noch mit Macht losriss, oder man gar selbst ins Wasser gezogen wurde. Nahm man sich allerdings die Zeit, den Fisch durch regelmäßiges Ziehen an der Rute zu schwächen, bis er sich weder losreissen konnte, noch den Fischer selbst in Gefahr bringen, dann war der perfekte Moment gekommen, um sich seinen verdienten Sieg zu holen.
    Und Vala konnte warten.


    "Ich bitte dich...", empörte Vala sich gespielt, aber mit einer gehörigen Portion dargebotener Ernsthaftigkeit, "...du bist eine verheiratete Frau. Unantastbar, wenn man es so ausdrücken will. Wenngleich ein großer Verlust für die Welt der Junggesellen." Dass dies der vorläufige Gipfel der heutigen Heuchelei war, versteht sich von selbst. Wenige Tage zuvor hatte Vala sich noch in der ziemlich verheirateten Frau eines vermögenden Kupferschmieds wiedergefunden. Interessanterweise hatte er mitten im Akt plötzlich an die ihm nun gegenüberstehende Frau gedacht. Beinahe hatte er die Frau bei Axillas Namen genannt, aber die Agonie der Lust, die eben auch vor dem Sprachvermögen eines Menschen nicht halt machte, hatte ihm in dem Moment sein bestes Stück gerettet.
    Dass er überhaupt an Axilla gedacht hatte, hatte ihn verwirrt. Bis er zu der Erkenntnis gekommen war, dass er wohl erst zufrieden sein würde, wenn er das lustverzerrte Gesicht der Iunierin unter sich sehen würde. Haben ode rnicht haben, das war hier die Frage.


    "Bei dem Griechen? Achso... Linos... ja.", kam Vala wieder im höchst unerotischen Hier-und-Jetzt an, und kam nicht umhin, eine gewisse Ironie darin zu sehen, dass Axilla sich für den Mann interessierte, der derjenige gewesen war, der Vala für seinen Plan, sie umzubringen den lautesten Beifall gespendet hatte, "Er gibt sich größte Mühe mir das auszutreiben, was er hingebungsvoll als 'barbarische Flausen' betrachtet. Über den Erfolg seines Vorhabens will ich allerdings nicht sprechen. Ich mag meine Flausen."

  • Richtig, er bräuchte es nicht. Axillas Blick glitt kurz über seinen Oberkörper, ehe sie ihn schüchtern anlächelte. “Stimmt. Du kannst ja selber kämpfen.“ Ihr Tonfall dabei klang fast ein wenig sehnsüchtig, und gleichzeitig ein wenig traurig. Sie erinnerte sich noch an die vielen Narben, die seinen Körper zierten. Und daran, wie sie einfach unvermittelt darauf zu sprechen gekommen war und ihn damit sehr wütend gemacht hatte. Auch wenn sie das alles andere als schlimm fand, aber Vala empfand es wohl irgendwie als schlimm. Zumindest war es das, was sie aus dieser Begegnung damals gelernt hatte, und weswegen sie das Thema nicht weiter vertiefte.


    Als er meinte, ihre Hochzeit sei ein Verlust für die anderen, wurde Axilla dann wirklich eine Winzigkeit rot. Es tat gut, so etwas einmal zu hören. Normalerweise waren Komplimente an sie eher anders. Es sagte schon immer mal jemand, dass sie schön sei, oder dass ihr ihr Kleid heute besonders gut stehe. Wie wundervoll ihr Haar sei, wie bezaubernd ihr Lächeln. Solche kleinen Oberflächlichkeiten eben. Aber da wusste Axilla, dass es eigentlich nur Freundlichkeit war.
    Nun, das war es hier wahrscheinlich auch, dennoch war es etwas anderes, das so zu hören. “Ach, ich weiß nicht, ob die Junggesellenwelt wirklich so trauert.“ Ja, es war das Fischen nach einem weiteren Kompliment, aber es war Axilla egal, ob Vala das durchschaute. Sie wollte ja eigentlich nicht, dass er ihr schmeichelte. Aber sie wollte, dass er ihr schmeichelte. Naja, ein wenig. Sie wusste es selber nicht so genau.


