Wo bleibt sie nur?!, murmelte Cara ärgerlich. Sie stand am Rand eines kleinen Marktes und wartete. Wartete nun schon seit geraumer Zeit darauf, dass ihre Leibsklavin Sophie mit einem geeigneten Führer zurückkehrte, der ihnen den Weg zur Casa Iulia würde weisen können. Da sie wusste, dass sie von Natur aus ein eher ungeduldiger Mensch war, rief sie sich erneut zur Räson – so lange konnte sie hier noch gar nicht stehen und warten. Die Griechin würde bestimmt bald zurück kommen. Fröstelnd, zog sie die Pala enger um sich.
Einige Stunden zuvor hatte die junge Frau noch einträchtig mit Sophie in einer Kutsche auf dem Weg nach Rom gesessen. Keinen Moment lang hatte die Griechin ihren Schützling aus den Augen gelassen, während das Gefährt über die holprige Straße dahin brauste und sie gehörig durchschüttelte.
„domina, geht es dir gut? Fühlst du dich unwohl?“, erkundigte sie sich gewissenhaft und erntete sogleich ein schelmisches Lächeln aus einem Paar wacher blauer Augen. „Sieht man das etwa nicht?“, erwiderte sie belustigt. Sophie blinzelte irritiert, konnte nicht entscheiden, ob sie damit nun meinte, dass es ihr gut oder schlecht ging, denn ihre domina war immer noch reichlich blass, wirkte zerbrechlich hager, gezeichnet von dem hohen Fieber, gegen das sie vor ein paar Wochen noch wie eine Löwin gekämpft hatte. Das war auch der Grund gewesen, weshalb sie zu spät zur Verlobungsbekanntgabe ihres Verwandten Lucius Iulius Centho gekommen war, die für sie aufgrund der Tatsache, dass sich die Familie sammelte, die beste Möglichkeit ihres Einstandes in Rom gewesen wäre. Sogar Caras Bruder war zu diesem Anlass nach Rom gekommen! Auch jetzt noch war ihre Mutter alles andere als angetan davon gewesen, ihre Tochter auf die Reise zu schicken, hatte dann aber Caras Beharrlichkeit nachgegeben. Ein Glück für Sophie, dass ihre Herrin über so viel Eigensinn verfügte, denn nur so war es möglich geworden, jenen tollkühnen Plan in die Tat umzusetzen, den sie zusammen mit Barchias einem Sklaven, den sie kennen gelernt hatte, als sie vor zwei Jahren auf dem Sklavenmarkt an die Iulier verkauft worden war, ausgeheckt hatte. Barchias! Allein schon bei dem Gedanken an ihn spürte sie, wie Hitze in ihr aufstieg, wie Gänsehaut ihre Gliedmaßen überzog und ihr Magen ganz flau wurde!
Da Cara anscheinend wieder recht angriffslustig aufgelegt war, entschied sie sich dafür, dass es ihrer domina wohl gut gehen musste. So gut, wie es einem eben nach dieser wahnsinnig langen Reise ergehen konnte. Sie selbst spürte jeden einzelnen ihrer Gesäßmuskeln.
„Bitte sag mir aber sofort , wenn du dich nicht gut fühlst!“, Es war ehrlich Sorge, die aus der jungen Griechin sprach. Innerlich kämpfte sie jedoch mit widerstreitenden Gefühlen. Sie hatte Angst davor, der Plan könnte scheitern, war erfüllt von einem schlechten Gewissen gegenüber Cara, die sie ehrlich ins Herz geschlossen hatte und erzitterte unter dem sie immer wieder zum Erschaudern bringende „Barchias“, das eine Welle aus Freude, Zuneigung – und auch Trotz – in ihr hervorrief. Was schuldete sie denn diesen Römern? Nicht! Versklavt hatten sie sie! In Ketten gelegt hierher gezerrt, in ein Land, das nicht das ihre war! Sie holte sich nur zurück, was ihr ohnehin gehört hatte: Ihre Freiheit, ihre Liebe!
„Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut! Ehrlich!“, entgegnete Cara, als sie an einem der großen Tore hielten, die in die Ewige Stadt führten und Sophies Herz begann noch heftiger in ihrer Brust zu schlagen, als es ohnehin schon tat. Nicht mehr lang! Rief sie sich in Gedanken selbst zu und krallte für einen Moment die Finger in den Stoff ihrer Pala, sodass die Knöchel weiß hervortraten, um dem Druck, der sich zunehmend in ihr auftürmte, standhalten zu können. Ein Glück, dass es Cara nicht sah.
