cubiculum Flora | Nachts, wenn (fast) alles schläft

  • Schnell waren die Laute aus Sivs Zimmer hinter mir zurück geblieben, und bald war nichts mehr zu hören. Ich stand vor Floras Zimmer. Sie war schon wieder eingetreten, sofern sie direkt zurück hierher gegangen war. Ich lehnte kurz die Stirn an den kühlen Holzrahmen der Tür, schloss die Augen und seufzte. Dann klopfte ich an. "Flora?" Zum Glück hatte mir Cimon unwissentlich auf die Sprünge geholfen und ich riss so nicht Floras Schwester aus dem Schlaf.


    Was eben passiert war, war zu schnell für mich gegangen. Frauen schwankten bekanntlich des Öfteren in ihrer Stimmung, besonders in regelmäßigen Abständen. Aber ich hatte eigentlich normal geklungen. Angespannt vielleicht, aber nicht anklagend oder so schnippisch, wie sie mir ihre Antwort entgegengeschleudert hatte. "Kann ich herein kommen?" Sie würde doch ganz gewiss mit mir rechnen und mit niemand anderem, deswegen sagte ich nicht noch einmal, dass ich es war, der Einlass begehrte.

  • Eigentlich war ja Flora sonst nicht so aufbrausend, aber Marcus hatte sie auf dem falschen Fuß erwischt. Zum einen war es nun einmal spät nachts und sie war aufgewacht und nicht mehr eingeschlafen und dann hatte sie das Gefühl gehabt, dass er sie wie ein kleines Kind behandelte. Er musste ja seine Anspannung nicht an ihr auslassen. Woher sollte sie bitte wissen, dass ERder Vater war. Hätte sie es gewusst, wäre sie nicht so aufgebraust. Sondern hätte sich seiner angenommen und ihn in die Küche dirigiert. Wein half den meisten Männern. Es beruhigte ihre Nerven. Aber sie wusste ja nicht, dass es sein Kind war.
    Aber schon nach einigen Schritten war ihr Ärger verraucht und sie schämte sich ein wenig dafür, dass sie Marcus so angefahren hatte. Das war kindisch gewesen. Ihre Mutter hätte sie jetzt wieder geschalt. Sie beschloss aber in ihr Zimmer zu gehen. Gerade hatte sie eine Öllampe entzündet, als es klopfte und sie Marcus Stimme hörte. Sie seufzte und entzündete erst einmal eine weitere Lampe, ehe sie ihn dann herein bat. „Komm rein!“ meinte sie nur. Recht leise, denn nebenan hatte Narcissa ihr Zimmer und diese wollte sie jetzt nicht unnötiger weise wecken. Kurz warf sie sich noch eine pala über, damit sie halbwegs vorzeigbar aussah.

  • Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Goldenes Licht wurde von den Wänden zurückgeworfen, und Flora hatte sich etwas übergezogen. Unschlüssig blieb ich stehen, wo ich war. "Ich wollte dich eben nicht verärgern", sagte ich. Ich hätte ihr nun mein Herz ausschütten können, aber ich hatte es nicht einmal Prisca erzählt. Brix wusste davon, doch der hatte es selbst herausgefunden oder von Siv erfahren und schwieg wie ein Grab, seitdem er es wusste. Ich ging zu der Sitzecke hinüber, zog einen Stuhl vor und setzte mich mit einem leisen Seufzer. "Ich bin in letzter Zeit etwas angespannt", erklärte ich. "Der Senat, die Arbeit, du weißt?" In Teilen stimmte das auch, die Sitzungen kamen zu dem Ädilat hinzu, die Arbeit als auctor wurde auch nicht weniger und dann hatte ich noch meine Pflichten als pontifex. Obendrein wurde ich auch nicht jünger. Ich zuckte mit den Schultern. "Ich konnte auch nicht schlafen."

  • Nun überlegte sie wirklich Lysandra zu wecken, damit diese ihnen etwas zu trinken brachte. Aber irgendwie wollte sie die Sklavin nicht aus ihrem wohlverdienten Schlaf reißen. Es würde auch so gehen. Im Notfall würde sich vielleicht noch ein wacher Sklave finden, der durch die Gänge huschte. Marcus entschuldigte sich bei ihr und sie fühlte sich etwas Unwohl in ihrer Haut. Sie hätte nicht so schnell aus der Haut fahren sollen. Er hatte ja recht gehabt. „Schon gut“, winkte sie ab. Ihr Ärger war verraucht. „Ich bin dir nicht Böse deswegen.“
    Kurz hatte sie das Gefühl, dass er mehr sagen wollte, doch dann setzte er sich erst einmal und suchte ihren Blick. Sie folgte ihm und ließ sich ihm direkt gegenüber nieder. Sie zog automatisch die Knie an und schlang die Arme um ihre Beine. Verstehend nickte sie, als seine Anspannung auf die Arbeit zurückführte. Ihr Leben hingegen war herrlich unbeschwert. Kaum Verpflichtungen und noch weniger Verantwortung.
    „In manchen Nächten ist man halt rastlos!“ sagte sie und lächelte schwach.

