[Subura] Die Insula des Uland und der Ferun

  • Siv nickte nur leicht, als Brix es ablehnte, sich zu setzen. Sie vermied es, etwas hinein zu interpretieren. Sie kam sich vor, als ob sie sich auf unendlich dünnem Eis bewegte gerade… als ob sie jederzeit einbrechen könnte. Ohne etwas zu sagen, beobachtete sie, wie der Germane einen Lederbeutel auf den Tisch legte und Uland eine Botschaft dazu überbrachte. Als er ihn dann etwas fragte, zog sich etwas in ihr zusammen. „Sag dem Senator, ich werde kommen. Aufbrechen wollen wir in ein paar Wochen“, antwortete Uland währenddessen. „Ich habe noch einige Aufträge, die ich gerne fertig erledigen möchte, und es gibt noch ein paar Dinge zu erledigen, das Übliche zur Vorbereitung eben. Sonst steht unserer Reise nichts mehr im Weg. Das Wetter ist nun schon seit längerem stabil.“ Er grinste flüchtig, als Sonnwinn sich neben ihm aufbaute und die Worte seines Vaters mit einem heftigen Nicken unterstrich. „Ich hab auch schon eine Händlergruppe im Auge, der wir uns anschließen können. Möglich, dass wir deswegen noch etwas warten müssen, weil sie ihren Aufbruch verschoben haben – aber das Risiko ist es nicht wert, früher aufzubrechen und dann in einer kleineren Gruppe zu sein.“


    Siv hatte der Unterhaltung schweigend gelauscht, aber als Brix sich dann ihr zuwandte, sah sie wieder hoch. Schwieg noch einen Moment länger, während seine Frage im Raum hing. „Nein“, antwortete sie dann ehrlich. Sie kommentierte die simple Verneinung nicht weiter. Brix würde sich seinen Teil denken, oder fragen, wenn es nicht so war und es ihn interessierte. Brix wusste mehr von ihr, kannte sie besser, als ihr manchmal lieb war… genauso wie es früher mit ihren Brüdern gewesen war, jedenfalls den beiden, denen sie am nächsten standen hatte. „Ich hab nicht viel, das ist schnell zusammen.“ Sie sah kurz zu Finn hinunter, der immer noch trank, aber inzwischen langsamer wurde, strich mit den Fingern sacht über seinen Kopf und blickte dann wieder zu Brix. „Es… geht also wirklich zurück?“ Es war nicht das, was sie eigentlich hatte sagen wollen – aber das einzige, was sie vor Uland und Ferun sagen wollte.

  • Das erklärte natürlich so einiges. Uland war Zimmermann, und wie es sich für einen Germanen gehörte, wollte er seine Kundschaft nicht einfach hängenlassen. Er vollendete, was er angefangen hatte. Da war er genau wie Brix. "Werd ich machen. Wir sehen uns dann ja auch noch mal, denk ich." Brix' Augenmerk fiel auf Sonnwinn, und er grinste den Jungen kurz an. "Ja, das stimmt wohl. Und es hätte vermutlich den Vorteil, dass ihr auf einem Wagen mitfahren könnt, nehme ich an." Für Ferun und die Kinder in jedem Falle besser als zu laufen oder einen Wagen zu mieten - oder gar zu kaufen. Soweit Brix informiert war, besaßen die vier zudem nicht einmal ein Pferd, doch das konnte sich auch geändert haben in der Zwischenzeit.


    Über Sivs Verneinung indes war Brix doch erstaunt. Er hätte angenommen, dass sie gepackt hatte und abmarschbereit war, aber offensichtlich war dem nicht so. Er zog die Brauen nach oben und bedachte Siv mit einem langen, fragenden Blick, sagte aber auch dazu nichts weiter. Es gab dafür nur zwei mögliche Erklärungen. Entweder, sie hatte nicht so bald mit seinem Erscheinen gerechnet - oder sie hatte gar nicht damit gerechnet. Zeit hatte sie hier schließlich genug, also zählte diese Ausrede nicht. Wortlos zog sich Brix einen Stugl vor und setzte sich dann doch. "Gut", meinte er. "Ich warte, bis du fertig bist." Was durchaus auch als Aufforderung zu verstehen war. Siv machte allerdings erst einmal keine Anstalten. Brix sah sie einen Moment irritiert an, auch ihrer Frage wegen, und dann warf er einen Blick zu Ferun und Uland, bevor er ihr antwortete. "Ich bin hier, um dich abzuholen. Es gibt ein Zimmer für dich. Du bist jetzt eine freie Frau, Siv. Wenn du nicht mitwillst, musst du nicht. Du kannst auch zurück nach Germanien gehen", erwiderte er aufgeräumt, denn es hörte nicht nur Siv zu.

  • "Werden wir sicher", antwortete Uland mit einem breiten Lächeln und fuhr seinem Sohn durchs Haar, während Brix sich nun Siv zuwandte. Die hingegen wusste immer noch nicht so recht, wie sie reagieren sollte. Sie fühlte sich durcheinander und überfordert, ähnlich wie an dem Abend, als Corvinus plötzlich hier gestanden hatte. Wegen ihr.


