Edles Wild. Ein Claudier auf Menschenjagd.

  • Ich kenn einen Jäger, man heißt ihn "Tod":
    Seine Wang ist blass, sein Speer ist rot,
    Sein Forst ist die Welt, er zieht auf die Pirsch,
    Und jaget Elen und Edelhirsch.
    - Fontane


    Einige Tagesreisen südlich von Alexandria


    Flaches Land. Kahl. Öde. Schroffe Felsschollen. Türmen sich am Rande des seichten Salzsees. Der Wind hat wie ein Messer in die Felsen hineingeschnitten. Bizarre Formen geschaffen. Schluchten. Kegel. Statuen. Bändermuster aus Erdgeschichte. Rohe Schönheit.
    Eine einzelne Spur. Zieht sich am Ufer entlang. Bloße Füsse. Von Norden her kommend. Die Abdrücke sind unregelmässig. Dazwischen rotbraune Schlieren. Tropfen. Dunkle Sprenkel im Staub. Eine tiefere Mulde am Saum des Gewässers. Hier haben sich Knie in den Sand gestützt. Das Wasser ist salzig. Brackig. Ungenießbar. Die Spur führt weiter. Verschwindet im Wirrwarr der Felsen.
    Still liegt die Einöde. Die Sonne hoch am verhangenen Himmel. Opalen widerscheint sie auf dem trügerischen Gewässer. Ein Windstoß lässt Sand rieseln. Große Eidechsen liegen auf den heißen Steinen.Träge. Schiefergrau. Die Zeit steht still.


    Bis das Bellen von Hunden erklingt. In der Ferne. Sich schnell nähernd. Pferde. Reiter. Verschwommene Schemen gewinnen Gestalt. Eine Jagdpartie ist es. Laut und vielköpfig. Flink huschen die Eidechsen davon. Sie verkriechen sich in den Ritzen der Felsen.
    Die stahlgrauen Augen sind hart. Unverwandt auf die Fährte gerichtet, des Wildes, das Cethegus seit Tagen verfolgt. Auf dem Rücken eines stolzen Araberhengstes reitet der Claudier an der Spitze seiner Schergen. Ein wallendes Gewand von hellem Leinen, Stoffbahnen um Kopf und Mund geschlungen, schützen ihn vor Staub und Sonne. Lassen ihn beinahe einem Beduinen gleichen. An seinem Sattelknauf hängt der Jagdbogen und ein Köcher, reichlich mit Pfeilen versehen. Daneben der lange Jagdspieß. Edle Windhunde umspringen die feinnervigen Beine seines Hengstes.
    Dem Claudier folgt ein kleiner Ägypter. Schmal wie eine Klinge. Ein begnadeter Sklavenjäger. Sobekemhet ist sein Name. Schon oft hat er dem Patrizier gedient, und bisher hat er sein Ziel noch immer zur Strecke gebracht. Die Spur des flüchtigen Meroers zu finden war nicht schwer. Doch diesmal hat der Claudier die Verfolgung höchstselbst aufgenommen. Begleitet von einem gewaltigen Tross. Diener. Bettsklavinnen. Hundeführer. Treiber. Jäger. Wächter.


    Am Rande des Salzsees verhält Cethegus sein Pferd. Blickt herab auf die Abdrücke am Wasser. Die feine Blutspur. Die Salzkrusten, die sich am Saum des Gewässers abgesetzt haben. Kristalle. Wie Eis. Der Hengst senkt den Kopf. Wittert. Verschmäht die Flüssigkeit. Cethegus lächelt. Lässt sich einen Schluck klares Wasser aus einer reichverzierten Kalebasse reichen. Es ist eine Lust zu leben.
    Als er die Nachricht bekam. Vom Verschwinden der beiden Sklaven. Da hat er getobt. Gewütet. Sein kleiner Lyraspieler. Sein Kunstwerk. Sein Antidot gegen das Banale, gegen den Überdruss. Fort! Der Meroer muss ihn entführt haben. Ihr an einen Sklavenhändler verkauft haben, um seine Flucht zu finanzieren. Cethegus vermag es kaum zu glauben, dass der zage Jüngling selbst geflohen sein könnte... Doch man wird sehen. Diese Sklaven sind unberechenbare Wesen.
    Das Toben währte nicht lange. Wie ein frischer Wind wehte die Nachricht von der Flucht in die Villa Eos hinein. Wirbelte den schalen Dunst des Sichtums mit sich fort. Auch wenn sein Körper noch immer geschwächt ist. Ausgezehrt. Cethegus' Lebensgeister sind neu erwacht.
    Endlich. Ein klares Ziel. Den ruchlosen Meroer zur Strecke bringen. Seinen Goldjungen wiederfinden. Schon immer war der Claudier ein leidenschaftlicher Jäger. Nun kann er seiner Passion auf das vergnüglichste frönen. Denn kein edleres Wild gibt es, als den Menschen. Dieser Meroer. Kraftvoll. Gestählt. Zäh. Verschlagen. Schon am Vorabend meint Cethegus, ihn in die Enge getrieben zu haben. Verwundete ihn mit einem Pfeilschuss. Doch der Schwarze entkam. Eine herrliche Kreatur. Eine würdige Beute.