    Zum Glück war das Thema mit dem Griechen etwas einfacher und lenkte ab. Wobei Axilla ihren Gesprächspartner bei der Erwähnung seiner Flausen schon einmal kurz angrinsen musste. Sie kannte seine Flausen ja nicht, aber bestimmt waren das sehr charmante.
    “Das hat mein Hauslehrer, als ich klein war, auch versucht. Mit fast denselben Worten, übrigens. Muss wohl eine griechische Eigenart sein. Wobei ich gar nicht weiß, was dein Lehrer damit meint. Ich finde dich ganz und gar nicht barbarisch.“
    Der letzte Satz war vielleicht ein wenig zuviel gewesen, und ihres eigenen Fauxpas bewusst räusperte sich Axilla kurz mit gesenktem Blick. Zum Glück rettete sie da Levi vor weiterer Peinlichkeit.
    “Domina? Domina?!“ Er suchte sie in der Menge und als er sie entdeckt und Axilla ihm zugewunken hatte, kämpfte er sich einen Weg durch die Hafenarbeiter zu ihr und ihrem Gegenüber. Unschlüssig blieb der junge Sklave stehen und wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte. “Domina, anscheinend gibt es dieses Lagerhaus hier nicht...“ fing er schließlich unschlüssig an, immer wieder einen Seitenblick auf Vala werfend.
    “Schon gut, Levi. Es hat sich schon geklärt.“ Axilla sah kurz zwischen ihrem Sklaven und Vala hin und her. Dann fasste sie einen schnellen Entschluss. “Wenn du willst, kannst du dir ein paar Stunden frei nehmen. Du kannst doch auf dich aufpassen, oder?“
    Levi war überrascht, sagte aber zu Freizeit auch nicht nein. “Sicher, Domina.... Soll ich dann nach Hause gehen...?“
    “Nein, nein, das nicht. Ähm, wir treffen uns... zur Hora duodecima?“ Ein kurzer, um Bestätigung blickender Blick an Vala folgte, “...vor der Hauptstraße zum Palatin. Oder... noch eine Querstraße weiter, du weißt schon, an dem Haus mit der gemalten Jagdszene an der Wand. Wenn Levi allein zum Palast zurückging, dann würde sie noch Ärger bekommen.
    Levi nickte kurz, sah noch einmal kurz fragend drein und bedankte sich dann artig, ehe er sich daran machte, seine gerade erhaltene Freizeit für die nächsten paar Stunden zu verbringen.


    Axilla war froh um die kleine Ablenkung und wandte sich dann wieder Vala zu. Jetzt konnten sie auch losspazieren, wenn er denn wollte. “So... wo waren wir?“ Sie lächelte ihn möglichst unschuldig an und hoffte, er hatte ihren kleinen Lapsus eben vergessen.

  • Sie gierte nach Aufmerksamkeit wie die Wüstenblume nach Wasser. Was eine nette Allegorie war, wenn man bedachte dass Axilla aus Alexandria stammte. Wie alt war er? Keine zwanzig Sommer... und doch hatte er das Gefühl, Dekaden älter als seine Gesellschaft zu sein. Doch was sollte er tun? Sie darauf hinweisen, dass es genug war? Würde altklug klingen... außerdem war es Vala zuwider. Ihr ein weiteres Kompliment servieren? Wäre nicht seine Art... Vala spielte, er bediente nicht.
    Er entschied sich letztendlich, die Bemerkung wegzuschmunzeln und ihr verschwörerisch zuzuzwinkern.


    "Barbarisch?", hakte Vala nach, und stockte einen Moment, sie genau fixierend. Irgend etwas in ihm wollte auffahren, und sie verbal zu Kleinholz bearbeiten. Dann realisierte er, dass es wahrscheinlich genau das barbarische war, was so pikiert reagierte. Er seufzte laut, als Für-und-Wider genau abgewogen waren, und er sich schließlich auf eine etwas weniger wutschnaubende Reaktion entschied: "Na komm... wenn du schon so redest, musst du mir erklären, was das barbarische für dich ist.."


    Dass sie den Jungen wegschickte, nahm er dabei nur beiläufig zur Kenntnis, obwohl er in genau diesem Moment wahrscheinlich gewonnen hatte. Anstelle dessen fixierte er sie mit seinem bohrenden Blick, hier waren Antworten fällig.

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