  • Ich warf einen Blick auf den Wasserkrug, der auf dem Tisch stand, aber leer zu sein schien. Nun, ich war nicht durstig, nur unruhig. Abgespannt fuhr ich mir mit der Hand durchs Gesicht und zog die unteren Augenlider dabei kurz herunter. "Danke", erwiderte ich schlicht. "Warum hast du denn nicht schlafen können? Hier hört man doch kaum etwas. Mich hätten die Geräusche bestimmt nicht geweckt." Sivs Zimmer befand sich etwas entfernt, denn sie schlief nicht so dicht bei den anderen Familienmitgliedern. Immerhin war sie eine Freigelassene. "Meinst du nicht, du könntest jetzt wieder einschlafen? Ich sollte dir deine Nachtruhe wohl lieber lassen. Vielleicht hilft etwas warme Milch", schlug ich vor und runzelte die Stirn, machte aber vorerst keine Anstalten, aufzustehen. Im Gegenteil, ich stützte einen Ellbogen auf den Tisch, bettete mein Kinn in der hohlen Hand und sah Floraüber den Tisch hinweg an.

  • Da sie eigentlich sonst durchschlief und nicht mitten in der Nacht aus dem schlaf schreckte, hatte es sich ihre Leibsklavin zur Gewohnheit gemacht, ihr immer nur früh morgens etwas zu trinken zu bringen. Der Wasserkrug war leer und stand einfach nur obligatorisch auf dem Tisch. Flora musste ein Gähnen unterdrücken. Sie war nicht wirklich wach, aber auch nicht müde. Jetzt wo ihre Neugierde verschwunden war, kehrte auch die Müdigkeit zurück. Sie ließ sich aber nichts anmerken. Dann würde sie eben Morgen noch länger im Bett bleiben.
    Leicht zuckte sie mit den Schultern auf Marcus Frage hin. „Ich hab keine Ahnung. Ich bin einfach aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen“, antwortete sie. Es gab eben manchmal Nächte in denen auch sie nicht schlafen konnte. Selten, aber es kam vor.
    Auch wenn Marcus nachfragte ob sie nun wieder schlafen könnte, sah er nicht so aus, als würde er sie jetzt wieder allein lassen. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass es ihm nach Gesellschaft verlangte und sie ihm eine willkommene Ablenkung bot. Von daher winkte sie leicht ab. „Vielleicht, aber sicher bin ich mir nicht. Was ist mit dir? Was hat dich geweckt?“ fragte sie ihn dann.

  • "Mich hat nichts aufgeweckt", erklärte ich ihr und zog eine Grimasse. "Ich bin gar nicht erst eingeschlafen. Ich lag im Bett und nichts ging." Ich zuckte mit den Schultern und seufzte erneut. Irgendwie wusste ich nicht so recht, was ich nun anfangen sollte. Mit Flora, mit mir, mit dieser Nacht. Ich trommelte mit den Fingerkuppen ein wenig auf dem Tisch herum, als es plötzlich hektisch an der Tür klopfte. Ich wandte mich um und starrte selbige an. Ganz vergessen hatte ich, dass dies nicht mein Zimmer war, und bat ich den Klopfenden - wohl gemerkt mitten in der Nacht - angespannt hinein. Es war Brix, und er strahlte.


    "Es ist da", sagte er. "Das Kind - es ist da!" Ich starrte den Germanen an und hatte Mühe, meinen Gesichtsausdruck zu kontrollieren. Zuerst war dort überraschung zu sehen, dann Schrecken, und ganz langsam schlich sich Erleichterung ein. Glücklicherweise konnte Flora mein abgewandtes Gesicht nicht sehen. Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. In dieser Zeit stand Brix auf der Schwelle, und der entstandene Luftzug ließ die Flammen flaackern. "Was ist es?" fragte ich atemlos, aber betont beherrscht. "Und wie geht es der Mutter?" Dass das Kind es geschafft hatte, daran bestand kein Zweifel. Gewiss hätte Brix' Gesicht dann nicht gestrahlt vor Freude. Er sah eher aus wie der Vater als der Vater selbst. "Ein Junge, und er ist kerngesund. Siv geht es gut. Sie ist erschöpft, aber die Griechin hat sehr gute Arbeit geleistet." "Ein Junge", wiederholte ich heiser. Ich hatte einen Sohn. Wenn auch einen, den ich nicht annehmen konnte. Aber ich war Vater. Ich hatte einen Sohn. Blinzelnd senkte ich den Kopf. ich sah nicht so gut, vermutlich war es einfach nur zu spät. Allerdings glaubte ich das nicht mehr, als sich auf meiner tunica ein Tropfen niederließ. Ich lächelte und blinzelte verschämt die Tränen fort, die mir in die Augen getreten waren. Wann hatte ich zuletzt geweint? Das war bei der Nachricht vom Tod meiner Eltern gewesen.