Da es tagsüber nicht gestattet war, mit dem Wagen durch Rom zu fahren, ließen sie das Gefährt am Tor zurück und machten sich zu Fuß auf in hinein in die Stadt. Man hatte Sophie vor ihrer beider Abreise einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem in der feinsäuberlichen Schrift des Schreibersklaven die Wegbeschreibung zur Casa Iulia beschrieben worden war. Daran hielt sich die junge Griechin akribisch. Sicher führte sie ihre Herrin mit vor Nervosität pochendem Herzen durch die Straßen, während ihr domina Cara folgte, den Kopf in den Nacken gelehnt; Fasziniert mal hier, mal dort hinschauend. Mogontiacum im Herzen Germanias – oder das Herz? - war eigentlich weder als klein noch als ländlich, sondern allenfalls als barbarisch angehaucht zu bezeichnen. Auch dort gab es eindrucksvolle Gebäude zu bestaunen, schöne Tempel zu sehen und große, einladende Märkte zum Bummeln. Und doch war Cara gefesselt wie von einem seltenen Tier.
„Sophie! Hast du das gesehen?“, rief sie begeistert, als ein großer bärtiger Mann einen Korb mit exotischen, bunten Vögeln vorbei trug. Offensichtlich waren sie ganz nah an einem der Märkte der Stadt. Sophie sah die Freude in Caras Gesicht aufleuchten. Ihre Augen strahlten in einem besonders intensiven Blau und ihre Wangen waren gefangen von einer zarten Röte. Für einen Moment sank Sophie der Mut in die Sandalen. Sie konnte dieses Mädchen nicht allein lassen. Konnte sie nicht im Stich lassen. Cara war stets gut zu ihr gewesen und würde sie auch weiterhin gut behandeln. Überhaupt wo sollten Barchias und sie auch hin? Wie sollten sie an Geld kommen? Sich über Wasser halten? Die Freiheit erschien ihr auf einmal so unermesslich groß. Ein Monster, das sie in aller Zügellosigkeit aufzufressen drohte. Aber dann dachte Sophie an das „sie“. „Wir“. Barchias. Sie war nicht allein. Und wenn sie nicht mehr weiter wusste, würde er schon einen Weg finden, da war sie sich sicher.
„Das ist aber ein hübscher Markt“, bemerkte Cara. Die enge Straße hatte sie auf einen kleinen Platz hinaus gespuckt, auf dem zahlreiche Stände in die Höhe ragten. Verkäufer priesen mit lauter Stimme ihre Waren an: Körbe, Amphoren, Hühner. Hauptsächlich Alltagsgegenstände. Dazwischen aber auch so mancher Stoff-, und Schmuckstand. Sophie wusste, dass ihre domina insgeheim die Summe an Geld überschlug, die sie dabei hatte. Alle jungen Mädchen mochten es, einzukaufen. Cara war da keine Ausnahme. Der Zeitpunkt für einen Bummel war aber alles andere als günstig. Mit einem raschen Blick überflog Sophie nochmals den Markt. Es war genügend los und auch das Forum Romanum war nicht mehr allzu weit, wie sie auf der kleinen Zeichnung sehen konnte. Besser wurde es nicht. Sie blieb stehen, hörte, wie das Blut in ihren Ohren pulsierte, spürte die Fingerkuppen pochen, die Knie wie Brei. Mit feuchten Händen drehte sie die Karte und versuchte einen hilflosen Eindruck zu machen. Wie beabsichtigt merkte er Iulia Cara. „Was ist? Sind wir falsch?“, fragte sie und trat näher an Sophie heran. Die Sklavin vernahm den abwesenden Klang in ihrer Stimme. Das Geschehen um sie herum lenkte die junge Frau ab. Sie blickte zwei Mitgliedern der Cohortes Urbanae hinterher, die über den Platz patrouillierten. Hoffentlich würden sie nicht bleiben!
„Nein, das glaube ich nicht. Es ist nur....“
„Darf ich sehen...“, Cara wollte schon nach der Zeichnung greifen,
„Am besten, ich frage mal nach..“, entgegnete Sophie hektisch und zog die Karte zurück. Eine Spur zu schnell, zu nervös. Sie konnte es in Caras Gesicht lesen. Überrascht hob die Iulia die Brauen, so als wollte sie sagen „Ist alles in Ordnung?“
Innerlich tadelte sich Sophie dafür: Du dummes Huhn- du machst noch alles zu Nicht! – und biss sich zerknirscht auf die Unterlippe.
„Am besten du bleibst hier, domina. Ich werde jemanden suchen, der uns zur Casa bringen kann.“ Dieses Mal wartete sie Caras Einverständnis ab, bevor sie handelte. Noch eine Unachtsamkeit konnte sie sich nicht leisten. Die junge Frau musterte sie erst aufmerksam und nickte dann. Für die Griechin war es fast eine halbe Ewigkeit.
