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Einige Tage waren seit der Geburt inzwischen vergangen. Genug Zeit, dass Siv sich hatte erholen können, genug Zeit, dass das Stillen nun wirklich funktionierte – genug Zeit, dass die allererste ruhige Zeit vorbei war. Es war nur logisch, dass ein Kind gleich nach der Geburt noch nicht viel quengelte, damit die Mutter die notwendige Zeit hatte, sich auszuruhen. Aber dann war es losgegangen. Siv war ja nun wirklich nicht verweichlicht oder weinerlich, aber sie hatte irgendwie das Gefühl, dass sie momentan überhaupt nicht mehr wirklich zum Schlafen kam. In einem regelmäßigen Abstand von zwei bis drei Stunden wachte der Kleine auf und wollte trinken, und zwischendurch wachte er auf und wollte sauber gemacht werden, und zwischendurch wachte er auf und wollte im Arm gehalten werden, und zwischendurch wachte sie auf und wollte ihn einfach nur ansehen… Und sie konnte sich nicht satt sehen. So müde sie war, sie konnte sich nicht satt sehen an dem Wunder, das ihr Kind für sie war. Jedes Mal wieder war sie fasziniert davon, wie klein er war. Und wie perfekt. Alles stimmte, alles passte. Er war einfach perfekt. Und genau das war mit eines der Probleme, warum Siv so müde war – sie wollte ihn nicht aus der Hand geben. Sie hätte ihn zwischendurch Dina anvertrauen können, oder Sofia – na gut, dem Soffchen nicht –, oder auch Niki, Niki wäre eine gute Wahl gewesen in ihren Augen, aber das machte sie selten, und sie machte es nur, wenn sie selbst in der Nähe bleiben konnte. Sie wusste im Grunde, dass es lächerlich war, und dass es gefährlich war – der Kleine war immer noch nicht aus dem Gröbsten heraus. Das war auch der Grund, warum sie seinen Namen – den sie selbstverständlich schon wusste – bisher nicht laut ausgesprochen hatte. Es war gefährlich, sich zu sehr an ihr Kind zu binden, wenn die Gefahr noch so groß war, dass er nicht überleben würde. Aber sie konnte nicht anders. All die Liebe in ihr, die sie für Corvinus hatte, die dieser so selten zugelassen hatte und jetzt gar nicht mehr zu wollen schien, hatte nun etwas, worauf sie sich konzentrieren konnte. Ihr Sohn.
Augenblicklich saß Siv in der Küche und aß etwas, während der Kleine, zur Abwechslung mal friedlich, neben ihr schlummerte und kleine Gluckslaute im Schlaf von sich gab. Er war eingepackt in sauberes Leinen und lag in einem kleinen Körbchen, damit er nicht aus Versehen herunterfallen konnte, wenn er sich im Schlaf bewegte. Siv knabberte an einem Stück Brot und sah ihn einfach nur an, während sie sich gleichzeitig über ihren Entschluss grübelte. Die Geburt – und die Tatsache, dass sich Corvinus nicht bei ihr hatte blicken lassen seitdem, weder um nach ihr zu sehen, noch nach seinem Sohn – hatte etwas gelöst in ihr. Sie weigerte sich, den Schmerz zuzulassen, der das bedeutete. Sie weigerte sich einfach. Sie hatte ein Kind, das sie brauchte, sie konnte sich nicht in Selbstmitleid verlieren. Sie liebte Corvinus… und in den Momenten, in denen sie diese Gedanken zuließ, brachte sie die Tatsache, dass er sie nicht mehr wollte, an den Rand der Verzweiflung. Aber ihr Sohn war jetzt da. Und dieses kleine Wesen, das sie so sehr brauchte, half ihr mehr, als sie je geahnt hätte. Es war unglaublich, was die Tatsache bewirken konnte, gebraucht zu werden. Gebraucht, gewollt, geliebt. Und sie war überzeugt davon, dass ihr Sohn, so klein er auch sein mochte, sie jetzt schon genauso liebte wie sie ihn. Wie sonst war zu erklären, dass er nur bei ihr wirklich zur Ruhe fand – selbst wenn sie ihn mal jemand anderem anvertraute? Wie sonst war zu erklären, dass er unruhig war, wenn er sie nicht sah, aber dann häufig nur ihre Stimme zu hören brauchte? Wie sonst war zu erklären, dass er sie so ansah, auf diese spezielle Art, die, davon war Siv überzeugt, nur für sie reserviert war und für keinen sonst! Irgendwie war sie sich im Klaren darüber, dass das wohl nicht so ganz stimmte, dass sie sich da viel einbildete, jedenfalls jetzt noch. Aber sie liebte dieses Kind, liebte es mit einer fast schmerzhaften Intensität, die derjenigen für Corvinus in nichts nachstand. Und im Gegensatz zu Corvinus brauchte der Kleine sie. Brauchte, wollte, liebte sie. Davon war sie überzeugt.
Ja, sie hatte inzwischen einen Entschluss gefasst. Sie musste ihn nur noch in die Tat umsetzen. Brix war ihr Vertrauter, er würde ihr helfen, da war sie sich sicher. Und sie hatte auch schon mit geredet, im Vertrauen, und er hatte versprochen sich kundig zu machen. Zu sehen, was er tun konnte. Siv hatte nicht lange mit ihm gesprochen, und er schien gespürt zu haben, dass sie nicht großartig darüber reden wollte. Sie verdrängte im Grunde alles, was damit zusammenhing, weil sie doch nicht verhindern konnte, dass dann der Schmerz an die Oberfläche drängte. Aber ihr blieb gar keine andere Wahl.
Wer mag?