Das Zentrum der Welt

  • Sim-Off:

    Die Zwillinge kommen von hier


    Der erste Eindruck war einfach überwältigend. Wie angewurzelt blieb sie einfach stehen und scherte sich nicht um die wütenden Kommentare, welche hinter ihr erklangen. Rom war groß, sooo groß und so laut und auch, wie sie schnell feststellte, stinkend und schmutzig. Sie sprang zur Seite als ein Esel an ihnen vorbei trabte und mitten durch eine Pfütze lief, sodass es nur spritze. Ein wenig erschrocken ergriff sie Narcissas Hand.


    „Kommt weiter, meine Damen!“ sagte der Bursche und winkte sie voran. Lysandra gab ihr einen leichten Stoß in den Rücken um sie anzutreiben. „Schade das heute so schlechtes Wetter ist“, sagte der Junge grinsend. „Rom zeigt sich nicht wirklich von seiner besten Seite“, redete er munter weiter. „Aber die Stadt ist wirklich schön und die Villa Aurelia ist im schönsten Bezirk. Ihr ward noch nicht in Rom, oder?“ fragte er sie und drehte sich kurz zu ihnen um. Flora schüttelte nur den Kopf und ließ die Stadt auf sich wirken. „Wir werden einen kleinen Umweg machen, damit ihr die wichtigsten Plätze gleich mal kennen lernt. Hier lang meine Damen“, er bog ab und führte sie nun eine andere Straße entlang. Sie war nicht ganz so überlaufen. „Also es gibt einige Dinge die ihr wissen solltet: Geht niemals in die Subura, dort ist es gefährlich. Diebe, Mörder und Schlimmeres treibt sich dort herum. Achtung, eine Pfütze. Selbst die CU muss dort um ihr Leben fürchten. Also meidet diesen Bezirk!“ erklärte er ihnen und führte sie tiefer ins Gewirr der Stadt hinein. Nachdem sie um die zweite Straßenecke bogen, hatte Flora schon vollkommen die Orientierung verloren. Die Warnungen des Jungen hallten ihr im Kopf herum.


    „Wie heißt du eigentlich?“ frage Lysandra um ihn von seinen Schauergeschichten abzubringen. „Nennt mich Titus“, antwortete er nur. „Seht mal, das ist das Theatrum Pompeii, sagte er und blieb stehen. Das Gebäude erhob sich weit über das Marsfeld und war beeindruckend anzusehen. „Gnaeus Pompeius Magnus hat es bauen lassen!“ erzählte er.

