cubiculum FC | Eiszeit


  • In Düsternis hatte ich mich seither gehüllt, nach jenem Morgen vor einigen Tagen. Wie viel Tage seitdem genau vergangen waren, konnte ich gar nicht mit Bestimmtheit sagen, denn ich hatte aufgehört, die Stunden und Minuten zu zählen. Da ich nicht einmal den Strahlen der Sonne erlaubte, in mein cubiculum zu kommen, war es deswegen auch schwierig zu sagen, wann es Tag oder Nacht war. Nur wenn es still im Haus wurde, dann wußte ich, es war Nacht.


    Mein cubiculum war zur Rettungsinsel geworden, auf der ich hauste und auf der Totenstille herrschte. Eine Insel aus Eis. Charis hatte seit dem Tag kein Wort mehr mit mir gesprochen. Nur wenn ich sie etwas fragte, gab sie Antwort. Doch kein persönliches Wort mehr, keine Geste, die ihre Besorgnis um mich ausdrückte. Dadurch zeigte sie mir auf deutliche Weise, was sie von mir hielt. Und ich? Versank ich in Scham, weil ich einen Unschuldigen verurteilt hatte? Meine versteinerte Miene ließ nichts erahnen, was in mir vorging. Ob ich einen Kampf in mir austrug, oder ob mir alles gleichgültig war.


    Zu den Mahlzeiten war ich nicht erschienen, denn ich wollte mich nicht den Blicken von Marcus´ Familie aussetzen und noch weniger denen der Sklaven. Das war auch gut so, denn ich ließ mich nicht zurecht machen. Mein Haar hing strähnig an mir herab und ein Nachthemd war meine Galabekleidung. Außerdem war es davon auszugehen, daß das Geschehene bereits allerorts die Runde gemacht hatte. Zumal Phraates´ Bestrafung ein wahrhaftiges Spektakel gewesen sein mußte. Ich konnte es nicht genau sagen, denn ich hatte mich dem ferngehalten. Nur von weitem hatte ich seine Schreie gehört. Gleich am nächsten Tag hatte er die Villa und Rom verlassen. Ich hatte dafür gesorgt, daß man ihn nach Sardinien verfrachtete, um dort auf den Olivenplantagen zu arbeiten.


    Die Einzige, die ich in meiner Gegenwart duldete, war Charis, auch wenn sie gerne darauf verzichtet hätte. Doch sie war meine Sklavin und konnte sich ihren Pflichten nicht entziehen. Mir wurde erst nach ein paar Tagen so richtig bewußt, wie wichtig Charis der Parther gewesen war. Offenbar hatte sie ihn tatsächlich gemocht, oder vielleicht sogar mehr als das. Ich hatte mir nie darüber den Kopf zerbrochen, ob auch Sklaven untereinander liebten. Aber offensichtlich taten sie es. Ich hatte mir also die eigene Sklavin zur Feindin gemacht, weil ich ihren Geliebten in die Verdammnis geschickt hatte und nicht meinen. Nun denn, so war ich also auch von ihr verlassen und blieb allein in meinem Eispalast.

  • "Bitte Herrin, du weißt doch, daß Phraates unschuldig ist! Bitte bewahre ihn vor dem Zorn des Herrn, bitte!" Charis flehte ihre Herrin inbrünstig an. Nur sie hatte Macht, den Parther vor dem Schlimmsten zu bewahren. Das Gesicht der Flavierin blieb jedoch wie versteinert. "Ich werde dafür Sorge tragen, daß man ihn nicht in die Minen schickt. Mehr kann ich nicht für ihn tun.", antwortete Celerina eintönig. Die Makedonierin glaubte, in einem Alptraum zu sein, aus dem es kein Erwachen mehr gab. Die Flavierin hatte ihr einen Stich mitten ins Herz versetzt. Etwas starb in ihr an diesem Tag. Das Vertrauen, das sie in ihre Herrin gesetzt hatte, der Glaube, ihr Sklavendasein hätte seine Berechtigung. An diesem Tag lernte Charis zu verabscheuen und zu verachten....