    Brix räusperte sich. "dominus, vielleicht solltest du schlafen gehen. Es ist spät", sagte Brix nachdrücklich und warf einen Blick zu Flora, die mein Gesicht immer noch nicht sehen konnte. Ich seufzte tief und blinzelte noch einmal angestrengt. Mit dem Handrücken über die Augen zu wischen, wäre zu offensichtlich gewesen. Also stand ich auf und wandte mich wieder zu Flora um. Ich war froh, dass es relativ schummriges Licht war, das den Raum nur mäßig erhellte. Sie würde wohl kaum etwas bemerken und nur mein Verhalten vielleicht seltsam finden. Das hoffte ich zumindest. "Nun gut, ich denke, ich werde jetzt versuchen zu schlafen. Geh du auch wieder ins Bett, Flora." Ich lächelte sie väterlich an. Meine Laune war sprunghaft angestiegen. Ich machte einen Schritt nach vorn, fuhr ihr über das Haar und lächelte. "Schlaf gut, kleine Blume." Und dann ging ich an Brix vorbei, der sich verabschiedete und ebenfalls eine gute Nacht wünschte, ehe er die Tür hinter uns schloss und mich zu meinem Zimmer geleitete.


    Unterwegs stellte ich ihm alle Fragen, die mir einfielen, doch auf seinen Vorschlag hin, jetzt noch Siv und den Kleinen zu besuchen, schüttelte ich nur den Kopf. Ich konnte nicht. Nicht jetzt, wo ich mich fühlte wie ein Bierfass, dass kurz vor dem Platzen stand, weil es überschäumte. Und in mir schäumte es gewaltig, was mich zutiefst verunsicherte.

  • Da war noch viel mehr, als er ihr gegenüber sagen wollte. Sie merkte es an seiner Haltung und dem Ausdruck in seinem Gesicht. Doch er würde wohl nicht mit ihr darüber reden. Obwohl reden half, meistens. Flora würde ihn aber nicht bedrängen. Entweder er sprach mit ihr oder er ließ es sein. Schweigen senkte sich zwischen sie, nicht wirklich unangenehme Stille, aber es war auch kein vertrautes Schweigen, so wie sie es mit ihrer Schwester. Noch ehe sie ein neues Thema anschneiden konnte, klopfte es, sie wollte schon den Mund öffnen um den nächtlichen Besuch hinein zu bitten, aber Marcus war schneller. Verblüfft sah sie ihn an und zuckte dann leicht zusammen, als ein Sklave in ihr Zimmer stürmte und verkündete, dass das Kind da war. Der war ja vollkommen aus dem Häuschen. Verdutzt sah sie von Marcus zu dem Sklaven und wieder zurück. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Plötzlich kam sie sich Fehl am Platz vor, obwohl das ja ihr Zimmer war. Sie kannte die Frau nicht, die soeben einen Jungen zur Welt gebracht hatte. Ihr fiel auf, dass sich die Anspannung bei ihrem Verwandten löste. Nur konnte sie leider nicht in seinem Gesicht lesen, was in ihm vorging. Er hatte sich von ihr abgewandt und mehr als seinen Hinterkopf konnte sie nicht betrachten, es sei denn sie wechselte ihre Position.
    Er war doch nicht der Vater, oder? Nein, schob sie den Gedanken vehement weg. Das konnte nicht sein. Dass sie aber den Kern der Sache erraten hatte. Würde sie wohl vielleicht nie erfahren.
    Mehr oder weniger verfolgte sie das kurze Gespräch der Männer. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. Der Sklave strahlte zwar wie ein Honigkuchenpferd aber sie glaubte zu wissen, dass auch er nicht der Vater des Kindes war. Es war schon eigenartig. Diese Nacht schien jede Menge Rätsel zu verbergen.


    Als sich Marcus dann an sie wandte, wirkte er regelrecht gut gelaunt und vollkommen gelöst. Wenn sie nicht dabei gewesen wäre, hätte sie den Eindruck gehabt, dass er wohl an einer Opiumpfeife gezogen hatte. Seine verborgenen Tränen sah sie nicht, dazu war das Licht zu unstet. Leicht runzelte sie die Stirn, als er ihr durch das Haar strich. Diese Geste hatte seit vier Jahren keiner mehr gewagt. Sie war ja schließlich kein Kind mehr. „Gute Nacht“, sagte sie leicht verwirrt und starrte dann einen ganzen langen Augenblick auf die geschlossene Tür. Sie war wieder allein... Ihr Blick wanderte zu der Verbindungstür. Sollte sie zu Narcissa rüber gehen und sich in deren Bett kuscheln? Flora wollte ihre Schwester aber nicht wecken. Nach einer ganzen Weile in halbdunklen Zimmer, löschte sie schließlich die Öllampen und kuschelte sich wieder ins Bett. Schon bald hatte der Schlaf sie wieder erobert und sie wandelte auf Traumpfaden.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!