atrium | Das Leben nach dem Tod

  • Nicht den Tod sollte man fürchten,
    sondern dass man nie beginnen wird,
    zu leben.

    - Marcus Aurelius



    Die Zeichen des Winters verschwanden jeden Tag immer mehr, die Kälte wich einer warmen Brise, welcher dieserzeit über Rom strich. Der Himmel war blau, frei von dunklen, erdrückenden Wolken. Avianus jedoch hatte heute keinen Grund, hinaus zu gehen, das seit langem wiedergekehrte, gute Wetter zu genießen. Dafür war er heute zu nachdenklich. Sein Leben nahm eine Wendung... er wollte in den Senat, und er hatte viele Unterstützer, doch darum ging es ihm in diesem Moment nicht. Er spazierte gedankenlos im Atrium, lustwandelte eher, dachte über Dinge nach, die ihn schon seit seiner Jugend quälten. Er suchte jemanden. Diesen speziellen Jemand. Den man suchte. Aber man fand ihn nicht. Es beschäftigte ihn schon seit Langem, doch nie fand er die Lösung für seine ungeklärten Fragen. Wütend war er, zornig auf andere Leute. Leute, die er nicht einmal kannte, über die er jedoch Anhaltspunkte hatte, von denen er nur wusste, dass sie seinen Vater damals getötet haben. Und er war zornig. Sehr sogar.
    Über seine Unfähigkeit, jemanden zu finden, den er finden musste. Doch was sollte er tun, wenn er diesen speziellen Jemand gefunden hatte, diesen Mörder? Würde er ihn ermorden? Vielleicht wollte er nur die Antwort auf eine Warum-Frage. Avianus blieb stehen und seufzte, strich sich mit der Hand durch die Haare. Er sollte sie sich wieder schneiden lassen. Wie eine von diesen dunklen Gestalten in der Subura lehnte er sich an die Wand in einer dunklen Ecke, stand ruhig da, mit seiner Mischung aus Trauer, Wut und Ratlosigkeit.


    Sim-Off:

    So... ist nicht als Alleinspielthread angelegt. Freue mich echt, wenn sich jemand dazugesellt. :)

  • Tief in Gedanken versunken, wanderte Narcissa durch die Villa. Sie dachte nicht darüber nach, wohin sie ging, ließ sich stattdessen von ihren Füßen dorthin tragen, wohin sie sie führen mochten. Von ihrem Zimmer in die Bibliothek, hinaus in den hortus, weiter durch die exedra. Noch immer drehten sich ihre Gedanken um diesen merkwürdigen Fund im Zimmer ihrer Schwester. Messer und Styrax, ließen sie nicht los, regten ihre Fantasie an. Wer hatte die Sachen dort versteckt? Ein Sklave? Ein Verwandter? Und warum? Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe. Das atrium öffnete sich hell und einladend. Der Gedanken an die Flecken auf der scharfen Klinge ließen sie erschaudern. Vielleicht war es ein Raubmord gewesen und das Opfer trieb nun aufgedunsen und grün im Tiber? Die Fantasie ging mit ihr durch! Mach dich nicht selbst lächerlich, Narcissa!, dachte sie ärgerlich. Ruckartig verhielt sie ihre Schritte. Etwas drang in ihr Bewusstsein. Sie war nicht allein. Überrascht sah sie auf. Ah, dort! Kein Wunder, dass sie ihn nicht sofort gesehen hatte. In einer dunklen Ecke lehnte er an der Wand, ein überschattetes Gesicht, und wirkte wie eine jener düsteren Gestalten, die wohl des Nachts in der Subura herum schlichen. Wer war er? Bisher hatte sie ihn in der Villa nicht gesehen. Seine Augen ruhten auf ihr. War das Wut, die sie da in seinem Blick sah? Oder Trauer? So richtig konnte Narcissa das nicht einschätzen, wohl aber, dass es ihm nicht gut ging und dass ihn etwas beschäftigte. "Salve!", grüßte sie ihn und kam näher. "Ist alles in Ordung?", fragte sie vorsichtig - auch wenn sie die Antwort bereits in seinem Gesicht lesen konnte...

  • Aus den Gedanken gerissen und etwas benommen fühlte sich Avianus eher gestört, als Narcissa ihm näher kam. Er hegte keine Antipathien für seine Verwandte, nein, im Gegenteil. Eher aus Verschlossenheit wich Avianus zurück, als die Aurelierin ihn begrüßte, ihn herausriss aus seinen Gedanken und ihm näher kam, zu nahe. Beinahe sprunghaft vollführte er einen Satz nach hinten. Er seufzte, als er in einer helleren Ecke stehen blieb und signalisierte Narcissa unweigerlich mit der Hand, ihn in Ruhe zu lassen.
    Ob alles in Ordnung sei... ja, das war eine gute Frage. Eigentlich war Avianus in Ordnung, zumindest nach körperlicher Hinsicht betrachtet. "Narcissa?", echote er, "Ähm... ach. Alles in Ordnung. Wirklich." Er versuchte es zumindest, ehrlich zu wirken, man hätte ihm also keine Vorwürfe machen können, dass er es sich zu leicht mache. Doch seine Augen sprachen anders, verrieten ihn auf das Übelste, denn sie drückten aus, dass Avianus etwas beschäftigte. Müde Augen waren es, die Narcissa ansahen, in einem unsicheren, allem überdrüssig scheinenden Gesicht, das einem unweigerlich den Eindruck vermitteln musste, dass es dem jungen Aurelier alles Andere als "In Ordnung" ging. Seine Augen waren etwas errötet, denn er hatte schlecht geschlafen. Ein leichter, blauer Rand lag unter seinen Augen und ein stoppeliger Dreitagebart lag ihm auf dem Gesicht. Wäre wohl kein Wunder gewesen, wenn sich Narcissa nun Gedanken macht... Avianus hätte das wohl selbst getan, würde er sich im Spiegel betrachten.
    "Kann ich dir helfen? Irgendwie?"