    Brix entschied sich dann doch, sich zu setzen, als er begriff, dass Siv nicht vorhatte Finn beim Trinken zu unterbrechen, und sie lächelte ihm vage zu. "Dauert nicht mehr lang", versicherte sie ihm auf seine Worte, dass er warten würde. "Ich glaub er ist bald fertig." Und dann sprach Brix die Worte aus, die sie erstarren ließen. "Brix…" Nicht nur ihr Blick, auch ihre Stimme war jetzt gequält. Es war unfair, fand sie, dass er ihr das sagte, noch dazu vor Uland und seiner Familie, wo sie ihm kaum antworten konnte. Andererseits hätte sie ohnehin nicht gewusst, was sie ihm hätte sagen sollen. Dass sie unsicher war, und verwirrt? Dass sie nicht wusste, was das Richtige war, dass ihr Gefühl sie in dieser Sache gerade völlig im Stich zu lassen schien und sie sich dadurch so hilflos fühlte wie selten? Dass sie Angst hatte? Nein, das kam nicht in Frage, das zuzugeben, auch nicht vor Brix. "Ich war mir nicht sicher, ob… ob das… passiert." Ihre Stimme war nun leise und rau, und ihren Blick hatte sie wieder auf Finn gesenkt, der nun endlich satt zu schien. Siv ordnete ihre Kleidung wieder, während ihr Ferun den Kleinen abnahm, ihn an ihre Schulter legte und ein wenig herumtrug, um ihr die Gelegenheit zu geben ihre Sachen zusammen zu packen. Wie schon bei ihrem Auszug aus der Villa Aurelia vor Wochen dauerte es nicht lange, bis Siv ihre wenigen Habseligkeiten beisammen hatte. Sie hatte das ein oder andere Kleidungsstück inzwischen dazu gekauft, geeignet für die lange Reise, aber alles passte in den Beutel, den sie hatte. Obenauf legte sie das Buch von Corvinus’ Vater, das er ihr geschenkt hatte, dann schnürte sie alles zusammen – bevor sie sich nun an die Germanen wandte, die sie aufgenommen hatten.


    Siv mochte keine Abschiedsszenen. Entsprechend ungelenk und hilflos fühlte sie sich nun, als sie sich zunächst den Kindern zuwandte und sich in die Knie sinken ließ. Sonnwinn starrte sie einen Augenblick lang an, dann schlang er seine Arme um ihren Hals, und Siv umarmte ihn zurück, während sie zugleich auch Lioba zu sich zog. "Besuch uns. Das tust du, ja?" Siv lächelte traurig. "Tu ich", versprach sie, und immerhin, das war nicht gelogen – noch würden sie nicht abreisen, das hatte Uland selbst gesagt. Zeit genug, die kleine Familie noch ein paar Mal zu besuchen, bevor ein endgültiges Lebewohl bevorstand. Sie löste sich von den Kindern und verabschiedete sich auf von Uland, der sie kurz umarmte, und dann von Ferun, die sie ebenfalls in den Arm nahm – ein wenig länger diesmal. Einige wenige Worte des Abschieds fielen, aber keiner von ihnen sagte sonderlich viel, und schließlich nahm Siv Finn wieder und band ihn sich mit einem großen Tuch vor die Brust, so dass er Arme und Beine frei hatte, aber nicht gehalten werden musste von ihr. Und wandte sich schließlich Brix zu. "Ich wär fertig."

  • Brix wartete geduldig und betrieb ein wenig belangloses Gespräch mit Uland und Ferun, während er Sonnwinn einen eierigen Ball mit dem Fuß zurückstieß, wann immer der Junge ihm die Kugel wieder entgegen schoss. Auf Sivs Worte hatte er sonst nichts mehr erwidert. Brix konnte nur ansatzweise nachempfinden, wie das für sie sein musste. Für ihn selbst wäre eine solche Situation nichts gewesen. Er hätte sich wie das fünfte Wagenrad gefühlt, auch wenn er gewusst hätte, dass er das Rad war, das am besten in Schuss war und am meisten gebraucht wurde. Er führte Befehle aus, das war im Grunde auch schon alles. Natürlich, er dachte nach, das konnte ihm auch niemand verbieten. Und wenn ihm etwas auffiel, dann machte er das deutlich. Auf diese Weise war er maiordomus geworden, und die meisten Sklaven akzeptierten das, auch wenn aufmüpfige und uneinsichtige Exemplare nicht nur unter ihnen, sondern auch unter den Aureliern zu finden waren. Bisher jedoch war er ganz gut damit geahren.


    Eine gute halbe Stunde später waren verstohlene Tränen fortgewischt und ein paar tüchtige Umarmungen ausgetauscht. Brix hatte Sivs Bündel genommen, das war selbstverständlich für ihn. Immerhin trug sie selbst Finn. Auch Brix verabschiedete sich noch einmal, wenngleich auch nicht zum letzten Mal, und dann verließen sie die Wohnung der Germanenfamilie, die Siv über einige Wochen hinweg bei sich aufgenommen hatte, um recht schweigsam nach Hause zurückzukehren.

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