  • Die Eindrücke stürmten auf sie ein, an jeder Straßenecke gab es neues zu entdecken. Titus, ein junger Kerl, der ihr gerade einmal bis zu Schulter reichte und noch das milchweißÄ, weiche Gesicht eines Jungen aufwies, führte sich von einer Sehenswürdigkeit zur anderen, offensichtlich stolz darauf die zwei Patrizerinnen führen zu dürfen, die an seinen Lippen hingen und aufmerksam seinen Ausführungen lauschten. Auch Narcissa wusste bald nicht mehr so recht, wo ihr der Kopf stand und das, obschon sie von Natur aus eigentlich über einen recht gut ausgepragten Orientierungssinn verfügte, der sie bisher bei noch keinem Streifzug in der Natur im Stich gelassen hatte. Doch hier war alles anders. Sogleich fasziniert und eingeschüchtert betrachtete sie die Welt um sie herum. Die Neugierde jedoch überwog und zusammen mit Flora ließ sie sich immer weiter hineinziehen in die pulsierende Stadt.
    „Und gleich gegenüber liegt das Stadium des Domitian”, sagte Titus und wies zu seiner linken, wo sich ein hoher ringförmiger Bau erhob. Narcissa folgte seinem augestreckten Arm und war doch sehr beeindruckt von dem Gebäude. So etwas gab es auf dem Lad natürlich nicht. „Bei den Göttern”, kam ihr es prompt über die sinnlich geschwungenen Lippen. „Das ist ja wirklich riesig!”
    „Domina!”, drang Lysandras Stimme an ihr Ohr und sie fuhr auf. Verwundert stellte sie fest, dass ihre Schwester zusammen mit der Sklavin und ihrem jungen Führer schon weiter gegangen waren und so nach wie vor wie erstarrt vor dem Gebäude. „Ich komme!”, rief sie und beeilte sich den dreien nachzufolgen. Weiter ging es vorbei an der Villa Publica, und durch die kaiserlichen Foren hindurch.
    „Die Foren wurden unter verschiedenen Kaisern erbaut und bestehen aus zahlreichen Portike, Bibliotheken, Tempeln und Basiliken…”, referierte Titus. Ihm schien seine Rolle sehr zu gefallen. „Das Friedensforum, das Nervaforum, das Caesarsforum, das Trajansforum und das Augustusforum mit dem Sitz der Justiz...Möget Ihr es niemals von innen sehen...” Lysandra warf ihm einen bösen Blick zu. Dass ihre beiden Schäfchen jemals eine Schandtat begehen könnten stand absolut außer Frage. Der junge Titus bemerkte sogleich seinen Fehler und schickte ein scheues „Verzeihung”nach, doch die Zwillinge hatten ihm gar nicht richtig zugehört. Stattdessen hatten sich die beiden in ihrer Gedankenlosigkeit bereits wieder verselbstständig, waren voran gegangen und schon fast außer Sicht. Schließlich wichen die Gebäude zur Seite und sie fanden sich auf dem belebten Forum Romanum wieder, auf dem geschäftiges Treiben herrschte. Narcissa wusste gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte. Überall Menschen, Stimmen surrten durch die Luft. Ein Mann verlas laut etwas von einer Schriftrolle, Bedienstete mit Körben und Einkäufen darin huschten an ihnen vorbei, vor der Rostra standen einige Männer in der Kleidung von Senatoren zusammen und unterhielten sich angeregt, Kinder hockten auf den Stufen eines Tempels, dessen Namen Narcissa noch nicht kannte. „Titus! Was ist das für ein Tempel?”, erkundigte sie sich und wies auf das Gebäude, das neben einer großen Basilika mit einigen Säulen davor stand. „Der Tempel ist den Dioskuren geweiht…Castor und Pollux”, antwortete dieser eilfertig, als er zu ihr aufschloss. „Warum wundert es mich nicht, dass mir ausgerechnet der Tempel der Zwillingsbrüder ins Auge fällt?”, fragte sie mit einem schiefen Lächeln in Richtung ihres Ebenbildes. Eine wahre Welle der Euphorie erfasste sie und auf einmal war jegliches Gefühl der Verschüchterung angesichts dieser altehrwürdigen Stadt verschwunden. Begeistert fasste sie ihre Schwester bei der Hand. „Na komm, lass uns das Forum etwas näher erkunden!”, meinte sie fröhlich und zog ihre Zwillingsschwester hinein in eine Menschentraube, die sich vor der Rostra zusammen gefunden hatte, um einem großen, schlanken Kerl in der Tracht der Tribunen zu lauschen. Lysandra hatte Mühe den beiden zu folgen.
    Es war schon weit nach Mittag, als die beiden, endlich vor der Villa Aurelia ankamen.