  • Wie ein angeschossenes Tier blieb Narcissa abrupt stehen und verharrte an Ort und Stelle. Erst jetzt, da er in eine hellere Ecke des Atriums zurückwich, erkannte sie ihn. "Tiberius", Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Bisher hatten sie sich nur ein oder zwei Mal hier in Rom gesehen, kannten sich aber durch den einen oder anderen Besuch schon von früher. Heute legte der Aurelier jedoch ein äußerst merkwürdiges Verhalten an den Tag und hatte so gar nichts mehr gemein mit dem selbstsicheren jungen Mann, als den sie ihn kennen gelernt hatte. Etwas war mit ihm geschehen. Und dieses Etwas beschäftigte ihn nun. Selbst ein Blinder konnte das in seinen Augen lesen. Sie waren müde und matt. Kein Wunder also, dass die junge Aurelia ihm kein Wort glaubte. "Nein, ich war nur in Gedanken", eriwderte sie und unterdrückte den impuls ihm wieder näher zu kommen. Unsicher blieb sie stehen und schlang das Tuch, welches sie über den Schultern trug etwas enger um sich. Natürlich hätte sie jetzt einfach weitergehen können, hätte ihn allein lassen können, aber der junge Tiberius machte auf Narcissa einen so verstörten Eindruck, dass sie nicht einfach gehen konnte. "Aber kann ich dir irgendwie helfen?", Er sah so aus, als habe er eine ganze Weile schon nicht mehr geschlafen...

  • Sim-Off:

    Sorry für die späte Antwort ;)


    Wenn Avianus immer selbstsicher war, hatte dies auch seine Gründe - entweder man hatte dies von ihm erwartet oder aber er musste es sein, weil es für ihn selbst erforderlich war. Von Grund auf war Avianus selbstsicher, doch diese Sicherheit wurde gestört, als er vor Jahren seinen Vater verlor. "Ja, der bin ich", antwortete die Gestalt oder auch Avianus. Er kannte Narcissa schon seit einer Weile, obwohl sie sich nicht oft in Rom gesehen hatten. Und weil er sie kannte, wusste er ganz genau, dass er die Verwandte nicht einfach hätte wegschicken können. Sie wäre nie gegangen, ohne Avianus' Sorgen auf dem Grund zu gehen. Manchmal war das gut, wenn man mit jemanden reden wollte. Aber manchmal wollte man auch etwas Ruhe. Doch Avianus entschied, dass es nicht schlecht wäre, mit Narcissa darüber zu reden.
    "Im Grunde kann mir niemand helfen", sprach er, "Es sind nur alte Erinnerungen, die wieder aufkommen."

  • Sim-Off:

    Kein Ding=)


    Seine Worte klangen, als wollte er bestätigen, dass er es tatsächlich war - obschon er unsicher war, beinnahe wie ein gehetztes Tier wirkte, das unruhig von Nische zu Nische sprang und einfach nur furchtbar müde aussahe. Er war es, aber nicht derselbe. Der unerschütterliche Optimist Tiberius Aurelius Avianus hätte niemals "Im Grunde kann mir niemand helfen" gesagt, was in ihren Ohren schon fast wie eine eingestandene Niederlage anmutete.


    "Ich kann Dir vielleicht nicht helfen - aber ich kann Dir zuhören", bot Narcissa ihm bestimmt an. "Und vielleicht ist Dir das schon eine Erleichterung". Insgeheim fragte sie sich natürlich, was es mit diesen alten Wunden auf sich, die so offensichtlich wieder aufgebrochen waren. Selbstverständlich hatte auch der in Terentum lebende Teil der Familie Nachricht über den Tod des Varus Aurelius Regulus erhalten und tief bewegt ihr Beileid bekundet. Das lag nun aber schon ein ganzes Jahr zurück. "Was beschäftigt dich?", hakte sie sanft drängend nach. "Beschäftigen" war dabei vielleicht nicht die beste Wortwahl. "Erschüttern" traf es da eher, wenn sie Tiberius so betrachtete...

  • Eine gehetzt aussehende Frija erschien im Atrium. Die blonde Germanin und Leibsklavin von Tiberia Septima schaute sich suchend um und begann schnellen Schrittes die aela, Seitenräume, des Atriums abzusuchen. Irgendwo mußte doch dieses Kind sein? Ihre Herrin hatte bereits zwei mal nach Marei verlangt und Frija hatte die Kleine, welche ihr sehr ans Herz gewachsen war, noch immer nicht finden können. Erst neulich hatte sie Marei hier, in einem der Seitenräume, welche durch Vorhänge vom Rest des Atriums getrennt waren, beim spielen entdeckt und sie hoffte, das Kind auch jetzt dort finden zu können.