    ~~~


    Des Schlosses Wände waren gebildet von dem treibenden Schnee und Fenster und Thüren von den schneidenden Winden, da waren über hundert Säle, alle wie der Schnee sie zusammentrieb, der größte erstreckte sich mehrere Meilen lang, alle beleuchtet von dem starken Nordlicht, und sie waren leer, eisig, kalt und glänzend. Nie gab es hier Lustbarkeit, nicht einmal einen kleinen Bärenball, wozu der Sturm aufspielen und die Eisbären auf den Hinterfüßen gehen und dabei ihre Geberden hätten zeigen können; nie eine kleine Spielgesellschaft mit Maulklapp und Tatzenschlag; nie ein klein bißchen Kaffeeklatsch von den weißen Fuchsfräuleins; leer, groß und kalt war es in den Sälen der Schneekönigin. Die Nordlichter flammten so genau, daß man sie zählen konnte, wenn sie am höchsten und wenn sie am niedrigsten standen. Mitten in diesem leeren unendlichen Schneesaale war ein zugefrorener See, der war in tausend Stücke gesprungen, aber jedes Stück war dem andern so gleich, daß es ein wahres Kunstwerk war. Mitten auf diesem saß die Schneekönigin, wenn sie zu Hause war, und dann sagte sie, daß sie im Spiegel des Verstandes sitze, und daß dieser der einzige und der beste in der Welt sei
    aus H.C. Anderssen "Die Schneekönigin"
    .


    Fünf Tage waren bereits vergangen, in denen sich Celerina, einer Mumie gleich in ihrem Mausoleum verschanzt und zu keiner Zeit ihr cubiculum verlassen hatte. Nichts, keinem Lichtstrahl, geschweige denn einem frischen Luftzug war es gestattet, einzudringen. Je länger dieser Zustand andauerte, umso größer wurde es für die Makedonierin zur Überwindung, tagtäglich ihren Dienst zu versehen. Zu ihrer Verachtung gegenüber Celerina kam nun noch der Ekel hinzu.
    Still war es um Celerina geworden, totenstill. Die Makedonierin hatte die Flavierin zu einem Gegenstand degradiert, den man versorgen mußte, dem man aber sonst keinerlei menschliche Wärme schenkte. Phraates Schreie waren das Letzte, was ihr Herz zum brennen gebracht hatte, seitdem war es zu Eis gefroren. Eisig, genau das traf zu. Alles in und um Celerina herum war zu Eis geworden. Eisig, kalt und starr.

  • Die Ruhe, die ich mir durch mein Geständnis erhofft hatte, war zur Totenruhe geworden. Wie ein Fluch lasteten die Schrei des Sklaven noch auf mir. Sie wollten einfach nicht verhallen, obwohl er doch längst die Villa in Richtung Sardinien verlassen hatte. Selbst in den Nächten lag ich wach. Und auch wenn dann Charis bei mir gewesen wäre, wäre doch nur Stille um mich herum gewesen. Diese Stille, sie wurde unerträglich, da sie mich ständig daran erinnerte, was ich getan hatte. Ich mußte raus! Raus... hinaus!


    Barfüßig tappte ich über kalten Boden. In der Nacht wurde das hypocaustum nicht angefeuert. In meiner Rechten hielt ich die kleine flackernde Öllampe. Leise öffnete ich die Tür und suchte mir meinen Weg durch die Gänge der schlafenden Villa.
    Meine Fußsohlen hatten sich mittlerweile an die Kühle des Bodens gewöhnt. Vor Marcus´cubiculum blieb ich stehen. Nein, dieses Vakuum, in dem ich mich befand, war so einfach nicht zu überwinden! Also schritt ich weiter. Ich brauchte Luft!