  • Rom war so ganz anders, wie sie es sich vorgestellt hatte, es war groß und eng und die Menschen hatten es eilig. Tiefe Pfützen hatten sich in den Gräben gebildet. Insula türmten sich rechts und links hoch auf und bildeten tiefe Straßenschluchten. Wäsche hing hoch über ihren Köpfen auf Leinen zum trocknen aus. Ihr Blick wanderte von rechts nach links und wieder zurück. Es war ja nicht so, dass sie schon mal in einer Stadt gewesen war, aber Rom unterschied sich nun aber wirklich ganz gewaltig von den kleinen schon fast beschaulichen Küstenstädten. Sie kam sich so klein vor, wenn sie sich diese Monumente ansah. Rom wirkte irgendwie zeitlos. Das Narcissa einen kurzen Moment hinter ihnen zurück blieb, bekam sie kaum mit, denn sie war gefesselt von diesen vielen neuen Eindrücken.
    „Ich kann kaum glauben, dass dies alles von Menschen gebaut worden ist“, sagte sie und betrachtete aus großen grünen Augen das Stadium. Ohne es wirklich merken, tapste sie ziemlich zielsicher in die größte Pfütze, die sie finden konnte. Brackiges Wasser durchweichte ihre Sandalen und verschmutze den Saum ihres Kleides. Erschrocken machte sie einen kleinen Sprung zurück. „Oh, Nein!“ jammerte sie und mit spitzen Fingern hielt sie ihren Saum hoch. Ausgerechnet ihre schöne grüne Tunika. „Das macht doch nichts, domina. Wenn wir da sind, kannst du dich umziehen und ich werde es waschen!“ sagte Lysandra aufbauend. Leise seufzend ließ sie den Saum wieder los, kurz streifte das nasse Stück Stoff ihr Bein und eine Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Sie zog ihren Mantel fester um sich. Titus war in der Zwischenzeit weiter gegangen, gefolgt von Narcissa, welche seinen Worten lauschte. Nun war es an ihr, zu den Beiden aufzuhollen. Die Sklavin dicht auf den Fersen. Sie bekam gerade noch mit, wie Titus die einzelnen Foren aufzählte. Und dann plötzlich wichen die vielen Häuser zurück und ein großer Platz öffnete sich. Staunend blieb sie stehen.
    Aufregung durchzuckte sie, als sie sich umsah. Das Forum Romanum lag direkt vor ihnen. Männer in Togen schritten mit ernsten Gesichtern an ihnen vorbei, junge Frauen steckten eifrig die Köpfe zusammen, Sklaven suchten sich eilig ihren Weg, ein Redner stand auf der Rostra und lamentierte laut und dazwischen konnte man Kinder umher rennen sehen. Flora folgte dem Blick ihrer Schwester und tauschte dann mit ihr einen vielsagenden Blick aus, ehe sie kicherte. Schließlich ergriff Narcissa ihre Hand und willig ließ sie sich mitten in das Treiben hinein ziehen. „Dominas!“ rief Lysandra und versuchte ihnen zu folgen. Titus hatte da mehr Erfolg und blieb auf ihren Fersen. „Ihr werdet euch noch verlaufen“, schnaufte die Sklavin. So war es immer, kaum wurden die Mädchen von Abenteuerlust ergriffen, waren sie kaum noch aufzuhalten. Doch zu ihrem Glück, konnte Titus sie überholen und wies ihnen dann den Weg durch die Menge, hinein in eine der unzähligen Straßen. Dort konnte Lysandra auch endlich aufholen. „Wir werden jetzt auf direkten Wege zur Villa Aurelia gehen!“ bestimmte sie und nickte dem Jungen zu. Sie hatten ja bereits den halben Tag verschlendert. Etwas enttäuscht darüber, dass die Sklavin ihnen den Spaß verdorb, warf Flora ihr einen kurzen Blick, der so viel sagte wie: Wir sind hier die Herren und wir sagen, wohin es geht. Doch sie fügte sich dann doch. „Führe uns zur Villa Aurelia, Titus“, forderte sie den Jungen auf, der breit grinsend nickte. „Nichts lieber als das!“ er verneigte sich sogar kurz vor ihnen, aber sein verschmitztes Lächeln tat diesem Anblick doch einen kleinen Abbruch. Sie musste lachen. „Hier entlang“, sagte er dann nur noch führte sie nun auf direktem Wege zur Villa der Gens.