    Bei ihrer Suche umrundete sie den Säulengang und kam schließlich bei Avianus und Narcissa an. Mit einem kurzen „Salve.“ und niedergeschlagenen Augen grüßte sie die Herrschaften leise und schaute schnell noch in die aela hinter den beiden. Immer noch keine Marei!

  • Angesichts dessen, dass Avianus über diese Dinge nicht gerne redete, weil jedes Wort wie ein Felsbrocken auf seinem geschüttelten Herzen lag, musste er sich überlegen, ob er das Angebot von Narcissa in Kauf nehmen wollte. Er hob den Kopf und sah seiner Verwandten ins Gesicht, während man die Gedankenzüge seiner selbst, die im Hintergrund herrschten, nachvollziehen konnte.
    Er wollte sich einer Person anvertrauen. Sein Herz ausschütten, jemanden haben, zu dem er gehen konnte. Sich erleichtern, wie die Aurelierin sagte. So betrachtet war es keine schlechte Idee, dass Narcissa sich anbot. Vielleicht, ja, einen Funken Hoffnung hatte er, dass es helfen würde. Die Pein seiner Seele zu lindern, war etwas, was ihm nun so nah schien. "Ja, du hast recht", nickte Avianus, "Lass uns irgendwo hinsitzen." Avianus saß sich auf eine umliegende Bank und bot Narcissa neben sich einen Platz an. "Also, es ist wegen Vater", wollte Avianus beginnen, wurde jedoch überraschend von einer Sklavin unterbrochen, die unangekündigt um die Ecke kam. "Salve", sagte Avianus kurz und knapp.

  • Der Aurelier musterte sie einen Augenblick lang, als überlege er, ob sie würdig genug war, dass er sich ihr anvertraute. Narcissa konnte das Für und Wider, sein Winden in den braunen Augen lesen.
    Dann veränderte sich sein Ausdruck, wurde eine Spur weicher, aber nicht weniger ernst. Es war der Ausdruck eines Mannes, der sich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte. Narcissa nickte, als er ihr einen Platz neben sich auf einer der umliegenden Bänken anbot. Innerlich freute sie sich darüber, dass Tiberius ihr so viel Vertrauen entgegen brachte. Sie mochte den jungen Mann und sah es deshalb auch nicht gern, dass er augenscheinlich, so sehr litt. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus, wusste Narcissa, wie gut es tat, sich anderen anzuvertrauen. Mit Flora hatte sie es da relativ einfach. Ihre Schwester war immer da, wenn sie sie brauchte. Über das Verhältnis zwischen den Brüdern Tiberius und Gaius wusste sie jedoch nicht sonderlich viel. Gaius hatte sie noch seltener gesehen, als Tiberius und eigentlich hatte sie zu jenem Aurelier nie eine wirkliche Beziehung aufbauen können.
    Einen kurzen Moment lang herrschte Stille, als sich Tiberius sammelte und dann schließlich zu einer Erklärung ansetzte. Sehr weit kam er jedoch nicht. Narcissa kam gerade noch dazu "Ah, sein Vater!" zu denken, als eine Frau das Wort an sie richtete. Sie war Narcissa gar nicht aufgefallen, aber sie musste wohl den Säulengang umrundet haben, während sie gesprochen hatten. Narcissa hatte sie hier noch nie gesehen, aber an der Art, wie sie sie beide begrüßte, konnte es sich nur um eine Sklavin handeln. Freundlich erwiderte sie den Gruß. "Salve!..." Sie spürte, wie die Wolke um Tiberius neben ihr wieder eine Spur finsterer wurde. Allzu viel Zeit wollte sie nicht verstreichen lassen, nicht dass er noch auf die Idee kam, seine Meinung zu ändern. Andererseits würde die Sklavin wieder schneller verschwinden, wenn sie gefunden hatte, was sie offensichtlich suchte. "Was suchst du?", erkundigte sie sich daher, als die Frau in die alea hinter ihnen schaute...