    Den Weg zum Garten nahm ich und trat hinaus. In den letzten Tagen hatte sich noch einmal der Winter zurückgemeldet. Die Erde war leicht gefroren Raureif lag auf den Blättern Pflanzen. Meinen Füßen kostete es einiges an Überwindung, weiter zu gehen. Der Mond schaute voll und hell auf mich herab. Mein dampfender Atem erinnerte mich daran, daß noch nicht alles in mir zu Eis geworden war. Diese Erkenntnis bewog mich, innezuhalten und mir vor Augen zu führen, wie verkommen doch mein Leben war. Meine Knie knickten zusammen und ich ging zu Boden. Die gefrorenen Eiskristalle, die auf den Spitzen der Grashalme saßen umschmeichelten mein Gesicht. Wie gerne hätte ich jetzt einen lauten Schrei von mir gegeben, um alle Last von mir zu werfen. Mein Schrei, er blieb still...
    Wie lange ich so verharrte, ich konnte es nicht sagen. Auf irgendeinem mysteriösem Weg war ich wieder in mein cubiculum gelangt und war spät in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.

  • Die darauf folgenden Tage gestalteten sich kaum anders. Charis wechselte nahezu kein Wort mit mir, nur wenn ich sie fragte, wie es draußen sei. Doch entweder interessierte sich tatsächlich niemand für mich, weil mich Marcus bei seiner Familie bereits als Ehebrecherin gebrandmarkt hatte oder sie enthielt mir ganz einfach diese Informationen vor. Ich begann nach und nach auf das letztere der beiden Möglichkeiten zu tippen, denn Charis´ Kaltherzigkeit mir gegenüber war keine Sache von ein oder zwei Tagen. Sie dauerte nun schon mehr als eine Woche an. Natürlich hätte ich sie deshalb strafen können,doch ich tat es nicht, weil mein schlechtes Gewissen ihr gegenüber überwog. Erst recht traute ich mich nicht danach zu fragen, wie es Chimerion ging, denn das hätte mit großer Wahrscheinlichkeit das Faß nur zum überlaufen gebracht. Die Erinnerungen an meinen Orpheus waren das einzige, was mir ein wenig Wärme in all der Kälte schenkte. Hätte ich ihn doch nur einmal sehen können, seine Nähe spüren, seine Haut auf meiner! Doch mir schien es einfach zu gefährlich zu sein, wenn ich mich des Nachts zu ihm schlich.
    Je länger ich ihm nachtrauerte, mußte ich erkennen, daß es nun an der Zeit war, etwas zu tun. Auf die Dauer wurde es zu gefährlich für ihn in diesem Haus. Eine Lösung mußte her!
    Wenn Marcus hinter meine Lüge kam und den wahren Namen meines Liebhabers erfuhr, dann würde seine Wut noch um ein vielfaches größer sein, als es bei dem bedauernswerten Parther gewesen war.

  • Es war nicht ihr Orpheus, der sie eines Nachts besuchen kam. Es war ihr Ehemann, und er sagte kein Wort. Mechanisch ging er seiner ehelichen Pflicht nach, damit sie nicht erneut darüber klagen könnte, er hätte dies versäumt. Mechanisch suchte er, seinen Samen in ihr zu betten, damit sie sein Kind trüge und nicht das eines anderen, obdessen er sich darob niemals würde sicher sein können. Sein Atemgeräusch war das einzige, das sie zu hören bekam. Nicht ein Wort sprach er mit ihr, gänzlich konzentriert auf das, was er tat. Er war nicht grob, doch ebensowenig zärtlich. Er verrichtete seine Pflicht gewissnhaft und sorgfältig, doch tat er nichts, was darüber hinaus ging. Und nicht einmal eine halbe Stunde lag er bei ihr, ehe er sich stumm erhob, wortlos ankleidete und schweigend wieder verschwand, um sich ein paar Zimmer weiter wieder einmal dem Wein zu widmen und einen Weg zu suchen, sich selbst zu betäuben.