„Ich bin gleich zurück!“, meinte sie lächelnd, überrascht darüber, wie einfach und sicher ihr diese Lüge über die Lippen gekommen war, wo sie innerlich doch bebte und zitterte. Sie ging in Richtung der Stände davon. Erst als sie wusste, dass sie außer Sichtweite Caras war, erlaubte sie sich, ihre Schritte ein klein wenig zu beschleunigen. Sie bog nach links, umrundete den Platz, durch die Stände in der Mitte geschützt, an dessen Rückseite zur Hälfte und schlüpfte in den Schatten einer der Seitengassen. Sofort fand sie domina Cara, die mit ihren rotblonden Haaren aus der Menge heraus stach wie ein bunter Vogel. Sie stand dort, vertrauensvoll auf ihre Rückkehr wartend. Das Bild versetzte ihr einen Hieb ins Herz. Denn genau das würde sie nicht, wenn alles gut ging. Und wenn nicht, nun, dann war sie ohnehin dem Tod geweiht. In dem Moment, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, merkte sie, dass sich ihr Herz beruhigt hatte und absolut ruhig ging. Ja, du bist gefasst, dachte sie. Cara würde den Weg in die Casa auch allein finden, da war sie sich sicher. Sie war ein kluges Mädchen. Die Götter würden ihre Schritte leiten – und hoffentlich auch ihre eigenen. Mit einem letzten Blick auf Iulia, fasste sie sich ein Herz, drehte sich um und lief ihrem neuen Leben entgegen.
Irgendetwas war hier grundlegend falsch. Wieder waren einige Momente verstrichen und noch immer war nichts von der Sklavin zu sehen. Sie war eigentlich kein Mensch, der sich viele Sorgen machte. Aber das Ausbleiben Sophies beunruhigte sie. Es war absolut untypisch für die Griechin so lange fortzubleiben. Normalerweise war sie wenige Augenblicke nachdem man nach ihr rief stets zur Stelle. Außerdem wusste sie ja, das Cara eine gewisse ungeduldige Ader besaß. Da ihr zunehmend kalt wurde, begann sie ein wenig auf- und ab zu gehen. Noch dachte sie nicht einmal daran, dass ihre Sklavin getürmt sein könnte. Als das Warten jedoch allmählich fast zur Qual wurde – auch wenn sie stets behauptete, ihr ginge es hervorragend, fühlte sie sich immer noch reichlich schwach und entkräftet - , beschloss sie mit einigen ärgerlich Flüchen nach der Sklavin zu suchen. Langsam schlenderte sie die Stände entlang, erkundigte sich sogar bei dem einen oder anderen Passanten, ob sie die kleine, dunkelhaarige Frau gesehen haben mochten. Je weiter sie ging und je mehr Menschen sie fragte, desto mehr wuchs die leise aufkeimende Vermutung, bis sie schließlich zur Gewissheit wurde: Sophie war auf dem ganzen verdammten Markt nicht zu finden. Sie war fort. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Ihre Sklavin war einfach davon gelaufen, sie hatte sie im Stich gelassen und das, obschon sie wusste, dass sie noch nicht vollständig genesen war. Sie fühlte sich betrogen und aus dieser Empfindung keimte erste Wut. Betrogen! Von Sophie! Sophie, der sie so viel anvertraut hatte! Sie bald die Hand unauffällig zur Faust – und rief sich im nächsten Moment zu Vernunft. Es hilft dir nicht, dich jetzt zu ärgern, sagte die Stimme in ihrem Kopf. Aber was tun? Klar, zur Casa musste sie gelangen. Cara ließ den Blick über den Markt streifen. Noch immer war er von zahlreichen Menschen bevölkert. Vielleicht konnten die ihr helfen. Sie war nicht auf den Mund gefallen und auch nicht sonderlich scheu. Dennoch konnte es heikel werden. In der Regel waren junge Frauen nicht allein in der Stadt unterwegs und hatten, wenn nicht einen Custodes, dann doch eine Sklavin dabei, die über sie wachte. Dummerweise ist dir deine ja weg gelaufen, dachte sie finster. Ihr blieb nicht anderes übrig. So schritt sie auf einen der Passanten zu, die ihr freundlich und vor allem ehrenhaft – nicht so verlogen wie Sophie – vorkamen und sprach ihn an. „Verzeih guter Herr! Ich suche den Weg zur Casa Iulia...“
über einen Führer würde sich Cara freuen, wer also Lust hat, ist herzlichen willkommen zu posten;)