  • Avianus hatte gewartet und in letzter Zeit, seit ihn die Erinnerungen wieder heimsuchten, hatte er viel weniger Geduld für alles und jeden gehabt. Hier hatte er ebenfalls keine Geduld, da die Sklavin sie zwar ansprach, dennoch aber untätig dort verharrte und kein Wort herausbrachte. Mit einer Mischung aus Verwunderng und Verwirrung ließ er sie einfach stehen - sie würde sich melden, wenn es wichtig wäre - und wandte sich wieder an Narcissa. Avianus hingegen lehnte sich nach vorne, stützte seinen Kopf an seiner Handfläche ab, dass sein Kinn in der Handfläche versank und begann, seine traurige Geschichte zu erzählen. Er sah dabei in den Boden, den kalten und steinigen, den er mit der Welt, sich selbst in Verbindung brachte. Wenn die Erinnerungen an damals hochkamen, wurde er auch kalt und steinig, düster und normalerweise auch abweisend, doch diese Eigenschaft hatte ihm Narcissa genommen.
    "Damals, wegen Vater... ich habe ihn verloren, seit ich sechzehn bin und ich vermisse ihn bis heute. Die alten Wunden stechen mich immer in mein Herz, als wollten sie es verletzten, und nicht vernichten. Doch sie lassen es nicht verbluten - der Schmerz heilt, nur um irgendwann wieder aufzutauchen. Ich hasse es, und doch kann ich nicht ruhen, bis ich die Mörder gefunden habe... als ich in der Politik begann, habe ich gehofft, dies alles zu vergessen. Diesen dunklen Lebensabschnitt hinter mir zu lassen. Es half mir nicht." Avianus seufzte und erinnerte sich an den Kampf, den er in seinem Tribunat im germanischen Wald ausgefochten hatte. Die Bilder schmerzten nicht so sehr, wie das mit Vater, obwohl das Blut immer noch an seinen Händen klebte. "Ich habe in meinem Tribunat Männer erschlagen, die meinen Tod wollten. Keine Gnade habe ich mit ihnen gehabt", Avianus wandte seinen Blick ab, denn er wollte der Verwandten nicht ins Auge sehen, während er erzählte, "Ich bin stark geworden. Das Leben hat mich stark gemacht, aber auch gnadenlos. Und doch scheinen Wunden aufgerissen zu werden, die ich mir zugezogen hatte, als ich schwach war. Als ich schwach war in einem Moment, an dem ich Stärke benötigt hatte. Ich mache mir heute noch Vorwürfe, dass ich nicht da war. Vielleicht, ja vielleicht... hätte Vater noch leben können. Wenn ich ein besserer Sohn gewesen wäre."

  • Die Sklavin blieb Narcissa eine Antwort schuldig und zumindest Tiberius schien nicht die Geduld zu haben, zu warten. Bis sie sich entfernt hatte. Das war eines jener Dinge, die sie an ihrem Leben als patrizische Tochter missfiel. Man war nie allein. Stets gab es Mithörer. Für den Moment jedoch, musste sie das ausblenden und sich auf Tiberius konzentrieren, denn dieser lehnte sich nun nach vorn und stützte das Kinn in seine Handflächen, als drücke in eine Last im Kreuz nieder. Er sah sie nicht an, während er seine Geschichte Stück für Stück erzählte. Düster hingen seine Worte in der Luft, malten ein Bild seiner Seele, die stark verwundet zu sein schien. Auch sie hatte ihren Vater verloren. Jung war sie gewesen, hatte aber nie eine wirkliche Beziehung zu ihm aufgebaut. Wenn er kam, dann war er der mann, der das Gesicht ihres Vaters trug, der Mann den sie Vater nannte, pflichtschuldig umarmte, aber nicht mehr. So war es ihr nicht sehr schwer gefallen, als er ging. Dann aber dachte sie an jenen Menschen, dessen Position in ihrem Herzen wohl vergleichbar war mit jener, die der alte Aurelius Regulus im Leben seines Sohnes eingenommen hatte. Und da war es Narcissa, als würde auch ihr ein scharfer Stich durchs Herz jagen. Flora zu verlieren. Das war ungeheuerlich. Sie waren eins. Die eine ohne die andere nur eine lahme, leblose Hälfte. Einem Impuls folgend berührte sie Tiberius am Arm, überwand jene letzte Distanz, und sah ihn mit großen grünen bewegten Augen an.
    „Tiberius”, Sein Name hing einen Moment gewispert im Raum. „Manche Grauen sind in unsere Herzen gebrannt. Sie lassen uns ein Leben lang nicht mehr los…Es muss furchtbar für dich sein”, sagte sie leise mit aufgewühlter Stimme. Obschon es nur der Hauch einer Ahnung gewesen war, hatte etwas bedrückendes nach ihr gegriffen. „Aber, Tiberius, ich bin mir sicher, du warst ihm kein schlechter Sohn. Es gibt Dinge, die passieren, weil sie so passieren sollen.” Ermordet, hallte es in ihrem Kopf und setzte sich als Schauer auf ihrer Haut fort. Das hatte sie nicht gewusst. Gab es denn eine schlimmere Art und Weise, einem einen geliebten Menschen aus dem Leben zu reißen? „Und ich glaube nicht, dass dein Vater wollte, dass du dich mit dem „Wenn…dann” quälst. Er hätte gewollt, dass du den Kopf hebst und nach vorne gehst und nicht stehen bleibst oder zurückblickst…” Wieder legte sich eine kurze Pause zwischen ihre Sätze. Sie musste ihre Worte mit Bedacht wählen. „Hat man denn jenen Menschen…den Täter…hat man ihn gefunden?”