    Dies waren die bisher schwärzesten Tage dieser Ehe, und das Glück anderer zu beobachten, stürzte zumindest mich selbst noch weiter ins Dunkel. Es war der vierte Tag seit Sivs Verschwinden.

  • Ich lag wach, als er in der Nacht zu mir kam. Schemenhafte Umrisse waren es nur, die ich sah, in die Stille der Nacht getaucht. Sein Duft verriet ihn. Mich befiel eine Furcht, er könne sich gewaltsam nehmen, was ich nicht bereit war, zu geben. "Marcus?", fragte ich in die Stille. Doch eine Antwort blieb mir verwehrt.
    Er legte sich zu mir und begann, ohne Umschweife, ohne den Austausch von Zärtlichkeiten, das zu tun, weswegen er gekommen war. Ich wehrte mich nicht, lag einfach nur da und ließ mich benutzen. Der Hauch seines Atems traf mein Gesicht. Ich hörte sein Schnaufen. Lustvoll war es nicht. Für den Augenblick befriedigend. Nachdem er sich genommen hatte, wonach er gesucht hatte, verweilte er nur sehr kurz, bis sich sein Atem wieder reguliert hatte. Immer noch Stille. Kein Wort. Dann ging er. Das rascheln seiner Kleidung vernahm ich noch, das Öffnen der Tür und das Schließen derselben.
    Wieder war ich allein. Benutzt, wie eine lupa. Lautlos liefen mir Tränen über die Wangen. So lag ich wach.

  • Die langen schlaflosen Nächte blieben nicht ohne Folgen. Und auch der nächtliche Besuch meines Ehemanns tat das Seine dazu. Zwei Tage waren seitdem bereits vergangen. Zwei Tage, an denen ich begonnen hatte, das Essen zu verweigern. Bei dem bloßen Geruch von gesottenem Fleisch oder beim Anblick von kunstvoll angerichteten Meeresfrüchten wurde mir nur übel. Nicht einmal für Obst konnte ich mich begeistern. Mich widerte alles an und auch die Sklaven, die sich in mein Reich hinein wagten, widerten mich an, so dass ich sie lautstark wieder hinaus schickte.
    Die Müdigkeit ergriff mich, aber schlafen konnte ich nicht wirklich. Es schmerzte mich, die Augen offen zu halten. Von Zeit zu Zeit übermannte es mich doch und ich fiel in eine Art Schlaf, der aber nur kurz anhielt. Ich begann plötzlich Dinge zu sehen, die nicht sein konnten, die mich fürchteten. Daraufhin begann ich, mir Seltsames einzubilden. Was wahr oder falsch war, ich wußte es nicht mehr zu unterscheiden. Dies mußte der erste Schritt zum Wahnsinn sein.


    Die Tage vergingen und mit ihnen ging auch mein Mut, zu Leben.
    In meinen wachen Momenten glaubte ich manchmal, Gestalten um mich herum zu sehen. Gestalten, die mich beobachteten, um berichten zu können, was ich trieb und wie es um mich stand. Ob sie real waren oder nicht, ich war nicht im Stande, dies zu beurteilen. Ich glaubte Stimmen zu hören. Leise Stimmen, die etwas flüsterten.
    Und dann eine Stimme, die ich lange nicht vernommen hatte. Sie hatte sich erbarmt, auch wenn ich es nicht verdient hatte. Doch mein erbrämlicher Zustand hatte ihr Herz erweicht. "Du mußt etwas Essen, Herrin! Bitte!"
    Langsam öffnete ich meine Augen und erblickte Charis´ besorgtes Gesicht, das direkt über mir war. Ihr Anblick rührte mich.
    Aufopfernd versorgte sie mich. Ich aß und trank wieder. Ein feuchtes Tuch ging durch mein Gesicht und dann über meinen ganzen Körper. Es wusch den Schmutz hinfort. Ich spürte den kühlen Hauch auf der feuchten Haut. Ein Kamm ging durch mein Haar.
    Ich lebte noch.

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