  • [Blockierte Grafik: http://i687.photobucket.com/albums/vv232/Aine_photos/lucretialucilla1.jpgLucretia Lucilla
    Nur langsam kam die prachtvolle Sänfte in den überfüllten Straßen Roms voran. Eine elegante schmale Hand zog den bestickten Vorhang bei Seite und warf einen kritischen Blick auf die unzähligen Leiber. Die schmale Nase wurde gerümpft und die Falten um ihre Augen vertieften sich. Kein Wunder das sie Rom hasste, die Stadt war überfüllt, laut, stank und war eine Beleidigung an alle Sinne. Ein Sündenpfuhl, die alten Sitten schon längst vergessen versank Rom in ihren Augen immer mehr im Chaos. Nicht einmal die eindrucksvollen Bauwerke aus strahlendem Marmor entlockten ihr Begeisterung. Nur ein Stirnrunzeln hatte sie für einige der Tempel übrig, welche an ihr vorüber zogen.
    Lucretia Lucilla setzte nach fast zwanzig Jahren wieder einen Fuß hinter die hohen Mauern Roms. Standesgemäß ließ sie sich natürlich von einem halben Dutzend Sklaven auf den Schultern tragen und noch einmal so viele Sklaven folgten mit dem Gepäck. Zu ihren Füßen kauerte ebenfalls eine Sklavin. Ein dummes Ding in ihren Augen, nicht einmal in der Lage einen Befehl anständig auszuführen. Es hatte eine Heidenangst vor ihr, die Augen der Sklaven huschten nervös hin und her, niemals sah sie ihr in die Augen. Zufrieden bemerkte sie, wie die Sklavin unter ihrem Blick kleiner wurde. Lucilla wusste wie sie den gebührenden Respekt einforderte.
    Es hatte einmal eine unangenehme Auseinandersetzung mit einer aufmüpfigen Sklavin gegeben. Um deren Willen zu brechen, hatte sie am Ende befohlen, deren Balg im Fluss zu ersäufen. Natürlich hatte sie geschrien und getobt, am Ende gar gebettelt, doch sie hatte sich nicht erweichen lassen. Die Sklavin hatte man dann einige Tage später Tod in ihrem Quartier gefunden. Sie hatte sich das Leben genommen. Seit diesem Tag wurde sie gefürchtet. Diese Geschichte wurde jedem neuen Sklaven erzählt und wenn das nichts half, konnte sie recht fantasievoll sein, wenn es um Bestrafungen ging.


    Ein Ächzen entwich ihr, als sie ein wenig durchgeschüttelt wurde. Die Träger mussten einem Trupp Soldaten vorbei lassen und waren abrupt stehen gelassen. „Nutzloses Pack“, erklang es ungehalten aus dem Innern der Sänfte. Die Lucretia suchte nach einer bequemen Lage zwischen den Kissen, doch ihre Knochen schmerzten, nicht nur durch die lange und holprige Reise, sondern weil die Gischt sie fürchterlich plagte. Wie ein widerliches Geschwür hatte es sich in ihrem Körper eingenistet und nahm ihr die Kraft. Sie fühlte sich wie hundert, dabei gehörte sie, wenn man nur nach ihrem Alter ging, zu den ehrbaren namenhaften Matronen. Eine gestandene Frau mitten im Leben und doch hatte sich ihr einst jugendlicher Leib in den einer Greisin verwandelt. Doch es war ihr Stolz der sie aufrecht hielt, selbst die Schicksalsschläge, die sie erschüttert hatten, konnten sie nicht beugen. Sie mochte nicht mehr die Schönheit sein, die sie einmal gewesen war, dafür war sie nun eine Frau die man fürchtete. Einer der Sklaven hatte sie einmal mit glattem kaltem Stahl verglichen. Ein Vergleich, der ihr durchaus gefiel. Eine Schwäche durfte sie sich nicht erlauben… nicht nachdem nun auch noch eine ihrer Töchter gestorben war.
    Es hatte ihr das Herz gebrochen. Ihre Mädchen hatte sie immer geliebt, sie wusste dass sie die Zwillinge hoffnungslos verwöhnt hatte, aber sie waren ihr ein und alles gewesen. Ihren Sohn hatte sie auch geliebt, doch sie hatten sich entfremdet. Außerdem hatte sie sich immer in ihren Töchtern wieder erkannt. Ihre zarten Geschöpfe… Ein bitterer Zug zeigte sich an ihren Mundwinkel, nur ein kleines Anzeichen für den Kummer, den sie spürte. Die Götter meinten es nicht gut mit ihrer Familie. Einer nach dem anderen schien in Plutos Reich überzugehen und nur sie blieb in ihrem Schmerz zurück und musste tatenlos mit ansehen wie junges Leben verwelkte.
    Es gab wenigstens einen Hoffnungsschimmer, ihre ganze Hoffnung ruhte auf Flora. In wenigen Wochen würde diese Heiraten und das war der Grund, warum sie sich dazu entschlossen hatte noch einmal nach Rom zu reisen.


    Endlich erreichten sie dann die Villa Aurelia, sie hatte sich nicht vorher angekündigt und es dürfte wohl für alle eine Überraschung sein, dass sie nun vor der Tür stand. Dennoch erwartete sie, dass man sie mit dem gebührenden Respekt empfing.

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