  • Seine Seele war schon das halbe Leben lang einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, was ihm ebenfalls sehr zu schaffen machte. Einmal war er traurig, wütend, ratlos und verzweifelt zugleich, im anderen Moment erholte er sich wieder von den Wunden, bis das Damals ihn einholte. Es schien wie etwas zu sein, was man im Leben nicht los wurde, selbst wenn man es wollte. Ein Gedanke, so selbstverständlich, wie das zu Bette gehen am Abend. Erinnerungen, die man verstieß, die jedoch im falschen Moment wieder hochkamen - im Grunde war es immer der Moment für sie, es gab gar keinen Richtigen, er existierte nicht! Es wäre schon leichter für Avianus gewesen, sich davon endgültig erholen zu können oder immer den Gleichen Zustand zu haben, denn ann wusste er wenigstens, wer er überhaupt war. Doch so war es nicht. Immer erholte er sich, lebte einige Wochen oder gar Monate lang, doch irgendwann, wusste er sicher, würde ihn seine Vergangenheit einholen. Er würde ihr eines Tages nicht mehr entfliehen können. Er wusste genau, dass er, wenn, dann mit seiner Vergangenheit eines Tages abrechnen musste, denn nur das würde ihm den Frieden bringen, den er sich so sehr wünschte. Einen Schlusstrich ziehen, sich der eigenen und des Vaters Vergangenheit zu stellen, mächtig und stark zu sein - die Mörder endlich zu finden, sie zu strafen, so wie sie es verdienten. Ja, das war Avianus' Wunsch und er hatte geschworen, die Mörder zu finden. Und er brach keinen Schwur.


    Narcissa stockte, kurz bevor Avianus mit dem Reden anfing und er sah sie mit geweiteten Augen an, als wäre ihr etwas zugestoßen. Er blickte ihr in die grünen Augen, die ihren Schrecken verrieten und machte sich kurz Sorgen, ehe sich die Aureliern selbst wieder fing. "Ich wollte dir keine Angst einjagen", murmelte Avianus still, "Tut mir leid." Nachdem er schreckliche Dinge in Germanien gesehen hatte, im Leben durchgemacht hatte, würde er keine Träne mehr im Leben vergießen, denn dazu war er zu stark, oder eher zu stumpf? Er wusste es nicht. Und fest stand, obwohl er sich sicher war, nie wieder weinen zu müssen, so feuchteten sich seine Augen etwas, während er der Verwandten zuhörte. Narcissa hatte Recht und niemand konnte ihm Vater zurückbringen - dennoch wusste er, dass eine Sache passierten sollte. Die Mörder zu stellen. Eines Tages würde er dies tun. "Ich habe Anhaltspunkte und nur ich weiß darüber... ich kann sie finden, Narcissa. Aber nicht alleine. Ich würde die Mörder selbst..." er unterbrach den Satz, stockte über seine eigenen Worte und Gedanken "Aber das würde unseren Namen, unsere Ehre schänden. Ich muss einen anderen Weg finden. Der Consul Tiberius Durus hat die Todesstrafe in seiner Amtszeit verschärft geltend gemacht."

  • Da vorne war ja die Zielperson... sie tapste auf Zehenspitzen hinüber. Und nickte zugleich dem Mann sowie Narcissa zu. Die beiden Großen sahen höchst beschäftigt aus.. sie spachen sogar miteinander. Da war die Chance Aufmerksamkeit zu erringen gleich null, tippte Marei. "Jemand hat gesagt, du suchst mich ganz dringend." sprach Marei Frija an und näherte sich ihr von der Seite.


    Marei lächelte Frija an, wartete auf hoffnungsvoll auf das eventuell kommende das Haare streicheln. Feuchte Tränenspuren zierten ihre Wangen, aber der Weinanfall war vorbei. Niki hatte geschimpft, wie ungeschickt sie sich beim Eier aufschlagen und beim Eiweiss vom Eigelb trennen anstellte. Egal wie sehr sie sich bemüht hatte, es ging immer was daneben. Niki hatte ihr schliesslich befohlen, den Hocker zu verlassen und stattdessen wie üblich das Geschirr abzuspülen. Ihre aufgequollenen docken Hände rochen nach Wasser und Tränen.


  • Frija


    Frija war so sehr in ihre Gedanken um Marei vertieft, dass sie die Frage der jungen Herrin völlig überhört hatte. Nie im Traum hätte die Germanin damit gerechnet, dass auch nur einer der Herrschaften sich an sie wenden könnte, oder ihre Gegenwart als störend wahrnehmen könnte. Obwohl sie gerade mal seit ein paar Jahren in der Sklaverei gefangen war, hatte sich Frija schneller in ihr Schicksal gefügt, als ihr Mann Baldemar dies getan hatte, wenn er es überhaupt jemals tun würde. Häufig sprachen sie von der Heimat, im hohen Norden, dort wo es richtige Winter gab und sie ihn Lehmhütten gelebt hatten, die im Sommer schön kühl und im Winter immer muckelig warm waren.


    Auch in der letzten aela war keine Marei zu finden und Frija seufzte leise. Narcissa und Avianus hatten sich gesetzt und die Sklavin konnte ein paar Worte des leisen Gesprächs zwischen den beiden aufschnappen. Von verstorbenen Vätern war die Rede, von Verlust und Verrat und… Rache? Irgendwie kamen Frija bei diesen Worten ganz andere Bilder in den Sinn, von den Kämpfen zwischen Marsern und Römern, der Gefangennahme und Versklavung. Ob ihr Vater inzwischen auch verstorben war?