    Cethegus nimmt den Jagdspiess vom Sattel. Ein kaltes Glitzern liegt in seinen Augen. Als er sein Pferd mit leichtem Schenkeldruck weitergehen lässt. Auf der Spur des Gejagten. Treibt er es in das Labyrinth der Felsen.


  • “Apedemak, Löwenköpfiger! Gib mir Löwenkraft! Die Leber des Feindes will ich dir schenken, blutig und frisch.“
    Auf schrundigem Fels steht der Meroër. Barfuss. Durst verkrustet seine Lippen. Quält ihn. Frisches Blut sickert aus der Beinwunde vom gestrigen Tage. Die ihn schwächt. Verlangsamt. Hier im Labyrinth der Felsen gibt es kein Entkommen. Doch er ist kampfbereit. Trägt einen Speer von Bambusrohr. Scharfkantiger Silex bildet die Spitze.
    Rote Erde. Von großen schwarzen Händen zerrieben. Staub, den der Wind davonträgt. Wie die Worte des Gejagten.
    “Amesemi, Falkenfrau! Sonnengekrönte, blende den Feind, damit ich ihn töten kann. Seine Hände will ich abschlagen und sie in deinen Tempel bringen. Dort sollen sie deinen Gürtel zieren.“
    Die Götter bleiben stumm. Die Sonne brennt vom Himmel. Der Meroër erklimmt einen Felsen, kauert sich hinter einen Vorsprung. Späht nach dem Feind. Selbstsicher kommt der Römer geritten. Gefolgt von seinen Leuten. Den Hunden. Der Meroër umfasst den Schaft seines Speeres. Genau am Schwerpunkt. Macht sich sprungbereit.

  • Im Felsgewirr haben die Spuren sich verloren. Der Claudier durchstöbert die Schluchten. Scharf eingegrabene Wege im Stein. Die Felsen atmen Gluthitze. Sand hat die Ränder glatt geschliffen.
    Der Jäger Sobekemhet geht neben Cethegus' Pferd. Dahinter die Hundeführer. Die hochgezüchteten Windhunde leiden unter der Hitze. Hecheln angestrengt. Doch nun schlägt einer an. Dann ein zweiter. Das Gebell tönt durch die Schluchten. Ein Echo hallt zurück. Irgendwo bröckelt ein Stein. Poltert zu Boden. Cethegus lauscht. Späht mit schmalen Augen nach dem Wild. Sein Blick geht nach oben. Zum Rande des Felsens. Trifft auf die lodernde Sonnenscheibe. Gleißend. Blendend. Als er die Hand hebt, um die Augen zu beschirmen – ein Schatten.
    Raubtierschnell erhebt sich die Silhuette vor dem Licht. Stürzt sich von oben auf den Claudier. Er reißt das Pferd herum. Entgeht dem Speer. Doch der Angriff reißt ihn aus dem Sattel. Ein hartes Schmettern auf den Fels. Funkengarben, eine Explosion von Sternen. Der Blitz, die Silexspitze fährt herab. Cethegus rollt sich zur Seite. Umgreift den Schaft hinter der Speerspitze, um sich der Waffe zu erwehren. Da stürzt die Hundemeute heran. Bellend und zähnefletschend gegen den Meroër. Der schwingt sich auf des Claudiers Pferd und sprengt davon.
    Cethegus richtet sich auf. Wischt sich Dreck und Blut aus dem Gesicht. Greift nach seinem Jagdspeer. Und lacht. Lauthals. Ein wildes Lachen.


    “Meiner Treu. Was für eine herrliche Bestie!“


    Fast ist er versucht, ihn entkommen zu lassen. Um die Jagd noch weiter führen zu können. Aber nur fast. Cethegus holt aus. Fixiert den Rücken des Flüchtenden. Der im Galopp auf und nieder schwingt. Gleich wird er um eine Biegung verschwinden. Mit starkem Arm wirft Cethegus den Speer. Er bohrt sich in die Schulter des Meroërs. Streckt ihn nieder. Hinterrücks.


    Der Claudier tritt heran. Sieht auf ihn herab. Noch atmet der Wilde. Doch die Jagd ist vorbei. Cethegus setzt ihm den Spieß an die Kehle. Den Fuß auf die Brust. Blickt selbstzufrieden auf die erlegte Beute.


    “Wo ist der Junge? Sprich, Unseliger!“


    Falls er überhaupt sprechen kann? Er kann.


    “Er ist tot. Verschmachtet. Verscharrt in der Wüste...“ lügt der Sterbende mit seinem letzten Atemzug. Zorn flackert in Cethegus auf. Er durchstößt dem Meroër die Kehle. Wendet sich ab. Will es nicht leiden, dass sein virtuoses Kleinod für immer verloren sein soll.


    Des Meroërs Augen brechen. Die Sonnenscheibe spiegelt sich in ihnen wider. Erfüllt sie mit goldenem Glanz. Der Wind frischt auf. Schon bald wird ein Leichentuch von Sand den Körper bedecken.


    “Wir gehen.“


    Ein Diener hat Cethegus' Pferd zurückgebracht. Finster dreinschauend schwingt der Claudier sich in den Sattel. Nun spürt er die Müdigkeit. Die Spuren des Sturzes.
    Die Jagdpartie macht sich auf den Heimweg. Zurück nach Alexandria.

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