    Zum Glück wurde die Germanin von ihren trüben Gedanken abgelenkt, als die von ihr gesuchte Person plötzlich neben ihr stand. Wieder hatte Frija nichts mitbekommen, nicht was die beiden auf der Bank gesprochen hatten, noch das Marei durchs Atrium zu ihr gekommen war. Den Blick von der Vergangenheit wieder auf das Hier und Jetzt gerichtet, schaute Frija lächlend zu Marei herunter. Ihre Hand glitt sanft über das länger werdende Haar der Kleinen, wo sie abruppt inne hielt und vor Marei in die Hocke ging. „Kind, was ist denn geschehn?“ erkundigte sich Frija mit sorgenvoller Stimme und zog Marei zu sich in die Arme um dem Kind Wärme und Geborgenheit zu schenken. Hatte sie ihr Unterbewusstsein doch nicht im Stich gelassen, dass etwas mit Marei nicht gestimmt hatte.


    Sim-Off:

    Bitte entschuldigt das ich so lange gebraucht habe... Viel zu viele offene Threads... Narcissa und Avianus, bitte ignoriert die Sklaven einfach erstmal.


    Sim-Off:

    Mist... mist... mist... Falscher Chara X(



    [Blockierte Grafik: http://1.1.1.1/bmi/www.imperium-romanum.info/images/sigs/ir-servus.png]
    Sklavin - Tiberia Septima

  • Marei kuschelte sich an Frija, legte für einige Momente ihren Kopf auf deren Schulter und verharrte noch weitere Momente lang, bevor sie zu darüber reden anfang, was in der Küche geschehen war. "Köchin Niki ist sauer auf mich. Sie sagt, ich soll mich nicht so trottelig anstellen, wenn ich Eigelb von Eiweiss trennen soll, aber immer ging was neben die Schüssel. Sie hat dann gesagt, ich soll besser das Geschirr abspülen gehen. Das hab ich dann auch gemacht.. es hat lange gedauert, bis ich damit fertig war, deshalb sehen meine Finger wieder so dick aus." Das kleine Sklavenmädchen seufzte, pustete unbewusst ihren Atem in Frijas Nacken. Einige wenige Tränen rollten über Mareis Wangen, welche sie mit dem bloßen Handrücken weg wischte. "Weisst du, ich übe mit den Zutaten für das Küchlein backen. Damit ich irgendwann einmal die Küchlein alleine backen kann. Als Überraschung für Ursus und seine Frau. Für Cimon. Auch für dich, Frija und Baldemar." Eigentlich sollte das Ganze in Mareis Vorstellungen eine Überraschung werden, aber sie schien es nicht zu schaffen. Nicht ihr Ziel erreichen zu können wegen des dummen Eigelb und Eiweiß, welche nicht in den Schüssel bleiben wollten. Wieder seufzte sie, lugte kurz zu Narcissa und Avianus hinüber, um danach sich wieder Frija zuzuwenden. "Naja.." eigentlich wollte ich nichts verraten... aber ich schaffs nicht allein."

  • Tröstend und schützend hielt Frija das Kind im Arm, selbst wenn ihr die hockende Position auf Dauer etwas ungemütlich wurde, ließ sie Marei nicht los. Gerührt vernahm sie die Worte und die geplante Überraschung für all diejenigen, die zu Mareis kleinen Familienkreis gehörten. „Gewiss brauchst du nur ein wenig Übung darin, dann wird das mit den Eiern auch eines Tage klappen.“ versuchte Frija das Kind aufzumuntern. Vorsichtig schob sie Marei ein kleines Stück von sich fort, um ihr ins Gesicht schauen zu können. Ein Griff in einen Beutel an ihrem Gürtel, und Frija hatte ein schlichtes, sauberes Tuch in der Hand. Damit wischte sie die Tränen aus dem niedlichen Gesicht fort. „Schaue wie lange Niki schon Köchin ist. Sie konnte gewiss auch nicht von jetzt auf gleich so gut kochen.“


    „Komm mit, Domina Septima hat dich gesucht. Und wenn du das nächste Mal Küchlein backen willst, dann fragst du mich, ja? Ich helfe dir dann beim Eier trennen.“ schlug die Germanin freundlich lächelnd vor und nahm Marei an die Hand. Kurz knackten die Knochen der Frau, als sie sich erhob um mit Marei das Atrium in Richtung cubiculum von Tiberia Septima zu verlassen.

  • "Üben, üben, üben... und nochmal üben. Immer wieder heisst es üben." maulte Marei. "Wenigstens einmal will etwas wie ihr Großen erledigen können." fügte sie hinzu und liess es zu, dass Frija mit ihrem wunderbar weichen Taschentuch sie tröstete und die Tränen wegwischte. Das Niki früher auch dasselbe Problem mit dem Eier trennen gehabt hatte leuchtete Marei ein. "Und wie hat sie es dann geschafft?!?" fragte sie Frija, obwohl die Frage doch eher was für Niki wäre. Damit die Köchin wieder gute Laune bekam und sie nicht mehr Geschirr spülen schickte, wenn etwas nicht sofort klappte. "Die domina sucht mich? Ja, ich frage dich, damit die Überraschung mal einen Schritt vorwärts kommt. Oder wir üben, wenn keiner in der Küche ist und backen Küchlein nur für uns..." Mit diesem aufregenden Bild vor den Augen wieder fröhlich gestimmt, fasste Marei nach Frijas Hand. "Und dann finden uns alle in der Küche auf dem Boden vor dem Herdfeuer schlafend, den Bauch proppenvoll mit Küchlein."

  • Tiberius schien zwischen den Stühlen festzusitzen. Eingeklemmt zwischen dem Damals und dem Wunsch nach vorn zu schreiten. Es folgte ihm wie ein dunkler Schatten auf leisen Sohlen. Je heller ihm die Sonne ihm ins Gesicht lachte, desto finsterer wurde das Gespinst hinter ihm. Machte sich sprungbereit, um im nächsten Moment wieder über ihn herzufallen. Zumindest das war es, was die junge Aurelia auf seinem müden Gesicht las.
    „Das hast du nicht“, erwiderte sie ihm rasch, vielleicht eine Spur zu schnell und versuchte dabei so überzeugend wie nur irgend möglich zu klingen. Woher sollte er auch ahnen, dass seine Worte bei ihr absurde Ängste auslöste. Verfluchte Empathie. Schon ihre Mutter hatte immer gesagt, sie nehme sich die Dinge zu sehr zu Herzen. Jetzt in diesem Moment aber, wollte sie auf gar keinen Fall wie ein kleines 17-jähriges, verschrecktes Mädchen wirken. Nicht neben ihm, der trotz aller Verzweiflung, die in seinen Zügen lag, dennoch durch und durch Stärke ausstrahlte. Woher er diese Stärke nur nahm? Natürlich, er war ein Mann, da erwartete man Stärke...aber selbst die Welt der tapfersten und härtesten Mannes der Welt konnte ins Schwanken gebracht werden, rüttelte man nur an den entsprechenden Stellen. Ein leiser Glanz legte sich über seine Augen, ließ sie heller werden, während seine Züge in Regungslosigkeit verharrten. Zweifelsohne hat er das schon gehört, ging es Narcissa durch den Kopf, aber sie kam nicht umhin zu glauben, dass ihr Worte etwas in ihm anrührten. Zumindest hoffte sie das.


    Was er ihr aber dann offenbarte, das nahm ihr für einen kurzen Augenschlag den Atem. Bilder eines blutüberströmten Tiberius über einem am Boden liegenden Mann flatterten durch ihre Gedanken wie aufgeregte Vögel. Sie blinzelte und blickte dem Verwandten ins Gesicht, der offensichtlich obschon seiner eigenen Worte stockte. Als sie in seinen Augen jene bedrückende Last las, die sein Leben immer und immer wieder niederdrückte, da war ihr klar, dass er jedes einzelne Wort, so wie er es sagte auch so meinte.
    Wäre er dazu in der Lage gewesen, dann hätten die Mörder seines Vaters sicherlich schon lange das letzte klägliche bisschen Luft aus ihren Lungen gehaucht. So aber...nicht nur sie befand sich in einem Korsett familiärer Ansprüche. Auch er tat es. Nur war sie sich nicht so sicher, ob sie in seinem Fall sogar froh darüber war. Narcissa wollte ihn sich nicht als Mörder vorstellen müssen. Natürlich hätte er alles Recht der Welt dazu gehabt, seinen Vater zu rächen...aber diese Bilder!
    „Ich verstehe“, antwortete sie. „Du wirst nicht ruhen können, bis diese grauenvolle Tat vergolten ist...“, Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Narcissa sah ihn mit schmalen Lippen an. Nicht empört oder abgeneigt, sondern nachdenklich. Wenn du weißt, wo sie sich aufhalten, warum handelst du dann nicht?,
    „Ich habe von des Consuls Bemühungen gehört...“ Noch war sie sich nicht sicher, ob er diesen Weg in Betracht zog, oder eher geneigt war, sich Gerechtigkeit auf anderen, dunkleren Wegen zu verschaffen. Für sie klang es, als sei ein gerichtlicher Prozess eher so etwas wie eine Notlösung für ihn.
    „Wenn du weißt, wo sich diese Kerle aufhalten – warum machst du dann keine Meldung an die entsprechende Stelle? Warum zögerst du dein Leiden hinaus?...Denn das ist es, das du tust: du leidest...“ Erneut berührte sie ihn flüchtig am Arm zum Zeichen ihres Mitgefühls.

  • Narcissa schien ziemlich genau zu wissen, was Avianus dachte, wie er dachte und fühlte. Sie war gut darin, Avianus' Situation zu beurteilen und schien dies sogar besser zu können, als er selbst. Vielleicht hatte sie es auch einfacher, denn sie stand ja selbst nur außen und so vernebelte nichts ihr Urteil. Keine Rastlosigkeit und Verwirrung, Trauer oder Wut. Avianus war immerhin der Einzige, der noch nicht über den Mord seines Vaters hinweggekommen war. Sogar seine Mutter hatte sich erholt gehabt. Die Aurelierin antwortete hastig und schnell, was Avianus einen gedankenbehafteten Blick aufetzen ließ. Die Züge Narcissas waren entschlossen, dennoch unberührt und ihre Züge spiegelten die Motivation wieder, etwas in Avianus verändern zu wollen. Ihn zu trösten oder ihn stark zu machen, weiterzugehen oder ihm einen klaren Appell zu senden, dass er sich nicht zu lange mit der Vergangenheit aufhalten solle. Wo alle bis jetzt versagt hatten, wusste Narcissa, in welchen Teilen seiner geplagten Seele der Trost gesucht wurde. Dieser Teil lag in den entlegensten Winkeln seiner selbst, so dass man eigentlich suchen musste. Doch Narcissa fand ihn, als wäre es eine Selbstverständlichkeit gewesen - ungewohnt war dies für den jungen Aurelier.


    "So ist es", erwiderte Avianus direkt auf die Feststellung seiner Verwandten. Er seufzte - wenn sie das so sagte, klang alles so einfach, als könnte er jetzt rausgehen und allem ein Ende machen... andererseits... was sprach dagegen? Jetzt rauszugehen und abrechnen, was das denn nicht so einfach? Sicherlich nicht für Avianus. Er hatte seinen Vater verloren durch Mörder. Wenn er jetzt selbst ein Mörder sein würde, was würde ihn zu etwas Besserem machen? Welches Recht hätte er, Mord mit Mord in eigener Sache zu vergelten? Er hatte es nicht - das war auch das Problem.
    "Und wer, Narcissa, denkst du, verdient es, diese Tat zu vergelten", fragte Avianus, "Bin es ich, der Sohn meines Vaters oder ist es ein Richter, dem alles egal ist? Hör zu." Avianus lehnte sich zurück auf die Rückenlehne der Bank auf der sie saßen und sah Narcissa ernst an. "Gesetze sind letzten Endes nur auf Papyrus geschrieben, von Menschen wie dir und mir. Ob es nun ein anderer vollstreckt hat oder ich den Tod meines Vaters selbst vergolten habe. Es ist eine Sache zwischen mir und ihnen... die anderen machen nur, was auf dem Papyrus steht. Ich jedoch sehe einen Sinn hinter dem Ganzen."

  • Es war immer schwierig den Wald im Ganzen zu sehen, wenn man umgeben war von schlanken Stämmen, die ihre düstere Krone über einen ausbreiteten. Der Mensch war kein objektives Wesen, sondern getrieben von Leidenschaften und Gefühlen, die den Verstand vernebelten. Da war es schwierig Urteile zu fällen. Narcissa war in der Tat frei von all dem. Was aber nicht hieß, dass es ihr leicht fiel, ihm zuzureden. Sie mochte den Aurelier, dessen Abgründe sie noch nicht einmal erahnt hatte. Die Schluchten, die in einem Menschen lagen, konnten mit unter sehr tief und noch finsterer sein. Und niemand, wirklich niemand, konnte auch nur erahnen, zu was man alles selbst fähig war. Während Narcissa Tiberius lauschte, war es genau diese Frage, die durch ihren Kopf wanderten. >Zu was bist du fähig<. Ihr Blick glitt forschend über sein Gesicht. Er besaß nicht die Züge eines Mannes, der zu einem Mord fähig war. Andererseits wurde manch sanftmütiger Mann zum Mörder, von dem man es niemals im Leben erwartet hätte. Verbrechen war etwas, das man niemandem ansehen konnte. Bei Tiberius wollte sie es sich absolut nicht vorstellen. Es beruhigte sie, dass er bei seinen eigenen Worten so gezögert hatte, bedeutete es doch, dass ihm allein schon der Gedanke daran, einen Schreckensschauer einjagte. Etwas schien ihn davon abzuhalten. Dass es Furcht war, das glaubte sie nicht. Die Tat an sich hielt ihn zurück, was bedeuten würde, sich auf eine Ebene mit den Tätern zu stellen. Andererseits sah Tiberius es als seine ganz persönliche Aufgabe an – es war etwas persönliches, andernfalls läge ihm nicht so viel an der Gleichgültigkeit eines Richters. Eine Zwickmühle.
    „Ich verstehe, was du meinst, Tiberius“, entgegnete Narcissa und erwiderte den ernsten Blick ihres Verwandten. „Aber letztendlich geht es doch nur um das: um Gerechtigkeit und um deinen Seelenfrieden. Egal wie du dich entscheidest, Gerechtigkeit wird dir zuteil werden – aber dein Gewissen wird leiden.“ Sie hielt einen Atemzug inne, ließ ihre Worte im Raum wirken. „Sieh her...Wenn du dich persönlich rächst, dann wirst du dir vorwerfen, dich auf ihr Niveau begeben zu haben. Wenn du dich in die Hände eines Richter begibst, dann wirst du stets damit zu kämpfen haben, dass der Mord an deinem Vater zu einem unpersönlichen Fall geworden ist. Das ist nun einmal die Aufgabe eines Richters. Er ordnet die Dinge, stellt sich zwischen Täter und Opfer.“ Narcissa konnte sich vorstellen, dass dem Verwandten das Szenario, das sie ihm zu Füßen ausbreitete nicht gefiel. Wie auch. Egal, wie man es drehte und wendete – es war niemals gut. Aber es konnte auch niemals mehr „gut“ werden. Der Mord hatte Gräben in Tiberius hinterlassen und diese Zeichen würde er sein ganzes Leben mit sich tragen. Auch wenn Narcissa es nicht aussprach, so hoffte sie, dass er den Weg des öffentlichen Prozesses einschlagen würde.
    „Ich bin nicht in der Lage zu sagen, mach dies oder das, Tiberius“, fuhr sie sanfter fort. „Ich sage es so, wie ich es sehe. Du solltest dich für einen Weg entscheiden. Und das bald. Denn irgendwann frisst es dich auf oder dir wird die Entscheidung genommen.“

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